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Montag, 30. September 2013 Sadomaso gefällig? Der neueste Film von Roman Polanski eröffnete die neue Pressewoche. VENUS IM PELZ (1:2.35, DD 5.1) OT: La Vénus A La Fourrure Verleih: Prokino (Fox) Land/Jahr: Frankreich, Polen 2013 Regie: Roman Polanski Darsteller: Emmanuelle Seigner, Mathieu Amalric Kinostart: 21.11.2013
Eigentlich will Thomas gerade Feierabend machen. Genervt vom zermürbenden Casting für die Hauptrolle seines
Stückes “Venus im Pelz” nach dem Roman von Sacher-Masoch, will er der viel zu spät aufkreuzenden Vanda erst gar
keine Chance mehr geben. Doch ihr loses Mundwerk und ihre überaus offenherzige Erscheinung lassen dem etwas
devoten Bühnenautor und Regisseur gar keine andere Chance als Vanda vorsprechen zu lassen. Thomas selbst
übernimmt den männlichen Part und ist bald bass erstaunt: die Dame spielt ihre Rolle ganz vorzüglich. Sogar so
vorzüglich, dass sich Berufliches und Privates unmerklich vermischt... Roman Polanskis neuester Film ist eigentlich
nicht mehr als verfilmtes Theater. Das Zwei-Personen-Stück, bei dem sich das zur Aufführung kommende Stück “Venus
im Pelz” nach Sacher-Masoch immer mehr mit dem Duell der beiden Protagonisten vermischt, basiert tatsächlich auf
einem Theaterstück. Autor David Ives hat gemeinsam mit Polanski das Drehbuch für diesen Film verfasst. Dank seiner
beiden Darsteller gelingt es dem Regisseur, den Geschlechterkampf, in dem es um Macht und Unterwerfung geht,
gleichsam spannend wie witzig zu inszenieren. In der weiblichen Hauptrolle brilliert keine Geringere als die
Lebensgefährtin des Regisseurs, Emmanuelle Seigner. Im perfekten Gothik-Schlampen-Outfit samt Strapsen und
Stiefeln sowie einem kessen Tattoo am Oberarm mimt sie die Vanda, die von Anfang an das Ruder in der Hand hält.
Mathieu Almaric ist in der Rolle des Thomas zu sehen, jenem Theaterregisseur, der sich von Vanda nach Strich und
Faden manipulieren lässt, ohne es zu merken. In diese Rolle hätte Polanski eigentlich selbst schlüpfen können, was
jedoch vermutlich wieder die Gerüchteküche zum Brodeln gebracht hätte. Wie schon bei seinem vorigen Film, DER
GOTT DES GEMETZELS, ebenfalls verfilmtes Theater, greift Pokanski auch hier wieder zum CinemaScope-Format
und beweist, dass man selbst aus solch intimen Stoffen wie VENUS IM PELZ durch das breitere Bild eine ganz
besondere Atmosphäre schaffen kann.
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Freitag, 27. September 2013 Völlig losgelöst von der Erde Der Abschluss der Pressewoche war – ich kann es selbst noch gar nicht glauben – ein absolutes Highlight! GRAVITY (1:2.35, 3D, DD 5.1 + Atmos) OT: Gravity Verleih: Warner Land/Jahr: USA 2013 Regie: Alfonso Cuarón Darsteller: Sandra Bullock, George Clooney Kinostart: 03.10.2013
Als vollkommen unerwartet ein paar Satelliten aus dem Ruder laufen, beginnt für zwei Astronauten, die Außenarbeiten
an einer Raumstation durchführen, ein Überlebenskampf auf Leben und Tod. Vollkommen auf sich gestellt versuchen
die beiden schwerelos im Weltall Schwebenden, die internationale Raumstation zu erreichen. Doch der Sauerstoff wird
knapp... Mit einer einzigen Szene seines Films CHILDREN OF MEN hat Regisseur Alfonso Cuarón bereits ein Stück
Kinogeschichte geschrieben. Dass dies kein Ausrutscher war, beweist der begnadete Visionär jetzt mit seinem neuesten
Film. Keine Sekunde lang zögern wir als Zuschauer daran, dass GRAVITY an den Originalschauplätzen in den Tiefen
des Weltalls gedreht wurde. Nur unsere Vernunft sagt uns, dass alles, was wir sehen, im Studio und am Computer
entstand. Mit seinen im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden visuellen Effekte dürfte GRAVITY schon jetzt als
Oscar-Gewinner in der technischen Sparte gelten! Seit Stanley Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY wurde der
Überlebenskampf in Tausenden von Kilometern über der Erde so eindrucksvoll und eindringlich geschildert wie in
diesem Zwei-Personen-Film. Zu den Bildern gesellt sich eine ausgefeilte Tonspur, die jedes Kino vor eine tontechnische
Herausforderung stellen wird. Besonders imposant dürfte der Science-Fiction-Film in einem mit
Dolby-Atmos-Technologie ausgestatteten Kino klingen (die heutige Pressevorführung wurde nur mit einer 5.1-Tonspur
präsentiert). Um den visuellen Eindruck noch zu steigern, setzt Cuarón 3D ein. Und diese Stereobilder können sich
sehen lassen. Die Technik in GRAVITY macht zwar einen Großteil des Films aus, aber sie ist längst nicht alles. Denn
Sandra Bullocks Kampf ums Überleben ist derart spannend inszeniert, dass man mehr als nur einmal vergisst
weiterzuatmen. Für Menschen mit Klaustrophobie oder Hypersensibilität könnte der Kinobesuch allerdings zum
Überlebenskampf geraten. Dennoch die Aufforderung: unbedingt anschauen!
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Donnerstag, 26. September 2013 Von indischem Essen und kleinen Gespenstern Mit dem Output der heutigen Pressevorführungen war ich rundum zufrieden. LUNCHBOX (1:2.35, DD 5.1) OT: The Lunchbox / Dabba Verleih: NFP (Filmwelt) Land/Jahr: Indien, Frankreich, Deutschland 2013 Regie: Ritesh Batra Darsteller: Irrfan Khan, Nimrat Kaur, Bharati Achrekar Kinostart: 21.11.2013
Weil sich Ila von ihrem Mann vernachlässigt fühlt, kocht sie ihm ein besonders leckeres Essen, das von den
Dabbawallas, den Lieferanten, Tag für Tag in einer Lunchbox von der Haustür direkt an den Arbeitsplatz geliefert wird.
Da Liebe bekanntlich durch den Magen geht, hofft sie so, die Zuneigung ihres Gatten wieder zu gewinnen. Doch es
passiert etwas vollkommen unerhörtes: die Dabbawallas vertauschen versehentlich zwei der Lunchboxen. Ilas
schmackhaftes Essen landet dadurch bei Saajan, einem Angestellten, der kurz vor seiner Frühpensionierung steht. Als
Ilas Gatte nach Hause kommt und das Essen nicht einmal erwähnt, legt sie ihm am nächsten Tag einen Brief in die
Lunchbox. Wieder landet sie bei Saajan, der Ilas Brief beantwortet. Zwischen den beiden entwickelt sich ein reger
Briefwechsel, in dem sie sich gegenseitig immer mehr offenbaren... LUNCHBOX beweist auf berührende Art und
Weise, dass Liebe durch den Magen geht. Wenn Saajan alias Irrfan Khan seinen Henkelmann öffnet und die
verschiedenen Etagen auseinanderbaut und in jedes Schälchen hineinriecht, so lässt sich an seinem Gesicht tatsächlich
der umwerfende Duft von Ilas (Nimrat Kaur) indischer Küche ablesen! Da läuft einem so richtig das Wasser im Munde
zusammen. Ritesh Batras Feelgood-Movie ist dennoch weit entfernt vom mit Farben überbordenden Bollywood-Kino.
Hier prägen nicht schicke Gewänder und Song & Dance Nummern das Geschehen, sondern der Alltag in Mumbai.
Michael Simmonds Kameraarbeit mit den leicht reduzierten Farben suggeriert Authentizität. Authentisch auch die vielen
Dabbawallas, die mit echten Dabbawallas besetzt wurden. Als Zuschauer erkennt man sofort, dass die beiden
Protagonisten füreinander bestimmt sind, Altersunterschied hin oder her. Hier haben sich Seelenverwandte gefunden,
denen man kräftig die Daumen drückt, dass aus ihnen am Ende auch ein Paar wird. Und da wir gerade vom Ende reden:
LUNCHBOX hat ein wirklich wunderbares! Tipp: unbedingt anschauen.
DAS KLEINE GESPENST (1:1.85, DD 5.1) Verleih: Universum Film (Walt Disney) Land/Jahr: Deutschland, Schweiz 2013 Regie: Alain Gsponer Darsteller: Uwe Ochsenknecht, Aykut Kayacik, Herbert Knaup Kinostart: 07.11.2013
Schon seit Jahrhunderten haust ein kleines Nachtgespenst auf Burg Eulenstein. Sein größter Wunsch ist es, einmal die
Sonne sehen zu können. Der Wunsch wird Wirklichkeit, als der Uhu ihm den Tipp gibt, einfach die für das Gespenst
zuständige Uhr zu verstellen. So erwacht das Gespenst plötzlich mitten am hellichten Tag – und wird sofort
pechrabenschwarz und verbreitet als “der schwarze Unbekannte” Angst und Schrecken in dem kleinen Städtchen. Nur
der kleine Karl und seine Freunde kennen sein Geheimnis und wollen ihm helfen, wieder zum Nachtgespenst zu
werden... Vollkommen schwerelos scheint das kleine Nachtgespenst in seinem Schloss und um sein Schloss herum zu
fliegen, was als Kompliment an die visuellen Effekte gewertet werden darf. Aber auch sonst ist die erste Realverfilmung
des Kinderbuches von Otfried Preußler durchaus gelungen. Für die Zielgruppe der bis 10jährigen gibt es ebenso viele
lustige (z.B. die vollkommen bekloppte Dorffeuerwehr) wie spannende (z.B. das schwindelerregende Klettern an der
Rathausuhr) Momente. Die Kinderdarsteller kommen zwar nicht immer ganz aus sich heraus, weil sie wohl einfach noch
zu jung sind, aber dem Filmvergnügen der jüngeren Zuschauer dürfte das keinen Abbruch tun. Positiv fällt die
Filmmusik von Niki Reiser auf, die mit interessanter Orchestrierung aufwartet.
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Mittwoch, 25. September 2013 Mitmachkino Action gab es heute weniger auf der Leinwand als im Kinosaal! ASCHENBRÖDEL UND DER GESTIEFELTE KATER (1:1.85, DD 5.1) Verleih: Märchenfilm Land/Jahr: Deutschland 2013 Regie: Torsten Künstler Darsteller: Ezra Finzi, Samuel Finzi, Marie-Lou Sellem Kinostart: 20.11.2013
Aus wirtschaftlicher Not heraus muss der kleine Paul zusammen mit den Eltern und seinem älteren Bruder vom Land in
die Großstadt umsiedeln. Die neue Wohnung erweist sich als Bruchbude und Paul ist alles andere als glücklich darüber.
Erst als er in Gedanken die Märchenhütte entdeckt und dort zwei Märchenaufführungen beiwohnen darf, ändert sich
alles für ihn... ASCHENBRÖDEL UND DER GESTIEFELTE KATER versteht sich als Mitmachkino. Das bedeutet,
dass das Publikum dazu animiert wird, während der Kinovorführung aktiv zu werden: klatschen, schreien, tanzen, rufen
– alles ist erlaubt. Der kleine Märchenbär Miki erklärt es seinem Zielpublikum, also Kindern im Kindergartenalter, wie
das funktioniert. Denn wann immer der kleine Teddy eingeblendet wird, dürfen die jungen Zuschauer mitmachen. Um
uns Journalisten dies auch hautnah demonstrieren zu können, wurden in die heutige Pressevorführung gleich mehrere
Kitas in voller Besetzung eingeladen. Damit war endlich einmal richtig Stimmung in dem sonst oft recht tristen Umfeld
einer abgeschotteten Kinovorführung! Zum Film selbst gibt es Folgendes anzumerken. Kleinkindern wird einiges an
Abstraktionsvermögen abverlangt, wenn die beiden Theaterstücke aufgeführt werden. Denn in beiden Stücken werden
sämtliche Rollen von jeweils nur zwei Darstellern gespielt. Und warum ausgerechnet die Stiefmutter von Aschenbrödel
von einem Mann in Frauenkleider gespielt wird, erschließt sich den Kleinen ganz sicher nicht. Hier werden vermutlich
die Eltern hinterher ganze Aufklärungsarbeit leisten müssen! Der Film dauert zwar nur 60 Minuten, doch die Kleinen in
der heutigen Vorführung hatten eigentlich nach dem ersten Märchen schon mehr als genug. Trotzdem dürfen sie sich
schon auf den zweiten Streich freuen, der für 2014 angedroht wird.
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Dienstag, 24. September 2013 Erst der Göthe, dann die Gefangenen Draußen ist herrlicher Sonnenschein – da muss man sich ja ins Kino flüchten! FACK JU GÖHTE (1:2.35, DD 5.1) Verleih: Constantin Land/Jahr: Deutschland 2013 Regie: Bora Dagtekin Darsteller: Elyas M'Barek, Karoline Herfurth, Katja Riemann Kinostart: 07.11.2013
Nachdem er 13 Monate im Knast war, will Zeki Müller jetzt das gestohlene Geld aus dem Versteck holen. Dumm nur,
dass direkt über dem Versteck inzwischen die Sporthalle einer Schule aufgestellt wurde. Zeki beschließt, sich als
Hausmeister dort einstellen zu lassen, um in aller Ruhe nach dem Geld buddeln zu können. Ehe er es sich versieht, wird
er als Aushilfslehrer rekrutiert. Jetzt muss er sich mit einer außer Rand und Band geratenen Klasse herumärgern und
wird auch noch von einer an Minderwertigkeitskomplexen leidenden Kollegin angebaggert... Ist das deutsche Kino
bereits auf dem Tiefpunkt angekommen? Bora Dagtekins Komödie FACK JU GÖHTE könnte in der Tat dieser
Tiefpunkt sein. Wer auf Fäkalsprache und derben Witz sowie obszöne Ausdrucksweise steht, für den ist dieser
Pennäler-Film selbstverständlich Pflichtprogramm. Wer allerdings gerne lacht und auch noch ein Minimum an Niveau
besitzt, der sollte einen großen Bogen um dieses krasse Teil machen. Oder lag es einfach nur daran, dass uns in der
Pressevorführung eine unfertige Fassung vorgesetzt wurde? Wohl kaum. Allerdings ist zu befürchten, dass bei einem
einigermaßen guten Einspielergbnis noch mehr solcher Sauereien auf das deutsche Kinopublikum losgelassen werden.
PRISONERS (1:1.85, DD 5.1) OT: Prisoners Verleih: Tobis Land/Jahr: USA 2013 Regie: Denis Villeneuve Darsteller: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Maria Bello Kinostart: 10.10.2013
An einem verregneten Thanksgiving-Tag verschwinden die beiden kleinen Töchter zweier Familien spurlos. Ein
Verdächtiger ist auch schnell identifiziert: Alex Jones, ein mental zurückgebliebener junger Mann, der mit seinem
Wohnmobil in genau der Straße stand, wo die beiden Mädchen zuletzt gesehen wurden. Aus Mangel an Beweisen
jedoch lässt die Polizei den Mann wieder laufen. Keller Dover, einer der beiden Väter, sieht daraufhin rot. Für ihn ist
Alex der Entführer. So nimmt er selbst das Gesetz in die Hand und schnappt sich Alex. In einem verlassenen Haus
unterzieht Keller den jungen Mann einem brutalen Verhör in der Hoffnung, die beiden Mädchen wieder zu finden...
PRISONERS könnte so etwas wie die amerikanische Antwort auf den israelischen Thriller BIG BAD WOLVES sein,
der unlängst auf dem Fantasy Filmfest für Begeisterungsstürme sorgte. Denn zumindest inhaltlich gesehen ähneln sich
die beiden Filme sehr. Regisseur der amerikanischen Produktion ist kein Geringerer als der Kanadier Denis Villeneuve,
dessen vorheriger Film DIE FRAU DIE SINGT zurecht für den Auslands-Oscar nominiert war. Man darf also viel
erwarten von einem Denis Villeneuve. Möglicherweise liegt aber genau darin das Problem: man erwartet
möglicherweise einfach zuviel! Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: PRISONERS ist zweifelsfrei
spannend inszeniertes Thriller-Kino, das auch trotz seiner 153 Minuten zu fesseln vermag. Jedoch gibt es in der
Erzählstruktur ein paar Schwächen, die nicht hätten sein müssen. So gibt der Regisseur seinem Publikum eigentlich viel
zu früh sachdienliche Hinweise, anstatt sie als Überraschungsmoment gewinnbringend einzusetzen. Auch die Figur des
Detective Loki (Jake Gyllenhaal) erscheint etwas unausgewogen. Verhält sich ein Ermittler tatsächlich so, wie Loki es
tut? Nichtsdestotrotz kann der Film mit einer überzeugenden Besetzung aufwarten und das Drehbuch hält ein paar
hübsche Plot-Twists parat. Auch Roger Deakins‘ Kameraarbeit ist ebenso beeindruckend wie Johann Johannssons
Filmmusik. Als bahnbrechend kann man Villeneuves Film gewiss nicht bezeichnen, aber er gehört auf jeden Fall zu den
besten Filmen des letzten halben Jahres und ist daher allemal sehenswert.
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Donnerstag, 19. September 2013 Langatmig Die heutige Pressevorführung war länger als zwei durchschnittlich lange Spielfilme... DIE ANDERE HEIMAT – CHRONIK EINER SEHNSUCHT (1:2.35, DD 5.1) Verleih: Concorde Land/Jahr: Deutschland, Frankreich 2013 Regie: Edgar Reitz Darsteller: Jan Schneider, Antonia Bill, Maximilian Scheidt Kinostart: 03.10.2013
Ein kleines Dorf im Hunsrück Anfang des 19. Jahrhunderts. Wie überall im Land herrscht auch hier Armut, Hungersnot
und Willkürherrschaft der Oberen. Viele träumen von einem besseren Leben in der neuen Welt. Auch Jakob gehört zu
den Träumern, was seinem Vater, dem Dorfschmied, ein Dorn im Auge ist. Statt mit anzupacken liest er lieber Bücher
über ferne Indianerstämme. Dem hübschen Jettchen aber imponiert das und sie bandelt mit ihm an. Doch Jakobs älterer
Bruder Gustav packt die Chance zuerst beim Schopf und schwängert das Jettchen, das er dann auch heiraten muss. Das
jedoch treibt einen Keil zwischen Jakob und Gustav. Jakob macht sich schließlich auf, ein besseres Leben zu finden...
Anders als in seiner für das Fernsehen inszenierten HEIMAT Trilogie umfasst der neue Film von Edgar Reitz nicht
ganze Epochen, sondern beschränkt sich auf einen relativ kleinen Zeitraum von nur ein paar Jahren. Umso
verwunderlicher erscheint damit die epische Breite, mit der Reitz seine Geschichte erzählt: ganze 230 Minuten dauert
das Werk und verfügt über eine Pause nach etwa 105 Minuten. Der Film wartet zwar mit CinemaScope und 4K auf,
doch haftet ihm dennoch der Charakter einer Fernsehproduktion an. Extrem gewöhnungsbedürftig ist die
Farbdramaturgie. Der gesamte Film ist (fast) schwarzweiß, nur hin und wieder gibt es farbige Flecken im Bild (etwa
wenn durch eine Glasmalerei geschaut wird oder einem Pferd ein Hufeisen aufgeschlagen wird. Diese Farbelemente
sollen vermutlich die Wärme symbolisieren, die es in der tristen Zeit, zu der der Film spielt, kaum gab. Hier ist alles
Dreck und Elend und man kann gut nachvollziehen, dass es die meisten der Dorfbewohner in die Fremde zieht, wo ein
besseres Leben versprochen wird. Allerdings mutet es äußerst seltsam an, dass Hauptfigur Jakob sehr belesen ist. Und
das nicht nur in Deutsch, sondern auch gleichsam in verschiedenen Indianersprachen! Fazit: ein aufgrund seiner schieren
Länge sowie der eigenwilligen Inszenierung extrem sperriger Film.
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Mittwoch, 18. September 2013 Lolita auf Männerfang Meine Krankheit ist vorbei – die Pressevorführungen haben mich wieder zurück! JUNG & SCHÖN (1:1.85, DD 5.1) OT: Jeune & Jolie Verleih: Weltkino Land/Jahr: Frankreich 2013 Regie: François Ozon Darsteller: Marine Vacth, Charlotte Rampling, Frédéric Pierrot, Geraldine Pailhas Kinostart: 14.11.2013
Isabelle ist jung und schön und steht kurz vor ihrem 17. Geburtstag. Mit ihrem Urlaubsflirt, dem Deutschen Felix, hat sie
zum ersten Mal Sex. Doch es beeindruckt sie nicht. Im darauffolgenden Schuljahr bietet Isabelle unter dem Pseudonym
Lea im Internet Sex gegen Geld an. Ihre Kunden sind zumeist ältere Herren. Niemand in ihrer Familie oder in ihrem
Freundeskreis ahnt etwas von Isabelles Doppelleben. Doch ein tragischer Zwischenfall bringt die ganze Sache plötzlich
ans Licht. Isabelles Mutter ergeht sich in Selbstvorwürfen, aber Isabelle schweigt beharrlich... Frankreichs fleißigster
Filmemacher François Ozon meldet sich dieses Mal mit einer großen Portion Erotik auf der Leinwand zurück. JUNG &
SCHÖN, so der Titel seines Filmes, charakterisiert auch gleichzeitig die physische Präsenz seiner Hauptdarstellerin,
dem 23jährigen Model Marine Vacth. Sie schlüpft in die Rolle einer 17jährigen, deren sexuelles Erwachen sie sich über
moralische Grenzen hinwegsetzen lässt. Ozon hat seinen Film ganz auf seine Protagonistin zugeschnitten, zeigt ihren
reizvollen Körper mal direkt, mal aus der Sicht des Voyeurs, oder einfach nur ihr makelloses Gesicht in Großaufnahme.
Ihr sexueller Reifeprozess folgt den vier Jahreszeiten, beginnend mit dem Sommer. Jedes der vier Kapitel endet mit
einem Song von Francoise Hardy, die ähnlich einem Troubadour die Geschichte kommentieren. Daneben gibt es auch eine
faszinierende Original-Filmmusik aus der Feder von Philippe Rombi. JUNG & SCHÖN ist Kino voll prickelnder
Erotik und mit dem gewissen Ozon-Touch, der den Zuschauer hin und wieder im Ungewissen lässt, ob alles nur
geträumt wurde oder tatsächlich passiert.
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Dienstag, 10. September 2013 Schneller, höher, weiter Ein spannender Blick auf das Bildungssystem und eine dramatische Posse aus dem Schwäbischen hielten mich heute vom Arbeiten ab. ALPHABET (1:1.85, DD 5.1) Verleih: Pandora Land/Jahr: Österreich, Deutschland 2013 Regie: Erwin Wagenhofer Kinostart: 31.10.2013
Schneller, höher, weiter. Schon im Kindergarten werden wir auf den knallharten Konkurrenzkampf, der uns draußen in
der Welt erwartet, gedrillt. In der Schule und während des Studiums geht es immer nur darum, der oder die Beste zu
sein. In China haben Schüler gar nicht erst Zeit, sich um persönliche Interessen zu kümmern. Der straff organisierte
Lehrplan lässt es gar nicht zu. Auch in der westlichen Welt geraten Schüler zunehmend unter die Räder der Ausbildung,
wie es eine Schülerin in einem Aufsatz schildert, der es in die “Zeit” geschafft hat. Dokumentarfilmer Erwin
Wagenhofer stellt sich die Frage, ob das Bildungssystem auf unserem Planeten aus dem Ruder läuft. Anhand einiger
faszinierender Persönlichkeiten zeigt er, dass es auch ganz anders geht. Beispielsweise einen Gitarrenbauer, der nie zur
Schule ging, aber trotzdem mehrere Sprachen beherrscht, sein Handwerk über alles liebt und auch sonst in der
Gesellschaft hervorragend zurecht kommt. Oder einen am Down-Syndrom leidenden Studenten, der nach Absolvierung
seines Hochschulabschlusses ein Psychologie-Studium beginnt. Beides Menschen, denen man eigentlich keine Chancen
auf ein menschenwürdiges Leben gegeben hätte. In seinem Film lässt der Regisseur einen Hirnforscher, einen
Personalchef sowie etliche Pädagogen zu Wort kommen, die allesamt zu der Erkenntnis gekommen sind, dass das
momentan praktizierte Bildungssystem im Grunde genommen ein Lernverhinderungssystem darstellt. In einem
Kommentar aus dem Off bringt es der international anerkannte Bildungsexperte Sir Ken Robinson mit einfachen Worten
und präzisen Beispielen auf den Punkt: wir müssen wegkommen von reinen Lernmaschinen, um unsere ganze Kreativität
entfalten zu können. Jeder trägt das Potenzial dazu in sich. ALPHABET rüttelt auf und lädt zum Nachdenken ein.
GLOBAL PLAYER – WO WIR SIND ISCH VORNE (1:1.85, DD 5.1) Verleih: Movienet (24 Bilder) Land/Jahr: Deutschland 2013 Regie: Hannes Stöhr Darsteller: Walter Schultheiß, Christoph Bach, Inka Friedrich, Ulrike Folkerts Kinostart: 03.10.2013
Die Firma Bogenschütz & Söhne ist schon seit Jahrzehnten ein inhabergeführtes, mittelständisches Unternehmen in der
schwäbischen Provinz. Doch die Geschäfte mit Textilmaschinen laufen alles andere als gut, seit die Chinesen die
Produkte ohne Lizenz nachbauen und verkaufen. Juniorchef Michael tut alles, um den Bankrott zu verhindern und
seinen Vater, den alten Patriarchen, zufriedenzustellen. Als jedoch auch noch die Bank den Geldhahn zudreht, scheint
der Verkauf der Firma an die Chinesen unabwendbar... Irgendwie wird man bei diesem Film den Eindruck nicht los,
dass es in der Hauptsache darum ging, einen Film mit teilweise schwäbischem Akzent sowie Walter Schultheiß als
Darsteller zu machen. Der Inhalt war zweitrangig. So gibt sich Hannes Stöhrs vordergründig als Komödie getarntes
Drama fast schon als eine Art Lehrfilm zum Thema Betriebswirtschaft. Der Niedergang der Firma Bogenschütz &
Söhne langweilt ziemlich, weil ohne Salz und Pfeffer zelebriert. Da sind dann natürlich die wenigen Lacheinlagen, wenn
Walter Schultheiß in “beschdem” Schwäbisch ein Machtwort spricht, um den Verkauf seines Lebenswerkes an die
Chinesen zu verhindern. Allerdings wirken die dann gleichzeitig wie Fremdkörper in diesem Wirtschaftsdrama. Erst die
letzte Szene im Film macht klar, was für eine wunderbare Komödie zum Thema Völkerverständigung aus dem Film
hätte werden können: hier treffen schwäbischer Dialekt und chinesische Sprache aufeinander. Vollkommen deplatziert
wirken die eingeschnittenen Schwarzweißaufnahmen aus der Nachkriegszeit, die immer wieder die Gedankenwelt des
Seniorchefs charakterisieren sollen. Wer bei diesem Film eine weitere KIRCHE BLEIBT IM DORF erwartet, der
wird gehörig enttäuscht. Alle anderen übrigens auch.
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Montag, 09. September 2013 Ein Vater, ein Sohn und jede Menge Präsidenten Die ersten beiden Filme einer bis zum Bersten vollgepackten Pressewoche durfte ich heute absolvieren EXIT MARRAKECH (1:2.35, DD 5.1) Verleih: Studiocanal Land/Jahr: Deutschland 2013 Regie: Caroline Link Darsteller: Ulrich Tukur, Samuel Schneider, Hafsia Herzi, Josef Bierbichler Kinostart: 24.10.2013
Während seinen Ferien vom Internat besucht der 17-jährige Ben seinen Vater Heinrich im fernen Marokko, wo der
gefeierte Theaterregisseur ein deutsches Stück inszeniert. Dem Leitspruch seines Vaters zum Trotz, der meint, dass die
Phantasie aufregender sei als die Realität, lässt sich Ben von den kulturellen Aktivitäten seines alten Herrn nicht
beeindrucken und beschließt, Marokko auf eigene Faust zu erkunden. Bald schon findet sich Ben in einer Liebschaft mit
einer Prostituierten wieder, weit weg vom Vater. Dem bleibt nichts anderes übrig, als nach ihm zu suchen... EXIT
MARRAKECH ist der bislang unausgewogenste Film von Caroline Link. Weder die Familienverhältnisse, in denen
Ben lebt, werden erklärt, noch wird die Liebschaft zwischen Ben und der Prostituierten Karima zu einem akzeptablen
Ende gebracht. Selbst die Annäherung zwischen Ben und seinem Vater, die während der gemeinsamen Autofahrt durch
Marokko stattfindet, wirkt etwas unausgegoren. Warum sich die beiden am Ende ihrer Reise plötzlich verstehen, ist
nicht ganz nachvollziehbar. Immerhin liefert Caroline Links Kamerafrau Bella Halben wunderschöne Bilder aus dem
arabischen Land und Niki Reiser liefert die passende Musik dafür. Bei der Besetzung überzeugt insbesondere Ulrich
Tukur in der Rolle des Vaters. Den Kotzbrocken zu Beginn nimmt man ihm sofort ab.
DER BUTLER (1:1.85, DD 5.1) OT: The Butler Verleih: Prokino (Fox) Land/Jahr: USA 2013 Regie: Lee Daniels Darsteller: Forest Whitaker, Oprah Winfrey, John Cusack, Jane Fonda Kinostart: 10.10.2013
Der kleine Farbige Cecil arbeitet zusammen mit seinem Vater als Sklave auf einer Baumwollplantage, wo sie den Launen des
Besitzers hilflos ausgeliefert sind. Als sein Vater vor seinen Augen erschossen wird, nimmt ihn die Mutter des
Plantagenbesitzers unter ihre Fittiche und bildet ihn als “Housenigger” aus. Als er zum jungen Mann herangewachsen
ist, flieht er von der Plantage und kommt in einem Hotel in Washington als Butler unter. Aufgrund seiner perfekten
Umgangsformen fällt er dort dem für das Personal zuständigen Managers des Weissen Hauses auf und wird für den Dienst
am amerikanischen Präsidenten rekrutiert... Basierend auf einer wahren Geschichte schildert Lee Daniels in seinem
Biopic den Werdegang des farbigen Butlers Cecil Gaines, der mehrere Jahrzehnte lang unter verschiedenen Präsidenten
seinen Dienst im Weissen Haus verrichtete. Cecil Gaines' Geschichte ist dabei gleichzeitig ein Streifzug durch die
Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in der Farbige für ihre Gleichstellung mit den Weißen kämpften.
Das Attentat auf Kennedy, der Vietnamkrieg, Martin Luther King, Klu Klux Klan, die Nixon-Ära – Daniels‘ Film streift
alle wichtigen Ereignisse dieser aufwühlenden Zeit. Und das so authentisch wie möglich, was
man besonders schön an den Präsidentendarstellern ablesen kann. Denn die wurden von den Maskenbildnern und
Stylisten auf “echt” getrimmt. Am beeindruckendsten allerdings sind die beiden Hauptdarsteller: Forest Whitaker als
Cecil Gaines und Oprah Winfrey als seine Gattin. Nicht nur altern die beiden im Laufe der Jahrzehnte sehr überzeugend,
auch ihr Spiel ist so wunderbar, dass man glattweg vergisst, dass es ja nur Schauspieler sind. Am deutschen Box Office
dürfte der Film wohl kaum Chancen haben, dafür jedoch umso mehr bei den Academy Awards.
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Freitag, 06. September 2013 Wenn die Musi spielt... Als Wochenabschluss gab es ein recht zünftiges Double Feature IM WEISSEN RÖSSL – WEHE DU SINGST! (1:1.85, 5.1) Verleih: Senator Land/Jahr: Deutschland, Österreich 2013 Regie: Christian Theede Darsteller: Diana Amft, Fritz Karl, Tobias Licht, Armin Rohde Kinostart: 07.11.2013
Um die Urne seiner Frau an einem standesgemäßen Ort zu beerdigen, fährt Wilhelm Gieseke gemeinsam mit seiner
Tochter Ottilie zu jenem Ort, an dem er seine Frau kennenlernte: das Hotel “Weisses Rössl” am Wolfgangsee in
Österreich. Dort lernt Ottilie nicht nur den Anwalt Dr. Otto Siedler kennen, der sich Hals über Kopf in sie verliebt,
sondern auch den Oberkellner Leopold, der unsterblich in seine Chefin verliebt ist. Das Liebeskarussell kann beginnen...
Unglaublich, aber wahr – die mehrfach verfilmte Operette bekommt ein Upgrade! Und dieses könnte kaum besser in
eine Zeit passen, in der man sich für das Oktoberfest in eine Tracht kleidet. Denn Trachten gibt es in Christian Theedes
reichlich zu sehen. Überhaupt ist der Film eine optische Augenweide, weiß er doch seine atemberaubende
österreichische Location bestens ins Bild zu rücken. Allerdings hätte man sich für die toll inszenierten Song & Dance
Nummern doch eher das CinemaScope-Format gewünscht und nicht das dem Fernsehen näher stehende kaschierte
Breitwand. IM WEISSEN RÖSSL huldigt vollkommen unverkrampft dem puren Kitsch mit allem, was dazugehört:
Regenbogen, Sonnenschein, Mondlicht und jede Menge romantische Liebe. All das gibt es in knallbunten Farben und
mit aufgepeppter Musik – inklusive einer Bollywood-Version des Titelsongs ganz am Ende des Films.
DRECKSAU (1:2.35, DD 5.1) OT: Filth Verleih: Ascot Elite (24 Bilder) Land/Jahr: Großbritannien 2013 Regie: Jon S. Baird Darsteller: James McAvoy, Jamie Bell, Jim Broadbent Kinostart: 17.10.2013
Detective Sergeant Bruce Robertson ist eine echte Drecksau. Der korrupte Beamte würde alles für seine Beförderung
tun, auch wenn andere dabei hops gehen. So spielt er seine Kollegen gegeneinander aus, um seine Chancen zu erhöhen.
Gleichzeitig vögelt er die Frau eines Kollegen, schnieft Kokain und macht Telefonsex mit der Frau seines besten
Freundes. Doch es lauert noch etwas im Hintergrund, das nach und nach Besitz von Robertson ergreift – sein Gewissen.
Regisseur Jon S. Baird inszenierte den Film nach einem Roman von Irvine Welsh, der alles andere als politisch korrekt
ist. Das freilich macht den Reiz des Films aus. Hier lässt ein Bulle so richtig die Sau raus! James McAvoy, zuletzt in
Danny Boyles TRANCE zu sehen, mimt das korrupt-brutale Bürschchen höchst überzeugend. Ihm zur Seite stehen
weitere hochkarätige Darsteller wie Eddie Marsans (mit dicker Hornbrille) und Jim Broadbent. Unterlegt ist der gesamte
Film mit einem Mix bekannter Hits, die sogar Nenas “99 Luftballons” beinhalten. Insgesamt aber enttäuscht der Film
etwas. Die immer wieder eingestreuten Flashbacks weisen zu deutlich darauf hin, dass es noch eine weitere dunkle Seite
im Leben des Protagonisten gibt, die erst gegen Ende des Films enthüllt wird. Ein dramaturgischer Griff, der sich
inzwischen schon ziemlich abgenutzt hat.
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Donnerstag, 05. September 2013 Eine Frau in Afghanistan Nach einem wunderbaren Auftakt gab es einen herben Abgang STEIN DER GEDULD (1:2.35, DD 5.1) OT: Syngué Sabour Verleih: Rapid Eye Movies Land/Jahr: Frankreich, Deutschland 2012 Regie: Atiq Rahimi Darsteller: Golshifteh Farahani, Hamid Djavadan, Hassina Burgan Kinostart: 10.10.2013
Schon alleine die Tatsache, dass die Frontlinie genau durch ihr Viertel verläuft, ist beunruhigend genug. Immer wieder
muss sich eine junge Frau mit ihren kleinen Töchtern in einen Bunker in der Nähe ihres Hauses in Afghanistan retten.
Dass ihr Mann seit zwei Wochen schon im Koma liegt, ständig Infusionen benötigt und nicht transportfähig ist,
erschwert ihr Leben zusätzlich. Als sie ihre beiden Töchter in die sichere Obhut ihrer Tante bringt, widmet sie sich der
Pflege ihres wesentlich älteren Gemahlen und beginnt damit, ihm ihre ganz eigene Sicht der Ehe zu erzählen... Regisseur
Atiq Rahimi gibt mit der Verfilmung seines gleichnamigen Romans den afghanischen Frauen eine Stimme, indem er am
Beispiel seiner Hauptfigur das ganze Leid, das vielen Frauen in dem vom Krieg zerstörten Land widerfährt. “Männer,
die Liebe nicht kennen, ziehen in den Krieg” heisst es dort. Und eben diese Liebe hat die junge Frau, die ihrem im
Koma liegenden Mann alles beichtet, in ihrer Ehe nie erfahren. Für ihn war sie immer nur ein Stück Fleisch. Thierry
Arbogast zaubert mit seiner Kamera wunderbare Bilder in CinemaScope-Breite auf die Bildwand und Max Richter
unterlegt sie mit ganz dezenten Klängen. Ihm genügen nur ein paar Akkorde, um die deprimierende Stimmung zu
charakterisieren. Ergänzt werden Bild und Musik durch eine sehr dynamische Tonspur, die den ganzen Schrecken des
Krieges hautnah miterleben lässt. In der Rolle der jungen Afghanin glänzt Golshifteh Farahani, die den Film damit zu
einem ganz besonderen Erlebnis macht. Ein Geheimtipp für anspruchsvolle Filmfans.
GROSSE JUNGS – FOREVER YOUNG (1:2.35, DD 5.1) OT: Les Gamins Verleih: NFP Land/Jahr: Frankreich 2013 Regie: Anthony Marciano Darsteller: Alain Chabat, Max Boublil, Sandrine Kiberlain Kinostart: 13.03.2014
Kurz bevor der erfolglose Musiker Thomas seine Angebetet ehelicht, lernt er seine zukünftigen Schwiegereltern kennen.
Sein Schwiegervater in spe Gilbert rät ihm aufgrund eigener Erfahrungen von der Heirat ab, packt seine sieben Sachen
und bricht aus seiner eigenen Ehe aus, um endlich wieder richtig die Sau rauslassen zu können. Mehr noch: er nimmt
Thomas mit auf seinen Jugendtrip, worauf die geplante Hochzeit ziemlich ins Wanken kommt... Wirklich schön wird
diese Komödie eigentlich nur an einer einzigen Stelle. Nämlich dann, wenn die beiden in die Pubertät zurückgeworfenen
Männer nachts auf dem Motorrad durch die Stadt rauschen und der Song “Forever Young” den Kinosaal ausfüllt. Mit
Ausnahme dieser ganz winzigen Szene nervt der Rest eigentlich nur noch. Für dümmliche Sex-Witzchen a la EIS AM
STIL möchte man(n) heute ganz sicher nicht mehr ins Kino gehen. GROSSE JUNGS ist eine recht plumpe Komödie
über die Midlife-Crisis, die Männer offensichtlich in jedem Alter erleben können.
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Mittwoch, 04. September 2013 Es war einmal in deutschen Landen Wenn ich es nicht verstehe, kann es sich eigentlich nur um ganz große Filmkunst handeln... FINSTERWORLD (1:2.35, 5.1) Verleih: Alamode (Filmagentinnen) Land/Jahr: Deutschland 2013 Regie: Frauke Finsterwalder Darsteller: Michael Maertens, Ronald Zehrfeld, Sandra Hüller, Corinna Harfouch Kinostart: 17.10.2013
Ein Polizist, der heimlich in Kuscheltierkostüme schlüpft. Ein Fußpfleger, der den Schorf seiner Kundin in Keksen
verbackt. Eine Schülerin, die beim Schulausflug in ein KZ im Ofen landet. Ein Einsiedler, der im Wald auf Jagd geht.
Ein Ehepaar, das sich bei der Autofahrt nach Paris zankt. Eine Dokumentarfilmerin, die am eigenen Ehrgeiz scheitert.
Nach und nach bilden alle Episoden zusammen ein großes Ganzes... Frauke Finsterwalders Film entpuppt sich recht
schnell als eine extrem künstlich zusammengeschusterte Bestandsaufnahme zur Lage der Nation oder vielleicht sogar
der gesamten Menschheit. In ihrem Film gibt es keine Rolle, die man ruhigen Gewissens als normal bezeichnen könnte.
Das Drehbuch lässt die Charaktere immer wieder hintergründige Aussagen über die Gesellschaft und das Leben im
Allgemeinen machen – Statements, die niemand so sagen würde und den Film damit komplett aufgesetzt und künstlich
erscheinen lassen. Vermutlich habe ich hier wieder große Filmkunst nicht erkannt. Na ja, wie auch, wenn sie sich
dermaßen versteckt.
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Dienstag, 03. September 2013 Triple Flash Mit gleich drei Pressevorführungen überraschte mich der heutige Tag DIE NONNE (1:1.85, 5.1) OT: La Religieuse Verleih: Camino (Filmagentinnen) Land/Jahr: Frankreich, Deutschland, Belgien 2012 Regie: Guillaume Nicloux Darsteller: Pauline Etienne, Isabelle Huppert, Martina Gedeck Kinostart: 31.10.2013
Frankreich 1765. Als die jüngste von drei Schwestern wird die 16jährige Suzanne aus finanziellen Gründen von ihren
Eltern in ein Kloster abgeschoben. Dort wird sie mit Heuchelei, Grausamkeit, Gewalt und Verführung konfrontiert und
kämpft darum, wieder von ihrem Gelübde entbunden zu werden... Denis Diderots Roman wurde nicht zum ersten Mal
verfilmt. Diese Ehre gebührt Jacques Rivette, der ihn in den sechziger Jahren für seine Zwecke verfremdete. Guillaume
Nicloux‘ Version ist da wohl näher an der literarischen Vorlage geblieben, die als Klassiker der französischen
Aufklärung gilt. Mit wunderschönen Bildern (Kamera: Yves Cape) und einer grandiosen Hauptdarstellerin (Pauline
Etienne) schildert er die tragische Geschichte der Suzanne Simonin, die einem Leidensweg gleichkommt. Er tut dies auf
fast dokumentarische Art und Weise. So gibt es auch keine Filmmusik im üblichen Sinn, sondern sie erklingt nur, wenn
man die Nonnen singen sieht oder die Orgel in der Kapelle gespielt wird. DIE NONNE ist weit entfernt von
sogenannten “Nunsploitation”-Filmen, in denen die Lustschreie hinter den Klostermauern in den Fokus gerückt werden.
Guillaume Nicloux‘ Film ist anspruchsvolles Historienkino.
Video: DIE NONNE - Filmpremiere in Stuttgart RIDDICK (1:2.35, DD 5.1) OT: Riddick: Dead Man Stalking Verleih: Universum Film (Walt Disney) Land/Jahr: USA 2013 Regie: David Twohy Darsteller: Vin Diesel, Jordi Mollà, Matthew Nable Kinostart: 19.09.2013
Der geflohene Sträfling Riddick erwacht auf einem gottverlassenen Planeten, auf dem er sich nicht nur gegen tückische
Monster, sondern auch gegen skrupellose Kopfgeldjäger wehren muss... RIDDICK ist genau das, was man gemeinhin
unter einem “Männerfilm” versteht. Denn sämtliche Protagonisten in diesem sepiagetönten Endzeit Sci-Fi-Gerumpel
sind männlich. Bis auf eine Ausnahme. Die aber stört nicht weiter, sagt sie doch kurz nach ihrem Auftritt gleich klipp
und klar: "Ich ficke keine Kerle!" Na also, schon stimmt das Welt(all)bild wieder. Wenn etwas im Film gelungen ist,
dann sind es die Hundewesen und die Vipern, die der Truppe auf dem fremden Planten Probleme bereiten. Hier haben
die Tricktechniker ganze Arbeit geleistet. Da passen dann die minderwertigen Trickaufnahmen, die etwa dann zu sehen
sind, wenn die Helden mit ihren Motorglidern über die Steppe jagen. Wer Vin Diesel mag und sich von seiner tiefen,
langsamen Stimme aus dem Off nicht sofort in den Schlaf wiegen lässt, dem könnte der Film vielleicht gefallen.
WHITE HOUSE DOWN (1:2.35, DD 5.1) OT: White House Down Verleih: Sony Pictures Land/Jahr: USA 2013 Regie: Roland Emmerich Darsteller: Channing Tatum, Jamie Foxx, Maggie Gyllenhaal Kinostart: 05.09.2013
Ganz Amerika steht unter Schock: Gangster haben das Weisse Haus in ihre Gewalt gebracht und fordern Lösegeld.
Drahtzieher der ganzen Aktion ist keine Geringerer als der Sicherheitschef persönlich. Doch der rechnet nicht mit John
Cale, ein Afghanistanveteran, der sich mit seiner Tochter zufälligerweise im Gebäude befindet. Cale läuft zur Hochform
auf... Nach dem wirklich grausigen OLYMPUS HAS FALLEN wagt sich jetzt der schwäbische Spielberg Roland
Emmerich daran, das Weisse Haus zu zerstören. In seinem Film sind es zwar keine ausländischen Terroristen, die den
Präsidenten in ihre Gewalt bekommen wollen, sondern es sind Amerikaner, die sich dem Terror verschrieben haben.
Allerdings ändert dies nichts an der Zerstörungswut, die die Truppe an den Tag legt. Mit entsprechendem Body Count
wohlgemerkt. Doch wer STIRB LANGSAM kennt, der kennt das Strickmuster, nach dem auch Emmerichs Film
abläuft. In der Tat gibt es hier sogar ein paar Querverweise zum Bruce Willis Film (z.B. lauscht der nerdige Hacker
deutscher Klassik, während er sämtliche Firewalls austrickst; oder Channing Tatum, der wie Bruce Willis im
Feinripphemd zu sehen ist; und dass der Vorname seiner Rolle derselbe ist wie der von Bruce Willis‘ Rolle ist sicherlich
keine Zufall). Eines muss man Emmerich allerdings neidlos zugestehen: sein Film ist wesentlich spannender als
OLYMPUS HAS FALLEN. Leider ist er dafür um Einiges zu lang geraten. Auch mit dem enthaltenen Patriotismus
wird nicht gerade zurückhaltend umgegangen. Bleibt zu konstatieren, dass es wohl eines deutschen Regisseurs bedarf,
um einen derart patriotischen Film zu inszenieren. Action-Fans werden mit WHITE HOUSE DOWN ganz bestimmt
zufriedengestellt.
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Montag, 02. September 2013 Schneckentempo Zum Auftakt der Pressewoche gab es einen Film aus dem Computer. TURBO – KLEINE SCHNECKE, GROSSER TRAUM (1:2.35, 3D, DD 5.1 + 7.1 + Atmos) OT: Turbo Verleih: Fox Land/Jahr: USA 2013 Regie: David Soren Kinostart: 03.10.2013
Eine kleine Gartenschnecke träumt lieber davon, ein großer Rennfahrer zu sein, als im Garten Tomaten zu ernten. Sie
möchte genauso werden wie ihr großes Vorbild Guy Gagné, dem angesagtesten aller Rennfahrer. Als sie durch eine
Reihe unglücklicher Umstände in das Innere eines Motors gerät, verfügt sie fortan über Superkräfte. Als “Turbo” will
sie es jetzt tatsächlich mit Guy Gagné aufnehmen... Selbst für die Allerkleinsten können sich die größten Träume
erfüllen – sofern man nur daran glaubt. So oder so ähnlich lautet die Kernaussage dieses computeranimierten Films, in
dem Gartenschnecken die Hauptrolle spielen. Ob es allerdings wirklich ein so hehres Ziel ist, ein Autorennen zu
gewinnen, darüber könnte man ganz sicher stundenlang referieren. Der Film zumindest tut es nicht. Wie er auch andere
Sachen nicht tut. Beispielsweise seine Charaktere liebevoll zu animieren. Die Schnecken sehen aus wie Plastikspielzeug,
es gibt nichts Niedliches oder Kuscheliges. Damit tun sich die Schleimer natürlich sehr schwer damit, von den
Zuschauern ins Herz geschlossen zu werden. Etwas anderes, was der Film auch nicht tut: gute Ideen weiterverfolgen und
ausbauen. Da gibt es anfangs zwar den schwarzhumorigen Einfall, dass Krähen hin und wieder sich einfach eine der
Schnecken schnappen und diese auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Dieser Gag wird zweimal wiederholt und wird
dann ad acta gelegt. Gerade solche Einfälle sind es aber, die einen guten von einem mittelmäßigen Film unterscheiden.
TURBO schafft es leider nicht über Mittelmaß hinaus. Die “Schnecktion” entwickelt sich nur im Schneckentempo.
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