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Freitag, 28. April 2017 Gemetzel im Gourmet-Tempel Großes Starkino bildete den Abschluss einer ereignisreichen Pressewoche THE DINNER (1:1.85, 5.1) OT: The Dinner Verleih: Tobis Land/Jahr: USA 2017 Regie: Oren Moverman Darsteller: Richard Gere, Laura Linney, Steve Coogan Kinostart: 08.06.2017
Ausgerechnet in einem Gourmet-Tempel soll die Aussprache zwischen den verfeindeten Brüdern Stan, einem
einflussreicher Abgeordneten, und Paul, einem Geschichtslehrer, im Beisein ihrer Frauen stattfinden. Grund dafür ist ein
furchtbares Verbrechen, das die minderjährigen Söhne der Brüder gemeinschaftlich begangen haben. Weil die beiden
jedoch noch nicht als Täter identifiziert wurden, will man während eines Mehr-Gänge-Menüs eine Schadensbegrenzung
aushandeln. Ein ungemütlicher Abend nimmt seinen Lauf... Mit der bereits dritten Verfilmung des Bestsellers
“Angerichtet” von Herman Koch fordert Regisseur Oren Moverman seine Zuschauer richtig heraus. Die
ungewöhnlichen Stilmittel, der fortwährende musikalische Klangteppich, die Rückblenden, die eingestreuten
Gourmet-Menüs sowie einer Exkursion zur Schlacht von Gettysburg sind bestens dazu geeignet, die Sinne zu verwirren.
Um was es eigentlich geht, lässt Moverman erst nach und nach aus dem Sack. Und genau dort liegt das Problem: das
Warten dauert zu lang! Inhaltlich reiht sich der Film in andere Filme wie DER GOTT DES GEMETZELS oder DER
VORNAME ein und gleicht damit am ehesten noch einem Theaterstück. Gute Darsteller, präzise Dialoge, aber alles in
allem etwas “Over the Top”.
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Donnerstag, 27. April 2017 Endlosschleife und Gartenarbeit Mit einem wunderbaren Gefühl bin ich heute aus dem Presse-Double-Feature getaumelt WENN DU STIRBST, ZIEHT DEIN GANZES LEBEN AN DIR VORBEI, SAGEN SIE (1:2.35, 5.1) OT: Before I Fall Verleih: Capelight (Wild Bunch) Land/Jahr: USA 2017 Regie: Ry Russo-Young Darsteller: Zoey Deutch, Halston Sage, Logan Miller Kinostart: 01.06.2017
Auf dem Heimweg von einer Highschool-Party geraten Sam und ihre drei Freundinnen in einen Autounfall, der für Sam
tödlich endet. Damit aber beginnt Sams Alptraum erst. Denn am nächsten Morgen wacht sie wieder in ihrem Bett auf, so
als wäre nichts geschehen. Und in der Tat: es ist tatsächlich noch nichts geschehen, denn Sam erlebt noch einmal
denselben Tag bis hin zum abendlichen Unfall – und das Tag für Tag... Lebe jeden Tag so, als wäre es Dein letzter. So
lautet die Quintessenz des von Ry Russo-Young inszenierten Films, dessen Grundidee natürlich schon durch Klassiker
wie UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER komödiantisch abgearbeitet wurde. Russo-Youngs Film ist als
Teenager-Drama mit dem Schwerpunkt Freundschaft, Liebe und Mobbing konzipiert und eher konventionell in Szene
gesetzt. Dem jugendlichen Alter ihrer Protagonistinnen ist es wohl geschuldet, dass hier ziemlich viel herumgezickt
wird. Dass die Regisseurin ein ebenso junges Publikum ansprechen möchte, beweist der Soundtrack, der immer wieder
Szenen mit aktuellen Songs dominiert. Wer die klassischen Vorbilder für diesen Film kennt, wird wohl eher enttäuscht
sein. Den Anderen könnte der Film durchaus gefallen.
DER WUNDERBARE GARTEN DER BELLA BROWN (1:2.35, 5.1) OT: This Beautiful Fantastic Verleih: NFP (Filmwelt) Land/Jahr: Großbritannien 2016 Regie: Simon Aboud Darsteller: Jessica Brown Findlay, Tom Wilkinson, Andrew Scott, Jeremy Irvine Kinostart: 15.06.2017
Ihr zwanghafter Ordnungsfimmel ist nur eines von vielen Problemen der Bella Brown. Eigentlich möchte sie
Kinderbücher schreiben, muss aber als Bibliothekarin arbeiten, um die Miete für ihr kleines Häuschen zahlen zu können.
Weil sie vor der Natur Angst hat, lässt sie ihren Garten verwildern. Das passt dem brummigen alten Nachbarn Alfie
ganz und gar nicht. Der ist ein solcher Menschenschinder, dass sein Koch das Handtuch wirft und kurzerhand seine
Dienste bei Bella antritt. Das passt dem alten Griesgram ganz und gar nicht, führt aber dazu, dass sich die Nachbarn
näher kommen. Als dann auch noch Bellas Vermieter damit droht ihr zu kündigen, falls nicht der Garten binnen eines
Monats auf Vordermann gebracht wird, geht es mit der Nachbarschaftshilfe erst richtig los... Welcher Film bei Simon
Abouds berührender Komödie Pate stand, lässt sich leicht erraten. Und nicht nur aufgrund der ziemlich ähnlichen
Musik. Abouds Film ist Englands Antwort auf Jean-Pierre Jeunets DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE! Wie
schon im französischen Vorbild bevölkern auch diesen Mikrokosmos fast ausschließlich Charaktere mit teils skurrilen
Defiziten. Und genau diese gilt es natürlich zu überwinden, um endlich ein erfülltes (und normales) Leben führen zu
können. Dabei dient der Garten als Sinnbild für diese Verwandlung: er mutiert vom verwilderten Gestrüpp zu einem
farbenprächtigen Kleinod. Mit Jessica Brown Findlay als Bibliothekarin mit überspitztem Ordnungsfimmel, Tom
Wilkinson als brummiger, aber weiser Nachbar, Andrew Scott als irischer Koch mit zwei Kindern und Heuschnupfen
sowie Jeremy Irvine als eine Art verklemmter Daniel Düsentrieb hat der Film eine wunderbare Besetzung aufzuweisen,
deren herrlichen Dialoge besonders im englischen Original eine wahre Freude sind. Meine persönliche Empfehlung:
schnappen Sie sich Ihren Liebsten oder Ihre Liebste und lassen Sie sich bei diesem Film gemeinsam verzaubern!
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Mittwoch, 26. April 2017 Ein Genosse hält Hof Den Anderen hat es gefallen, mir persönlich nicht – ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich mal wieder ein Meisterwerk verkenne IN ZEITEN DES ABNEHMENDEN LICHTS (1:2.35, 5.1) Verleih: X Verleih (Warner) Land/Jahr: Deutschland 2017 Regie: Matti Geschonneck Darsteller: Bruno Ganz, Hildegard Schmahl, Sylvester Groth, Genia Dodina, Natalia Belitski, Alexander Fehling, Gabriela Maria Schmeide, Angela Winkler, Stephan Grossmann, Sophie Pfennigstorf, Pit Bukowski, Sarina Radomski Kinostart: 01.06.2017
Ausgerechnet als der Großvater seinen 90. Geburtstag feiert, geht die Nachricht um, dass sich sein Enkel nach
Westdeutschland abgesetzt hat... Genosse Powileit hält Hof. Und das um ihn herum versammelte Figurenkabinett gleicht
mehr einer Freak-Show denn einem Haufen von Gratulanten. Bruno Ganz mimt den Alten, der zusammengesunken in
seinem Sessel sitzt, hin und wieder einschläft und alle genossenschaftlich duzt. So etwas hätte man durchaus auch für die
Theaterbühne inszenieren können, aber Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase hat aus dem Roman von Eugen Ruge einen
Film für die große Leinwand gemacht, der jetzt von Matti Geschonneck inszeniert wurde. Mit viel unterschwelligem
Witz und einer bis ins kleinste Detail stimmigen Ausstattung werden wir Zeuge, wie eine Mehrgenerationenfamilie in
den letzten Tagen der DDR selbst zerfällt.
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Dienstag, 25. April 2017 Der Tag der Legenden Ein begnadeter Musiker und ein großer Staatsmann waren Mittelpunkt des heutigen Presse-Doppels BORN TO BE BLUE (1:1.85, 5.1) OT: Born To Be Blue Verleih: Alamode (Filmagentinnen) Land/Jahr: Kanada, Großbritannien 2015 Regie: Robert Budreau Darsteller: Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie Kinostart: 08.06.2017
1966 wird Chet Baker von einem Filmregisseur als Junkie aus einem italienischen Gefängnis geholt, weil er einen Film
über den “James Dean des Jazz” oder den “King of Cool” drehen will. Die Afro-Amerikanerin Jane soll die Frau an
seiner Seite spielen – und ist auch privat nicht abgeneigt. Doch Chets Junkie-Vergangenheit holt ihn ein und kostet ihn
seine Vorderzähne. Damit scheint es vorbei mit einem Comeback. Doch mit Hilfe von Jane sowie eiserner
Selbstdisziplin sowie dem Einsatz von Methadon rappelt sich Chet ganz langsam wieder auf... Lange hat es gebraucht,
bis der schon 2015 veröffentlichte Film regulär in die deutschen Kinos kommt (im letzten Jahr wurde er immerhin auf
dem Filmfest München gezeigt). Doch das Warten hat sich gelohnt. Nicht nur wegen der Musik von Jazz-Legende Chet
Baker, sondern insbesondere wegen der starken Performance von Hauptdarsteller Ethan Hawke, der wirklich alles gibt,
um in seiner Rolle so authentisch wie möglich zu erscheinen. Aber auch die ihm zuspielenden Nebendarsteller
überzeugen in dem von Robert Budreau konventionell inszenierten Film. Allen voran die Britin Carmen Ejogo in der
Rolle von Bakers Freundin Jane. Wer sich für Jazzmusik interessiert, wahre Geschichten liebt und tolle Schauspieler bei
der Arbeit sehen möchte, dem sei BORN TO BE BLUE wärmstens empfohlen.
CHURCHILL (1:2.35, 5.1) OT: Churchill Verleih: SquareOne/Universum (DCM) Land/Jahr: Großbritannien 2017 Regie: Jonathan Teplitzky Darsteller: Brian Cox, Miranda Richardson, John Slattery Kinostart: 25.05.2017
England kurz vor dem D-Day, jenem schicksalhaften Tag, an dem die Alliierten in der Normandie landen werden, um
Frankreich von den Nazis zu befreien. Premierminister Winston Churchill will die Pläne zu Fall bringen, um Tausende
von jungen Soldaten vor dem sicheren Tod zu bewahren. Vergeblich versucht er, die Amerikaner und auch die eigenen
Leute davon zu überzeugen. Damit beginnen die schwersten Stunden seines Lebens... Der von Jonathan Teplitzky nach
wahren Begebenheiten in Szene gesetzte Film ist britisches Historienkino vom Feinsten, wie man es von Filmen wie
THE KING’S SPEECH kennt. Brian Cox übertrifft sich selbst in der Rolle des großen britischen Staatsmanns, der nicht nur
mit seinen inneren Dämonen, sondern auch um seine eigene Ehe kämpfen muss und liefert einen “Grumpy Old
Man”, den man so schnell nicht vergessen wird. Von David Higgs exzellent im Scope-Format eingefangen und von
Lorne Balfe mit einer imposanten Filmmusik ausgestattet, lässt der Film ein Stück Geschichte Revue passieren und
teilhaben an den schicksalhaften Entscheidungen, mit denen Staatsmänner in Kriegszeiten konfrontiert werden.
CHURCHILL ist spannendes und auch emotional überwältigendes Kino gleichermaßen.
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Montag, 24. April 2017 Das behaarte Mädchen und die Hebamme Ouvertüre zu einer (fast) randvollen Pressewoche, die am Wochenende auch noch nahtlos in die Fantasy Filmfest Nights übergeht. Au Backe! DAS LÖWENMÄDCHEN (1:2.35, 5.1) OT: Løvekvinnen Verleih: NFP Land/Jahr: Norwegen, Deutschland, Schweden 2016 Regie: Vibeke Idsøe Darsteller: Rolf Lassgård, Aurora Lindseth Løkka, Mathilde Thomine Storm Kinostart: 14.09.2017
In einer kalten Winternacht des Jahres 1912 bringt die Frau des Stationsmeisters Gustav Arctander eine Tochter zur
Welt. Die Frau stirbt, das Kind lebt. Doch Gustav ist verzweifelt: das kleine Wesen ist von Kopf bis Fuß total behaart!
Weil er sich ihrer schämt, beschließt der Vater, die Tochter von der Außenwelt abzuschotten... Der von Vibeke Idsoe
nach einem Roman von Erik Fosnes Hansen inszenierte Film ist ein Beitrag zum großen Thema “Inklusion”. Dargeboten
als großes Gefühlskino mit sinfonischer Filmmusik erzählt er die äußerst bewegende Geschichte eines Mädchens, das
nur äußerlich anders als alle anderen, im Inneren aber hochintelligent ist. Von einem Vater aufgezogen, der sich für ihr
Äußeres schämt und sie deshalb von der Außenwelt abriegelt, muss Eva ihren ganzen Mut aufbringen, um der Enge
ihres Lebens schließlich zu entfliehen und ihren eigenen Weg zu gehen. Seelenverwandt mit David Lynchs DER
ELEFANTENMENSCH, zeigt Idsoes Film die vielen Demütigungen, die ein Mensch erfahren muss, wenn er äußerlich
nicht in die Norm passt. Auch wenn der Film am Anfang des 20. Jahrhunderts spielt, hat sich daran auch heute noch
kaum etwas geändert. Wer Lust auf einen schönen Kinoabend zu zweit hat, sollte diesen Film allerdings meiden. Denn
die anhaltend depressive Grundstimmung drückt schwer aufs Gemüt.
EIN KUSS VON BEATRICE (1:1.85, 5.1) OT: Sage Femme Verleih: Universum Film Land/Jahr: Frankreich 2017 Regie: Martin Provost Darsteller: Catherine Deneuve, Catherine Frot, Olivier Gourmet Kinostart: 08.06.2017
Claire ist eine Hebamme vom alten Schlag. Als alleinerziehende Mutter wehrt sie sich vehement gegen die geplante
“Baby-Fabrik”, die ihre bisherige Entbindungsstation obsolet machen wird. Aus heiterem Himmel erhält sie einen Anruf
von Beatrice, der ehemaligen Geliebten ihres Vaters. Sie trifft sich mit ihr und erfährt, dass Beatrice an einem Hirntumor
leidet und vor ihrem Ableben noch ihre Angelegenheiten regeln möchte. Doch die Lebedame kommt zu spät: Claires
Vater ist schon lange tot. Suizid. Damit ist eigentlich für Claire die Begegnung mit Beatrice abgehakt. Die aber lässt
nicht locker, hat sie doch sonst niemand mehr, der ihr beistehen kann... Ein irgendwo zwischen Sozialdrama und
Komödie angesiedelter Film, der insbesondere von seinen grandiosen Hauptdarstellerinnen lebt. Catherine Deneuve gibt
sich als kleine spielsüchtige Furie, die dem Alkohol frönt und auch sonst nichts im Leben verpassen möchte. Catherine
Frot ist ihr Gegenpol – sozial engagiert, Vegetarierin und nicht nur dem Alkohol, sondern auch allen anderen kleinen
Freuden im Leben entsagend. Die sich langsam entwickelnde Freundschaft zwischen den beiden altersmäßig weit
auseinander liegenden Frauen wird am Ende des Films ihre Spuren hinterlassen – im positiven Sinn. Allerdings ist der
Film mit einer Spielzeit von knapp zwei Stunden etwas zu lang geraten.
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Freitag, 21. April 2017 Sie wollen einen Mord vertuschen Wo fünf Frauen sind fallen auch Späne oder so ähnlich... 5 FRAUEN (1:2.35, 5.1) Verleih: Weltkino Land/Jahr: Deutschland, Frankreich 2016 Regie: Olaf Kraemer Darsteller: Anna König, Julia Dietze, Odine Johne, Kaya Möller, Stefano Cassetti, Mickey Hardt Kinostart: 04.05.2017
Einmal im Jahr treffen sich Anna, Ginette, Nora und Steffi bei Marie und verleben ein unbeschwertes Wochenende im
südfranzösischen Landhaus von Maries Eltern. Doch dieses Mal kommt alles anders: ein Fremder taucht eines nachts
plötzlich im Haus auf – und wird in voller Panik von den Hübschen umgebracht. Als sich die Mädels gerade darauf
geeinigt haben, den Mord zu vertuschen, taucht ein zweiter Fremder auf: Marek behauptet, seinen stummen Bruder zu
suchen. Der wollte nämlich in der Nacht Hilfe holen, weil die beiden mit ihrem Auto eine Panne hatten. Damit wird die
Freundschaft der Frauen plötzlich auf eine harte Probe gestellt. Sind Frauen tatsächlich so? Diese Frage drängte sich mir
während des Films immer wieder auf. Und gerade als ich für mich beschlossen hatte, diese Frage mit “Nein” zu
beantworten, machte mir das Drehbuch einen Strich durch die Rechnung: bei den fünf Freundinnen handele es sich um
Frauen, die sich damals in der Bastelgruppe für verhaltensauffällige Mädchen kennenlernten. So erzählt es zumindest
Marie dem männlichen Überraschungsgast. Damit also soll so etwas wie Plausibilität der Geschichte eingehaucht
werden. Echt jetzt? Ganz so einfach sollte man sich das nicht machen. Schließlich sind die vor langer Zeit als
verhaltensauffällig therapierten Girls zu erfolgreichen Frauen gereift. Dass sie jetzt wieder in die alten Rollen
zurückfallen, erscheint mir doch relativ unwahrscheinlich. Aber das ist nicht die einzige Ungereimtheit in Olaf Kraemers
Film. Wie schnell beispielsweise Anna die mitten in der Nacht eilends herbeigerufene Polizei wieder los wird, ist
ziemlich absurd. Und dass Steffi direkt nach ihrer Ankunft Sex mit dem ihr vollkommen unbekannten Marek hat, könnte
fast schon einem Porno entsprungen sein. Was das Drehbuch an Schwächen offenbart, machen dafür die
Hauptdarstellerinnen etwas wett. Die unterschiedlichen Charaktere der fünf Schönen werden vom Ensemble
überzeugend porträtiert. Überzeugend auch die Kameraarbeit von Clemens Baumeister, der sich nicht nur darauf
versteht, die südfranzösische Landschaft in ausladendes CinemaScope zu kadrieren, sondern auch einen geschulten
Blick für kleinste Details beweist. Erwähnenswert auch die Filmmusik von Philipp Fabian Kölmel, der seinen Score am
Film Noir orientiert und gelegentlich sogar eine Chorstimme einsetzt. Alles in allem wieder ein Film, bei dem leider die
technischen Werte die inhaltlichen dominieren. Bei Kraemers nächstem Film wird das ganz bestimmt besser.
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Donnerstag, 20. April 2017 Das Leben ist eine Reise Die einzige Pressevorführung dieser Woche bescherte mir heute einen wundervollen Dokumentarfilm DIE FARBE DER SEHNSUCHT (1:2.35, 5.1) Verleih: Piffl Land/Jahr: Deutschland 2016 Regie: Thomas Riedelsheimer Kinostart: 01.06.2017
“Das Ziel ist der Ort, von dem wir losgehen”, sagt die Stimme aus dem Off am Ende des Films. Eines Films, in dem es
um Sehnsüchte geht. Die Sehnsucht Mensch zu sein, die Sehnsucht eins zu sein mit der Natur, die Sehnsucht nach Liebe,
Anerkennung, Heimat. Sehnsucht ist es, was einen Menschen durch das Leben treiben lässt. Layla aus Doha, Katar,
sehnt sich danach, endlich den Schleier fallen lassen zu dürfen, sich ein Schmetterlingstattoo auf ihr Hinterteil stechen
zu lassen und mit ihren Kindern Fahrrad fahren zu können. Als muslimische Frau mitten in einer grotesken Welt
zwischen Wolkenkratzern, Shopping Malls und Wüstensand sind ihr all diese Dinge jedoch verwehrt. In die
Geschichten, die sie schreibt, legt sie ihre ganzen Sehnsüchte. Layla gehört zu den acht Protagonisten in Thomas
Riedelsheimers Dokumentarfilm, der von Portugal über Deutschland bis nach Japan und Mexiko reicht und Menschen
unterschiedlichster Couleur samt ihren Sehnsüchten und Wünschen porträtiert. In wundervoll arrangierten
CinemaScope-Bildern (vom Regisseur selbst eingefangen) lässt er den Zuschauer ganz nah an seine Protagonisten
kommen und zeigt, dass selbst in japanischen Slums so etwas wie Sehnsüchte existieren. Genau dort, in Osaka, stellt er
eine Dichterin vor, die Obdachlosen durch ihre Poesie eine Stimme gibt. Oder jene Afrikanerin in Lissabon, die sich
nach ihrer Heimat und ihren Kindern auf den Kapverden sehnt, aber schon seit über 20 Jahren in Portugal lebt. Beim
gemeinsamen Tanzen und Singen mit ihren schwarzen Brüdern und Schwestern stillt sie ihre Sehnsucht. Aber dann ist
da auch noch die Sehnsucht nach dem Tod, die sich an einer Steilklippe in Japan manifestiert und mit der sogar ein
junger Musiker aus München (der auch gleichzeitig die stimmungsvolle Musik für diesen Film beisteuerte!), der als
sensibler Mensch mit dem Freitod seines Schulfreundes zurecht kommen muss. Riedelsheimers Film nimmt den
Zuschauer mit auf eine ungewöhnliche Reise und liefert viele Impulse, sich mit dem eigenen Leben und seinen
Wünschen und Sehnsüchten auseinanderzusetzen.
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Montag, 10. April 2017 Eine punkige Musikrevue Die letzte Pressevorführung für die kommenden zwei Wochen versorgte uns einmal mehr mit einer Dokumentation GIMME DANGER (1:1.85, 5.1) OT: Gimme Danger – Long Live The Stooges Verleih: Studiocanal Land/Jahr: USA 2016 Regie: Jim Jarmusch Darsteller: Iggy Pop, The Stooges Kinostart: 27.04.2017
Anhand von umfangreichem Archivmaterial sowie aktuellen Interviews mir den noch lebenden Mitgliedern der
legendären Punk-Band “The Stooges”, zeichnet Regisseur Jim Jarmusch nicht nur ein detailliertes Porträt dieser Band,
sondern gleichzeitig auch einen Rückblick auf die Rockmusikszene jener Zeit. Die Geschichten, die James Osterberg
alias Iggy Pop hier zum Besten gibt, sind teilweise so witzig, dass man vom Zuhören einfach nicht genug kriegen kann.
Die vielen Geschichten werden visuell oft in Animationen umgesetzt oder mit historischem Filmmaterial, das vorzüglich
dazu passt, präsentiert. Etwas vernachlässigt wird dabei allerdings die Musik, die meist nur mit kurzen
Konzertausschnitten gezeigt wird. Trotzdem empfiehlt sich der Film nicht nur für Fans der “Stooges”, sondern für alle,
die schon immer mal wissen wollten, was in den 1970er Jahren musikalisch abging.
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Freitag, 07. April 2017 Sie schwimmen in Liebe Der Mikrokosmos eines Schwimmbades war der Ausgangspunkt für eine bezaubernde Liebesgeschichte, die uns als Abschluss einer kargen Pressewoche kredenzt wurde DER EFFEKT DES WASSERS (1:1.85, 5.1) OT: L'Effet Aquatique Verleih: Arsenal Land/Jahr: Frankreich, Island 2016 Regie: Solveig Anspach Darsteller: Samir Guesmi, Florence Loiret-Caille, Didda Jónsdóttir Kinostart: 25.05.2017
In einem Vorort von Paris verliebt sich der Kranführer Samir in die Schwimmlehrerin Agathe, die im örtlichen
Hallenbad arbeitet. Obwohl er schwimmen kann, gibt er sich als Nichtschwimmer aus, um ungestört mit Agathe
anbandeln zu können... DER EFFEKT DES WASSERS ist eine bezaubernde Liebesgeschichte mit herrlich skurrilen
Charakteren und Situationen und ein Beweis dafür, dass ansprechende Unterhaltung auch mit weniger als 90 Minuten
Spielzeit (hier sind es genau 83) realisiert werden kann. Die Bilder von Kamerafrau Isabelle Razavet sind mit viel Liebe
für Details eingefangen und die sparsam eingesetzte Filmmusik lockt den Zuschauer mit viel Sympathie in die
Geschichte. Der männliche Protagonist, Samir Guesmi, könnte die französische Ausgabe eines Adam Sandler sein.
Optisch zumindest. Mit seinem sehr zurückhaltenden, oft unsicher und gehemmt wirkendem Spiel füllt er die Rolle des
Samir perfekt aus. Florence Loiret Caille gibt der Rolle der Agathe gleichzeitig etwas Weiches und Zerbrechliches, aber
auch etwas Forsches. Die Zerrissenheit zwischen Verlangen und Loslassen spiegelt sich hervorragend in ihrer
Darstellung. Die beiden Darsteller harmonieren wunderbar zusammen – auch wenn ihre Rollen das anfangs noch gar
nicht wahrhaben wollen. Regisseurin Solveig Anspach, Jahrgang 1960, starb am 7. August 2015 noch vor Fertigstellung
ihres Films. Der Film wurde gemeinsam von Cutterin Anne Riegel, Autor Jean-Luc Gaget, Komponist Martin Wheeler,
Tonmann Jean Mallet und Produzent Patrick Sobelman vollendet. Der Film empfiehlt sich als Geheimtipp jenseits des
Mainstreams.
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Donnerstag, 06. April 2017 Wo Lehrer Schüler sind Ein interessanter Dokumentarfilm führte mich heute gleich an drei Schulen ZWISCHEN DEN STÜHLEN (1:2.00, 5.1) Verleih: Weltkino Land/Jahr: Deutschland 2016 Regie: Jakob Schmidt Kinostart: 18.05.2017
Die meisten von uns kennen nur zwei Rollen: entweder ist man Schüler oder man ist Lehrer. Doch es gibt da noch eine
dritte Spezies, einen echten Zwitter, der zwischen den Stühlen sitzt: der Referendar. Diesen Zwitter nimmt Regisseur
Jakob Schmidt in seinem Dokumentarfilm genauer unter die Lupe. Anhand von zwei Referendarinnen und einem
Referendar vermittelt er deren knallharten Alltag zum Greifen nah. Er beobachtet seine drei Protagonisten vom Beginn
ihrer Referendarzeit bis hin zur finalen Prüfung. Schnell wird klar, dass Studium und Schulalltag zwei vollkommen
verschiedene Welten sind. Da werden schon mal Illusionen zerstört, die man sich während des Studiums davon macht,
wie schön es sein muss, Kindern etwas beizubringen. Denn Fachwissen und pädagogische Fähigkeiten sind zweierlei
Dinge – und ein Lehrer muss beide beherrschen. Immer wieder lässt Schmidt seine Protagonisten vor der Kamera über
sich selbst reflektieren. Selbstzweifel kommen auf: kann ich das? Schaffe ich das? Eine der beiden Frauen erwägt gar
eine Zusatzausbildung als Schauspieler, um ihre nicht vorhandene Präsenz im Klassenzimmer zu eliminieren.
ZWISCHEN DEN STÜHLEN ist ein Film, den sich vor allem diejenigen anschauen sollten, die mit dem Gedanken
spielen, Lehrer zu werden. So manchen dürfte die wilde Schülermeute abschrecken, andere hingegen könnten das
durchaus als eine Herausforderung sehen. Der ansonsten gut fotografierte und montierte Film leidet leider an einem oft
unzulänglichen Ton, bei dem viele der Dialoge durch Umgebungsgeräusche unterdrückt werden. Vermutlich wurde bei
den Filmaufnahmen oft nur mit einem einzigen Mikrofon gearbeitet.
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Dienstag, 04. April 2017 Der radikale Künstler Heute stand mal wieder ein Künstlerporträt auf meinem Stundenplan BEUYS (1:1.78, 5.1) Verleih: Piffl Land/Jahr: Deutschland 2017 Regie: Andres Veiel Kinostart: 18.05.2017
Mit einer schier unerschöpflichen Fülle von Archivmaterial sowie aktuellen Interviews einiger Wegbegleiter des 1986
verstorbenen Ausnahmekünstlers versucht sich Filmemacher Andres Veiel an einem Porträt von Joseph Beuys, wobei
insbesondere der politische Aspekt seines Wirkens in den Fokus gerückt wird. Filmmaterial, Tonaufnahmen und
Fotografien werden in Form von aufwändigen Collagen multimedial aufbereitet und erinnern so an die schillernde
Persönlichkeit, die Beuys zu Lebzeiten war. Für Kunstbeflissene ein Pflichtkinobesuch.
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Montag, 03. April 2017 Verflossene Liebe Ein Schriftsteller zwischen zwei Frauen und das Reboot der Verfilmung eines bekannten Jugendbuches standen zum Wochenbeginn auf meiner “To Watch”-Liste RÜCKKEHR NACH MONTAUK (1:2.35, DD 5.1) OT: Return To Montauk Verleih: Wild Bunch (Central) Land/Jahr: Deutschland, Frankreich, Iralnd 2017 Regie: Volker Schlöndorff Darsteller: Stellan Skarsgård, Nina Hoss, Susanne Wolff, Isi Laborde, Niels Arestrup Kinostart: 11.05.2017
Um seinen neuesten Roman zu promoten, reist der angesehene deutsche Schriftsteller Max Zorn nach New York. Dort
erwartet ihn bereits seine jüngere Lebensgefährtin, die seine Lesereise voll unterstützt. Doch Max ist auch noch aus
einem anderen, sehr privaten Grund nach New York gekommen: er will seine große Liebe Rebecca wiedersehen, die es
dort inzwischen zu einer hochdotierten Anwältin gebracht hat. Heimlich trifft er sich mit ihr und die beiden fahren nach
Montauk am Ende von Long Island, jenem Ort, der für ihre Liebe einst so viel bedeutete... Volker Schlöndorffs neuester
Film versteht sich nicht etwa als eine Verfilmung von Max Frischs autobiographischer Novelle “Montauk”, sondern
entstand nach einem Original-Drehbuch von Colm Toibin und ist als eine Hommage an den großen Schweizer
Schriftsteller gedacht. Mit einem wunderbaren Ensemble erzählt der Film von der verlorenen Liebe eines Schriftstellers,
die unverhofft wieder kurz aufzuflammen scheint, sich aber dennoch nicht erfüllt. Zu viele Jahre sind vergangen und
Max‘ große Liebe Rebecca hat sich längst weiterentwickelt, auch wenn beide es zunächst nicht wahrhaben wollen. Die
interessante filmmusikalische Ausgestaltung stützt sich auf einige Stücke von Max Richter sowie einem Score von
Thomas Bartlett. Leider geht in der deutschen Synchronfassung die Mehrsprachigkeit des Originals verloren. Trotzdem
empfiehlt sich der Film für eine gereifte Generation von Kinogängern, die im Laufe ihre Lebens möglicherweise sogar
ähnliche Erfahrungen sammeln durften.
HANNI & NANNI: MEHR ALS BESTE FREUNDE (1:2.35, 5.1) Verleih: Universal Land/Jahr: Deutschland 2017 Regie: Isabell Suba Darsteller: Laila Meinecke, Rosa Meinecke, Jessica Schwarz, Maria Schrader, Katharina Thalbach, Julia Koschitz, Henry Hübchen Kinostart: 25.05.2017
Weil ihre Eltern dringend eine Auszeit benötigen, müssen die Zwillinge Hanni und Nanni zur Probezeit in das Internat
Lindenhof. Die beiden beschließen, mit allerhand Streichen dafür zu sorgen, dass sie die Probezeit nicht bestehen, um so
schnell wieder nach Hause gehen zu dürfen. Als jedoch Nanni unter den Mitschülerinnen neue Freundinnen findet, die
ihre Leidenschaft für Pferde teilen, möchte sie eigentlich im Internat bleiben. Dadurch wird das Verhältnis der beiden
Schwestern jedoch auf eine harte Probe gestellt... In optisch ambitionierter Weise (Kamera: Sonja Rom) verpackt
Regisseurin Isabell Suba dieses Reboot nach der bekannten Vorlage von Enid Blyton, das sich ausschließlich an junge
Mädchen richtet. Jungs gibt es hier nicht zu sehen, denn dafür sind sowohl die Film-Mädchen als auch die Zielgruppe
einfach noch nicht reif genug. Aber welches Mädchen braucht auch schon Jungs, wenn genügend Pferde im Stall stehen!
Anders als in der unsäglichen Verfilmung aus dem Jahre 2010 verkommen hier zumindest die Erwachsenen nicht
komplett zur Karikatur. Wie schon in der früheren Verfilmung wird auch in Subas Film die Zwillingsproblematik
aufgegriffen: die Eine dominiert über die Andere, als die Andere aus diesem Konstrukt ausbricht, kommt es zum Bruch.
Freilich darf man bei einem solchen Film auf ein Happy End hoffen. Immer wieder gibt es Gesangs- und Tanzeinlagen
in Videoclip-Ästhetik, die die jungen Zuschauerinnen ganz bestimmt zum Mitmachen animieren werden. Fazit:
geglücktes Reboot mit sympathischen Kinderdarstellern. Hinweis in eigener Sache: diese Kurzrezension kann leider
noch nicht als endgültig betrachtet werden, da uns in der heutigen Pressevorführung eine in Musik und Ton noch nicht
fertige Fassung gezeigt wurde.
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