Wolfram Hannemann | Talstr. 11 | D-70825 Korntal
| Germany | Phone: +49 (0) 711 838 06 49
| Fax: +49 (0) 711 8 38 05 18
e-mail: info (at) wolframhannemann.de |
|
|
Freitag, 26. Juni 2015 Von Einem, der sterben will Mit einer Art “Harold und Maude”-Geschichte ging die Pressewoche in die letzte Runde COCONUT HERO (1:2.35, 5.1) Verleih: Majestic (Fox) Land/Jahr: Deutschland, Kanada 2015 Regie: Florian Cossen, Elena von Saucken Darsteller: Alex Ozerov, Bea Santos, Krista Bridges, Sebastian Schipper, Udo Kier Kinostart: 13.08.2015
Mike ist erst 16 Jahre alt, hat das Leben aber bereits satt. Mit dem Gewehr seines verschwundenen Vaters will er seinem
Außenseiterdasein ein Ende bereiten. Doch der Schuss geht daneben und Mike erwacht putzmunter im Krankenhaus.
Doch Mike hat Glück im Unglück: bei den Untersuchungen entdecken die Ärzte einen Tumor in seinem Kopf. Wenn er
den nicht operieren lässt, führt das schnurstracks ins Grab. Prima, denkt sich der Teenager, und verschweigt seinen
Zustand seiner Mutter. Stattdessen nimmt er bereitwillig an der verordneten Bewegungstherapie teil – ist ja nur eine
Frage der Zeit, bis ihn der Tod ereilt. Allerdings hat Mike die Rechnung ohne Miranda gemacht, jenes fesche junge
Mädchen, das die Therapiegruppe leitet. Denn plötzlich sieht Mike sein Leben aus einem ganz anderen Blickwinkel...
Der Film von Florian Cossen (Regie) und Elena von Saucken (Drehbuch) hat genau das, was eine gute
Independent-Produktion ausmacht: eine interessante Geschichte mit ein paar netten Twists, sympathische Charaktere,
ein guter Soundtrack und eindrucksvolle Fotografie. Damit beweist das Filmemacher-Duo, dass ihr Erstlingswerk DAS
LIED IN MIR keine Eintagsfliege war. Besonders schön in Szene gesetzt sind dabei ein paar musikalische Einlagen,
beispielsweise wenn Mike auf seinem Fahrrad von einer ganzen Gruppe von Radfahrern begleitet und genau im Takt der
Musik choreographiert wird; oder wenn Mike Teil der Bewegungstherapie wird und die Szene vollkommen in der Musik
aufgeht. COCONUT HERO ist komisch, schwarzhumorig, einfühlsam, tragisch. Ein Geheimtipp für Filmfans, die mehr
vom Kino erwarten als nur VFX-Feuerwerk und Sound-Bombast. Zu hoffen bleibt, dass die großartigen Bilder von
Kameramann Brendan Steacy mit einem ordentlichen DCP um Quantensprünge besser aussehen werden als jene, die uns
in der heutigen Pressevorführung von einer Blu-ray angeboten wurden.
|
Donnerstag, 25. Juni 2015 Vom Wilden Westen zur Arche Noah Das einzige Double Feature in dieser Woche hatte gar biblische Ausmaße SLOW WEST (1:1.66, DD 5.1) OT: Slow West Verleih: Prokino (Fox) Land/Jahr: USA, Neuseeland 2014 Regie: John Maclean Darsteller: Michael Fassbender, Kodi Smit-McPhee, Caren Pistorius, Ben Mendelsohn Kinostart: 30.07.2015
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts irrt der 16jährige Schotte Jay Cavendish durch den Wilden Westen, um seine große
Liebe Rose zu finden. Unterwegs nimmt ihn der harte Bursche Silas Selleck unter seine Fittiche, um ihm zu helfen. Was
Jay allerdings nicht weiß: der Typ ist Kopfgeldjäger und auf Rose und ihren Vater sind 2000 Dollar Kopfgeld
ausgesetzt! So führt ihn Jay unwissend zu seiner Beute – gefolgt von der Gang, die mit Silas noch eine Rechnung offen
hat... John Macleans Film hat alles, was ein Western braucht: harte Burschen, prächtige Landschaften, viele Tote. Und
trotzdem ist seine Western ganz anders als alle anderen. Wann kommt schon mal ein 16-jähriger von Schottland in den
Wilden Westen, um seine große Liebe wiederzufinden? Jay Cavendish ist ein waschechtes Greenhorn, das auf sich
alleine gestellt in der rauen Wildnis eigentlich nicht überlebensfähig ist. Geschweige denn sich gegen Kopfgeldjäger und
Indianerschlächter zu behaupten. Kodi Smit-McPhee spielt diesen Naivling mit romantischer Ader perfekt. Michael
Fassbender mimt den Kopfgeldjäger, der sich des Jünglings annimmt und irgendwann plötzlich so etwas wie väterliche
Gefühle entdeckt, ebenso überzeugend. Mit ironischem Ton erzählt Maclean seine Geschichte einer ungewöhnlichen
Männerfreundschaft und mit unerwartetem Ende. Kameramann Robbie Ryan findet faszinierende Bilder für diese
Geschichte, die in Neuseeland gedreht wurde, und kadriert sie im ungewöhnlichen 1:1.66 Aspect Ratio. Ein Western
eben, der sich auch hier nicht in die gängigen Muster eingliedern lässt. Angenehm seine Lauflänge: in nur 84 Minuten
wird die ganze Story erzählt, ohne dass man etwas vermissen würde.
OOOPS! DIE ARCHE IST WEG... (1:1.85, 3D, DD 5.1) Verleih: Senator Land/Jahr: Deutschland, Irland, Belgien, Luxemburg 2015 Regie: Toby Genkel Kinostart: 30.07.2015
Kurz vor der Sintflut: alle Tiere strömen in die Arche Noah. Wirklich alle? Die Nestrier Finny und sein Papa stehen
leider nicht auf der Passagierliste, das Grymp-Mädchen Leah und ihre Mutter hingegen schon. Durch etwas Kreativität
schaffen es die Nestrier dennoch, auf die Arche zu kommen. Just in dem Moment, als die Flutwelle die Arche
hinweghebt, turnen Finny und Leah auf dem Gerüst vor der Arche – und sehen die Arche gerade noch wegschwimmen!
Die Beiden beschließen in ihrer Not, der Arche so weit wie möglich zu folgen, um wieder an Bord zu kommen. Für die
Kleinen beginnt das größte Abenteuer ihres Lebens... Mit seinem Film beweist Toby Genkel, dass computeranimierte
Filme nicht immer nur aus Hollywood kommen müssen, sondern auch in Europa realisiert werden können. Zugegeben:
die Perfektion einer Pixar-Produktion ist hier nicht unbedingt zu sehen (die Nestrier sehen beispielsweise aus wie
Stofftiere), doch es zählt alleine der gute Wille. Der hauptsächlich für kleine Kinder gedachte Film behandelt Themen
wie Freundschaft und das Finden des eigenen Platzes in der Welt gepaart mit jeder Menge Action. Den jungen
Zuschauern wird’s gefallen (was an der Reaktion der vielen Kinder in der heutigen Pressevorführung abzulesen war).
Für Erwachsene bietet der Film eine köstliche Figur: ein Schimpanse als Page oder Diener an Bord der Arche mit
herrlich snobistischem Tonfall. Negativ hingegen fällt die 3D-Technik auf: sie bietet nahezu keine plastische Wirkung,
so dass man sich unweigerlich fragt, warum die überhaupt eingesetzt wurde. Dafür machen die Synchronsprecher einen
hervorragenden Job. Hier ist insbesondere Christian Ulmen zu erwähnen, der Finny seine Stimme leiht.
|
Dienstag, 23. Juni 2015 Old School Comedy Wenn Lachen gesund ist, dann war der heutige Film meiner Gesundheit sehr zuträglich BROADWAY THERAPY (1:1.85, 5.1) OT: She’s Funny That Way Verleih: Wild Bunch (Central) Land/Jahr: USA, Deutschland 2014 Regie: Peter Bogdanovich Darsteller: Owen Wilson, Imogen Poots, Jennifer Aniston, Rhys Ifans, Kathryn Hahn, Lucy Punch, Tatum O'Neal, Will Forte, Cybill Shepherd, Joanna Lumley, Ahna O'Reilly, Jake Hoffman, Richard Lewis, Austin Pendleton, John Robinson, Poppy Delevingne, George Morfogen Kinostart: 20.08.2015
Izzy, Escort-Girl mit Schauspielambitionen, findet in einem ihrer Kunden, dem Broadway-Regisseur Arnold, einen
Gönner, der ihr einen großen Batzen Geld gibt, damit sie ihre Hollywood-Karriere starten kann. Als sie ausgerechnet bei
ihm für eine Rolle vorspricht, ist das dem Schürzenjäger gar nicht recht, gehört doch auch seine Frau zum Ensemble.
Die aber ist begeistert von Izzy, die dann auch noch mit dem Autor des Stückes anbandelt, der sich als Freund ihrer
Psychotherapeutin herausstellt. Jetzt ist Ärger vorprogrammiert... Nach 12jähriger Abstinenz vom Regiestuhl meldet
sich Peter Bogdanovich mit einer spritzigen Komödie im Kino zurück. BROADWAY THERAPY versteht sich als
Hommage auf die Screwball-Komödien eines Ernst Lubitsch, eines Billy Wilder oder auch eines Woody Allen. Mit
einem spielfreudigen Ensemble inszeniert Bogdanovich quasi ein Theater im Theater, das vor Verwicklungen und
Zufällen nur so strotzt und sämtliche Protagonisten in peinlich-witzige Situationen bringt. Etwas störend indes ist die
Rahmenhandlung, in der Imogen Poots alias Izzy ein Interview gibt und damit ihre Lebensgeschichte erzählt, die sodann
als Rückblick bebildert wird. Bogdanovichs Film empfiehlt sich für alle, die vom Hollywood’schen Effekt-Bombast die
Schnauze voll haben und sich nach etwas ruhigerem, dafür aber sehr unterhaltsamem Fahrwasser sehnen.
|
Mittwoch, 17. Juni 2015 Neues aus Absurdistan Der letzte Film vor meiner großen Fahrradtour konfrontierte mich mit den Abgründen der dänischen Seele MEN & CHICKEN (1:2.35, DD 5.1 + Atmos) OT: Mænd & Høns Verleih: DCM Land/Jahr: Dänemark, Deutschland 2014 Regie: Anders Thomas Jensen Darsteller: Mads Mikkelsen, David Dencik, Nikolaj Lie Kaas Kinostart: 02.07.2015
Gabriel und Elias sind zwei Brüder, für die die Bezeichnung “seltsam” eine starke Untertreibung ist. Gabriel wir ständig
von Brechreizen heimgesucht, Elias muss ständig zwanghaft masturbieren. Als ihr Vater stirbt, erfahren die beiden
mittels einer Videobotschaft, dass er gar nicht ihr biologischer Vater ist und sie adoptiert wurden. Die Brüder finden
schnell heraus, dass ihr wahrer Vater inzwischen 100 Jahre alt ist und auf einer einsamen Insel lebt. Sie beschließen ihn
aufzusuchen. Kaum angekommen werden sie von drei recht aggressiven Sonderlingen in Empfang genommen, die sich
als ihre Brüder herausstellen. Die leben zusammen mit allerlei vierbeinigen Freunden in einem stillgelegten Sanatorium,
das ein Geheimnis birgt. Langsam aber sicher kommen Gabriel und Elias ihrer wahren Herkunft näher... Anders Thomas
Jensen gilt als einer der renommiertesten Drehbuchautoren und Filmemachern Dänemarks, was er mit Filmen wie
ADAMS ÄPFEL oder DÄNISCHE DELIKATESSEN hinlänglich bewiesen hat. Für MEN & CHICKEN hat er nun
einmal mehr den Regiestuhl besetzt und auch gleich noch das Drehbuch geliefert. Was dabei herausgekommen ist,
dürfte nicht nur sein bislang skurrilstes Werk sein, sondern sein makaberstes dazu. Will heissen: der rabenschwarze
Humor ist von solcher Art, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Es ist fast so, als würde TEXAS
CHAINSAW MASSACRE auf ADAMS ÄPFEL treffen. Nicht wegen der Brutalität (die zwar durchaus vorhanden ist,
aber eher belustigend wirkt), sondern aufgrund der Location, in der Jensen seinen Film ansiedelt: ein stillgelegtes
Sanatorium auf einer abgelegenen, kaum bewohnten Insel. Angesichts der extrem merkwürdigen Charaktere, die in
diesem Sanatorium mit einem Heer von Tieren zusammenzuleben scheinen, ahnt man als Zuschauer schon recht früh,
wo hier die Wurzel allen Übels liegen könnte. Aber man möchte es dann eigentlich doch lieber nicht so genau wissen.
MEN & CHICKEN ist bei aller Absurdität ein ziemlich verstörender, aber genauso brillanter Film, der sich vor allem
dank seiner grandiosen Darsteller (kaum wiederzuerkennen: Mads Mikkelsen mit Hasenscharte!) ins Gedächtnis brennt.
|
Dienstag, 16. Juni 2015 Fahrstunden mit Amy Gemischtes Doppel: ein Spielfilm und eine Dokumentation hielten mich heute vom Arbeiten ab. LEARNING TO DRIVE – FAHRSTUNDEN FÜRS LEBEN (1:1.85, 5.1) OT: Learning To Drive Verleih: Alamode Land/Jahr: USA 2014 Regie: Isabel Coixet Darsteller: Patricia Clarkson, Sir Ben Kingsley, Grace Gummer Kinostart: 06.08.2015
Wendy ist wie vor den Kopf gestoßen: nach 21 Ehejahren verlässt sie ihr Mann wegen einer jüngeren Frau. Um ihre
Tochter besuchen zu können, die im weit entfernten Vermont studieren will, beschließt Wendy, endlich den
Führerschein zu machen. So trifft sie auf Darwan, ein Sikh mit Turban und Vollbart, der vor vielen Jahren schon die
amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt und sich als Taxifahrer und Fahrlehrer über Wasser hält. Der lebenskluge Mann
hilft Wendy nicht nur bei der Bewältigung der praktischen Fahrübungen, sondern auch ihrer anderen Probleme. Doch
davon hat Darwan selbst genügend: seine Schwester in Indien hat ihm die Frau fürs Leben ausgesucht... Fahrstunden als
Lebenshilfe – die Idee ist nicht ganz neu, wurde sie doch bereits vor ein paar Jahren in HAPPY-GO-LUCKY
erfolgreich thematisiert. Jetzt schlüpft Sir Ben Kingsley, seit seiner grandiosen Darstellung in GANDHI als perfekter
Inder bewährt, in die Rolle des Fahrlehrers. Eine Rolle, die der Schauspieler bestens ausfüllen kann. Neben ihm wirkt
seine Partnerin Patricia Clarkson als scheidungsgestresste Literaturkritikerin fast schon ein wenig blass. Die Geschichte,
in der die vielen Fahrregeln immer wieder als Metaphern für das richtige Leben eingesetzt werden, ist nett erzählt. Zwar
vollkommen unspektakulär, dafür aber umso glaubhafter. Immerhin gibt sich der Film am Ende nicht die Blöße, in
amerikanisches Kitschkino abzudriften, sondern entlässt beide Figuren in eigenständige Leben. Ein Film für das etwas
reifere Publikum.
AMY – THE GIRL BEHIND THE NAME (1:1.85, 5.1) OT: Amy Verleih: Prokino (24 Bilder) Land/Jahr: Großbritannien 2015 Regie: Asif Kapadia Darsteller: Amy Winehouse Kinostart: 16.07.2015
Am 23. Juli 2011 starb die Sängerin, die Jazz-Legende Tony Bennett auf eine Stufe mit Ella Fitzgerald erhob, an den
Folgen exzessiven Alkoholkonsums: Amy Winehouse wurde nur 27 Jahre alt. Jetzt, vier Jahre nach ihrem Tod, hat sich
der durch seinen Dokumentarfilm SENNA bekannt gewordene Regisseur Asif Kapadia daran gemacht, das ebenso
märchenhafte wir tragische Leben der Sängerin aufzuarbeiten. Anhand von teils sehr persönlichem Bild- und
Filmmaterial aus dem Freundeskreis von Amy ist ein aufwühlendes Porträt einer zerbrechlichen jungen Frau entstanden,
die eigentlich nie von Berufs wegen singen wollte. Sie schrieb und komponierte ihre Songs anfangs nur, weil es ihr
Freude machte. Doch je mehr sie damit Erfolg hatte und dadurch zwangsläufig immer stärker ins Rampenlicht gedrängt
wurde, desto stärker wurde ihr Wunsch, damit aufzuhören, weil sie spürte, dass sie mit ihrer Berühmtheit nicht klar
kommen würde. Niemand jedoch vernahm die Warnsignale, die sie schon frühzeitig aussendete. Durch ihren damaligen
Freund lernte sie Drogen aller Art kennen – und lieben! “Ohne Drogen ist das Leben einfach nur langweilig” hört man
Amy auf der Tonspur des Films von sich geben. Damit ist klar, dass jedwede Entziehungskur schon von vornherein zum
Scheitern verurteilt war. Mit 128 Minuten ist der gut gestaltete Dokumentarfilm zwar etwas zu lang geraten, dürfte damit
aber ihrer großen Fangemeinde sehr entgegenkommen. Die vielen Interviewpassagen mit Freunden und Arbeitskollegen
der Frau mit der überwältigenden Stimme, die meist nur aus dem Off zu hören sind, werden ergänzt durch
beeindruckende Konzertpassagen.
|
Sonntag, 14. Juni 2015 Sonntags bei den Dinos Heute habe ich mal wieder einen Film nachgesessen, der uns als Pressevorführung verweigert wurde. Aber das ist eigentlich ganz gut so, hatte ich doch damit die Möglichkeit, ihn im optimalen Auswertungsformat zu genießen: in IMAX Digital. JURASSIC WORLD (1:2.00, 3D, DD 5.1 + 7.1) OT: Jurassic World Verleih: Universal Land/Jahr: USA 2015 Regie: Colin Trevorrow Darsteller: Chris Pratt, Bryce Dallas Howard, Ty Simpkins, Irrfan Khan, Omar Sy Kinostart: 11.06.2015
Um die Touristenattraktion “Jurassic World” noch attraktiver zu machen und die Aktionäre zufrieden zu stellen, haben
die Wissenschaftler in geheimer Mission einen neuen Dino-Hybriden, genannt Indominus Rex, entwickelt. Natürlich
größer und weitaus gefährlicher als der T-Rex, um den “Wow!”-Faktor zu bedienen. Als sich die Bestie aus ihrem
Gehege befreit, geraten zwei Kinder in tödliche Gefahr. Ein Fall für Tausendsassa Owen Grady... Mit JURASSIC
WORLD präsentiert Executive Producer Steven Spielberg wieder klinisch reines Familienunterhaltungskino. Mit zwei
Kindern in der Hauptrolle sowie jede Menge Erwachsener wird das Zielpublikum zu 100 Prozent abgedeckt. Dass
jedoch klinisch rein nicht gleichbedeutend sein muss mit öde und langweilig, das beweist JURASSIC WORLD in
hervorragender Weise. Regisseur Colin Trevorrow weiß genau, wie man packendes Action-Kino fulminant umsetzt.
Dabei ist es dann weniger das Zwischenmenschliche, auf das es ankommt, sondern die speziell in IMAX-Kinos
immersiv wirkenden Bilder von Kameramann John Schwartzman. Gemeinsam mit Trevorrow hat er ein neues
Bildformat geschaffen, das etwas breiter als kaschiertes Breitwand und schmaler als CinemaScope ist. Das ist sehr schön
gerade für IMAX-Screens, da jetzt fast die gesamte Leinwand mit Bild gefüllt wird, führt aber leider bei normalen Kinos
dazu, dass jetzt plötzlich oben und unten schwarze Balken auftauchen. Aber diese Thematik mit all den Vor- und
Nachteilen soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Kennern der früheren JURASSIC PARK-Filme werden
mit Sicherheit viele Parallelen zum Originalfilm auffallen, fast so, als wäre JURASSIC WORLD ein Reboot des ersten
Films. Allerdings muss man sich dabei vor Augen halten, dass der Originalfilm nunmehr 22 Jahre auf dem Buckel hat
und inzwischen die nächste Generation von Kinogängern herangewachsen ist. Und an genau die richtet sich der neue
Film. Die visuellen Effekte, die damals als bahnbrechend galten, werden jetzt von der neuen Technik bei Weitem
übertroffen. Um es in einem Wort zu sagen: spektakulär! Für kleinere Zuschauer (der Film ist in Deutschland ab 12
Jahren freigegeben, d.h. Eltern dürfen ihre 6jährigen Sprösslinge mitnehmen!) dürften ein paar der Szenen zu heftig
sein, auch wenn der Familientauglichkeit zuliebe kein Blut fließt. Das hält natürlich die bösen T-Rex-Klone nicht davon
ab, Wärter und Besucher der Insel mit Haut und Haaren zu verspeisen. Das Drehbuch weist auch ein paar Schwächen
auf. Beispielsweise wird die anstehende Scheidung der Eltern unserer kleinen Protagonisten angesprochen, am Ende des
Films aber nicht aufgelöst. Das Thema bleibt damit irgendwo in der Luft hängen. Nährboden für eine weitere
Fortsetzung wird selbstverständlich auch gleich mit angelegt. Neben den visuellen Effekten besonders beeindruckend ist
die dynamische Tonspur des Films, die alle Register zieht, um das dreidimensionale Bild um eine weitere Dimension zu
ergänzen. Die Subwoofer im IMAX-Kino jedenfalls hatten ganz schön viel Arbeit! Ein weiterer Pluspunkt in
Trevorrows Film ist die Filmmusik von Michael Giacchino, die hin und wieder Gebrauch macht von John Williams‘
Hauptthema aus JURASSIC PARK, aber dennoch ein imposantes Eigenleben entwickelt, welches die Bilder
unterstützt. Lange Rede, kurzer Sinn: wer spektakuläres Event-Kino mag, der ist in JURASSIC WORLD gut
aufgehoben.
|
Freitag, 12. Juni 2015 Klassenkampf und Exorzismus Mit einem ziemlich konträren Double Feature endete die Pressewoche für mich DER SOMMER MIT MAMA (1:2.35, 5.1) OT: Que Horas Ela Volta? Verleih: Pandora Land/Jahr: Brasilien 2015 Regie: Anna Muylaert Darsteller: Regina Casé, Lourenco Mutarelli, Michel Joelsas, Camila Márdila Kinostart: 20.08.2015
Val lebt und arbeitet seit vielen Jahren als Haushälterin bei einer wohlhabenden Familie in São Paulo. Der Sprössling
der Familie ist ihr ganzer Stolz. Dabei hat Val ein eigenes Kind, ihre Tochter Jessica. Die aber lebt weit weg bei einer
Tante und Val hat schon seit zehn Jahren nichts mehr von ihr gehört. Umso überraschter ist sie, als Jessica eines Tages
anruft und ihr sagt, dass sie nach São Paulo kommen wird, um sich dort an der Uni für ein Studium zu qualifizieren. Val
arrangiert, dass ihre Tochter auch im Haus ihrer Arbeitgeber leben darf. Doch damit fangen die Probleme an. Denn wie
selbstverständlich fordert Jessica die Privilegien, die Vals Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen, auch für sich selbst
ein und bringt damit das Machtgefüge kräftig ins Wanken... Mit subtilem Humor und einer grandiosen Regina Casé in
der Rolle der Val zeichnet der Film ein präzises Gesellschaftsbild Brasiliens. Während Val das etablierte Klassensystem
niemals in Frage stellt, ist es für die selbstbewusste Jessica keine Frage, dass auch ihr ein erfülltes Leben und Wohlstand
zusteht. Anna Muylaerts Film bietet einige köstliche Szenen, die dieses Klassensystem schonungslos vor Augen führen:
da wird beispielsweise die junge Jessica vom Herrn des Hauses (der natürlich ein Auge auf die Hübsche geworfen hat!)
wie ein Gast behandelt, während er gleichzeitig ihre Mutter das Essen servieren lässt. Höchst amüsant beobachten wir
hier das hektische Gefuchtel, das Val mit ihren Armen anstellt, um ihrer Kollegin wortlos das Missfallen über das
Verhalten ihrer Tochter zu signalisieren. Die alte und die neue Welt prallen hier aufeinander und es macht Spaß dabei
zuzusehen.
THE VATICAN TAPES (1:1.85, DD 5.1) OT: The Vatican Tapes Verleih: Universum Film (24 Bilder) Land/Jahr: USA 2015 Regie: Mark Neveldine Darsteller: Olivia Dudley, Michael Peña, Djimon Hounsou Kinostart: 30.07.2015
Seit sie bei einem bizarren Zwischenfall von einem Raben gebissen wurde, geht mit der jungen Angela eine seltsame
Verwandlung vor. Sie trinkt Unmengen an Wasser und fängt an dreckig zu reden. Nach einem schweren Autounfall wird
sie ins Krankenhaus eingeliefert und landet schließlich in der Psychiatrie. Doch auch dort hören die bizarren
Zwischenfälle nicht auf. Ihr Vater und ihr Freund wissen sich nicht mehr zu helfen. Nur Pater Lozano steht ihnen noch
zur Seite. Und der hat einen schlimmen Verdacht: Angela könnte von einem bösen Dämon besessen sein. Damit ruft der
Fall die Spezialisten vom Vatikan auf den Plan... Man hat fast den Eindruck, dass heutzutage Exorzismus-Thriller nur
noch deshalb gemacht werden, um zu beweisen, wie grandios doch William Friedkins DER EXORZIST aus dem Jahre
1973 nach wie vor ist. Ein Film, der für dieses Horror-Sub-Genre Maßstäbe gesetzt hat und bis heute seinesgleichen
sucht. Mark Neveldines Film THE VATICAN TAPES wirkt daneben wie eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder und
es würde nicht wundern, wenn es sich hierbei um eine TV-Produktion handelt. Charakteristisches Zeichen dafür: die
Filmemacher trauen sich nichts! So dümpelt der Film leider die ganze Zeit seelenlos vor sich hin, so dass es einen fast
schon vor Langeweile gruselt. Und wer gedacht hat, dass es mit dem Abspann endlich aufhört, der wird sich wundern:
der dauert eine gefühlte Viertelstunde! “Zeit schinden” nennt man das in der Fachsprache. Was das Drehbuch angeht, so
stellt man sich irgendwann die Frage, warum sich denn gleich zwei Männer um das Wohlergehen der besessenen Frau
sorgen: ihr Vater und ihr Freund. Letztere macht eine derart gelangweilte Figur, dass es besser gewesen wäre ganz auf
ihn zu verzichten und damit Sand aus dem Getriebe zu nehmen. Die interessanteste Figur im grauenvollen Spiel ist
Kardinal Bruun, der Exorzist, den Peter Andersson als recht zwielichte Persönlichkeit darstellt. Handwerklich hat der
Film leider nichts Besonderes zu bieten. Nur die üblichen Gimmicks wie sich von alleine bewegende Betten oder
Bildstörungen in der Videoaufzeichnung als sicheres Indiz für Dämonenbefall. Und die üblichen Fehler:
Videoüberwachungssysteme zeichnen in der Regel nur das Bild, aber keinen Ton auf. Aber das fällt hier sowieso nicht
mehr weiter ins Gewicht. “Hört nicht auf falsche Propheten!” lautet am Ende die Botschaft des Films. Volle
Zustimmung – schaut Euch lieber nochmal Friedkins Meisterwerk an.
|
Donnerstag, 11. Juni 2015 Musikkarriere und Kriegsspiele Während ich im dunklen Kinosaal das erste Doppel der Woche goutierte, machte draußen in der Welt die Kune vom Tode Christopher Lees die Runde. RIP Graf Dracula! BECKS LETZTER SOMMER (1:2.35, 5.1) Verleih: Wild Bunch Land/Jahr: Deutschland 2015 Regie: Frieder Wittich Darsteller: Christian Ulmen, Nahuel Pérez Biscayart, Eugene Joel Boateng Kinostart: 23.07.2015
Der depressiv angehauchte Robert Beck arbeitet als Musiklehrer in Berlin. Als er eines Tages das musikalische Talent
des Klassenaußenseiters Rauli erkennt, fängt er wieder Feuer und erinnert sich an seine frühere Musikkarriere. Er will
dem Jungen zum Erfolg verhelfen. Gleichzeitig lernt er die hübsche Lara kennen und lieben und muss hin und wieder
auch seinem alten Musiker-Kumpel Charlie unter die Arme greifen. Doch das Glück hält nicht lange an und dunkle
Wolken ziehen am Horizont auf... In einen Film mit Christian Ulmen gehe zumindest ich immer mit sehr gemischten
Gefühlen. Denn allzu oft driften seine Figuren in das Klamottige ab. So war ich dieses Mal positiv überrascht. Denn die
Rolle des Lehrers Beck ist eine durchaus ernsthafte Rolle. Zwar immer wieder auch mal witzig, aber nie klamottig.
Gemäß den zwei Seiten einer Schallplatte (und davon hat Lehrer Beck eine ganze Menge!) ist der Film in Seite A und
Seite B eingeteilt. Seite A beginnt für die Beteiligten ziemlich verheissungsvoll, es herrscht Aufbruchstimmung,
Depressionen werden hinweggepustet. Doch gegen Ende der ersten Seite herrscht wieder blankes Chaos. Zeit für Seite
B, einem Road-Trip, auf dem Beck, Rauli und Charlie lernen, was wirklich im Leben zählt. Unterlegt wird der Film mit
einem oft ebenso fetzigen wie melancholischen Soundtrack, der vor allem in tontechnisch gut bestückten Kinos großen
Spaß bereitet.
LIEBE AUF DEN ERSTEN SCHLAG (1:1.85, 5.1) OT: Combattants Verleih: Tiberius Film (24 Bilder) Land/Jahr: Frankreich 2014 Regie: Thomas Cailley Darsteller: Adèle Haenel, Kévin Azaïs, Antoine Laurent Kinostart: 02.07.2015
Arnaud soll zusammen mit seinem Bruder in die Stapfen ihres verstorbenen Vaters treten und Gartenhäuser bauen. Als
er jedoch die auf knallhart machende Madeleine trifft, ist er von dem Mädchen so sehr fasziniert, dass er ihr folgt und
sich schließlich für ein Vorbereitungstraining für das Militär einschreibt. Im inszenierten Überlebenskampf kommen
sich die beiden schließlich näher... Die Negativpunkte gleich vorweg: sterile deutsche Synchronfassung und
nervtötender 80er-Jahre Synthi-Score. Damit lässt sich heute leider keine Medaille mehr gewinnen. Das aber ist umso
ärgerlicher, da die von Ablehnung in Liebe umschlagende Beziehung der beiden Protagonisten Adèle Haenel und Kévin
Azaïs sehr sympathisch dargestellt wird. Daher nur bedingt zu empfehlen.
|
Dienstag, 09. Juni 2015 Panahi inszeniert sich selbst Kinofilme auf persisch gibt es nicht allzu oft in der Pressevorführung zu sehen. Heute allerdings war es mal wieder soweit TAXI TEHERAN (1:1.85, 5.1) OT: Taxi Verleih: Weltkino Land/Jahr: Iran 2015 Regie: Jafar Panahi Darsteller: Jafar Panahi, Hana Saeidi Kinostart: 23.07.2015
Jafar Panahis gesellschaftskritische Komödie ist ein waschechter Guerilla-Film. Denn in seiner Heimat Iran wurde
gerade wegen seiner kritischen Betrachtungen über den renommierten Regisseur im Jahre 2010 ein 20jähriges
Berufsverbot verhängt. Das freilich hält Panahi nicht davon ab, weiter Filme zu drehen. So entstand TAXI TEHERAN
quasi im Untergrund, aufgenommen mit Mini-Kameras in einem Taxi, an dessen Steuer der Filmemacher
höchstpersönlich sitzt. Nach Fertigstellung wurde der Film außer Landes geschmuggelt und dieses Jahr im Wettbewerb
der Berliner Filmfestspiele aufgeführt, wo er auch sogleich den “Goldenen Bären” abräumte. In knapp 90 Minuten
steigen die unterschiedlichsten Menschen in sein Taxi: u.a. ein bekennender Straßenräuber, ein kleinwüchsiger
Raubkopierer, des Regisseurs kleine Nichte. In den Gesprächen, die sich während der Fahrt durch Teherans Straßen
entwickeln, erhält der Zuschauer einen tiefen Einblick in die politische Situation des Landes, wo beispielsweise
amerikanische Filme nur als Schmuggelware zu erhalten sind. Panahis vorlaute Nichte rezitiert die ziemlich bizarren
Regeln, die es zu beachten gilt, wenn man einen “zeigbaren” Film machen möchte. Auf diese Art und Weise führt uns
der Regisseur seine eigene Situation vor Augen. Aber ist der Film nun tatsächlich so gut, dass er den “Goldenen Bären”
verdient? Eigentlich nicht. Doch die Entscheidung dafür war natürlich politisch motiviert und sollte Signalwirkung gen
Iran haben. Und dazu kann man nur sagen: richtig so.
|
Montag, 08. Juni 2015 Dubiose Machenschaften Die Pressewoche wurde heute mit einem Genrefilm aus Deutschland eröffnet BOY7 (1:2.35, 5.1) Verleih: Koch Media (24 Bilder) Land/Jahr: Deutschland 2015 Regie: Özgür Yildirim Darsteller: David Kross, Emilia Schüle, Liv Lisa Fries Kinostart: 20.08.2015
Ohne Gedächtnis kommt Sam in einem U-Bahn-Tunnel wieder zu sich. Er weiß weder, wer er ist noch wie er hierher
kam. Was er allerdings ziemlich schnell merkt: er ist das Ziel einer Fahndung! Auf der Flucht vor seine Häschern findet
er ein Tagebuch – offenbar von ihm selbst verfasst! Darin beschreibt Sam, wie er dazu verurteilt wurde, mehrere
Wochen in einer Resozialisierungsanstalt zu verbringen. Schon bald bemerkt er, dass in dem hermetisch abgeriegelten
Anwesen seltsame Dinge vor sich gehen. Wurde sein Vorgänger etwa ermordet? Sam ist entschlossen gemeinsam mit
der ebenfalls inhaftierten Lara die ganze Geschichte aufzudecken. Damit aber schweben beide plötzlich in
Lebensgefahr... Eines muss man dem Film von Özgür Yildirim neidlos anerkennen: der Mann versteht zumindest in
technischer Hinsicht sein Handwerk. Die CinemaScope-Bilder in Schieflage, teils verzerrte Optik, ein treibender
Techno-Score und eine ausgefeilte Tonspur überzeugen. Das so etwas dazu noch aus Deutschland kommt macht
Hoffnung, dass es um den deutschen Genrefilm vielleicht gar nicht so schlecht steht wie oft angenommen. Leider aber
gibt es wie bei jeder Sache einen Haken: das Drehbuch! Keine Ahnung, ob es bereits an der Romanvorlage von Mirjam
Mous liegt oder erst beim Drehbuchschreiben entstanden ist: es werden zu betont übliche Klischees bedient. Klischees,
die das Zielpublikum für Thriller wie BOY7 eigentlich schon lange hinter sich gelassen haben, weil es mittlerweile
wesentlich Besseres gibt. Ungereimtheiten und Logikfehler sowie platte Charaktere zieren den ganzen Film. Wieder
einmal Operation gelungen, Patient tot. Schade.
|
Mittwoch, 03. Juni 2015 Das Leben als Geschenk Die letzte Pressevorführung in dieser Woche bescherte mir 100 köstliche Minuten ABOUT A GIRL (1:2.35, 5.1) Verleih: NFP (Tobis) Land/Jahr: Spielfilm, Deutschland 2014 Regie: Mark Monheim Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Heike Makatsch, Aurel Manthei Kinostart: 06.08.2015
Charleen ist anders. Nicht nur steht sie unbeweglich im strömenden Regen und hofft, dass himmlische Musik ihre
düsteren Gedanken stoppen würde, auch jobbt sie nebenbei als Praktikantin bei einem kauzigen Bestatter
(sagt sie beim Gehen “Bis morgen”, erwidert er “Weiß man’s?”). Schuld an allem ist ihr Vater, der die damals
Sechsjährige mit ihrer Mutter hat sitzen lassen. Jetzt, mit 15 ¾ Jahren, beschließt die Schülerin, ihrem Leben ein Ende
zu setzen. Einfach so. Um es mal auszuprobieren. Ein Handyanruf jedoch vereitelt ihren Suizidversuch. Fortan muss
Charleen zu einem Psychologen in Behandlung. Das passt dem rebellischen Mädchen ganz und gar nicht. Doch im
Wartezimmer trifft sie Linus, den Klassenstreber, den sie gar nicht leiden kann. Denkt sie zumindest... In seinem
Debütfilm wartet Regisseur Mark Monheim nicht nur mit frechen Dialogen und morbidem Humor auf, sondern auch mit
einem überzeugenden Cast, allen voran die sympathische Jasna Fritzi Bauer, die einmal mehr ihr großes Talent unter
Beweis stellt. Man könnte sogar sagen, dass sie mit der Rolle der Charleen ihre Figur aus EIN TICK ANDERS
fortführt. An Bauers Seite läuft u.a. Heike Makatsch in der Rolle der Mutter zu Hochform auf. Aber auch die anderen
Mitglieder der Patchwork-Familie erweisen sich als handverlesen. Simon Schwarz als Charleens Biologie-Lehrer und
neuer Freund ihrer Mutter mimt den etwas unterwürfigen Vegetarier, dessen Namen sich keiner merken kann. Aurel
Manthei schließlich in der Rolle von Charleens Vater, der seine Gefühle am besten musikalisch ausdrücken kann.
Punkten kann auch Sandro Lohmann als Charleens Klassenkamerad Linus, der sowohl etwas Nerdiges als auch etwas
Verletzliches in sich trägt. Inszenatorisch wartet der Film immer wieder mit Überraschungen auf, speziell dann, wenn er
das Publikum an Charleens morbiden Tagträumen teilhaben lässt. Denn schwarzer Humor macht das Leben einfach
erträglicher. “Das Leben ist ein Geschenk”, sagt die Oma einmal zu Charleen – eine Erkenntnis, die das
Teenager-Mädchen im Laufe des Films selber machen wird. Mit grandiosen Dialogen wie “Was würdest Du machen,
wenn das Leben unendlich wäre?” – “Gar nichts mehr.” wird der Film zu einem originellen Plädoyer für die Liebe und
das Leben, unterlegt mit sorgfältig ausgewählten Songs. Damit das Gefühl auch nicht zu kurz kommt. ABOUT A GIRL
macht Spaß und unterhält großartig.
|
Dienstag, 02. Juni 2015 Nazijagd im Paradies Das Alter schützt vor Dummheit nicht – ganz im Gegenteil. Der heutige Film macht es deutlich SENOR KAPLAN (1:2.35, 5.1) OT: Mr. Kaplan Verleih: Neue Visionen Land/Jahr: Uruguay, Spanien, Deutschland 2014 Regie: Álvaro Brechner Darsteller: Héctor Noguera, Néstor Guzzini, Rolf Becker Kinostart: 16.07.2015
Er ist schon 76 Jahre alt und hat noch immer keine Heldentat vollbracht: Jacob Kaplan führt gemeinsam mit seiner
Familie ein langweiliges Rentner-Dasein in einer jüdischen Gemeinde in Montevideo. Das die Zeiten nicht mehr besser
werden und die Welt wohl bald ohne ihn auskommen muss, ist Kaplan wohl bewusst. Als er erfährt, dass sich angeblich
ein alter Nazi am Strand von Uruguays herumtreibt, sieht er seine große Chance gekommen, vor seinem Abtreten die
Welt ein bisschen besser zu machen. Gemeinsam mit dem Ex-Polizisten Wilson, der sich gerade in einer schweren
Lebenskrise befindet, schmiedet er einen Plan, um den vermeintlichen Feind an Israel auszuliefern... Der deutsche
Nebentitel “Ein Rentner räumt auf” trägt hier etwas zu dick auf. Denn Álvaro Brechners Tragikomödie ist eigentlich ein
Film über das Älterwerden und weniger einer über einen Amok laufenden Rentner. Was die Komödie damit nicht
schlecht macht – ganz das Gegenteil ist der Fall. Getragen wird sie von einem wunderbaren Ensemble, in dem
insbesondere Héctor Noguera als Kaplan sowie Néstor Guzzini als treudoofer Wilson brillieren. Ihre Figuren wirken
nicht gekünstelt, sondern überaus sympathisch. Die beiden geben ein herrliches Duo im Stil von Don Quichotte und
Sancho Panza ab. Sinnbildlich zeigt eine Szene, in der Kaplan beim Augenarzt ist und mit einem Auge nur noch ganz
verschwommen Umrisse erkennen kann, dass mit fortschreitendem Alter auch die Wahrnehmung immer verzerrter wird.
So wird Kaplan am Ende des Films eine Überraschung erleben, mit der er nicht gerechnet hätte. Und er wird lernen,
dass er die Welt eigentlich schon seit langer Zeit ein bisschen besser gemacht hat.
|
Montag, 01. Juni 2015 Der Nährboden für Horror wird gedüngt Mit einem netten Horrorthriller starteten wir heute in den Juni. ICH SEH ICH SEH (1:2.35, 5.1) Verleih: Koch Media (Neue Visionen) Land/Jahr: Österreich 2014 Regie: Veronika Franz, Severin Fiala Darsteller: Susanne Wuest, Lukas Schwarz, Elias Schwarz Kinostart: 02.07.2015
Die Zwillingsbrüder Lukas und Elias genießen die Sommerferien mit Abenteuerspielen rund um die abgelegene
elterliche Luxusvilla. Die Unbeschwertheit ihrer Spiele wird jäh gestört, als ihre Mutter nach einem schweren Unfall mit
komplett bandagiertem Kopf aus dem Krankenhaus in die Villa zurückkehrt. Einen Vater gibt es nicht. Den Zwillingen
fällt es schwer, in der bandagierten und extrem strengen Frau ihre Mutter wiederzuerkennen. Ganz allmählich stellt sich
bei den beiden die Gewissheit ein, dass eine andere Frau jetzt die Kontrolle übernommen hat. Sie schmieden einen Plan,
mit dem sie der Unbekannten die Wahrheit entlocken wollen... Sphärische, Unheil verkündende Klänge liegen auf
der Tonspur, während Lukas und Elias in einem großen, hochgewachsenen Maisfeld spielen. Die Kamera folgt Elias oder
begleitet ihn parallel. Stille. Die Kamera nimmt Elias‘ Gesicht ins Visier und rückt ihm immer näher auf die Pelle. Da
platzt Lukas in die Szene. Eine Schrecksekunde, die gleich zu Beginn des Films die düstere, unheimliche Atmosphäre
heraufbeschwört, welche die folgenden 90 Minuten prägt. Dabei fängt der Film ganz kuschelig an: da ist ein Ausschnitt
aus einem alten Farbfilm zu sehen, in dem eine Mutter mit ihren Kindern gemeinsam das Abendlied “Guten Abend, gute
Nacht” vorträgt. Auch der Schluss des Films gibt sich wieder kuschelig: “Siehst Du wieviel Sternlein stehen...” wird
jetzt gesungen. Doch für das, was dazwischen passiert, bedarf es schon starker Nerven. Veronika Franz und Severin
Fiala inszenieren ihr menschliches Drama als waschechten Horrorfilm und bedienen sich dabei gekonnt gängiger Muster
– allerdings ohne diese jemals ins Langweilige abdriften zu lassen. Viel abgeschaut haben die beiden hierfür von ihrem
Landsmann Michael Haneke. So zeigt uns die Kamera manchmal atmosphärische Schnittbilder, während es auf der
Tonspur zur Sache geht. Nichts kann den Horror der eigenen Phantasie überbieten! Franz und Fiala machen auch nicht
den Fehler, den so viele ihrer amerikanischen Kollegen machen, die oft ganz unvermittelt zu Gewaltszenen übergehen,
sondern bereiten solche Szenen von langer Hand vor, führen ihr Publikum behutsam dort hin. Die Wirkung erweist sich
damit als wesentlich stärker – so stark sogar, dass man am liebsten die Augen schließen und die Ohren zuhalten möchte,
um dem Terror zu entfliehen. Zart Besaitete seien vorgewarnt: ICH SEH ICH SEH tut weh. Als besonders effektiv
erweist sich das Produktionsdesign dieses minimalistisch-intensiven Thrillers. Die Jalousien in der Luxusvilla sind
immer geschlossen, an den Wänden hängen übergroße, unscharfe Schattenbilder, die Mutter läuft mit bandagiertem
Kopf durch das Haus. Wohlfühlfaktor gleich Null. Perfekter Nährboden für den schleichend beginnenden
Familien-Horror. Der Filmtitel spielt laut Aussage des Regie-Duos übrigens auf das bekannte Kinderspiel “Ich sehe
etwas was Du nicht siehst” an und damit auf die unterschiedliche Sichtweise der Welt, die ein jeder hat. Mehr sei hier
jetzt aber nicht verraten. Alpträume garantiert.
|
Datenschutzerklärung All displayed Logos and Product Names may be ©, TM or ® by their respective rights holding companies. No infringement intended. |