Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Freitag, 30. November 2018
Ostwind schlägt zurück!
Die letzte Pressevorführung der Woche wurde uns leider in einer in Bild und Ton nicht finalen Fassung gezeigt

IMMENHOF – DAS ABENTEUER EINES SOMMERS (1:2.35, 5.1)
Verleih: Concorde
Land/Jahr: Deutschland, Belgien 2019
Regie: Sharon von Wietersheim
Darsteller: Leia Holtwick, Laura Berlin, Heiner Lauterbach
Kinostart: 17.01.2019

Seit dem Tod ihres Vaters bewirtschaften die 23jährige Charly und ihre beiden jüngeren Schwestern gemeinsam den Immenhof, wo sie sich vornehmlich um kranke Pferde kümmern. Doch der Hof ist pleite und so ist guter Rat teuer. Dazu macht Nachbar Jochen Mallinckroth den Mädchen die Hölle heiss, behauptet er doch, dass Lou daran Schuld trägt, dass sein Rennpferd Cagliostro zickt. Und seit der YouTuber Leon auf dem Hof Sozialstunden absolviert, weiß die arme Lou gar nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Da fasst das junge Mädchen einen folgenschweren Entschluss... Ostwind schlägt zurück! Nur dass Ostwind in diesem Film Cagliostro heisst. Doch die Rezeptur, nach dem der Film gebacken ist, ist genau dieselbe. Sharon von Wietersheim nimmt junge Mädchen bis maximal 12 Jahre ins Visier und präsentiert ihnen ein (fast) heiles Pferdeidyll. Denn – so weiß die Zielgruppe schon lange – das wahre Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Da wird auch nicht lange hinterfragt, wovon die drei jungen Schwestern eigentlich leben, bewirtschaften sie doch ein immens großes Anwesen samt riesigem Haus und ausladenden Stallungen. Doch die Filmemacherin hat gut erkannt, dass ihre Zielgruppe davon nichts wissen möchte. Hier zählt einzig, dass die Schwestern in perfekter Harmonie und mit sorgebedürftigen Pferden leben. Böse ist da nur der Nachbar, der alles an sich reißen möchte. Für die etwas älteren Zuschauerinnen wird dann noch ein sympathischer YouTuber als Lous “Love Interest” ins Rennen geschickt und schon dreht sich die Welt gleich viel schöner. Bei den Kiddies dürfte das Konzept voll aufgehen. Wirklich negativ fällt allerdings der Schnitt auf – da passt es nicht immer so richtig und so manche “Fülleinstellung” geht daneben. Ob dies der in Bild und Ton nicht finalen Fassung geschuldet ist, die uns in der heutigen Pressevorführung vorgesetzt wurde, lässt sich schwer sagen. Wie kann man ein Produkt beurteilen, das noch nicht gar ist? Selbst die Filmmusik in der heutigen Fassung dürfte noch nicht diejenige sein, die der zahlende Kinozuschauer zu hören bekommt. Und die letzte Einstellung im Film wirkte recht unbeholfen und legt den Verdacht nahe, dass sich auch dies in der finalen Version noch ändern wird. Insofern darf diese Kurzrezension eigentlich nur als vorläufig angesehen werden.
Donnerstag, 29. November 2018
Sein Vater prügelt ihn zum Ballettunterricht
Gemischtes Doppel am Donnerstag: Tanzeinlagen und Taschntuchoffensive

YULI (1:2.35, 5.1)
OT: Yuli
Verleih: Piffl
Land/Jahr: Spanien, Großbritannien, Kuba, Frankreich 2018
Regie: Icíar Bollaín
Darsteller: Carlos Acosta, Santiago Alfonso, Keyvin Martinez
Kinostart: 17.01.2019

Der kleine Carlos ist ein aufgeweckter Junge, der in ärmlichen Verhältnissen in Kuba aufwächst. Schon bald erkennt sein harter Vater das Talent seines Sohnes und zwingt ihn zum Ballettunterricht. Widerwillig lässt sich Carlos darauf ein, nutzt aber jede Gelegenheit auszubüxen. Die Beharrlichkeit seines strengen Vaters jedoch macht sich bezahlt: Carlos avanciert zum besten Tänzer seiner Schule und erhält ein Angebot vom “Royal Ballet” in London. Doch ein folgenschwerer Unfall sowie der Suizidversuch seiner Schwester treiben ihn wieder nach Hause... Sein Vater hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes in den Ballettunterricht geprügelt! In einer der starken Szenen des Films wird dieses fast schon traumatische Erlebnis des jungen Carlos Acosta tänzerisch dargestellt. Dabei schlüpft der erwachsene Carlos in die Rolle seines Vaters, während ein Kollege den Part des jungen Carlos übernimmt. Immer wieder verschmilzt Regisseurin Iciar Bollain Szenen aus dem Leben des Tänzers kunstvoll mittels Parallelmontagen mit Choreographien von Maria Rovira und hebt damit den dramatischen und erschütternden Werdegangs Acostas in künstlerische Sphären. Sie wird damit der Geschichte des Tänzers, der nie tanzen wollte, mehr als gerecht. Mal ist auf der Tonspur dazu kubanisch angehauchter Jazz zu hören, ein anderes Mal klassische Ballettmusik. Carlos Acosta war der erste Farbige, der im königlich britischen Ballett die Rolle des Romeo in “Romeo und Julia” tanzen durfte. Ob er es wollte oder nicht, hat er damit den größten Wunsch seines Vaters erfüllt. Eines Vaters, dessen Vater noch als Sklave auf einer Plantage in Kuba schuften musste – ein Schicksal, das Carlos‘ Vater für alle Zeit prägte und ihn für das Leben abhärtete. Bollains Biopic ist vor allem deswegen ungewöhnlich, weil die Hauptperson vom echten Carlos Acosta gespielt und natürlich auch getanzt wird.

GLÜCK IST WAS FÜR WEICHEIER (1:2.35, 5.1)
Verleih: Concorde
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Anca Miruna Lazarescu
Darsteller: Ella Frey, Christian Friedel, Martin Wuttke, Emilia Bernsdorf
Kinostart: 07.02.2019

Jessica ist 12 Jahre alt und wird aufgrund ihrer burschikosen Erscheinung in der Schule als “Neutrum” gemobbt. Nicht nur, dass zuhause ihre Schwester an einer unheilbaren Krankheit ganz allmählich zugrunde geht und ihre Mutter vor ein paar Jahren durch einen Unfall starb, oder ihr Vater, der ehrenamtlich Sterbebegleitung macht, jetzt hat sich Jessica auch noch unsterblich in einen Mitschüler verliebt, der sie nicht einmal wahrnimmt... Das Drehbuch von Silvia Wolkan mutet dem Zuschauer schon Einiges zu. Da geht es ständig um den Tod und wie man damit umgehen muss und es geht um das Loslassen. Anca Miruna Lazarescu hat diese Tragikomödie inszeniert, die den geneigten Zuschauer ohne Unterlass mit Problemen bombardiert: Zwangsneurosen, die erste Liebe, unerwiderte Liebe, Mobbing, das Anderssein und und und. Wenn Glück was für Weicheier ist, dann ist dieser Film nichts für einen gemütlichen Kinoabend. Zumindest die Papiertaschentuchhersteller dürften sich freuen. Was positiv im Film auffällt ist die Hauptdarstellerin. Die 14jährige Ella Frey absolviert eine sehr überzeugende Performance als Außenseiterin Jessica.
Dienstag, 27. November 2018
Ein Junge klagt seine Eltern an
Nach einem solch heftigen Film wie heute ist es gut, dass es morgen keine Pressevorführung gibt

CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG (1:2.35, 5.1)
OT: Capharnaüm
Verleih: Alamode (Central)
Land/Jahr: Libanon, USA 2018
Regie: Nadine Labaki
Darsteller: Zain Al Rafeea, Yordanos Shiferaw, Boluwatife Treasure Bankole
Kinostart: 17.01.2019

Die Stadt Capernaum im Libanon. Schmelztiegel der Flüchtlingsströme aus vielen Ländern. Wer hier keine Papiere hat, lebt in bitterster Armut oder sitzt im Gefängnis wie der 12jährige Zain. Angeblich soll er einen Geschäftsmann mit einem Messer attackiert haben. Doch jetzt steht der Verurteilte selbst als Ankläger vor Gericht: Zain verklagt seine Eltern, weil sie ihn in diese dunkle Welt gesetzt haben. Dies ist seine Geschichte... Nadine Labakis erschütternder Film ist zugleich Flüchtlingsdrama sowie Appell für einen “Elternführerschein”. Die Geschichte des 12jährigen Zain, der sich nicht nur um seine Geschwister kümmern muss, sondern auch noch um das Kleinkind einer illegal eingereisten Schwarzen, geht unter die Haut und ist aufgrund der extrem hohen Authentizität fast unerträglich. Es ist so, als würde man einen Dokumentarfilm anschauen, bei dem man am liebsten ständig Wegschauen möchte. Was der kleine Zain Al Rafeea hier in der Rille des Zain absolviert, ist geradezu ein Meisterstück. Labakis Film ist kein Wohlfühlkino, sondern einer, der aufrütteln will und dessen Bilder sich ins Gedächtnis brennen werden. Wer dafür bereit ist, sollte den Gang ins Kino wagen.
Montag, 26. November 2018
Vertreibung aus dem Paradies
Mit angezogener Handbremse ging es heute in die neue Pressewoche

ADAM & EVELYN (1:1.85, 5.1)
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Andreas Goldstein
Darsteller: Florian Teichtmeister, Anne Kanis, Lena Lauzemis
Kinostart: 10.01.2019

Die DDR im Jahr der Wende. Damenschneider Lutz, von allen immer nur Adam genannt, ist auch sonst nicht weiblichen Reizen abgeneigt. Seiner Lebensgefährtin Evelyn passt das natürlich nicht. Also beschließt sie, mit ihrer Freundin und deren Lover Urlaub in Ungarn zu machen. Natürlich reist ihr Adam nach. Im Urlaubsort erfahren sie schließlich, dass die Grenze nach Österreich geöffnet wurde... Die Vertreibung aus dem Paradies – mal auf eine ganz andere Art und Weise interpretiert. Das hat schon was. Allerdings ist die filmische Umsetzung nicht sonderlich gut gelungen. Vollkommen emotionslos und mit langweiligen, nahezu statischen Bildern vermag der Film leider alles andere als zu fesseln. Da ist es sehr verführerisch, einfach mal die Augen zu schließen und den Film an sich vorbeiziehen zu lassen. Dafür aber sollte einem letztendlich die Zeit doch zu schade sein.
Freitag, 23. November 2018
Lisbeth Salander 2.0
Ein Pressetermin und ein Nachsitztermin rundeten meine Filmwoche ab

BEAUTIFUL BOY (1:1.85, 5.1)
OT: Beautiful Boy
Verleih: NFP (Filmwelt)
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Felix van Groeningen
Darsteller: Timothée Chalamet, Steve Carell, Maura Tierney
Kinostart: 24.01.2019

David Sheff ist besonders stolz auf seinen ältesten Sohn Nic. Nichts könnte ihr extrem gutes Verhältnis trüben. Doch alles ändert sich, als Nic damit beginnt Drogen zu nehmen... Mit BROKEN CIRCLE lieferte Regisseur Felix van Groeningen vor ein paar Jahren einen emotional überwältigenden Film ab. Emotional geht es auch in einem neuen Film zu, doch weitaus weniger überwältigend. Es ist eine wahre Geschichte, die er dieses Mal erzählt und die auf zwei Büchern beruht: “Beautiful Boy” von David Sheff und “Tweak” von Nic Sheff. Auf mehreren kunstvoll ineinander verschachtelten Zeitebenen entfaltet sich eine enge Vater-Sohn-Beziehung, die durch den Drogenkonsum des Sohnes auf eine harte Probe gestellt wird. Van Groeningens exzellent besetzter Film mit sensibel ausgewählten Songs versteht sich als Appell gegen Drogenmissbrauch und dafür, dass Eltern ihre drogenabhängigen Kinder niemals aufgeben dürfen.

VERSCHWÖRUNG (1:2.35, DD 5.1 + Atmos)
OT: The Girl In The Spider’s Web
Verleih: Sony Pictures
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Fede Alvarez
Darsteller: Claire Foy, Sverrir Gudnason, Sylvia Hoeks, Vicky Krieps
Kinostart: 22.11.2018

Ein Softwareentwickler beauftragt die Hackerin Lisbeth Salander damit, das von ihm entwickelte Programm vom Server der NSA zu stehlen und ihm wieder auszuhändigen. Was anfangs nach einem einfachen Job aussieht, entwickelt sich alsbald zu einem tödlichen Wettlauf gegen die Zeit, bei dem Lisbeth sich auch noch den Dämonen aus ihrer Vergangenheit stellen muss... Stieg Larsson hat sie sich ausgedacht und David Lagercrantz hat ihr Erbe angetreten: Lisbeth Salander, heimlicher Star der “Millennium”-Trilogie. Sie ist jung, unangepasst, bisexuell, gepierced, tätowiert, hochintelligent und hart im Nehmen. Noomi Rapace mimte das Goth-Girl im schwedischen Original, Rooney Mara trat in David Finchers US-Version in ihre Stapfen. Jetzt hat Claire Foy, eben noch in Damien Chazelles AUFBRUCH ZUM MOND als Astronauten-Gattin Janet Armstrong zu sehen, die Rolle der Anti-Heldin angetreten. Burschikos zurechtgemacht und mit dem obligatorischen Drachen-Tattoo auf dem Rücken macht die junge Britin eine gute Figur im neuen Film, der ihr breiten Raum für Action lässt. Denn entgegen den bisherigen Interpretationen der Lisbeth Salander ist deren Charakter vollkommen anders geworden. Man ist fast schon geneigt zu sagen, dass aus der ultra coolen Lisbeth das weibliche Gegenstück zu James Bond geworden ist. Da ist nichts mehr von Verletzlichkeit geblieben. Stattdessen eine junge Hackerin mit einem leidenschaftlichen Faible für Hightech-Spielzeug, das samt und sonders aus der Werkstatt des Q stammen könnte. Sie fährt Motorrad ebenso gut wie teure Sportwagen, beherrscht asiatischen Kampfsport und kriegt – ganz im Sinne eines Bond – natürlich jedes Girl ins Bett. Eingefleischten Salander-Fans dürfte dieses Upgrade nicht unbedingt gefallen. Aber freilich passt dies zur ohnehin recht flachen Story, die – und auch das ist Bond pur – ein paar hanebüchene Momente bereithält. VERSCHWÖRUNG ist pures Action-Kino mit Frauen-Power und einer androgynen Hauptfigur. Wenig verwunderlich wäre es, wenn im nächsten Film der Satz fällt: “Mein Name ist Salander. Lisbeth Salander”.
Donnerstag, 22. November 2018
Glaube und Wirklichkeit
Spannendes Kino mit Tiefgang hielt mich heute in Atem

DIE ERSCHEINUNG (1:2.35, 5.1)
OT: L’Apparition
Verleih: Filmperlen
Land/Jahr: Frankreich 2018
Regie: Xavier Giannoli
Darsteller: Vincent Lindon, Galatéa Bellugi, Patrick d'Assumçao
Kinostart: 13.12.2018

Kaum ist der französische Kriegsberichterstatter Jacques Mayano von einem Einsatz zurückgekehrt, bei dem sein bester Freund ums Leben kam, erhält er einen Anruf aus dem Vatikan. Im Auftrag eines Bischofs soll er einer ominösen Marienerscheinung in einem kleinen französischen Dorf nachgehen. Seit der 16jährigen Novizin Anna dort die Jungfrau Maria erschienen ist, hat sich das Dorf zur Pilgerstätte gemausert – und dem örtlichen Priester ist die Untersuchungskommission der Katholischen Kirche ein Dorn im Auge, da sie nicht gut fürs Geschäft ist. Je tiefer der nicht sonderlich gläubige Jacques in die Sache eintaucht und auch Anna kennenlernt, desto mysteriöser wird die ganze Geschichte... Mit einem exzellenten Hauptdarsteller (Vincent Lindon) nimmt Regisseur Xavier Giannoli den Zuschauer mit auf eine Reise zwischen Glauben und Realität. Gibt es die Erscheinung tatsächlich oder fußt das Ganze auf einem Betrug, um die klamme finanzielle Situation der Kirche zu beenden? Wie seine Hauptfigur, so lässt Giannoli auch seine Zuschauer im Unklaren darüber, was tatsächlich geschah. Spannend wie ein Krimi fügt sich das Puzzle ganz allmählich zusammen und wartet am Ende gar mit einer Überraschung. Besonders interessant in Giannolis Film ist die Musik. Der Regisseur entschied sich hier für bereits vorhandene Musikstücke – und setzt diese mit Bravour ein. Dazu gehören Kompositionen von Jóhann Jóhannsson ebenso wie Stücke aus der Feder von Georges Delerue. Die Tracks sind sorgfältig ausgewählt und unterstreichen den mysteriösen Charakter des Films. Ein Geheimtipp!
Dienstag, 20. November 2018
Konsum ist aller Laster Anfang
Matthias Schweighöfer und Florian David Fitz gaben sich heute die Ehre

100 DINGE (1:2.35, 5.1)
Verleih: Warner
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Florian David Fitz
Darsteller: Matthias Schweighöfer, Florian David Fitz, Miriam Stein, Hannelore Elsner, Wolfgang Stumph
Kinostart: 06.12.2018

Sie sind Freunde und gleichzeitig Konkurrenten: Toni und Paul, zwei junge "Macher" mit großen Ideen und noch größerem Konsumverhalten. Doch damit ist jetzt Schluss: eine Wette zwischen den beiden besagt, dass sie 100 Tage lang auf alles verzichten müssen - angefangen mit dem Handy und der Espressomaschine bis hin zu Schuhe und Kleider. An jedem der hundert Tage dürfen sie nur jeweils einen einzigen Gegenstand wieder zu ihrem Leben hinzufügen. Jetzt stellt sich die Frage, ob sie die Gegenstände besitzen oder die Gegenstände sie... Florian David Fitz' Regiearbeit 100 DINGE funktioniert leider auf beiden Ebenen nur bedingt. Die Liebesgeschichte ist zu kalt und emotionslos, als dass sie den Zuschauer mitreissen könnte. Und die Komödie mitsamt ihrer Konsumkritik ist zu überzogen, als dass man sie ernst nehmen könnte. Übrig bleibt ein typisch deutscher Film, der einmal mehr auf nackte Haut als auf zündende Gags setzt. Nebendarstellerin Katharina Thalbach in der Rolle der Oma spielt den gesamten Cast an die Wand. Dagegen wirken Fitz und Schweighöfer wie kleine Amateure. Fitz nimmt man die Rolle noch eher ab als Schweighöfer, der seit gefühlten zwanzig Filmen immer dieselbe Rolle spielt. Auch Miriam Stein kann als "Love Interest" nicht wirklich etwas bewegen. Schade, dass deutsches Kino fast immer ohne Emotionen auszukommen versucht. Dabei sind es doch gerade die Gefühle, die es dem Zuschauer ermöglichen, mit den Figuren auf der Leinwand in Kontakt zu treten und eine Verbindung herzustellen.
Montag, 19. November 2018
Neues aus dem “Potterverse”
Ein kleines Doppel zum Wochenstart

ROBIN HOOD (1:2.35, DD 5.1 + 7.1)
OT: Robin Hood
Verleih: Studiocanal
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Otto Bathurst
Darsteller: Taron Egerton, Jamie Foxx, Eve Hewson, Ben Mendelsohn
Kinostart: 10.01.2019

Als der Sheriff von Nottingham seinen Bürgern immer tiefer in die Taschen greift, um dubiose Kreuzzüge zu finanzieren, erhebt sich einer unter ihnen und sagt ihm den Kampf an. Einst kämpfte Robin von Loxley für König und Vaterland im Fernen Osten, jetzt wird er unter Anleitung eines arabischen Kämpfers zu “The Hood” und stiehlt das Geld des Sheriffs, nur um es den Bürgern zurückzugeben. Wird es ihm so gelingen, nicht nur Recht und Ordnung wieder nach Nottingham zu bringen, sondern auch seine große Liebe Marian wieder zurückzuerobern?... Mit seinem Actionfilm verpasst Regisseur Otto Bathurst dem berühmten “Robin Hood”-Stoff eine Frischzellenkur radikaler Art. Wenn der Held zu Beginn des Films als einfacher Soldat nach Arabien geschickt wird, um dort für England den Kopf hinzuhalten, dann inszeniert Bathurst das als wäre es ein moderner Kriegschauplatz: Vietnam, Korea, Afghanistan oder Irak – die Wucht des Krieges und insbesondere seiner Waffen unterscheiden sich nicht. Statt Kanonenkugeln zertrümmern hier metallene Pfeilspitzen die Säulen, hinter denen sich die Briten verschanzen! Das Ganze hat einen Comicbuch-Charakter und man sollte es wohl nicht so ganz ernst nehmen, da es Drehbuch und Regie hier nicht auf historische Genauigkeit ankommt, sondern eher auf den atemberaubenden Mix aus Gegenwärtigem in historischem Gewande. Bathursts ROBIN HOOD ist eine Art Indiana Jones im guten alten England – wo sich Böse und Gute schon rein optisch sehr gut voneinander unterscheiden lassen. Popcornkino eben. Und mehr will dieser Film auch nicht sein. Ist man sich dessen erst einmal gewahr geworden, steht einer adrenalingeladenen guten Unterhaltung nichts mehr im Wege. Und natürlich wird – wie könnte es denn auch anders ein – am Ende eine Fortsetzung gleich noch in Aussicht gestellt.

PHANTASTISCHE TIERWESEN: GRINDELWALDS VERBRECHEN (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Fantastic Beasts: The Crimes Of Grindelwald
Verleih: Warner
Land/Jahr: USA 2018
Regie: David Yates
Darsteller: Eddie Redmayne, Jude Law, Johnny Depp
Kinostart: 15.11.2018

Dem übermächtigen bösen Zauberer Gellert Grindelwald gelingt die Flucht aus seinem Gefängnis und macht sich daran, die Herrschaft reinblütiger Zauberer über alle nichtmagischen Wesen in die Tat umzusetzen. Um das zu verhindern, wendet sich Dumbledore an seinen ehemaligen Schüler Newt Scamander. Leichtfertig sagt er seine Hilfe zu... Getreu dem Motto “Die Kuh wird solange gemolken wie sie Milch gibt” liefern uns J.K. Rowling und Warner Brothers in regelmäßigen Abständen weitere Abenteuer aus dem “Potterverse”, jenem schier unerschöpflichen Quell moderner Fantasykost. Blöd nur, wenn man sich mit der unendlich großen Anzahl von Personen und deren Beziehung zu- und untereinander nicht auskennt. Denn dann wird man viel von dem, was im zweiten Teil der PHANTASTISCHEN TIERWESEN passiert, kaum verstehen. Erst recht nicht, wenn man die Zeitspanne bedenkt die vergangen ist, seit der erste HARRY POTTER-Film ins Kino kam! Zugegebenermaßen war ich noch nie ein großer Fan der Zauberlehrlingssaga, stellte sie sich für mich eigentlich immer nur als eine Art “Best of” aller Fantasyromane und –filme dar. Einer der Nachteile, wenn man sein halbes Leben im Kino verbringt. Mangels der vorhin angedeuteten tiefen Einblicke in das Harry Potter Universum reduzierte sich für mich die neueste Geschichte um Newt Scamander und dem bösen Gellert Grindelwald auf ein Effektfeuerwerk. Ein gutes zwar, aber das ist ja heute eigentlich Standard. Der Produktionsstandard ist seht gut, die Darsteller sind überzeugend, die Musik groß und emotional. Fehlt nur noch eine Geschichte, die einen mitzureißen vermag. Aber man sollte vielleicht nicht so anspruchsvoll sein. Denn meiner Begleiterin hat der Film durch und durch gefallen. Und so geht es wohl momentan der Mehrheit der Kinobesucher. Fazit: lassen Sie sich von meiner etwas negativ angehauchten Rezension nicht davon abhalten, sich den Film im Kino Ihres Vertrauens anzuschauen!
Donnerstag, 15. November 2018
Unter Möwen
Die letzte Pressevorführung der Woche hatte mal wieder ein computeranimiertes Abenteuer im Koffer

MANOU - FLIEG' FLINK! (1:1.85, 5.1)
OT: Manou The Swift
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: Deutschland, Frankreich, Kanada 2018
Regie: Andrea Block, Christian Haas
Kinostart: 28.02.2019

Eigentlich ist der kleine Manou ein Mauersegler. Doch weil seine Eltern direkt nach seinem Schlüpfen von Ratten getötet wurden, wurde er von einem Möwenpaar adoptiert. Seither versucht Manou nach bestem Wissen und Gewissen eine richtige Möwe zu werden. Als er jedoch eines Nachts auf die Eier der Möwenkolonie aufpassen muss und dabei von Ratten überlistet wird, schließt man ihn aus der Kolonie aus. Manou ist jetzt auf sich selbst gestellt. Da lernt er Kalifa kennen, ebenfalls Mauersegler – und verliebt sich in sie. Damit aber fangen die Probleme erst richtig an... Angesichts einiger recht schlampiger Szenenübergängen (einmal sogar mit abruptem Musikstopp!) und der ziemlich eindimensional klingenden und meist viel zu leise abgemischten Filmmusik ist die Frage berechtigt, ob uns in der heutigen Pressevorführung möglicherweise eine nicht finale Version des Films vorgeführt wurde. Unabhängig davon entpuppte sich der überwiegend in Stuttgart computeranimierte Film als ein recht amüsanter Film, der Themenkomplexe wie Zugehörigkeit, Andersartigkeit, Solidarität und Familie aufgreift. Die Animation ist teilweise schwindelerregend umgesetzt, wenn beispielsweise eine entfesselte Kamera zwei um die Wette fliegende Vögel verfolgt und sich dabei durch enge Gassen und Gebäude hindurchschlängelt. Ganz kleine Kinder könnten Angst bekommen angesichts der immer wieder auftauchenden Ratten, die sehr böse sind und auch nicht davor zurückschrecken, den braven Vögeln weh zu tun.
Mittwoch, 14. November 2018
Günstlinge, Geschwister und ein Geizhals
Heute gab es tatsächlich mal wieder ein Presse-Triple!

THE FAVOURITE – INTRIGEN UND IRRSINN (1:1.85, 5.1)
OT: The Favourite
Verleih: Fox
Land/Jahr: Großbritannien, Irland 2018
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Emma Stone, Rachel Weisz, Olivia Colman, Nicholas Hoult
Kinostart: 24.01.2019

England im 18. Jahrhundert. Das Land führt Krieg gegen Frankreich, doch an Königin Anne interessiert das nicht weiter. Vielmehr sind Entenrennen und Taubenschießen viel wichtiger. Und weil Anne ziemlich kränklich ist, hat ihre Vertraute Lady Sarah die Regierungsgeschäfte längst in ihre Hände genommen. Als die neue Dienstmagd Abigail am Hofe aufschlägt, schmeichelt diese sich recht schnell bei Sarah ein, die sie wiederum mit der Königin zusammenbringt. Abigail sieht jetzt ihre Chance, endlich wieder zu ihren aristokratischen Wurzeln zurückzukehren... Spätestens seit Filmen wie THE LOBSTER oder THE KILLING OF A SACRED DEER weiß man als geneigter Kinogänger, dass einem bei einem Film von Yorgos Lanthimos immer etwas ganz Besonderes und höchst Ungewöhnliches erwartet. In diesem Sinne verwundert es ganz und gar nicht, dass man gleich zu Beginn während des Twentieth Century Fox Logos nicht die gewohnte Fanfarenmusik hört, sondern die Geräusche von Enten, die im Takt der Fox-Fanfare ertönen. Was für ein herrlich skurriler Einfall (der in der heutigen Pressevorführung dazu führte, dass der Vorführer den Film vorsorglich nochmals startete, weil er dachte, dass der Ton fehlen würde!). Was folgt ist dann ganz typisch Lanthimos’sche Inszenierung: treffsichere Dialoge im Sekundentakt mit teils derber Sprache, wo man dies gar nicht erwarten würde, ein oft eher als Geräusch denn als Musik wahrnehmbarer Score, Bildeinstellungen mit extremer Weitwinkeloptik. Die Geschichte selbst konzentriert sich ganz auf seine drei weiblichen Protagonisten, die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln um ihre Stellung am Hofe kämpfen.

TROUBLE (1:1.85, 5.1)
OT: Trouble
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: USA 2017
Regie: Theresa Rebeck
Darsteller: Anjelica Huston, Bill Pullman, David Morse
Kinostart: 20.12.2018

Als Maggies Bruder nach langer Abwesenheit plötzlich mit einem Bagger auf ihrem Grundstück aufschlägt und zu graben beginnt, entbrennt ein heftiger Geschwisterzwist der damit endet, dass Maggie ihrem Bruder eine Kugel verpasst. Das aber ist erst der Anfang... Theresa Rebecks kleines Familiendrama könnte fast schon so etwas wie ein Anwärter auf den ersten Platz der langweiligsten Filme des Jahres sein. Dabei hat es die Regisseurin, die hier gleichzeitig als Drehbuchautorin fungiert, ganz bestimmt nur gut gemeint. Auch wenn hier die Schwester mit der Flinte auf ihren Bruder schießt, ist ihre Geschichte das genaue Gegenteil handelsüblicher Familienfehdefilmen: mit stoischer Ruhe erzählt sie, wie aus anfangs zutiefst verfeindeter Geschwister wieder eine harmonische Familie wird. Und genau das ist das Schöne an diesem Film. Allerdings wird all das derart träge in Szene gesetzt, dass man schon nach kurzer Zeit die Augen schließt und ein Nickerchen macht. Die 100 Filmminuten fühlen sich an wie drei Stunden. Spannend ist der Film zu keiner Sekunde, nicht einmal wenn Maggies Neffe ihren Bruder umbringen möchte! Der Einsatz der Filmmusik scheint in keinem Zusammenhang zum Film zu stehen, sondern wird “irgendwie” im Film abgeladen. Es wird ein ewiges Rätsel bleiben, wie man ernsthaft glauben kann, mit einem solchen Produkt Menschen ins Kino zu holen.

AUGSBURGER PUPPENKISTE: GEISTER DER WEIHNACHT (1:2.35, 5.1)
Verleih: Universum Film (24 Bilder)
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Klaus Marschall, Julian Köberer
Kinostart: 01.12.2018

Mit dem Mut zur Langsamkeit inszeniert das Marionettentheater der Augsburger Puppenkiste Charles Dickens bekannten “Scrooge”-Stoff. Mit nur 64 Minuten Laufzeit richtet sich diese Verfilmung insbesondere an kleine Kinder, die noch keine anderen Erzählgeschwindigkeiten gewohnt sind. Für die begleitenden Eltern allerdings könnten die 64 Minuten zu einer Herausforderung werden. Ungeachtet dessen besitzt die zugrundeliegende Geschichte nach wie vor hohe Aktualität.
Dienstag, 13. November 2018
Die Frau im Hintergrund
Zwei großartige Darsteller gaben sich heute die Ehre

DIE FRAU DES NOBELPREISTRÄGERS – THE WIFE (1:2.35, 5.1)
OT: The Wife
Verleih: SquareOne (Fox)
Land/Jahr: England, Schweden, USA 2018
Regie: Björn Runge
Darsteller: Glenn Close, Jonathan Pryce, Christian Slater, Max Irons, Annie Starke
Kinostart: 03.01.2019

Sie sind seit 40 Jahren verheiratet: Joe und Joan Castleman. Er einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart, sie die Frau im Hintergrund, die ihm den Rücken freihält – Affären inklusive. Als Joe für sein literarisches Lebenswerk in Schweden der Nobelpreis verliehen werden soll, reisen die Castlemans nach Stockholm. Eine Reise, während der die Ehe der beiden auf eine harte Probe gestellt wird... Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine starke Frau. In Björn Runges Verfilmung des Romans von Meg Wolitzer ist es Glenn Close, die als Gattin Joan an der Seite ihres Mannes steht, dem nun in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen wird. Runges recht biedere Inszenierung verlässt sich dabei ganz auf die exzellenten Darsteller und verliert sich nicht in irgendwelchen technischen Schnickschnack. Das höchste der inszenatorischen Gefühle ist hier schon der Sprung zwischen den verschiedenen Zeitebenen. Leider haftet dem Film etwas Theatralisches an, was vielleicht einfach daran liegt, dass fast alles in Räumen spielt und sich kaum ins Freie verlagert. Wegen der starken Hauptdarsteller aber allemal sehenswert.
Montag, 12. November 2018
Hit the Road, Jack!
Das dänische “Enfant terrible” Lars von Trier schlägt wieder unerbittlich zu

THE HOUSE THAT JACK BUILT (1:2.35, 5.1)
OT: The House That Jack Built
Verleih: Concorde
Land/Jahr: Dänemark, Schweden 2018
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Matt Dillon, Bruno Ganz, Riley Keough, Sofie Gråbøl, Uma Thurman
Kinostart: 29.11.2018

Der nach außen vollkommen bieder und harmlos wirkende Jack ist in Wahrheit ein Serienkiller, der sich damit brüstet, bereits 60 Menschen auf dem Gewissen zu haben. In einem versteckt gelegenen Kühlhaus lagert er seine Beutefänge und erhebt sie zur Kunst. Doch Jacks Stunden sind bereits gezählt. Einem Unbekannten, der ihn in die Hölle geleitet, erzählt er einige seiner Taten... “Hit the Road, Jack, and don’t you come back no more, no more, no more!” tönt es auf der Tonspur des Films, während sich die Endtitel auf der Leinwand von unten nach oben bewegen – ein ironischer Seitenhieb auf den Jack in diesem Film, der am Ende in die Hölle fährt. Lars von Triers neueste Regiearbeit stellt genau diesen Jack in ihren Mittelpunkt: ein Serienkiller mit Zwangsneurosen! Und wie könnte es auch anders sein bei von Trier (der das “von” zu seinem Namen übrigens einfach dazugemogelt hat!) – wieder einmal provoziert der Däne bis zur Schmerzgrenze. Die Altersfreigabe ab 18 Jahren ist angesichts der schonungslosen Tötungssequenzen durchaus gerechtfertigt, zumal sogar minderjährige Kinder abgemetzelt werden! Mit über 150 Minuten Länge überstrapaziert der Film sein Publikum allerdings. Statt der geschilderten fünf Mordfälle hätten drei durchaus gereicht, um Jack genügend detailliert zu charakterisieren. Die Dialoge zwischen Serienkiller Jack (Matt Dillon) und dem ominösen Verge (Bruno Ganz) laufen irgendwann einfach nur noch ins Leere könnten durchaus von jenen Dialogen inspiriert worden sein, die der unter Depressionen leidende Regisseur mit seinem Psychiater geführt hat. Wenn Lars von Triers Film in Erinnerung bleibt, dann eigentlich nur, weil er dem Begriff des Brustbeutels eine vollkommen neue Bedeutung gibt. Und zwar wortwörtlich.
Freitag, 09. November 2018
Gewalt bricht sich Bahn
Ganz sicher war es nicht die Intention des Regisseurs, dass ich den heutigen Film nur in einer reduzierten Heimkinovariante sehen durfte...

MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT (1:2.35, DD 5.1 + Atmos)
Verleih: W-film
Land/Jahr: Deutschland, Frankreich, Schweiz 2017
Regie: Philip Gröning
Darsteller: Julia Zange, Josef Mattes, Stefan Konarske
Kinostart: 22.11.2018

Robert und Elena sind innig verbundene Zwillinge. Bei sommerlichen Temperaturen lassen sie sich an einem Samstag im Feld nieder, wo sich Elena mit Hilfe ihres Bruders auf ihr Philosophie-Abitur vorbereiten möchte. In der nahe gelegenen Tankstelle versorgen sich die beiden mit Bier und Süßigkeiten und albern mit den Betreibern herum. Mit eingespielten Ritualen, Zärtlichkeiten und auch Schlägen vertreiben sie sich die Zeit im Feld, während sie Heidegger und Augustinus zitieren und über deren Gedanken philosophieren. Doch es liegt auch noch etwas Verstörendes in der Luft, das sich in dieser vermeintlichen Idylle bald Bahn brechen wird... Philip Grönings Film lässt sich wohl am ehesten noch mit den Filmen von Michael Haneke vergleichen, im Besonderen mit FUNNY GAMES. Auch bei Gröning gibt es keine Filmmusik. Abgesehen von den Klängen eines sich einstimmenden Orchesters gleich zu Beginn des Films sowie Fragmenten einiger Chansons, die Elena auf ihrem Ipod abhört, gibt es nur eine einzige Szene, die von Musik getragen wird. Nämlich dann, wenn sich Robert des Nächtens aggressiv-tänzerisch zu lautstarken Klängen durch die geschlossene Tankstelle bewegt. Alles Andere im Film bleibt musikalisch unkommentiert, wird so gezeigt, wie es ist. Und das mit teils atemberaubenden Bildern. Die Kamera rückt den beiden Darstellern ganz dicht auf die Pelle, zeigt in sich über die gesamte CinemaScope-Breite erstreckenden Nahaufnahmen kleinste Details der Körper der Protagonisten und schafft dadurch eine fast schon schmerzhafte Intimität bei flirrender Sommerhitze. Gröning (DIE GROSSE STILLE), beim Film als sein eigener Kameramann tätig, setzt auch immer wieder Stilmittel des Experimentalfilms ein (z.B. gewollte Unschärfen, gewollte Grobkörnigkeit), um die Geschichte eines Zwillingspaares zu erzählen, das in der Spätpubertät steckt und eigentlich gar nicht erwachsen werden will. Der sich dadurch ergebende Druck, dem die beiden ausgesetzt sind, entlädt sich schließlich in physischer Gewalt. “Elena und Robert leben in ihrer Zwillingswelt und wir sehen ihnen dabei zu, wie sie gegen diese Begrenzung wüten”, erklärt Gröning. Viel Aufwand ist in die Tonebene des Films geflossen: vom ganz sachten, fast unhörbaren Herzklopfen über das Surren der Windräder und dem Zirpen der Grillen bis hin zur unglaublichen Wucht von Pistolenschüssen; ganz allmählich mischt sich ein Unbehagen akustisch in dieses sonnendurchflutete Wochenende. Der Film wird das Publikum polarisieren: inzestuöser Sex, eine Gewaltexplosion und 172 Minuten Länge (ohne Pause!) ist starker Tobak, der erst einmal verdaut werden muss. Dazu die bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten philosophischen Betrachtungen zum Thema “Zeit”, die den gesamten Film überlagern. Ganz sicher keine leichte Kost und nicht für jedermann zugänglich. Aber ein Film, der sich ins Gedächtnis brennt.

Dienstag, 06. November 2018
Selbst ist die Frau
Getreu dem Motto “Das Beste kommt zum Schluss” entpuppte sich die letzte Pressevorführung in dieser Woche als ein Highlight

WIDOWS – TÖDLICHE WITWEN (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Widows
Verleih: Fox
Land/Jahr: Großbritannien, USA 2018
Regie: Steve McQueen
Darsteller: Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki, Cynthia Erivo, Colin Farrell, Liam Neeson, Daniel Kaluuya
Kinostart: 06.12.2018

Als ihr Gatte mitsamt seinen Kumpels bei einem Geldraub ums Leben kommen, steht plötzlich der als Stadtrat kandidierende Jamal Manning vor Veronicas Tür und erhebt Anspruch auf das gestohlene Geld, das sie binnen zweier Wochen wiederbeschaffen soll, um unversehrt zu bleiben. In ihrer Not beschließt sie, gemeinsam mit den anderen Witwen, den nächsten von ihrem Mann bereits vorbereiteten Bruch selbst aufzuführen, um so an einen großen Batzen Geld zu kommen... Mit einem extrem sicheren Gespür für starke Bilder (Kamera: Sean Bobbitt) inszenierte Steve McQueen die Romanvorlage von Lynda La Plante zu einem furiosen Action-Drama. Ein guter Cast, ein paar unerwartete Plot Twists und ein ebenso subtiler wie hochexplosiver Score von Hans Zimmer machen diesen Film zu einem der Höhepunkt des aktuellen Kinojahres. Kein Feelgood-Movie, dafür aber knallhart, ohne jedoch die Gewalt zum reinen Selbstzweck zu etablieren. McQueen erzählt gleichzeitig auch noch eine andere Geschichte in seinem Film. Darin geht es um die politische Dimension des geplatzten Geldraubs, der die Finanzierung einer Wahlkampagne sicherstellen sollte. WIDOWS ist richtig gutes Genre-Kino mit Anspruch!
Montag, 05. November 2018
Ein Drache im Ferienlager
Die erste von nur zwei Pressevorführungen in dieser Woche richtete sich an die lieben Kinder

DER KLEINE DRACHE KOKOSNUSS – AUF IN DEN DSCHUNGEL! (1:1.85, 5.1)
Verleih: Universum Film (DCM)
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Anthony Power
Kinostart: 27.12.2018

Gemeinsam mit seinem Papa macht sich Drache Kokosnuss auf die Reise ins Ferienlager, wo einst schon sein Großvater war. Natürlich ist auch sein Freund Oskar mit dabei. Aber da fehlt doch noch jemand? Richtig – Matilda. Weil sie jedoch ein Stachelschwein ist und kein Drache, darf sie nicht mitkommen. Doch Oskar und Kokosnuss haben einen Plan ausgeheckt: Matilda wird in einer der Kisten versteckt, die auf das Schiff verladen werden, das die Abenteurer ins Ferienlager bringt. Allerdings kommt alles ganz anders als erwartet: das Schiff kentert... Wie schon im ersten Abenteuer von Drache Kokosnuss und seinen Freunden, das vor vier Jahren in die Kinos kam, ist auch hier die Animation wieder sehr schlicht gehalten. Die Figuren wirken wie Plastikspielzeug, haben kaum Ecken und Kanten und sind dadurch insbesondere für junge Zuschauer nicht bedrohlich. Die Kleinen können dabei viel über Freundschaft lernen und was es bedeutet, wenn man Vorurteile hat. Mit knapp 80 Minuten Spielzeit hat der Film genau die richtige Länge für die Zielgruppe, für die auch immer wieder Entspannungspausen eingebaut sind.
Freitag, 02. November 2018
Mit dem Kapitalismus in den Vorhof zur Hölle
Zum Wochenausklang gab es einen feinen Arthouse-Thriller

BIRDS OF PASSAGE – DAS GRÜNE GOLD DER WAYUU (1:2.35, DD 5.1 + Atmos)
OT: Pájaros De Verano
Verleih: MFA (Filmagentinnen)
Land/Jahr: Kolumbien 2018
Regie: Ciro Guerra, Cristina Gallego
Darsteller: Carmina Martinez, Jhon Narvaez, José Acosta
Kinostart: 04.04.2019

Kolumbien in den 1960er Jahren. Um das hohe Brautgeld für seine Auserwählte stemmen zu können, lässt sich der junge Rapayet auf den Handel mit Marihuana ein. Zunächst nur in kleinen Mengen für Mitglieder des Friedenskorps, doch bald schon mit knallharten Geschäftsleuten. Das Geschäft boomt, Rapayet und seine Familie werden wohlhabend. Doch der Wohlstand ist mit einem hohen Preis verbunden, der in einen Krieg um Macht und Geld mündet... In fünf Kapitel (oder besser: Lieder) haben Ciro Guerra und Cristina Gallego ihren Film eingeteilt. Dabei stehen diese Lieder stets für die gesellschaftliche Entwicklung der Wayuu, die mit dem Marihuana-Geschäft einher geht. Nicht umsonst lautet das letzte Kapitel “Vorhof der Hölle”, denn am Ende des auf einer wahren Geschichte beruhenden Thrillers ist das Volk der Wayuus ausgelöscht. Ihre Traditionen fallen innerhalb eines Jahrzehnte dem Kapitalismus, der mit dem “grünen Gold” Einzug hält, Stück um Stück zum Opfer. Mit einem überzeugenden Mix aus professionellen und Laien-Darstellern und mit teils surrealen Bildern im CinemaScope-Format bleibt der Film von Anfang bis Ende extrem spannend. Es gibt viel Gewalt, doch gerät diese nicht zum Selbstzweck wie in thematisch vergleichbaren Thrillern. Fazit: sollte man sich im Kino nicht entgehen lassen.
Donnerstag, 01. November 2018
Clara im Wunderland
Feiertag = Nachsitztag

DER NUSSKNACKER UND DIE VIER REICHE (1:1.85, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: The Nutcracker And The Four Realms
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Lasse Hallström, Joe Johnston
Darsteller: Mackenzie Foy, Keira Knightley, Misty Copeland, Helen Mirren
Kinostart: 01.11.2018

Die Suche nach dem passenden Schlüssel für ein geheimnisvolles Kästchen, das Clara von ihrer verstorbenen Mutter posthum zu Weihnachten erhält, führt das junge Mädchen in eine märchenhafte Parallel-Welt. Dort macht sich eine böse Prinzessin gerade daran, drei weitere Reiche ihrem eigenen Reich einzuverleiben. Clara nimmt den Kampf auf... Mit einer fulminant entfesselten Kamera geht es hinein in dieses Märchen, das in Anlehnung an eine Geschichte aus der Feder von E.T.A. Hoffmann sowie dem “Nussknacker”-Ballett von Marius Petipa von Lasse Hallström und Joe Johnston als opulentes Ausstattungsstück in Szene gesetzt wurde und das mit Mackenzie Foy in der Rolle der unschuldigen Clara sowie Keira Knightley in der Rolle der bösen Prinzessin gut besetzt ist. Inszenatorisch werden alle Register gegenwärtiger CGI-Technik gezogen, um insbesondere die Mäuse quietschlebendig zu machen und mit menschlichen Zügen zu versehen. Unter Verwendung von Motiven aus Tschaikowskys “Nussknacker”-Ballett steuert Komponist James Newton Howard einen märchenhaft anmutenden Score mit großem Orchester und Chorstimmen bei. Die surreale Grundstimmung des Films erinnert ein wenig an ALICE IM WUNDERLAND, zumal fast alles im Studio gedreht wurde. Ob der Opulenz dieses Films ist es eher verwunderlich, warum sich die Filmemacher für kaschiertes Breitwandformat und gegen CinemaScope entschieden haben. Doch so schön die Produktionswerte auch sind, bleibt der Film leider unter den Erwartungen. Vielleichts lag’s ja auch einfach nur daran, dass dieses Weihnachtsmärchen zur falschen Jahreszeit in die Kinos kommt.

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