Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Dienstag, 31. Juli 2012
Unter die Oberfläche geschaut
Heute war wieder Kontrastprogramm im Angebot. Ich habe beides gerne angenommen.

WAS BLEIBT (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: Pandora
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Hans-Christian Schmid
Darsteller: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Sebastian Zimmler
Kinostart: 06.09.2012

Gemeinsam mit seinem kleinen Sohn fährt Marko aufs Land um seine Eltern zu besuchen. Dass er von seiner Frau getrennt lebt, hat er ihnen noch nicht erzählt. Auch sein jüngerer Bruder Jakob, der als Zahnarzt nicht unweit von den Eltern praktiziert und in einer vom Vater eingerichteten Villa haust, hat ein Geheimnis: die Praxis wirft nichts ab, er macht nur Schulden. Beim gemeinsamen Essen im Elternhaus lüftet Mutter Gitte ihr Geheimnis: nach 30 Jahren hat sie jetzt ihre Medikamente abgesetzt und möchte nicht mehr als manisch Depressive, sondern als vollwertiges Familienmitglied behandelt werden. Damit setzt sie unfreiwillig das Auseinanderfallen der Familie in Gang... In seinem Film beobachtet Regisseur Hans-Christian Schmid sehr präzise, wie ein nach außen hin fröhliches Familientreffen Geheimnisse offenbart, die die Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Das Darstellerensemble ist dabei handverlesen. Alle spielen ihre Rollen sehr authentisch - ob Lars Eidinger als Marko oder Sebastian Zimmler als Jakob, Corinna Harfouch als psychisch instabile Mutter oder Ernst Stötzner als patriarische Vaterfigur. WAS BLEIBT ist alles andere als ein Heile-Welt-Film, sondern einer, der ganz tief unter die Oberfläche schaut. Das kann sehr unbequem und sogar schmerzhaft sein.

UND NEBENBEI DAS GROSSE GLÜCK (1:1.66, DD 5.1)
OT: Un Bonheur N’Arrive Jamais Seul
Verleih: Senator
Land/Jahr: Frankreich 2012
Regie: James Huth
Darsteller: Sophie Marceau, Gad Elmaleh, François Berléand
Kinostart: 20.09.2012

Als Jazz-Pianist arbeitet er abends in einem angesagten Club, als Komponist für Werbespots versucht er sich am Tage. Doch eigentlich träumt Sacha davon, mit seinem besten Freund zusammen eine eigene Show auf die Bühne zu bringen. Da fällt ihm die attraktive Charlotte im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor die Füße. Ein einziger Blickkontakt – und nichts muss mehr gesagt werden. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Doch dem Glück stehen ein paar Hürden im Weg. Denn Charlotte ist nicht nur irgendeine Frau, es ist die Frau von Sachas Auftraggeber, der von allen aus gutem Grund nur “Geiler Bock” genannt wird. Aber damit kann Sacha leben, denn Charlotte und ihr Gatte leben ja getrennt (“Wir sind ein freies Paar – ich bin das Paar und er ist frei”, gesteht Charlotte). Der eigentliche Schock ereilt den Künstler in der ersten Liebesnacht: Charlotte entpuppt sich als Mutter dreier Kinder... Kleine Romantikkomödie gefällig? Mit ein paar netten Slapstickeinlagen und dem Wissen, dass am Ende alles wieder gut wird? Dann sind Sie hier genau richtig! Sophie Marceau (mit zunehmendem Alter immer schöner!) und Gad Elmaleh geben ein wundervolles Paar ab, das sich nicht nur mit der Liebe, sondern auch mit den Tücken des Objekts herumschlagen muss. Noch nie dürfte Sophie Marceau so oft gestürzt sein wie in dieser frischen französischen Komödie. Regisseur James Huth, ein Fan klassischer Filmkomödien a la Frank Capra oder George Cukor, verpackt viele Filmanspielungen in seinem Feel Good Movie. So ist beispielsweise Sachas Bleibe mit Filmplakaten dekoriert und auch über Charlottes Bett wacht ein riesiges CASABLANCA-Poster. UND NEBENBEI DAS GROSSE GLÜCK ist als Date-Movie bestens geeignet.
Freitag, 27. Juli 2012
Paartherapie
Eines der ganz großen Privilegien als Filmkritiker sind die klimatisierten Räume, in denen man sich aufhalten darf, während draußen Backofentemperaturen herrschen.

WIE BEIM ERSTEN MAL (1:2.35, DD 5.1)
OT: Hope Springs
Verleih: Wild Bunch (Central)
Land/Jahr: USA 2012
Regie: David Frankel
Darsteller: Tommy Lee Jones, Steve Carell, Meryl Streep, Elisabeth Shue
Kinostart: 27.09.2012

Längst schon ist bei Arnold und Kay der grauen Ehealltag eingekehrt. Wo früher noch Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ist nach 30 Ehejahren nur noch Stille eingekehrt. Selbst das Bett teilen die beiden nicht mehr miteinander. Während Arnold mit der Situation ganz zufrieden zu sein scheint, brennt es Kay unter den Fingernägeln: sie möchte mit ihrem Gatten zusammen eine Paartherapie absolvieren. Es gelingt ihr schließlich, Arnold trotz seines Widerwillens nach Hope Springs zu locken, einem idyllischen kleinen Küstenstädtchen, in dem Eheberater Bernard Feld seine Praxis hat. Der Seelenstriptease kann beginnen... Der Originaltitel des Films ist zweideutig. Denn “Hope Springs” ist nicht nur der Name des Ortes, an dem die Eheleute wieder zueinander finden wollen. Er drückt auch gleichzeitig die Hoffnung aus, die aus der Paartherapie erblühen soll. Der mit Tommy Lee Jones, Meryl Streep und Steve Carell prominent besetzte Film richtet sich dabei zweifelsohne an ein reiferes Publikum, das Probleme wie die von Arnold und Kay selbst zur Genüge kennen dürfte. Dass älteres Publikum angesprochen werden soll, lässt sich auch unschwer an der extrem langsamen und leisen Inszenierung erkennen. Leider wirkt der Film dadurch wie ein Lehrfilm über das Thema “Paartherapie”, dem ein typisch amerikanisches Ende verpasst wurde. Hope Springs eben.
Donnerstag, 26. Juli 2012
Fragezeichen und Ausrufezeichen
Während heute ein Typ in Stretchlimo für Rätselraten sorgte, sorgte eine verlassene Waldhütte für “Aha”-Erlebnisse.

HOLY MOTORS (1:1.85, DD 5.1)
OT: Holy Motors
Verleih: Arsenal
Land/Jahr: Frankreich, Deutschland 2012
Regie: Leos Carax
Darsteller: Denis Lavant, Eva Mendes, Kylie Minogue, Michel Piccoli
Kinostart: 30.08.2012

Von morgens bis spät in die Nacht bewegt sich die weisse Stretchlimousine durch Paris. Am Steuer sitzt Celine, eine Blondine mittleren Alters. Ihr Fahrgast: Monsieur Oscar. Von Bodyguards flankiert steigt er in das Innere der Limo und arbeitet Aufträge ab. Aufträge, die ihn einmal als bettelndes Weib, als Killer, als Familienvater und sogar als Monster aus der Limo entlassen... Eines gleich vorweg: HOLY MOTORS gehört zu der Kategorie von Filmen, für die man selbst als durchschnittlicher Filmkritiker eine Gebrauchsanleitung benötigt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es sich vermutlich um ein Kunstwerk handelt. Bemerkenswert ist zumindest die Tatsache, dass keines der fragenden Gesichter, die in der heutigen Vorführung saßen, aufgesprungen ist und den Saal verlassen hat. Das spricht für die ungewöhnlichen Bilder, die Leos Carax mit seinem Film liefert. Carax taucht Paris in ein ganz spezielles, sehr geheimnisvoll wirkendes Licht, das ganz besonders bei Nacht zu Hochform aufläuft. Der Regisseur über seinen Film: “HOLY MOTORS ist aus meiner Unfähigkeit heraus geboren, verschiedene Projekte, die alle in unterschiedlichen Ländern und verschiedenen Sprachen spielen sollten, zu realisieren.” Dies könnte das Fragmenthafte seines Films erklären. Denn jede der Episoden, in denen Denis Lavant alias Monsieur Oscar in eine vollkommen andere Rolle schlüpft, wirkt so, als wären es Bruchstücke aus nicht vollendeten Filmen. Inszeniert ist das alles als großes Theater mit einer Ouvertüre (die erste Episode) und einer Pause mit musikalischem Zwischenspiel. Wie immer greift Carax auch in diesem Film zu krassen Mitteln. Finger werden abgebissen und Blutfontänen spritzen auf den Asphalt. Und es gibt sogar einen erigierten Penis zu sehen (ein weiterer möglicher Hinweis darauf, dass es sich um ein Kunstwerk handeln muss). HOLY MOTORS dürfte für viel Kopfschütteln sorgen und ist ganz sicher nichts für einen entspannten, vergnüglichen Kinoabend.

THE CABIN IN THE WOODS (1:2.35, DD 5.1)
OT: The Cabin In The Woods
Verleih: Universum (24 Bilder)
Land/Jahr: USA 2011
Regie: Drew Goddard
Darsteller: Kristen Connolly, Chris Hemsworth, Anna Hutchison
Kinostart: 06.09.2012

Fünf Freunde - zwei Mädchen und drei Jungs – brechen auf, um ein Wochenende in einer verlassenen Hütte mitten im Wald zu verbringen. Das kommt Ihnen bekannt vor? Dann dürfte es Sie auch nicht wundern, dass der Typ, der mitten im Wald die einzige vollkommen heruntergekommene Zapfsäule betreibt, alles andere als einen zutraulichen Eindruck macht. Aber unsere Fünf stört das nicht weiter und so quartieren sie sich in der Waldhütte ein. Was jetzt folgt, dürfte ebenfalls hinlänglich bekannt sein. Doch nicht so voreilig – es gibt da noch einen Kniff dabei. Unsere fünf Helden wissen nicht, dass sie die Hauptdarsteller in einer Reality-TV-Show sind und von den Machern heimtückisch manipuliert werden... Marty zu Dana, als diese ein blutiges Etwas am Boden sieht: “Ich habe ihn mit einer Maurerkette zerlegt. Und was hast Du so gemacht?” – Solche Sprüche hätte man sich viel öfter in dieser Horrorkomödie gewünscht. Aber sie bleiben sehr rar. Denn der Film von Drew Goddard findet leider erst in den letzten 20 Minuten zu seiner eigentlichen Form, die dann auch für einen netten Überraschungseffekt sorgt. Bis es allerdings soweit ist, werden erst einmal alle Klischees des typischen Backwood-Splatter-Films durchlaufen und persifliert. Das ist natürlich pure Absicht. Denn die wackeren Fünf befinden sich ja unwissentlich in einer Reality-Show, bei der es keine Grenzen gibt. Da ist es sicher kein Zufall, dass einer der Drahtzieher im Hintergrund Truman heisst. Hier wird direkt angespielt auf DIE TRUMAN SHOW, in der sich Protagonist Jim Carrey auch ohne sein Wissen in einer Fernsehsendung befindet. Hin und wieder finden sich sarkastische Spitzen im Film, wie z.B. jene, in der die Fernsehmacher immer wieder auf ihre Konkurrenz aus Japan schielen. Dort sorgt ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren für Angst und Schrecken in einer Schule – Horror “Japanese Style” eben. THE CABIN IN THE WOODS ist brauchbare Unterhaltung für Horrorfans, aber längst kein Überflieger wie vom Verleih suggeriert wird.
Mittwoch, 25. Juli 2012
Von Beziehungen und Politikern
Ein Spielfilm gefolgt von einer Dokumentation – das war mein heutiger Tag.

DIE WAHRHEIT ÜBER MÄNNER (1:2.35, DD 5.1)
OT: Sandheden Om Mænd
Verleih: Camino (Neue Visionen)
Land/Jahr: Dänemark 2010
Regie: Nikolaj Arcel
Darsteller: Thure Lindhardt, Tuva Novotny, Rosalinde Mynster
Kinostart: 18.10.2012

Am Abend seiner House-Warming-Party wird es ihm zum ersten Mal klar: Mads, Anfang 30, mittelmäßiger Drehbuchautor, in einer Beziehung lebend, führt nicht das Leben das er eigentlich führen wollte. Die Freundin, mit der er seit zehn Jahren zusammenlebt, war eigentlich noch nie sein Typ und Kinder will er sowieso keine haben. Mads nimmt sich eine Auszeit, zieht aus, richtet sein Leben neu ein. Noch immer trauert er der Frau hinterher, die er nie haben konnte. Zeit daran etwas zu ändern. Doch beim Date mit der Traumfrau kommt schnell die Ernüchterung. Da trifft er zufällig die 19jährige Julie, eine Künstlerin, mit der er Hals über Kopf eine Affäre beginnt. Die jedoch ist nicht von langer Dauer und Mads besinnt sich wieder auf seine Verflossene. Doch es ist schon zu spät... Dass das Leben kein Drehbuch ist, muss auch Mads im Laufe des Films erkennen. Bis es allerdings soweit ist, lassen sich Drehbuch und Regie dieser dänischen Komödie mit Tiefgang einiges einfallen. Da werden beispielsweise Mads‘ Drehbuchentwürfe sofort in entsprechende Szenen umgesetzt, teilweise sogar in Animationsform. Ganz beiläufig gibt uns der Protagonist noch eine Schnellbleiche in Sachen Drehbuchdramaturgie – Konflikte, Wendungen, Auflösungen. Alles wird kurz angerissen und mündet stets in einen mit passender Musik unterlegten Abspann. Oder es rast plötzlich ein Zug mitten durch Mads‘ Zimmer und über ihn hinweg – eine perfekte visuelle Umsetzung für seine Gefühle, als Julie mit ihm Knall auf Fall bricht. Gleichzeitig hält der Protagonist allen männlichen Zuschauern einen Spiegel vor – vorausgesetzt natürlich, dass man über einen entsprechenden persönlichen Erfahrungsschatz verfügt! Er tut dies nicht etwa schulmeisterlich, sondern stets mit einer großen Portion Humor, die es ermöglicht, dass man plötzlich über sich selbst lachen kann. DIE WAHRHEIT ÜBER MÄNNER ist eine anspruchsvolle Komödie, die hervorragend unterhält und die trotzdem zum Nachdenken animiert.

HERR WICHMANN AUS DER DRITTEN REIHE (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: Piffl
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Andreas Dresen
Darsteller: Henryk Wichmann
Kinostart: 06.09.2012

Eigentlich hätte Andreas Dresens Dokumentarfilm mit der Titeleinblendung “10 Jahre später” beginnen können. Denn solange ist es jetzt her, als Dresen den Workaholic der CDU erstmals zum Protagonisten seines Films machte. HERR WICHMANN VON DER CDU hieß der Film aus dem Jahre 2003 und dokumentierte den Wahlkampf des Henryk Wichmann, der als CDU-Mitglied für den Brandenburger Landtag kandidierte - erfolglos. Eine Dekade später jedoch hat es Wichmann endlich geschafft: er sitzt jetzt im Landtag, auch wenn ihm der Platz nur aufgrund des Verzichtes eines anderen Abgeordneten zugefallen ist. Die neue Situation interessierte den Regisseur und er beschloss, uns jetzt mit einem weiteren WICHMANN-Film sozusagen auf den neuesten Stand zu bringen. Diese vollkommen neue Situation hat auch einen inhaltlich ganz anderen Film geschaffen, der unabhängig vom ersten Film funktioniert. Dresen begleitete den Abgeordneten ein ganzes Jahr lang mit der Kamera und einem Ansteckmikrofon. Und er präsentiert das Ergebnis vollkommen unkommentiert und wertneutral. Ob bei Landtagssitzungen, bei Besuchen auf Seniorenmessen, in der Schule, bei der Eröffnung eines weiteren Wichmann-Bürgerbüros, bei Ortsterminen in der Uckermark – Wichmann lässt sich überall unbeirrt mit der Kamera über die Schulter schauen. Der Zuschauer erfährt so von der teilweise nervenaufreibenden und zeitintensiven Arbeit, die den Tagesablauf des Henryk Wichmann bestimmen. Und oft genug gleicht sein Einsatz für die Bürger einem Kampf gegen die Windmühlen. Hier gilt es den Schreiadler zu schützen, dort eine illegale Mülldeponie zu untersuchen und anderswo skurrile Probleme bei einer Haltestelle der Deutschen Bundesbahn zu lösen. Auch wenn es einmal ganz interessant ist, einem Politiker bei der täglichen Arbeit zuzuschauen, so ist Dresens Film nicht gerade kinotauglich, sondern gehört eher ins Nachtprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Hier gibt es das Video zur Stuttgarter Premiere des Films
Dienstag, 24. Juli 2012
Schwindelerregende Höhen und peinliche Demaskierungen
Mit dem heutigen Doppelprogramm war ich ziemlich zufrieden – eine Seltenheit.

MESSNER (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: Movienet (24 Bilder)
Land/Jahr: Deutschland 2010
Regie: Andreas Nickel
Darsteller: Reinhold Messner
Kinostart: 27.09.2012

Reinhold Messner ist bereits zu Lebzeiten in die Geschichte eingegangen als der Mensch, der als Erster alle Achttausender bezwungen hat. Doch woher kommt er, was bewegte ihn zu seinem Rekord? Und wer ist der Mensch hinter dem Branding “Messner”? In seinem Doku-Drama versucht Regisseur Andreas Nickel eine Antwort zu finden. Statt einem Kommentar aus dem Off lässt er Reinhold Messner sowie dessen Brüder und auch Weggefährten selbst erzählen. Mit einer Mischung aus nachgestellten Szenen sowie Originalaufnahmen erfährt man Messners Werdegang, der als eines von neun Geschwistern unter einem sehr strengen Vater aufgewachsen ist. Schon früh löste er sich vom Elternhaus und ging seinen ganz eigenen Weg. Messner erzählt von Vertrauen und auch Verantwortung, die man als Extrembergsteiger hat. Natürlich spielt hier der Verlust seines Bruders Günther bei der Erstbesteigung des Nanga Parbat eine zentrale Rolle – eine Erfahrung, die ihm viel Kritik eingebracht hat und von der er sich bis zum heutigen Tag nicht befreien konnte. Eingebettet sind die Spiel- und Interviewsequenzen in atemberaubende Bilder jener Berge, die Messner erklommen hat. Es sind grandiose Bilder, die einem erst so richtig bewusst machen, auf welch waghalsige Touren er sich eingelassen hatte. Unterlegt mit suggestiver Filmmusik verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Der Film beschränkt sich fast ausschließlich auf Messners Bergtouren und streift die sich in den Folgejahren anschließenden Pol-Expeditionen und Wüstendurchquerungen nur sehr oberflächlich. Auch gelingt es dem Film leider nicht, den wahren Menschen Messner freizulegen und konzentriert sich daher auf seine sportlichen Erfolge und auch Misserfolge. Trotzdem bleibt MESSNER ein spannend erzählter und sehr kurzweiliger Film über einen sehr populären Eigenbrödler.

DER VORNAME (1:2.35, DD 5.1)
OT: Le Prénom
Verleih: Warner
Land/Jahr: Frankreich, Belgien 2012
Regie: Alexandre de la Patellière, Matthieu Delaporte
Darsteller: Patrick Bruel, Valérie Benguigui, Charles Berling
Kinostart: 02.08.2012

Elisabeth und Pierre, Eltern zweier Kinder, Sie Lehrerin, Er Literaturprofessor, haben Elisabeths Bruder Vincent und ihren besten Freund Claude zu einem Abendessen eingeladen. Die bereits gute Stimmung wird noch besser, als Vincent die frohe Botschaft verkündet, dass er bald Vater wird. Doch die Freude ist nur kurz. Denn als die Anderen erfahren, dass Vincent seinen Sohn ausgerechnet Adolf nennen will, schlägt die Stimmung um und mündet in eine erbitterte Diskussion. Welche Vornahmen darf man nehmen, welche sind quasi verboten? Der Schlagabtausch eskaliert, als Vincents Frau Anna eintrifft und sich über die Vornamen der Kinder von Elisabeth und Pierre verächtlich äußert. Die Schlacht beginnt... Wie bereits zuvor Roman Polanski in seiner Verfilmung des Theaterstücks DER GOTT DES GEMETZELS erzählen die Regisseure Alexandre de la Patellière und Matthieu Delaporte vom Bröckeln der bürgerlichen Fassade. Waren es bei Polanski noch vollkommen Fremde, die nach und nach sämtliche Hemmungen verlieren und aufeinander losgehen, so sind es bei DER VORNAME Verwandte und Bekannte, die sich bereits seit Jahrzehnten kennen. Und auch wieder nicht kennen, wie der Verlauf des Abends an die Oberfläche befördert. Der Film – basierend auf dem sehr erfolgreichen Theaterstück der beiden Regisseure – hält ein paar Überraschungen für den Zuschauer parat und lässt den Zuschauer damit fühlen, wie es wohl den Protagonisten bei der gnadenlosen Demaskierung ergehen muss. Eine Demaskierung wohlgemerkt, die sehr viel Spaß macht und flott inszeniert ist. Trotz des eher intimen Themas des Films versteht sich Kameramann David Ungaro hervorragend darauf, das CinemaScope-Format zu nutzen, indem er den Handlungsmittelpunkt, nämlich die Wohnung der Gastgeber, sehr ausladend ins Bild rückt. Sehr gelungen auch der Einstieg in den Film, der sehr flott geschnitten ist und alle Personen detailliert einführt und damit den Film perfekt von einem Theaterstück entkoppelt. Die teils extrem witzigen Dialoge werden dabei von einem exzellenten Ensemble in den Raum geschleudert. Patrick Bruel glänzt in der Rolle des Vincent, der sich gerne produziert, provoziert und in den Mittelpunkt stellt und für den der weiche und sensible Claude (perfekt: Guillaume De Tonquédec) ein gefundenes Fressen ist. Brillant ebenfalls Valérie Benguigui und Charles Berling, die das Gastgeberehepaar mimen, das unter unausgesprochenen Problemen leidet. Die Letzte im Bunde ist Judith El Zein als Vincents schwangere Frau Anna, die unwissentlich den ganzen Stein erst so richtig ins Rollen bringt.
Freitag, 20. Juli 2012
Wie man in einer Sekunde gleichzeitig Vater und Opa wird
Der Tag fing mit einer netten Komödie an, wurde dann aber von einer filmischen Katastrophe abgelöst

LATE BLOOMERS (1:1.85, DD 5.1)
OT: Late Bloomers
Verleih: Movienet (24 Bilder)
Land/Jahr: Frankreich, Großbritannien, Belgien 2010
Regie: Julie Gavras
Darsteller: William Hurt, Isabella Rossellini, Doreen Mantle
Kinostart: 06.09.2012

Früher hat er Flughäfen entworfen, jetzt soll er Seniorenheime erschaffen. Star-Architekt Adam, soeben für sein Lebenswerk ausgezeichnet, fühlt sich mit knapp 60 Jahren noch längst nicht zum alten Eisen gehörend. Um es sich selbst noch einmal zu beweisen, will er jetzt mit ein paar seiner jungen Kollegen ein Museum entwerfen. Sehr zum Unverständnis seiner Frau, die bei jedem Anzeichen von Vergesslichkeit gleich an Alzheimer glaubt und sich auch sonst ganz gezielt auf das Alter vorbereitet. Womit sie ihrem Adam gehörig auf die Nerven geht. Der quartiert sich daraufhin kurzentschlossen ins Büro ein und lässt sich von seiner netten jungen Kollegin bezirzen... Regisseurin und Drehbuchautorin Julie Gavras, Tochter des berühmten Filmregisseurs Costa-Gavras, wählte für ihren Film ein sehr zeitgemäßes Thema: der Umgang mit dem Älterwerden. William Hurt und Isabella Rossellini mimen darin ein Paar im “besten Alter”, bei dem beide vollkommen gegenteilige Ansichten zum Älterwerden haben. Während sie zwar den Platz, den ihr ein junger Mann im Bus anbietet, fast schon entrüstet ablehnt oder es unmöglich findet, wenn ihr erwachsener Sohn ihr beim Aufstehen helfen möchte, lässt sie beispielsweise das Bad mit zusätzlichen Haltebügeln ausstaffieren oder ergänzt das Ehebett mit einer elektrischen Hebeanlage. Er dagegen ignoriert sein Alter und macht auf wesentlich jünger, ertappt sich aber schließlich dabei, dass er sich beim Ausstieg aus der Badewanne plötzlich an den neuen Griffen festhält – worauf seine Hand ganz schnell wieder loslässt und zurückschreckt. Es sind diese feinen Kleinigkeiten, die Gavras‘ Film so liebenswert und auch authentisch machen. Ein Film, der zwar ein ernstes Thema aufgreift, es aber mit viel Humor auskleidet. Hurt und Rossellini geben ein wundervolles Paar ab und bieten eine große Menge Identifikationspotenzial zumindest für reife Zuschauer. Und wer bislang glaubte, dass Sex im Alter keinen Spaß mehr macht, der darf sich auf die Schlusssequenz des Films freuen und damit Hoffnung schöpfen.

VATERTAGE – OPA ÜBER NACHT (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Studiocanal
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Ingo Rasper
Darsteller: Sebastian Bezzel, Sarah Horváth, Monika Gruber
Kinostart: 13.09.2012

Dass alles nur ein abgekartetes Spiel ist, weiß Lebemann Basti nicht, als die 17-jährige Dina aus Bitterfeld zusammen mit ihrem Baby vor seiner Tür in München steht und sich als seine Tochter outet. Die Kleine, die ihn innerhalb einer Sekunde nicht nur zum Vater, sondern auch zum Opa macht, will 10.000 Euro Wiedergutmachungsgeld von ihm haben. Doch woher das Geld nehmen? Bastis Rikscha-Firma “Wadlbeißer” steht kurz vor dem Bankrott und niemand vermag ihm Geld zu leihen. Der Junggeselle kommt in große Bedrängnis... VATERTAGE gehört zu jener Art deutscher Filmkomödien – oder besser: bayerischer Filmkomödien – die man nur mit einer Überdosis Weißbier ertragen kann. Wer dabei lachen möchte, sollte am besten eigene Witze mitbringen – denn die im Film enthaltenen Gags und Pointen reichen bei weitem nicht aus, um die Lachmuskeln in Bewegung zu setzen. Wenn Heiner Lauterbach als der “Quoten-Schwule” mit seinem griechischen Lover ins Bild rückt, dann hat man jedes Mal den Eindruck, dass es hier nur darum geht, einen bekannten Namen im Portfolio zu haben. Er fängt mit seiner Rolle einfach nichts an – was am verpatzten Drehbuch liegen dürfte. Das kriegt es dann nicht einmal fertig, aus einer Schimpftirade, in der vornehmlich das Wort “Arsch” vorkommt, eine gute “Schwulen”-Pointe zu entwickeln. Hier bleibt Potenzial ungenutzt. Ungenutzt aber auch das Potenzial von Darstellern wie Monika Gruber, die weit unter ihrem Können eingesetzt wird. VATERTAGE ist deutsches Kino zum Abgewöhnen in Schmierfilm-Look.
Donnerstag, 19. Juli 2012
Indiana Jones für Kinder
Nur eine einzige Pressevorführung heute. Aber macht nichts – die volle Bollywood-Dröhnung ist am Abend angesagt.

SCHATZRITTER (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: farbfilm (24 Bilder)
Land/Jahr: Luxemburg, Deutschland 2012
Regie: Laura Schroeder
Darsteller: Anton Glas, Thierry Koob, Lana Welter, Alexandra Neldel
Kinostart: 30.08.2012

Keiner glaubt dem kleinen Jeff. Dabei hat aber mit eigenen Augen ansehen müssen, wie seine Mutter von einem Unbekannten umgebracht wurde – mit einem Blitz aus dessen Arm. Für seinen Vater und die Ärzte war es nur Herzversagen. Ein paar Jahre später. Mit den Sommerferien kommen auch Jeffs Freunde aus der Stadt zu Besuch. Es dauert nicht lange, bis die kleine Gemeinschaft mitten in einem aufregenden wie unheimlichen Abenteuer steckt. Dabei geht es um eine alte Legende und einen Schatz, den zu finden es gilt. Doch auch dunkle Gestalten haben es auf den Schatz abgesehen... Die vielen Fragezeichen und “tba”-Vermerke im Abspann sowie die fast monophon tönende Musikmischung ließen keinen Zweifel daran, dass man uns heute einmal mehr nur eine Arbeitsfassung und nicht etwa den fertigen Film gezeigt hat. Und das sogar von Blu-ray. Wenn aber das uns Gezeigte repräsentativ für das Endprodukt ist, so wäre das weniger schön. Denn die deutsche Synchronisation klang im wahrsten Sinne des Wortes einfach nur billig. Insbesondere die Sprecher der Erwachsenen geben sich kaum Mühe, leben ihre Rollen nicht richtig aus. Dadurch wirkt der Abenteuerfilm leider sehr lasch. Die Geschichte an sich richtet sich natürlich an Kinder, die hier möglicherweise zur eigenen Schatzsuche inspiriert werden könnten. Die Kinderdarsteller agieren alle recht ordentlich. Allerdings könnten kleinere Kinder wirklich Angst bekommen. Denn gleich zu Beginn des Films geschieht ein Mord. Und der Bösewicht ist einer, vor dem man selbst als Erwachsener Angst bekommen könnte. Kinder bis etwa zehn Jahre sollten nicht ohne elterliche Aufsicht in diesen Film gehen.
Mittwoch, 18. Juli 2012
Mutter mit Alkoholproblem und Fledermaus mit gestutzten Flügeln
Vom deutschen Drama ging es direkt in den vermeintlichen Blockbuster des Jahres.

FÜR ELISE (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: farbfilm
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Wolfgang Dinslage
Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Christina Große, Hendrik Duryn
Kinostart: 11.10.2012

Für die 15jährige Elise ist ihr Zuhause schon lange kein Hort der Entspannung mehr. Seit ihr Vater bei einem Unfall ums Leben kam, driftet ihre Mutter Betty von einer Beziehung zur nächsten, von einer Party zur nächsten. Erteilte Abfuhren ertränkt sie im Alkohol. Sie bezahlt keine Rechnungen mehr, kümmert sich kaum noch um Elise, wodurch diese in die Erwachsenenrolle gezwungen wird. Die schier ausweglose Situation eskaliert schließlich, als die Mutter den alleinerziehenden Ludwig trifft, in den sie ihre ganze Hoffnung setzt. Doch Ludwig ist nicht in Betty verliebt, sondern fühlt sich zu Elise hingezogen... Beeindruckend an diesem Drama sind die darstellerischen Leistungen der beiden Frauen. Nachwuchstalent Jasna Fritzi Bauer in der Rolle der musikbegabten Elise versteht es sehr gut, die innere Zerrissenheit ihrer Figur nach außen zu transportieren. Einerseits sehnt sie sich nach einem starken Vater, der ihr Schutz und Geborgenheit gibt, andererseits muss sie sich um ihre Mutter kümmern. Die wird von Christina Große so authentisch gespielt, dass man sich wahrhaftig wünscht, niemals eine solche Mutter zu haben. FÜR ELISE ist nicht unbedingt ein Film für die große Leinwand, auch wenn hier auf das CinemaScope-Format gesetzt wird, sondern eher für das Fernsehen geeignet.

THE DARK KNIGHT RISES (1:2.35, DD 5.1)
OT: The Dark Knight Rises
Verleih: Warner
Land/Jahr: USA 2012
Regie: Christopher Nolan
Darsteller: Christian Bale, Gary Oldman, Tom Hardy, Anne Hathaway, Marion Cotilliard
Kinostart: 26.07.2012

Acht Jahre sind bereits vergangen, seit Batman den Mord an Bürgermeister Harvey Dent auf sich genommen und Gotham City den Rücken gekehrt hat. Bruce Wayne alias Batman lebt zurückgezogen in seiner Prachtvilla, nur umgeben von seinem Butler. Doch ein großer Unruhestifter sorgt dafür, dass Batman wieder in Erscheinung tritt: Bane, der Mann mit der Maske, plant Ungeheuerliches. Er will ganz Gotham City unterjochen und es mit einer Atombombe bestrafen. Mit Hilfe von zwei tapferen Mitstreitern, einer wortgewandten und charmanten Diebin im Katzenkostüm und einem engagierten Police Officer, will Batman den Kampf gegen Blake aufnehmen. Doch er unterschätzt seinen Gegner gehörig... Nahtlos fügt sich der dritte Teil von Christopher Nolans “Batman”-Trilogie an die beiden anderen Teile an. Das gilt sowohl für die Ausstattung wie auch für Kameraarbeit. Wieder beschwört Chefkameramann Wally Pfister düstere Bilder herauf. Kalte und dunkle Farben dominieren den gesamten Film, der komplett von Anfang bis Ende mit Negativfilm aufgenommen wurde – fast eine ganze Stunde sogar im waschechten IMAX-Format. Sehr dunkel und düster auch wieder Hans Zimmers Score, der allerdings nicht so beeindruckend wirkt wie seine Musik zu Nolans INCEPTION. Was die Actionszenen angeht: hier spielt der Film erwartungsgemäß seinen Trumpf aus. Doch die Freude hält nicht lange an. Denn mit einer Spielzeit von fast drei Stunden sprengt der Film jede Dimension – und langweilt! Warum gibt es im Film nicht mehr solcher Sprüche wie jenen, als Catwoman zu Batman sagt “Meine Mutter hat mich immer davor gewarnt, zu fremden Männern ins Auto zu steigen”, worauf er antwortet: “Das ist kein Auto” und sein “The Bat” in die Luft steigen lässt? Satte zwei Stunden hätten durchaus gereicht, um das “Batman”-Franchise zu seinem Ende zu bringen. Ende? Aber nein: Nolan legt am Ende des Films bereits den Grundstein für die nächste Fortsetzung. Als ob wir es nicht schon längst geahnt hätten. Über die Besetzung gibt es nichts zu meckern. Christian Bale gibt sich batmännisch wie immer, Michael Caine erfreut sich bester Laune als sein treuer Butler und Anne Hathaway mimt die obercoole Diebin, allgemein als Catwoman bekannt. Einzig den bösen Bane, gespielt von Tom Hardy mit Beisser-Maske, hätte man sich gerne noch viel böser gewünscht. Aber vermutlich wollte man sich die Alterseinstufung des Films nicht verderben. Hierzulande ist die Freigabe ab 12 vorgesehen. Auch wenn es leider nicht der beste BATMAN-Film der Trilogie ist, ein Spektakel ist es allemal und wird für guten Umsatz an den Kinokassen sorgen.
Dienstag, 17. Juli 2012
Schwule in Belgrad und Schreie im Weltall
Ein Programm der Kontraste bot sich mir wieder einmal bei den heutigen Screenings.

PARADA (1:2.35, DD 5.1)
OT: Parada
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Serbien, Slowenien, Kroatien, Makedonien 2011
Regie: Srdjan Dragojevic
Darsteller: Nikola Kojo, Milos Samolov, Hristina Popovic
Kinostart: 13.09.2012

Limun ist ein hartgesottener Kerl. Nicht nur dass der sich in Hochzeitsvorbereitungen befindliche Typ mitten in Belgrad eine Security-Firma betreibt, er ist auch ein waschechter Gangster. Als ihn Radmilo und Mirko, ein schwules Paar, anheuern wollen, die erste “Gay Pride”-Parade in Belgrad gegen Neo-Nazis und anderes Gesindel zu schützen, lehnt der homophobe Limun aber sofort ab. Das ändert sich jedoch, als ihn seine Zukünftige unter Druck setzt: entweder schützt er die Parade oder es gibt keine Hochzeit. Mit großem Widerwillen macht er sich daran, eine Truppe zu rekrutieren. Das aber ist gar nicht so einfach, weil keiner seiner Kumpels etwas mit Schwulen zu tun haben möchte. Da gibt es nur noch einen Ausweg: Limun muss seine alten Kriegsgegner aufsuchen... Srdjan Dragojevics rabenschwarze Tragikomödie wurde binnen kurzer Zeit zu einem sensationellen Erfolg auf dem Balkan. Vor einem wahren Hintergrund spielend (Homosexuelle werden dort nach wie vor tagtäglich angegriffen) möchte sein Film auch ein Stück zur Versöhnung zwischen den verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen beitragen. Wenn sich der Protagonist aufmacht, um im benachbarten Land ehemalige Kriegsgegner für seinen Auftrag zu gewinnen, so hat das eine klare politische Aussage. “Die Realität ist immer verrückter, als sie im Film dargestellt wird” erwidert der Regisseur auf die Frage, ob er es in seinem Film nicht etwas übertreiben würde. Das Manko an seinem Film, der wirklich ein paar nette Pointen zu bieten hat (es gibt einen herrlichen Running Gag über BEN-HUR!) und auch vor bestimmten Klischees nicht Halt macht, ist seine Lauflänge. Denn mit 115 Minuten ist sein Film definitiv zu lang.

PROMETHEUS – DUNKLE ZEICHEN (1:2.35, 3D, DD 5.1 & 7.1)
OT: Prometheus
Verleih: Fox
Land/Jahr: USA 2012
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Noomi Rapace, Michael Fassbender, Guy Pearce, Charlize Theron
Kinostart: 09.08.2012

Einsam schwebt das gigantische Raumschiff “Prometheus” durch das Weltall. Nach jahrelanger Reise ist man am Ziel angekommen: einem geheimnisvollen Mond. Unter Führung der Wissenschaftler Elizabeth Shaw und Charlie Holloway will die Besatzung dem Ursprung des Lebens auf den Grund gehen. Diesen glaubt man auf besagtem Mond zu finden. Tatsächlich finden die Forscher die Überreste einer Spezie, die sie als Schöpfer menschlichen Lebens identifizieren. Und sie finden noch weitaus mehr – mehr als ihnen lieb ist. Was weiß der seltsame Android David darüber, der einen Fund heimlich in seiner Kabine versteckt? Es dauert nicht lange, bis es erste Tote gibt... Nach Ausflügen in viele andere Filmgenre zieht es Ridley Scott jetzt also wieder zurück zu den Wurzeln. Mit ALIEN inszenierte Scott 1979 einen Maßstäbe setzenden Sci-Fi-Horror-Film der ganz besonderen Art, der in Folge sämtliche anderen Sci-Fi-Filme stark beeinflusste. Nach ALIEN war nichts mehr so wie es einst war. Natürlich kann man nicht erwarten, dass Ridley Scott noch ein solches Meisterstück gelingt, doch zeigt er ganz deutlich mit PROMETHEUS, dass er in diesem Genre bestens zuhause ist. Scott inszeniert die Vorgeschichte zu seinem bahnbrechenden Film konsequent spannend. Viel Zeit zum Durchhängen lässt er dem Zuschauer nicht. Die 124 Minuten Laufzeit verfliegen unmerklich. Natürlich ist auch in diesem Film wieder das Produktionsdesign der eigentliche Star des Films. Das auf Entwürfen des Schweizers H.R. Giger basierende Design hat in all den Jahren seit seinem Debüt nichts eingebüßt. Die dunklen Gänge, die bio-mechanischen Lebewesen und das gigantische Raumschiff imponieren auch heute noch. Wenn man Kritik anbringen möchte, dann an der gezeigten Technik. Denn die erscheint weit fortschrittlicher zu sein als jene, die in ALIEN präsent ist – und das, obwohl der neue Film zeitlich gesehen vor ALIEN spielt. An dieser Stelle hätte man dem Meisterregisseur doch ein bisschen mehr Obacht gewünscht. Faszinierend hingegen das Heimkino, das gezeigt wird und auf dessen gewölbter Bildwand sich Android David (nicht von dieser Welt: Michael Fassbender!) den Klassiker LAWRENCE VON ARABIEN anschaut. Und wer genau hinsieht, erkennt, dass David sehr gekonnt Peter O’Toole alias Lawrence imitiert. Gleichermaßen chic dann die holographische Projektion, mit der der Besatzung (unterlegt mit Jerry Goldsmiths originaler Musik zu ALIEN) die Mission erläutert wird. Ein ALIEN-Film wäre kein ALIEN-Film, hätte er nicht auch ein paar krasse Sequenzen zu bieten. PROMETHEUS dürfte wohl aufgrund seiner vollautomatischen Kaiserschnitt-OP im Gedächtnis bleiben, die Noomi Rapace (bandagiert und nicht nackt, da es sich um einen sittenstrengen amerikanischen Film handelt!) an sich selbst durchführen muss. Um Scotts neuen Film richtig genießen zu können, sollte man aber seinen Klassiker aus 1979 schon gesehen haben. Dann wird PROMETHEUS zu einem gelungenen Horror-Trip. Und denkt daran: im Weltall hört Euch niemand schreien!
Montag, 16. Juli 2012
Ein Freistaat von oben
Deutschlanddokus überschwemmen derzeit unsere Kinos – heute gab es die nächste.

BAVARIA – TRAUMREISE DURCH BAYERN (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Concorde
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Joseph Vilsmaier
Kinostart: 26.07.2012

Deutschland von oben – das war wohl dem Filmemacher Josef Vilsmaier etwas zu ungenau. Und er wollte etwas genauer hinschauen, schraubte eine State-of-the-Art Cineflex-Kamera an den Bug eines Hubschraubers und erhob sich in die Lüfte, um der Welt endlich einmal seine ganz persönliche Heimat zu zeigen: den Freistaat Bayern! “Soll keiner sagen, er habe Deutschland gesehen, der noch nicht in Bayern war!” zitiert Vilsmaier im Off-Kommentar den bayerischen Märchenkönig Ludwig. Und Vilsmaier zeigt uns Bayern. Zumeist aus der Vogelperspektive, aber nicht nur. Ab und zu lässt er seine Kamera auch auf Erden verweilen, um beispielsweise in einem Zelt zünftig zur Sache zu gehen: mit einem Maßkrug Bier, Blasmusik und Trachtendarbietungen. Im ersten Teil des Films aber zeigt uns Vilsmaier sehr viele Städte des Freistaates von oben. Sehr viele. Man kann da als Zuschauer schon leicht den Überblick verlieren, zumal sich die Ortschaften so von weit oben betrachtet nicht immer klar voneinander unterscheiden. Überhaupt scheint sich der Regisseur mehr für besiedelte Gebiete zu interessieren als für überwältigende Natur. Die nämlich wird eigentlich nur am Rande gestreift. Auch wenn der Regisseur den Kommentar aus dem Off recht bayerisch süffisant abliest (der Text stammt aus der Feder von Hannes Burger), bleibt doch der Eindruck, dass BAVARIA nichts anderes ist als ein Image-Film für dieses spezielle deutsche Bundesland. Ob BMW, Audi oder sogar eine Stippvisite bei ARRI, die die Kameras für den Film geliefert hat – hier gibt es Product Placement satt. Die gezeigten Bilder sind überwiegend gut gelungen, jedoch schleichen sich ab und zu auch Unschärfen auf die Bildwand. Zu oft und zu schnell bedient sich Vilsmaier der Überblendung und lässt schnell die Vermutung aufkommen, dass unschöne Stellen schnell kaschiert werden mussten. Wer eine deftige Mahlzeit mag, gerne Blasmusik hört und dem Weißbier frönt, der ist in diesem Film sicher gut aufgehoben.
Freitag, 13. Juli 2012
Von Freundschaft und Verrat
Mit zwei weiteren Screenings ging die Pressewoche für mich zu Ende.

WIR WOLLTEN AUFS MEER (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Wild Bunch (Central)
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Toke C. Hebbeln
Darsteller: Alexander Fehling, August Diehl, Phuong Thao Vu
Kinostart: 13.09.2012

Die DDR am Anfang der achtziger Jahre. Cornelis und sein Kumpel Andreas zieht es nach Rostock, wo sie beim Hafen anheuern. Beide träumen davon einmal zur See zu fahren. Doch zwischen Traum und Realität liegen Welten. Drei Jahre später mühen sich die beiden immer noch als Hafenarbeiter ab. Um die Ernennung zum Kadetten zu beschleunigen, lassen sich die beiden auf die Stasi ein. Als sie ihren Freund und Vorarbeiter Matthias bespitzeln sollen, kommt es zum Konflikt zwischen den Freunden, der Andreas schließlich an den Rollstuhl fesselt und Cornelis‘ Flucht in den Westen vereitelt. Während Cornelis im Gefängnis sitzt, wird Andreas zum Vermittler zwischen Cornelis und dessen vietnamesischer Freundin, die nach Hamburg geflohen ist. Doch Andreas, inzwischen in der Stasi-Hierarchie aufgestiegen, spielt ein böses Spiel... Das Beeindruckendste an Toke C. Hebbelns Kinodebütfilm über Freundschaft und Verrat ist die Kameraarbeit von Felix Novo de Oliveira, die mit ihrer Farbgebung das “DDR-Feeling” sehr authentisch vermittelt. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass auf ORWO-Material aufgenommen wurde. Auch die Besetzung lässt sich sehen. Hier sind nicht nur die Hauptrollen, sondern auch die Nebenrollen (großartig fies: Rolf Hoppe als Stasi-Oberst) handverlesen gecastet. Doch ein gutes Ensemble macht noch keinen guten Film. Drehbuch und Inszenierung sollten auch stimmen. Aber das scheint hier das Problem zu sein. Denn in seiner Gesamtheit betrachtet wirkt der Film so, als würde man sich einen großen Advents-Mehrteiler im Fernsehen anschauen. Gleichzeitig wird man den Eindruck nicht los, als wollte man mit Gewalt DAS LEBEN DER ANDEREN toppen. So etwas kann natürlich nur scheitern. Etwas störend auch die musikalische Untermalung von Nic Raine, die zuviel Pathos schürt. Ein insgesamt unbefriedigendes Kinoerlebnis.

STEP UP: MIAMI HEAT (1:2.35, 3D, DD 5.1)
OT: Step Up Revolution
Verleih: Constantin
Land/Jahr: USA 2012
Regie: Scott Speer
Darsteller: Adam G. Sevani, Kathryn McCormick, Ryan Guzman
Kinostart: 30.08.2012

Sean ist der Kopf der Tanzgruppe “The Mob”, die sich mit nicht immer ganz legalen Tanzaktionen, sogenannten “Flash-Mobs” in Miami bereits einen Namen gemacht hat. Ihr Ziel: einen Videowettbewerb bei Youtube zu gewinnen, um das große Geld abzusahnen. Da tritt Emily in Seans Leben, die Tochter eines großen Bauunternhemers und eine ambitionierte Tänzerin, die von einer großen Karriere träumt. Emily ist begeistert von Seans Aktionen und schließt sich der Truppe an. Als “The Mob” aber Front macht gegen die Pläne ihres Vaters, ein etwas heruntergekommenes Viertel in Miami abzureißen, um dort neue Prunkbauten hinzustellen, sind die Konflikte schon vorprogrammiert... Lassen wir einfach einmal die hanebüchene Handlung beiseite. Denn die könnte glattweg einem Märchenbuch entnommen sein. Was dann übrig bleibt ist der Tanz. Und genau darum geht es ja eigentlich auch in dem mittlerweile vierten Teil des STEP UP Franchise. Der Choreographie sowie der Umsetzung für die Kamera gebührt hier ein dickes Lob. Denn die sind so einfallsreich, das man gerne bereit ist, dem bunten Treiben unter freiem Himmel zuzuschauen. Ob eine Flash Mob Performance auf Miamis Hauptverkehrsstraße, in einer Kunstgalerie, in der sich plötzlich die Bilder und Objekte zu bewegen beginnen oder beim großen Showdown am Containerhafen – die Inszenierung ist wirklich einfallsreich. In der Tat benötigt man für diese tänzerischen Darbietungen keine Handlung mehr – sie stört allenfalls. Vielleicht schafft es ja Teil 5 das zu korrigieren.
Donnerstag, 12. Juli 2012
Ganz und gar nicht
Liegt ein Fluch auf Hollywood? Erst versagt Stephen Frears mit seinem neuesten Film, jetzt trifft es Steven Soderbergh...

MAGIC MIKE – DIE GANZE NACHT (1:2.35, DD 5.1)
OT: Magic Mike
Verleih: Concorde
Land/Jahr: USA 2012
Regie: Steven Soderbergh
Darsteller: Matthew McConaughey, Channing Tatum, Olivia Munn
Kinostart: 16.08.2012

Eigentlich möchte der smarte Mike Möbel für Individualisten herstellen. Doch ihm fehlt das notwendige Startkapital. Deshalb jobbt er tagsüber als Dachdecker und am Abend als Stripper in einem Club in Tampa. Als er den 19-jährigen Adam kennenlernt, der sich mit Gelegenheitsjob mehr schlecht als recht über Wasser hält, verschafft er ihm einen Job im Club. Adam erweist sich als sehr begabt und findet bald schon Gefallen dabei, für eine kreischende Frauenschar zu strippen und einem zügellosen Leben zu frönen. Die unbeschwerten Zeiten ändern sich jedoch, als Adam zu Drogen greift und Mike sich in Adams Schwester zu verlieben beginnt... Zitat aus dem Presseheft: “Ein Film wie ein Rausch, der süchtig macht!” Der Autor (oder die Autorin) dieses Textes hat offensichtlich einen vollkommen anderen Film gesehen. Denn nach Sichtung von Steven Soderberghs (hey – der Mann kann echt gute Filme machen!) neuestem Werk dürfte dies eine neue Definition von Belanglosigkeit darstellen. Wer also auf so etwas wie GANZ ODER GAR NICHT fixiert ist, sollte diesen Film weiträumig meiden. Außer man steht auf nackte männliche Oberkörper natürlich. Vollkommen beliebig in die Kapitel “Juni”, “Juli” und “August” unterteilt, zeigt der Regisseur oft nur Momentaufnahmen aus dem Leben seiner Protagonisten. Die driften alle irgendwie durch das Leben, wohnen in Luxushäusern (die sie eigentlich gar nicht bezahlen können!), haben Sex in allen Variationen und werfen Muntermacher bis zum Umkippen ein. Angeblich basiert das Drehbuch auf dem Leben, das Channing Tatum (der den Mike spielt) führte, bevor er ins Filmgeschäft eingestiegen ist. Doch das dürfte allenfalls für seine Fans von Interesse sein. Alle anderen werden sich vermutlich wundern, warum er überhaupt Fans hat. Die einzige beeindruckende Persönlichkeit im Film ist Matthew McConaughey, der hier nicht nur strippen, sondern auch singen darf. Seine Performance ist sehr überzeugend. Ein Film wie ein Rausch, der süchtig macht? Man fragt sich, wieviele Muntermacher der Kollege oder die Kollegin beim Verfassen dieses Statements wohl eingeworfen hatte.

THE AMAZING SPIDER–MAN (1:2.35, 3D, DD 5.1)
OT: The Amazing Spider-Man
Verleih: Sony Pictures
Land/Jahr: USA 2012
Regie: Marc Webb
Darsteller: Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans, Irrfan Khan, Martin Sheen, Sally Field
Kinostart: 28.06.2012

Seit ihn seine Eltern in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen haben, lebt Peter Parker bei seinem Onkel und seiner Tante. Eines Tages entdeckt er im Keller den Aktenkoffer seines Vaters und findet Geheimdokumente darin. Diese führen ihn zu Dr. Curt Connors, einem ehemaligen Kollegen und Vertrauten seines Vaters. Connors arbeitet an einem geheimen Forschungsprojekt. Beim Herumschnüffeln in seinem Labor wird Peter von einer gentechnisch veränderten Spinne gebissen und verfügt plötzlich über Superkräfte... Dieses Reboot von SPIDERMAN darf man getrost in die Kategorie “Filme, die die Welt nicht braucht” einsortieren. Es handelt sich in der Tat um ein Remake des ersten SPIDERMAN-Films, der gerade einmal 10 Jahre auf dem Buckel hat. Zwar gibt es paar kleine, fast schon unwesentliche Änderungen im Drehbuch, aber ansonsten ist alles so geblieben wie bereits bekannt. Tatsächlich erscheinen die Figuren jetzt sogar noch eine Spur flacher. Die wenigen Pointen, die Marc Webb in seinem Film platziert, können gegen vorherrschende Langeweile leider nichts bewirken. Man wundert sich auch darüber, warum hier 3D-Technik verschwendet wurde – richtig genutzt wird sie keineswegs.
Dienstag, 10. Juli 2012
Von Jazzmusikern, Zeichen und der schwäbischen Mentalität
Nach langer Zeit gab es heute gleich drei Pressevorführungen. Nach der harten Arbeit kam die Einladung zu Bier und Brezel im Anschluss an den dritten Film ganz gelegen.

CHICO & RITA (1:1.85, DD 5.1)
OT: Chico & Rita
Verleih: Kool
Land/Jahr: Spanien, Großbritannien 2010
Regie: Fernando Trueba, Javier Mariscal, Tono Errando
Kinostart: 30.08.2012

Kuba in den vierziger Jahren. In einem der vielen Nachtclubs von Havanna trifft der junge Pianist Chico auf die schöne Sängerin Rita. Zwischen den beiden funkt es sofort. Doch ihr heissblütiges Temperament sowie ihre Ambitionen im Musikgeschäft Fuß zu fassen, treibt die beiden füreinander Bestimmten auch gleich wieder auseinander. Eifersucht, Verzweiflung, Versöhnung – die Liebe der beiden ist nicht einfach. Als Rita schließlich das Angebot eines amerikanischen Musikmanagers annimmt und nach New York geht, versucht sich Chico mit Hilfe seines Freundes und Managers Ramon mit Engagements bei bekannten Musikern über Wasser zu halten. Schließlich jedoch kehren auch Chico und Ramon Kuba den Rücken und gehen nach New York. Chico will Rita, die inzwischen ein großer Filmstar geworden ist, unbedingt wiedersehen. Doch ein Happy End ist noch weit entfernt. Im Grunde genommen ist CHICO & RITA eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte. Doch zwei Dinge unterscheiden sie von herkömmlicher Liebeskost. Da wäre zunächst die Machart des Films. Denn die drei Regisseure entschieden sich dafür, die Geschichte nicht als Realfilm umzusetzen, sondern als Animationsfilm. Das Ergebnis ist atemberaubend! Denn ganz entgegen den Techniken von Animationsexperte Pixar, deren Trickfilme sich so unglaublich realistisch zu geben versuchen, setzen Trueba, Mariscal und Errando auf künstlerisch wertvolle Optik. Hier ist dann zwar nicht alles so perfekt wie bei Pixar, dafür aber trumpfen hier liebevolle Details, stimmungsvolle Farben und eine ausgeklügelte Lichtsetzung. Aber es gibt noch einen anderen Punkt, der diese Liebesgeschichte so ungewöhnlich macht: CHICO & RITA ist auch gleichzeitig ein Streifzug durch die Geschichte des Jazz. Und im Speziellen ein Streifzug durch jene Epoche, in der die kubanischen Musiker den New Yorker Jazz unterwanderten und ihm so eine faszinierend neue Richtung gaben. Musikergrößen wie Dizzy Gillespie, Charlie Parker oder Chano Pozo werden sogar in die Handlung integriert und ihre Musik ist auch Bestandteil des aufregenden Soundtracks des Films. CHICO & RITA empfiehlt sich als ein Animationsfilm für Erwachsene und ganz besonders für Freunde der Jazz-Musik. Der Film war als “Bester Animationsfilm” bei der diesjährigen Oscar-Verleihung nominiert.

JEFF, DER NOCH ZU HAUSE LEBT (1:1.85, DD 5.1)
OT: Jeff, Who Lives At Home
Verleih: Paramount
Land/Jahr: USA 2012
Regie: Jay Duplass, Mark Duplass
Darsteller: Jason Segel, Ed Helms, Susan Sarandon
Kinostart: 09.08.2012

Jeff lebt in seiner ganz eigenen Welt. Er glaubt fest daran, dass alles im Universum irgendwie miteinander verbunden ist. Man muss die Zeichen nur erkennen. Das hat er aus dem Film SIGNS gelernt. Und wartet seither auf ein Zeichen, das ihm die richtige Richtung vorgibt. Doch viele Zeichen gibt es nicht gerade im Haus seiner Mutter, in dem der 30-jährige nach wie vor sein Nichtstuerdasein fristet. Eines Tages jedoch klingelt das Telefon. Die Stimme am anderen Ende der Leitung will einen Kevin sprechen. Den aber gibt es hier nicht. Ein Zeichen? Jeff glaubt fest daran. Und prompt sieht er im Bus einen Typen mit einem “Kevin”-Shirt, folgt ihm und setzt damit eine ganze Reihe von Ereignissen in Gang... Mit ihrem Film liefern die Regie-Brüder Jay und Mark Duplass eine wunderbare Independent-Komödie mit Tiefgang ab. Vortrefflich mit Jason Segal in der Rolle des stoischen Jeff besetzt zeigen die beiden, dass Humor dann am besten wirkt, wenn er weder laut noch schrill daherkommt. Man schmunzelt als Zuschauer sehr gerne über die feinen Pointen, die Jeff während seiner “Abenteuer-Tour” liefert. Doch auch die beiden anderen Sub-Plots, die das Drehbuch bereithält, demonstrieren den Humor der leisen Töne. Da gibt es den Ehestreit zwischen Jeffs Bruder und dessen Frau, der durch den Kauf eines Porsche vollends aus dem Ruder läuft, während Jeffs Mutter (großartig: Susan Sarandon) an ihrem Arbeitsplatz ganz unerwartet mit einem heimlichen Verehrer konfrontiert wird. Wenn sich am Ende des Films dann alle Handlungsstränge zu einem großen Ganzen vereinen, freut man sich insgeheim mit Jeff. Denn der junge Mann hatte Recht mit seiner Vermutung über das Universum.

DIE KIRCHE BLEIBT IM DORF (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Camino (Filmagentinnen)
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Ulrike Grote
Darsteller: Natalia Wörner, Karoline Eichhorn, Julia Nachtmann
Kinostart: 23.08.2012

Schon seit Menschengedenken sind sich die beiden Gemeinden Oberrieslingen und Unterrieslingen spinnefeind. Und da Schwaben nun einmal verdammt stur sein können, hat sich daran bis heute nichts geändert. Der Umstand, dass sich die Kirche nur im einen Ort, der Friedhof aber nur im anderen Ort befindet, macht die Sache nicht gerade einfacher. Als eines Tages ein reicher amerikanischer Schnösel mit dem Äußeren eines Robert Redford auftaucht und die Kirche kaufen will, verschlimmert sich alles noch. Denn die Unterrieslinger fühlen sich von den Oberrieslingern über den Tisch gezogen. Was niemand ahnt: Robert Redfords Ebenbild will gleich beide Gemeinden über den Tisch ziehen... Freunde der schwäbischen Mundart dürfen sich freuen. Denn Ulrike Grotes Komödie wird tatsächlich von schwäbischen Muttersprachlern im schwäbischen Dialekt vorgetragen und nicht - wie so oft – von auf schwäbisch getrimmten Hochdeutschen. Letztere werden bei diesem Film natürlich ihr Nachsehen haben, denn der Film wird nicht deutsch untertitelt. Mit Ausnahme der in Englisch gesprochenen Dialoge. Denn das Robert Redford Double Gary Smith ist waschechter Amerikaner und darf in seiner Muttersprache reden. Doch ansonsten quält man sich als Zuschauer bei diesem Neunzigminüter gefühlte zwei Stunden lang durch den schwäbischen Nachbarschaftskrieg. Bis auf ein paar ganz wenige gute Pointen weiß das Drehbuch offenbar nicht so recht den Witz aus der Situation herauszukitzeln. Dabei gäbe es dafür doch so wahnsinnig viel Potenzial bei der schwäbischen Sippschaft mit all ihren Spleens und Eigenheiten (der Autor dieser Kurzkritik muss es wissen: er gehört selbst zu dieser Spezie!). Das Verhalten der Eingeborenen gegenüber Fremden erscheint in dieser Inszenierung viel zu harmlos und könnte wesentlich mehr Pfeffer vertragen. Auch schwarzer Humor existiert hier nur rudimentär und wird nicht richtig angegangen. Das wirkt dann fast so, als ob die FilmemacherInnen Angst vor der eigenen Courage gehabt hätten. Doch vielleicht liegt es auch nur daran, dass ein Film wie dieser in der sterilen Umgebung einer Pressevorführung sein Potenzial gar nicht entfalten kann und er richtiges Publikum dafür braucht.

Einen kleinen Film über die Stuttgarter Premiere des Films gibt es in meinem YouTube-Kanal
Freitag, 06. Juli 2012
Die schwangere Dessous-Verkäuferin
Zum Wochenabschluss gab es eine Komödie aus deutschen Landen...

FRISCH GEPRESST (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: Deutschland 2012
Regie: Christine Hartmann
Darsteller: Diana Amft, Tom Wlaschiha, Alexander Beyer
Kinostart: 23.08.2012

Andrea ist die durchschnittliche Single-Frau: um die 30, mit laschem Liebesleben, dafür mit eigenem Dessous-Laden und mit großen Geldnöten. Kinder will sie keinesfalls haben. Da dient ihr ihre beste Freundin als abschreckendes Beispiel. Als sie jedoch plötzlich zwischen zwei Männern pendelt und unverhofft schwanger wird, wird ihr bisheriges Leben kräftig aufgemischt... Oh je – was hat sich die deutsche Filmwirtschaft hier wieder geleistet! Ein Film, der darum ringt, möglichst nicht zu unterhalten! Hut ab: es gelingt ihm vorzüglich. Nicht nur, dass hier teilweise mit talentfreien Schauspielern besetzt wurde (extrem: Alexander Beyer) besetzt wurde. Auch Drehbuch und Inszenierung weise große Schwächen auf. Der Handlungsablauf folgt längst bekannten Mustern und Möglichkeiten, gute Pointen einzubringen, verlaufen im Sande. Was hat es beispielsweise mit dem Muttermal auf sich, das Gregor explizit erwähnt? Hier gewinnt man am Ende des Films den Eindruck, dass uns möglicherweise eine Pointe verwehrt wurde. Oliver Pochers Gastauftritt als bettelnder Punk wird immer wieder als Running Gag eingebaut, bleibt allerdings komplett ohne Bezug zum Film. Sollen damit die Lacher generiert werden, die die Story selbst nicht in der Lage ist zu liefern? Auch das geht leider komplett schief. Fazit: Fernsehfilme gehören ins Fernsehen und nicht ins Kino!
Donnerstag, 05. Juli 2012
Es darf gelacht werden!
Heute gab es ein Comedy-Double-Feature der besonderen Art...

STARBUCK (1:2.35, DD 5.1)
OT: Starbuck
Verleih: Ascot Elite (24 Bilder)
Land/Jahr: Kanada 2011
Regie: Ken Scott
Darsteller: Patrick Huard, Julie LeBreton, Antoine Bertrand
Kinostart: 16.08.2012

David Wozniak, gerade mal Anfang 40, hat das gewisse Talent zum Loser. In der Fleischerei seines Vaters hat er nicht gerade den kompliziertesten Job: er muss das fertige Fleisch ausliefern. Und trotzdem kriegt er es einfach nicht auf die Reihe. Um seinen Schuldenberg abzubauen, züchtet er heimlich Gras in seiner Wohnung, Das allerdings beschert ihm immer wieder höchst unangenehmen Besuch zwielichter Gestalten, die ihm ans Leder wollen. Auch die Beziehung zu Valerie, seiner Ex-Freundin, kriegt David nicht auf die Reihe. Doch genau in dem Moment, als ihm Valerie eröffnet, dass sie von ihm schwanger ist, nimmt sein Leben eine extreme Wendung. Ein Anwalt teilt ihm mit, dass er der Vater von 533 Kindern ist, von denen 142 Klage gegen Unbekannt erhoben haben. Offensichtlich sind alle diese Kinder von seinem Sperma entsprungen, den er in den neunziger Jahren aus Geldnot heraus einer Samenbank gespendet hat. Sein befreundeter Winkeladvokat will ihn aus der misslichen Lage befreien, doch nach und nach setzt sich der Vater wider Willen mit dem Schicksal seiner Kinder auseinander... Regisseur Ken Scott und seinem Drehbuchautor Martin Petit ist mit STARBUCK (das Pseudonym, unter dem David seinen Samen spendete) eine wirklich gute Komödie mit Tiefgang gelungen. Patrick Huard spielt den Titelhelden, der von einer Niederlage in die nächste stolpert, bevor er am Ende zu seiner eigentlichen Bestimmung findet, sehr glaubhaft. Man kann einfach nicht anders, als diesen Loser sympathisch zu finden. Die Begegnungen mit einigen seiner Kinder führt ihn zu sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, die alle ihre ganz eigenen Probleme haben. Aus einem Schuldgefühl heraus versucht David ihnen so gut er kann zu helfen – und sieht erstmals Erfolge in seinem verkrachten Leben. Der Film verzichtet erfreulicherweise auf dumme “Unter-die-Gürtellinie”-Witze zugunsten eines sehr feinen Humors. Großen Anteil daran hat der von Antoine Bertrand gespielte Anwalt, der mit seinem Freund David endlich Licht am Ende des Tunnels sieht und mit ihm an das große Geld kommen möchte. Einfach köstlich.

TO ROME WITH LOVE (1:1.85, DD 5.1)
OT: To Rome With Love
Verleih: Tobis
Land/Jahr: Italien, USA 2012
Regie: Woody Allen
Darsteller: Woody Allen, Alec Baldwin, Ellen Page, Jesse Eisenberg, Penelope Cruz, Roberto Benigni, Flavio Parenti, Alison Pill, Alessandro Tiberi
Kinostart: 30.08.2012

Rom, Italiens Hauptstadt mit ihrer reichhaltigen Kultur und dem famosen Essen, ist Dreh- und Angelpunkt verschiedener kleiner Geschichten, die ständig abwechselnd auf der Kinoleinwand entfaltet werden. Da gibt es Hayley und Michelangelo, die sich in Rom kennenlernten und jetzt heiraten wollen. Hayleys Vater, ein Opernregisseur im Ruhestand, entdeckt die grandiose Stimme des Schwiegervaters und bastelt sofort an einem Comeback für sich selbst. Milly und Antonio sind seit kurzem verheiratet und wollen sich in Rom niederlassen. Durch unglückliche Umstände aber muss Antonio plötzlich das Call-Girl Anna als seine Frau ausgeben, während Milly dem Charme eines Filmstars erliegt. Der bescheidene Durchschnittsrömer Leopoldo wird über Nacht zur Berühmtheit ohne zu wissen warum und muss sich fortan mit den Paparazzi herumschlagen. Der junge Architekturstudent Jack trifft den in die Jahre gekommenen Stararchitekten John, der auf den Spuren seiner Vergangenheit wandelt und von nun an unablässig Jacks Liebesabenteuer kommentiert... Nach Paris zieht es Woody Allen jetzt also nach Rom. Und auch dort dreht sich (fast) alles um die Liebe. Aber eben auch nicht ausschließlich. Denn Allen widmet sein mit Roberto Benigni besetztes Kapitel beispielsweise zur satirischen Abrechnung mit den Medien, die sich allzu gerne auf C- und D-Klasse-Promis stürzen und diese von A bis Z hochstilisieren und "hypen". Aber auch die Figur, die vom Regisseur selbst gespielt wird, ist als ironischer Seitenhieb zu verstehen. Denn wenn er den Leichenbestatter und zukünftigen Schwiegervater zum Star-Tenor aufbaut, der seine Stimme nur unter der Dusche zu Höchstleistungen bringen kann und wir am Ende dann eine typisch italienische Operninszenierung mit Dusche zu sehen bekommen, dann wird damit der gesamte Opern-Hype persifliert. Auch wenn der Film insgesamt zu lang ist und speziell die Episode mit Alec Baldwin und Jesse Eisenberg sich ständig im Kreis bewegt, so kann man über Woody Allens geniale Witze trotzdem herzhaft lachen. Einmal mehr beweist der Meister damit, dass seine Schreibmaschine noch lange nicht zum alten Eisen gehört.
Dienstag, 03. Juli 2012
Wie ein Coen-Film mit der Monroe
Der zweite Film meiner Pressewoche war eine positive Überraschung, mit der ich gar nicht gerechnet hätte.

WHO KILLED MARILYN? (1:2.35, DD 5.1)
OT: Poupoupidou
Verleih: Koch Media (Neue Visionen)
Land/Jahr: Frankreich 2011
Regie: Gérald Hustache-Mathieu
Darsteller: Jean-Paul Rouve, Sophie Quinton, Guillaume Gouix
Kinostart: 02.08.2012

Der mit einer Schreibblockade kämpfende Kriminalschriftsteller David Rousseau strandet in Mouthe, dem kältesten Dorf ganz Frankreichs. Ein unbeheiztes Hotelzimmer macht die Sache für ihn nicht gerade einfacher. Als er jedoch vom mysteriösen Tod der Dorfschönheit Candice Lecouer, einem Starlet, erfährt, scheint er einen neuen Romanstoff gefunden zu haben. Er glaubt nicht an die Selbstmordtheorie der Ortspolizei und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Aus den Tagebüchern der Toten erfährt er, dass sie selbst sich für eine Reinkarnation der Marilyn Monroe hielt. In der Tat sind die Ähnlichkeiten verblüffend. Ohne es zu ahnen, begibt sich David damit aber in eine gefährliche Situation... Das schöne Setting des Films mit der verschneiten Landschaft, dem einsamen Dorf, dem heruntergekommenen Hotel mit seinem dunkelrot gehaltenen Gang – das alles erinnert sofort an die Filme der Coen-Brüder und ganz besonders an FARGO. Vermutlich war es genau dieser Film, der den Machern als Inspiration für die visuelle Umsetzung ihres Stoffes dienten. Das ist keineswegs als Kritik gemeint, denn Regisseur Gérald Hustache-Mathieu und sein Kameramann Pierre Cottereau verstehen sich vortrefflich darauf, aus diesem Setting ein Optimum an Atmosphäre herauszukitzeln und den Film damit gleichermaßen interessant wie auch mysteriös aussehen zu lassen. Passend zum Produktionsdesign geben sich auch die Darsteller. Jean-Paul Rouve in der Rolle des Schriftstellers vermittelt dessen kreative Krise ausgesprochen überzeugend. Wenn er sich dann als Detektiv versucht, so glaubt man ihm auch diese etwas skurrile Nuance. Sophie Quinton, mal blond, mal braun, mal schwarz – ihre Doppelrolle als einfaches Dorfmädchen sowie mögliche Reinkarnation des Amerikanischen Traums namens Marilyn Monroe meistert sie brillant. Aber auch die Nebenfiguren wie beispielsweise die Rezeptionistin mit Goth-Look, die ein Auge auf den Autor geworfen hat, sind handverlesen besetzt und verleihen dem Film die besondere “Coen”-Note. Für den musikalischen Unterbau sorgt eine stimmige Mixtur aus Oldies und einem Akzente setzenden Score von Stephane Lopez. WHO KILLED MARILYN ist eine gelungene Mischung aus Thriller und schwarzer Komödie und lohnt den Gang ins Kino.
Montag, 02. Juli 2012
Das Rad des Lebens
Die heutige Pressevorführung war eine Wiederholung für mich. Ich hatte den Film bereits im April während des “Widescreen Weekends” in Bradford gesehen. Seinerzeit in 4k-Technik und 7.1 Sound, heute leider nur in 2k und 5.1.

SAMSARA (1:2.35, DD 5.1 + 7.1)
OT: Samsara
Verleih: Central
Land/Jahr: USA 2011
Regie: Ron Fricke
Kinostart: 23.08.2012

“Samsara” ist das Sanskrit-Wort für das sich unaufhörlich drehende Rad des Lebens. So nimmt Ron Frickes visuell betörender Film den Betrachter mit auf eine Reise, in dessen Mittelpunkt der ewige Kreislauf des Entstehens und Vergehens steht. Alles beginnt und endet mit buddhistischen Mönchen, die in akribischer Kleinarbeit während eines Tages eine farbenprächtige Sandmalerei erstellen nur um sie am Abend wieder zu verwischen. Ein Symbol für die Vergänglichkeit. Dazwischen gibt es atemberaubende Landschaften oder einen Nachtflug über hell erleuchtete Metropolen, aber auch ganz intime Bilder wie beispielsweise das eines komplett tätowierten Mannes, der sein kleines Baby liebevoll in den Armen hält. Doch Ron Fricke wartet in seinem in einem Zeitraum von fünf Jahren entstandenen Film mit sehr krassen Bildern auf. Ein Performance-Künstler schmiert sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit mit einer Paste ein und scheint sich dann seine Augen zu zerschlitzen. Küken werden in enge Schubladen gepfercht. Fettleibige sieht man bei der Völlerei im Fast Food Restaurant. Eine Schnittmontage zeigt, wie Patronen für Waffen hergestellt werden. Es folgt ein Umschnitt auf einen extrem entstellten Offizier, der auf einem Soldatenfriedhof posiert. Auch wenn Fricke und sein Partner Mark Magidson laut Presseheft hier keine wertende Aussage machen wollten, so sprechen derlei Bilder trotzdem Bände. Fricke wirft existentielle Fragen auf, ohne sie durch einen Kommentator zu stellen: leben wir eigentlich noch in dem von unserer Erde geprägten Rhythmus? Leben wir noch im Einklang mit der Natur? Wohin bewegen wir uns? Schönheit und Hässlichkeit wechseln sich hier ab. SAMSARA schließt fast nahtlos an Frickes BARAKA an. Beides Filme von überwältigender Schönheit und ohne Worte, nur getragen von Musik. Eine “geführte Meditation” in den Augen der Filmemacher. Die Bilder und deren Kontext werden auch noch lange nach dem Kinobesuch nachwirken. Doch wie schon BARAKA sollte auch SAMSARA unbedingt in einem technisch auf dem neuesten Stand befindlichen Kino angeschaut werden. Der komplett auf 65mm Negativfilm im Panavision Super 70 Format gedrehte Film dürfte speziell in mit digitaler 4k-Technik ausgestatteten Kinos zur neuen Referenz für Bildqualität avancieren.

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