Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Samstag, 30. März 2019
Ein Elefant hebt ab
Weil der Disney-Verleih Stuttgart leider pressetechnisch boykottiert, gab es für mich heute mal wieder einen Nachsitztermin

DUMBO (1:1.85, 3D, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Dumbo
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Tim Burton
Darsteller: Colin Farrell, Eva Green, Danny DeVito, Michael Keaton
Kinostart: 28.03.2019

Als beim abgehalfterten Zirkus Medici ein Elefantenbaby mit übergroßen Ohren geboren wird, folgen Hohn und Spott auf der Stelle. Als sich jedoch herausstellt, dass das “Dumbo” getaufte Elefantenbaby fliegen kann, wird es zur Hauptattraktion und rettet den Zirkus. Doch alsbald taucht der habgierige V. A. Vandervere auf und wittert das ganz große Geschäft... Was bei der Realverfilmung von Disneys DIE SCHÖNE UND DAS BIEST noch wunderbar funktionierte, will bei Tim Burtons Neuinterpretation von DUMBO nicht so recht gelingen. Das ist zwar tricktechnisch herzallerliebst umgesetzt und wird von Danny Elfmans Orchestermusik voll unterstützt, aber Gefühle bleiben trotzdem meist nur an der Oberfläche. Dazu trägt auch Colin Farrells über weite Strecken emotionsloses Spiel bei. Dagegen sind Danny DeVito als alter Zirkusdirektor und Michael Keaton als gieriger Multimillionär sehr viel überzeugender.
Donnerstag, 28. März 2019
Eine Fortsetzung für CASABLANCA
Mein Film-Donnerstag entpuppte sich als eine Offenbarung im Doppelpack

SUNSET OVER HOLLYWOOD (1:2.35, 5.1)
Verleih: Piffl
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Uli Gaulke, Agnes-Lisa Wegner
Kinostart: 23.05.2019

Dokumentarfilmer Uli Gaulke wagt den etwas anderen Blick in die Traumfabrik Hollywood – und schaut hinter die Kulissen eines Altersheims für Filmschaffende. Gelegen am Ende des Mulholland Drive verbringen hier Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Produzenten, Cutter und Tonleute ihren Lebensabend. Unkommentiert beobachtet er mit seiner Kamera in echtem Kinoformat ein paar der Bewohner, die trotz ihres hohen Alters (eine ist bereits 103!) noch geistig extrem fit sind. Man schwelgt in Erinnerungen aus der Blütezeit Hollywoods, beschäftigt sich in Therapiegruppen mit einer Fortsetzung von CASABLANCA oder inszeniert gar einen neuen Film über das Privatleben des Santa Clause! Da gibt es das Ehepaar, das lange schon ein Buch darüber schreiben will, wie man eine Ehe führen kann, ohne sich gegenseitig umzubringen – und das sich in freundlichstem Ton nach Strich und Faden bekriegt. Oder den Daniel Selznick, den Produzenten, der von den Hitchcock-Filmen seines Vaters schwärmt und dort insbesondere für die Musik in SPELLBOUND (sie stammt von Miklos Rozsa, der leider nicht genannt wird!). Es sind allesamt Originale, die hier versammelt sind, die man vielleicht kennt oder auch nicht. Unabhängig davon macht es großen Spaß, diese Kreativen zu beobachten. Und man wünscht sich regelrecht, selbst im Alter noch derart auf der Höhe zu sein. Gaulkes Film ist zudem schön gestaltet mit passenden Formatwechseln, stimmungsvollen Bildern, Filmausschnitten und Credits, die aus der guten alten Zeit stammen könnten. SUNSET OVER HOLLYWOOD sollte man als Cineast keinesfalls verpassen.


DAS ENDE DER WAHRHEIT (1:2.35, 5.1)
Verleih: Prokino (Studiocanal)
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Philipp Leinemann
Darsteller: Ronald Zehrfeld, Antje Traue, Claudia Michelsen, Alexander Fehling, Axel Prahl, August Zirner
Kinostart: 09.05.2019

Als seine Freundin, eine Journalistin, bei einem terroristischen Anschlag in München getötet wird, wachsen bei Martin Behrens, Zentralasienexperte beim Bundesnachrichtendienst, Zweifel am Sinn seines Jobs. Er stellt auf eigene Faust Recherchen an und ist sich bald sicher, dass er einem abgekarteten Spiel bis in allerhöchste Kreise auf der Spur ist... Regisseur Philipp Leinemann ist ein Name, den man sich merken sollte. Mit sicherer Hand und einem Gespür für tolle Bilder (Kamera: Christian Stangassinger) inszeniert er hier einen Politthriller, den man so vom deutschen Film gar nicht erwarten würde. Mit perfekt eingesetzter Filmmusik (Sebastian Fillenberg) und einem erstklassigen Sounddesign zieht der Film den Zuschauer immer tiefer in den Film hinein und bleibt dabei konstant spannend. Die bis in die Nebenrollen handverlesene Darstellerriege rundet den äußerst positiven Gesamteindruck eines Thrillers ab, der sich zudem sehr authentisch anfühlt.
Mittwoch, 27. März 2019
Mit Bigfoot auf Tour
Stop-Motion-Animation zur Wochenmitte

MISTER LINK – EIN FELLIG VERRÜCKTES ABENTEUER (1:2.35, DD 5.1 + Atmos)
OT: Missing Link
Verleih: Entertainment One (Fox)
Land/Jahr: USA, Kanada 2019
Regie: Chris Butler
Kinostart: 30.05.2019

Um endlich in einen renommierten englischen Forscherclub aufgenommen zu werden, begibt sich der Abenteurer Sir Lionel Frost auf die Suche nach dem “Missing Link”, dem Vorfahren des Menschen: dem Sasquatch. Tatsächlich wird er fündig. Das wuschelige Wesen ist vollkommen harmlos, sanftmütig und – da er der Letzte seiner Art ist - einsam! Doch Mister Link, wie Frost das Wesen tauft, hat davon gehört, dass es an einem mystischen Ort namens Shangri-La noch entfernte Verwandte seiner Art geben soll. So macht sich Frost gemeinsam mit Mister Link auf die Reise dorthin – stets verfolgt von einem Killer, der im Auftrag des Clubs Frosts Expedition eine Ende setzen soll... In atemberaubend perfekter Stop Motion Animationstechnik realisiert, gleicht das Ergebnis eher einem Indiana Jones Abenteuer für Erwachsene als einem Film für kleine Kinder. Für Letztere ist zuviel Gewalt im Spiel, auch wenn natürlich (fast) nie etwas richtig Schlimmes passiert. Wer die Möglichkeit hat, den Film im englischen Original zu hören, sollte davon Gebrauch machen. Hugh Jackmans Stimme ist genauso unnachahmlich wie die von Stephen Fry. Neben der ausgefeilten Optik ist insbesondere noch die Musik von Carter Burwell äußerst imposant (kurze Anmerkung: ein Motiv in Burwells Score erinnert stark ein Motiv von John Powells Musik zu DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT!).
Dienstag, 26. März 2019
Von Doppelgängern, Braunhemden und Bergmenschen
Keine Pressevorführungstermine? Also ist Nachsitzen angesagt!

WIR (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Us
Verleih: Universal
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Jordan Peele
Darsteller: Lupita Nyong'o, Winston Duke, Shahadi Wright Joseph
Kinostart: 21.03.2019

Eine vierköpfige Familie wird eines Nachts in ihrem Haus von unheimlichen Doppelgängern heimgesucht.
In der ersten Dreiviertelstunde seines Horrorfilms versteht sich Jordan Peele perfekt darauf, mit Hilfe von Sounddesign (unbedingt in Dolby Atmos anhören!) und Filmmusik sowie suggestiver Kameraarbeit ganz langsam und sachte nervenzerrende Gruselstimmung aufzubauen. Danach jedoch kippt der Film und verkommt zu einem Mix aus INVASION DER KÖRPERFRESSER und ZOMBIE. Und das zieht sich dann unglaublich in die Länge! So wird aus einer Home Invasion Variante etwas viel Größeres, das die sorgfältig aufgebaute Atmosphäre des Grauens unter sich begräbt.

IRON SKY 2: THE COMING RACE (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Iron Sky 2: The Coming Race
Verleih: Splendid (24 Bilder)
Land/Jahr: Finnland, Deutschland, Belgien 2019
Regie: Timo Vuorensola
Darsteller: Lara Rossi, Vladimir Burlakov, Udo Kier
Kinostart: 21.03.2019

20 Jahre ist es her, dass die hinter dem Mond lebenden Nazis einen Nuklearkrieg begonnen haben. Das Resultat: die Erde ist unbewohnbar geworden und sämtlich Überlebende harren auf der ehemaligen Mondbasis der Braunhemden aus. Doch der Erdtrabant droht auseinanderzubrechen. Um an Energie für die Evakuierung zu kommen, unternimmt Wissenschaftlerin Obi Washington eine Expedition zu einer verborgenen Stadt ins Erdinnere. Und genau dort trifft sie alte Bekannte wieder... Wer hier jetzt auf einen richtig schönen Trash-Film hofft, den muss man leider enttäuschen. Timo Vuorensola beweist mit seiner Fortsetzung zu IRON SKY, dass Trash meist nur unfreiwillig entsteht und nicht durch ein Drehbuch. So langweilt der Film eigentlich nur von der ersten bis zur letzten Minute. Wobei sich die 93 Minuten Spielzeit wie drei Stunden anfühlen. In technischer Hinsicht ist Vuorensolas Film allerdings auf höchstem Niveau. Nicht nur die visuellen Effekte überzeugen (und rücken den Film gekonnt in die Trash-Ecke), auch die auf Dolby Atmos setzende Tonspur mitsamt bombastischer Filmmusik macht großen Spaß. Kino für die Ohren.

THIS MOUNTAIN LIFE – DIE MAGIE DER BERGE (1:2.35, 5.1)
OT: This Mountain Life
Verleih: Camino
Land/Jahr: Kanada, USA 2018
Regie: Grant Baldwin
Kinostart: 28.03.2019

Multitalent Grant Baldwin hat sich aufgemacht in die Bergwelt Kanadas, um von Menschen zu erzählen, die sich genau dort ungewöhnlichen Herausforderungen zu stellen. Wie zum Beispiel Martina Halik und ihre Mutter Tania, die sich aufmachen, gemeinsam die Berge von Vancouver bis nah Alaska zu durchschreiten – bei Wind und Wetter und unter großen Entbehrungen. Oder Barry Blanchard, ein Bergführer indianischer Herkunft, der sagt, dass er die Berge besteigt, um sich lebendig zu fühlen. Oder Schwester Claire, die die Abgeschiedenheit der Bergwelt für sich und ihren Glauben entdeckt hat. Mit atemberaubenden Bildern fängt Baldwin, der selbst die Kamera führte, die Menschen inmitten unwirtlicher Landschaften ein, lässt sie davon erzählen, warum sie hier leben oder welches Leben sie hinter sich gelassen haben. Es sind Menschen jenseits des Mainstreams und Beispiele dafür, dass es auch noch ein Leben jenseits des Konsums und im Einklang mit der Natur und auch sich selbst gibt.

Montag, 25. März 2019
Der Flohmarkt am Fuße des El Capitan
Mein Montagsdoppel führte mich von festem französischen Boden in schwindelerregende Höhen

DER FLOHMARKT VON MADAME CLAIRE(1:2.35, 5.1)
OT: Le Dernière Folie De Claire Darling
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Frankreich 2018
Regie: Julie Bertuccelli
Darsteller: Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni, Alice Taglioni
Kinostart: 02.05.2019

Als die betagte Claire Darling eines Nachts eine Stimme zu hören glaubt, die ihr sagt, dass morgen ihr letzter Tag auf Erden sei, trifft sie eine Entscheidung: sämtliches Inventar ihrer geräumigen Stadtvilla soll auf einem privaten Flohmarkt verkauft werden. Während der Verkauf an einem wunderschönen Sommertag seinen Gang nimmt, wird Claire von Erinnerungen heimgesucht – gute und weniger gute... Neu ist eine Geschichte wie die in Julie Bertuccellis Film nicht, dafür aber gekonnt umgesetzt. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Zeitebenen passiert meist vollkommen unmerklich und wirkt oft ziemlich frappierend. Die Grande Dame des französischen Kinos, Catherine Deneuve, gibt sich gemeinsam mit ihrer Tochter Chiara Mastroianni die Ehre als Mutter-Tochter-Gespann, das einen seit vielen Jahren schwelenden Konflikt lösen muss, um endlich loslassen zu können. Leider zeigt das in mancher Szene etwas zu dunkel geratene Bild nicht immer sämtliche Details des antiken Krimskrams, mit dem der Film vortrefflich ausgestattet ist.

FREE SOLO (1:1.85, 5.1)
OT: Free Solo
Verleih: Capelight (Central)
Land/Jahr: USA 2018
Regie: Jimmy Chin, Elizabeth Chai Vasarhelyi
Kinostart: 21.03.2019

Können Sie sich noch daran erinnern, wann Ihnen mal im Kino der Angstschweiß auf die Stirn getreten und Ihr Puls in die Höhe gegangen ist? So etwas passiert nicht allzu oft. Aber es wird Ihnen garantiert beim Anschauen von Jimmy Chins und Elizabeth Chai Vasarhelyis atemberaubender Doku passieren! Wie bereits in der2018 in die Kinos gebrachten Doku DURCH DIE WAND geht es auch in FREE SOLO um die Besteigung des “El Capitan”. Alex Honnold heisst der Protagonist, dessen großer Traum es schon immer war, diesen Fels ohne Sicherung zu erklimmen. Die Filmemacher begleiten Alex über mehrere Jahre und zeigen ihn bei den schweißtreibenden Vorbereitungen für dieses lebensgefährliche Wagnis. Dass Alex eine Freundin hat, macht die Sache dabei nicht unbedingt leichter. Aber wie sagt der junge Mann so frei von der Leber weg: “Ich ziehe einen Fels immer einer Frau vor!”. Doch nicht nur die um sein Leben fürchtende Freundin macht es Alex schwer – auch das ständig um ihn kreisende Filmteam wird zum Problem. Denn als es endlich soweit ist und Alex den Berg im Alleingang bezwingen möchte, muss er sein Vorhaben schon nach wenigen Metern abbrechen. Die Präsenz des Filmteams verursachte ihm einen zu großen Druck. Im Film beginnt eigentlich erst zu diesem Zeitpunkt der wirklich spannende Teil - mit einzigartigen Bildern, die einem den Atem rauben. Zurecht hat FREE SOLO den Oscar für den besten Dokumentarfilm abgeräumt. Es ist eigentlich schade, dass der Film in Deutschland nicht wie etwa in England auch in IMAX-Kinos gezeigt wird – er schreit förmlich nach dem größtmöglichen Bild. Aber vielleicht hätte das der ein oder andere Zuschauer gar nicht überlebt.

Mittwoch, 20. März 2019
Ein unmoralisches Angebot
Die zweite und letzte Pressevorführung in dieser Woche entführte uns auf das traumhafte Mauritius, das als Kulisse für ein namenloses Inselidyll herhalten musste

IM NETZ DER VERSUCHUNG (1:2.35, 5.1)
OT: Serenity
Verleih: Universum
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Steven Knight
Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jason Clarke, Diane Lane, Djimon Hounsou
Kinostart: 02.05.2019

Als Captain eines Charterboots verrichtet Baker Dill nicht gerade gute Dienste, vergrault er doch immer wieder seine Kundschaft – und das obgleich er das Geld dringend nötig hat. Alles könnte sich ändern, als eines Tages seine Ex-Frau Karen auftaucht und ihm ein unmoralisches Angebot unterbreitet. 10 Millionen Dollars will sie springen lassen, wenn Baker ihren gewalttätigen Ehemann beim Angeltörn über Bord gehen lässt... Was als guter Film Noir mit Mystery-Elementen beginnt, entwickelt sich – leider – in eine ganz andere Richtung. Und weil das so unerwartet passiert, dürften gerade jene ZuschauerInnen tief enttäuscht sein, die sich auf die Presseinformationen des Filmverleihs verlassen haben und einen spannenden Krimi erwarten. Das nur als Vorwarnung – mehr sei dazu nicht gesagt. Als Störfaktor im Film erweist sich ausnahmsweise die Filmmusik von Benjamin Wallfisch, die nie ein Ende zu finden scheint. “Overscoring” wäre hier wohl der englische Fachbegriff. Wenigstens ist der Film ansonsten handwerklich gut gemacht. Besonders erwähnenswert hier die Kameraarbeit von Jess Hall, dem teils traumhaft schöne Bilder gelingen. Was die Besetzung angeht, so fällt besonders Anne Hathaway auf, die eine perfekte “Femme Fatale” gibt. Etwas enttäuschend dagegen das Spiel von Matthew McConaughey, dem offenbar die Gesichtszüge eingefroren sind. Insgesamt kein Film für die Nachwelt.
Montag, 18. März 2019
Schlachtfeld Spielplatz
Gerichtsdrama + Mütterkomödie = mein Kinomontag

DER FALL COLLINI (1:2.35, 5.1)
Verleih: Constantin
Land/Jahr: Deutschland 2019
Regie: Marco Kreuzpaintner
Darsteller: Elyas M'Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach
Kinostart: 18.04.2019

2001 wird der junge Anwalt Caspar Leinen Pflichtverteidiger von Fabrizio Collini. Der hat über 30 Jahre lang unbescholten in Deutschland gelebt, bevor er offenbar aus heiterem Himmel den Großindustriellen Hans Meyer erschoss. Zum Motiv schweigt Collini beharrlich. Kein einfacher Fall für Leinen, war Meyer doch tatsächlich sein eigener Ziehvater, der ihm ermöglichte, Anwalt zu werden. Und mehr noch: der Anwalt der Nebenklägerin ist Leinens ehemaliger Dozent in Sache Strafrecht: Richard Mattinger, ein mit allen Wassern gewaschener Rechtsverdreher... Regisseur Marco Kreuzpaintner hat den 2011 erschienenen Bestseller von Ferdinand von Schirach beeindruckend und spannend für die Kinoleinwand umgesetzt. Dazu zählt ein erstklassiges Sounddesign sowie die exzellente Filmmusik von Ben Lukas Boysen, die den Film von anderen Produktionen abhebt und ihn nicht - wie so viele deutsche Produktionen - als TV-Film erscheinen lässt. Die Besetzung ist handverlesen und gibt Elyas M’Barek endlich einmal die Gelegenheit, auch in einer ernsten Rolle zu bestehen. Nicht so ganz ins Bild passt allerdings die flippige BWL-Studentin Nina (Pia Stutzenstein), die von Caspar Leinen direkt als Assistentin angeworben wird. Vermutlich wollte man M’Barek ein sexy Mädchen an die Seite geben, um dessen Fangemeinde zu bedienen. Dieser Aspekt rückt jedoch angesichts der vielen positiven Faktoren in den Hintergrund. Wer Gerichtsdramen mit wahrem Kern mag, dem wird DER FALL COLLINI ganz bestimmt gefallen.

FRAU MUTTER TIER – DER GANZ NORMALE WAHNSINN! (1:1.85, 5.1)
Verleih: Alpenrepublik
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Felicitas Darschin
Darsteller: Julia Jentsch, Alexandra Helmig, Kristin Suckow
Kinostart: 21.03.2019

Schlachtfeld Spielplatz: hier treffen die verschiedensten Mütter aufeinander und versuchen sich – ob bewusst oder unbewusst – in Sachen optimaler Kindererziehung gegenseitig auszustechen. Marie ist eine von ihnen. Obwohl sie schon zwei eigene Kinder hat, hütet sie auch noch die Kinder anderer Mütter, schmeisst vollkommen alleine den Haushalt und versucht meist vergebens ihren Mann mit an Bord zu holen. Nele auf der anderen Seite will endlich den Karrieresprung als Werbefachfrau machen, wären da nicht ihr kleiner Sohn und ihr vollkommen unselbstständiger Ehemann samt tyrannischer “Ich meins ja nur gut”-Schwiegermutter. Und Tine schließlich versucht als Singlemutter endlich einen Papa zu angeln... Dass der von Felicitas Darschin inszenierte Film auf einem Bühnenstück basiert, sieht man ihm nicht an. Die Umsetzung für die Leinwand ist somit gelungen. Autorin des Stücks und auch Drehbuchautorin des Films ist Alexandra Helmig, die selbst die Rolle der von ihrer Schwiegermutter tyrannisierten Karrierefrau Nela übernommen hat. Und Helmig teilt hier ziemlich aus – vor allem gegen die Männer, denen hier ein Spiegel vorgehalten wird. Denn während sich die Ehefrauen nicht nur um Kinder und Haushalt kümmern müssen, sondern auch im Job bestehen sollen, konzentriert sich Mann auf seine nächsten Eskapaden. Aber auch ihre Geschlechtsgenossinnen bekommen ihr Fett ab. Beispielsweise in Form jener Frau, die damit prahlt demnächst wieder missionierungstechnisch nach Indien zu gehen, weil es dort ja unglaublich berührend ist, wenn sie die armen Kinder anschauen – und darüber ihre eigenen Kinder offensichtlich komplett vergisst. Das ist zwar alles humorvoll präsentiert, doch ist der mitschwingende bitterböse Unterton klar vernehmbar. Das Ensemble zeigt sich als sehr spielfreudig, wobei hier vor allem Julia Jentsch beeindruckt. Die total verunsicherte graue Maus nimmt man ihr sofort ab. Dass sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst mag man durchaus kritisieren, denn so ist die Welt leider nicht gestrickt. Doch FRAU MUTTER TIER ist ja vor allem eine Komödie, die unterhalten soll. Und da gehen die Happy Endings natürlich in Ordnung. Insgesamt macht die Komödie mehr den Eindruck eines TV-Films und nicht eines Films mit Kinoqualitäten, doch kann man ihm zugute halten, dass es sich hier um einen der besseren TV-Filme handelt. Für Paare mit Kinderwunsch könnte der Besuch des Films vielleicht sogar eine heilsame Wirkung haben.

Mittwoch, 13. März 2019
Achterbahn der Gefühle
Ein Film für Kinder und ein Film mit Kindern für Erwachsene bestimmten meinen filmischen Alltag heute

WILLKOMMEN IM WUNDER PARK (1:2.35, 3D, DD 5.1 + 7.1)
OT: Wonder Park
Verleih: Paramount
Land/Jahr: USA 2019
Regie: David Feiss
Kinostart: 11.04.2019

Die kleine June ist ein aufgewecktes und extrem phantasievolles Mädchen, das bei ihren liebenden Eltern aufwächst und von ihnen stets unterstützt wird. Am liebsten erträumt sie sich zusammen mit ihrer Mutter das “Wunderland”, ein riesiger Vergnügungspark mit haarsträubenden Attraktionen, das von einer Handvoll lustiger Tiere geleitet wird: ein Schimpanse, ein Stacheltier, ein Wildschwein, ein flauschiger Riesenbär und zwei quirligen Bibern mit Schweizer Dialekt. Als Junes Mutter eines Tages schwer erkrankt und deshalb ins Krankenhaus kommt, verliert die immer fröhliche June all ihre Freude und ihren Mut. Um sie von den Alltagssorgen abzulenken, schickt sie ihr Vater in ein Mathematikcamp. Doch June büxt bei der ersten Gelegenheit aus und tritt den langen Weg nach Hause an. Mitten im Wald passiert etwas Magisches: June findet sich plötzlich mitten im Wunderland wieder. Einem Wunderland allerdings, das von einer geheimnisvollen Dunkelheit überschattet wird... Der von David Feiss inszenierte Computeranimationsfilm WILLKOMMEN IM WUNDER PARK könnte so etwas sein wie Nickelodeons Antwort auf Lewis Carrolls ALICE IM WUNDERLAND. Dort fällt die Protagonistin in ein tiefes Loch – wortwörtlich und auch im übertragenen Sinn. Und genau so ergeht es auch June, der Heldin aus dem WUNDER PARK Film: sie stürzt in eine schwere Depression, als ihre Mutter aufgrund einer schweren Krankheit plötzlich ins Krankenhaus gehen muss. Natürlich wird das im Film nicht so genannt, damit auch die jungen ZuschauerInnen, für die der Film gedacht ist, das Ganze verstehen können. Da ist dann die Rede von der “Dunkelheit”, die das von June mit liebevollen Details erdachte Wunderland zu vereinnahmen droht. Etwas irritierend: zumindest in der deutschen Synchronisation ist ständig die Rede vom “Wunderland” und nicht vom “Wunder Park”, so wie der Titel des Films lautet. Die Vermutung liegt nahe, dass hier ein Rechtsstreit mit den Erben von Lewis Carroll verhindert werden soll. Was die Animation im Film angeht, so bewegt man sich hier auf gewohnt hohem Niveau, allerdings ohne je die Perfektion der Pixar-Filme zu erreichen. Trotzdem gibt es einige wirklich schwindelerregende Actionsequenzen zu entdecken, wie etwa die Fahrt mit einer gigantischen Achterbahn. Gezeigt aus der Ich-Perspektive kann es einem da schon ganz schön flau im Magen werden! Versteht sich von selbst, dass bei aller Dramatik der Geschichte auf ein Happy End nicht verzichtet wird – ein Muss im amerikanischen Unterhaltungskino. WILLKOMMEN IM WUNDER PARK ist zwar kein Film für die Ewigkeit, aber einer, der zumindest ein wichtiges Thema kindgerecht verpackt.

OF FATHERS AND SONS – DIE KINDER DES KALIFATS (1:1.85, 5.1)
OT: Of Fathers And Sons – The Legacy Of War
Verleih: Port-au-Prince (24 Bilder)
Land/Jahr: Deutschland, USA, Syrien, Libanon, Niederlande, Katar 2017
Regie: Talal Derki
Kinostart: 21.03.2019

Der in Berlin lebende Filmemacher Talal Derki über seinen Film: “Nach meinem Dokumentarfilm RÜCKKEHR NACH HOMS über den jungen Rebellen Basset Sarut und seine Kampfgefährten wollte ich tiefer eindringen in die Emotionen und in die Psychologie des Krieges in Syrien. Ich wollte verstehen, warum Menschen sich radikalisieren und was sie dazu bewegt, nach den strikten Regeln des sogenannten Islamischen Staates zu leben. In den Medien wird der Krieg oft als ein Schachspiel dargestellt – und der Islam als das Böse abgestempelt. Wenn wir Bilder aus diesem Krieg sehen, haben wir häufig das Gefühl, dies sei eine irreale Parallelwelt. Deshalb wollte ich in OF FATHERS AND SONS – DIE KINDER DES KALIFATS eine direkte Beziehung zwischen Protagonisten und Publikum herstellen. Ich wollte die Zuschauer – durch die Bilder meiner Kamera – mitnehmen auf meine Reise”. Und so lässt Derki seine Zuschauer nun zum Teil jener radikal-islamistischen Familie werden, die er in einem Zeitraum von zwei Jahren in syrischem Kriegsgebiet besuchte. Keine einfache Mission für den gebürtigen Syrer, der sich als Kriegsfotograf tarnen musste, um das Vertrauen seiner Protagonisten zu erlangen. “Das ist harte Arbeit, Tag für Tag. Du musst vergessen, wer Du bist. Du musst Dich neu erfinden für so einen Film. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Ich wollte diesen Film unbedingt machen. Ich musste einfach. Ich drehte viel im Haus. Als ich mit dem Vater unterwegs war, traf er immer Dschihadisten anderer arabischer Länder und aus Europa. Das waren gefährliche Männer, die sich nicht filmen ließen, weil sie niemandem vertrauen. Sie haben auch Erfahrung mit der Online-Recherche. Als sie mich im Internet gefunden hatten, musste ich lügen und ihnen sagen, ich sei ein Kriegsfotograf. Aber auch äußerlich musste ich mich ihnen anpassen. Ich betete mit ihnen, hörte ihnen zu und schüttelte meinen Kopf wie sie.” So Derki in einem Interview von Sönje Storm für Deutsche Welle. Den Alltag, den er jetzt in seinem für den Oscar nominierten Film zeigt, sind harter Tobak. Im Mittelpunkt stehen die 12 und 13 Jahre alten Söhne Ayman und Osama des Rebellenführers Abu Osama. Richtige Gotteskrieger will er aus ihnen machen, egal was seine Söhne wollen. Ausbildungslager statt Schulunterricht steht hier an der Tagesordnung. Seine Söhne kennen es gar nicht anders – für sie ist der Krieg in Syrien Normalität. Derki gelingen Bilder, die man so noch nie gesehen hat. Bilder, die aufgrund der gezeigten “Normalität” erschrecken. In einem finalen Voice Over erklärt Derki, dass er diesen Film gemacht hat, um mit seinem Heimatland Syrien abzuschließen. Ein Heimatland, das ihm vollkommen fremd geworden ist. Sehenswert.
Montag, 11. März 2019
Die Superheldin und das Kino
Nach einer krankheitsbedingten Auszeit ging es heute für mich wieder ans Eingemachte

CAPTAIN MARVEL (1:2.35, 3D, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Captain Marvel
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Ryan Fleck, Anna Boden
Darsteller: Brie Larson, Dewanda Wise, Samuel L. Jackson
Kinostart: 07.03.2019

Carol Danvers ist Pilotin einer intergalaktischen militärischen Einheit der Kree, die sich im Krieg mit den Skrulls befinden, einer Spezies von Gestaltwandlern. Und genau die sind auf der Suche nach einer Wissenschaftlerin, die angeblich auf der Erde einen Lichtgeschwindigkeitsantrieb entwickelt hat. Carol soll die Skrulls an ihrer Mission hindern und landet mitten im Amerika der 1990er Jahre – und muss bald erkennen, dass ihre eigene Vergangenheit etwas mit diesem Ort zu tun hat... Mit viel Getöse und einer großen Portion Spaß erweitern die Marvel-Studios ihr Universum um ihre namengebende Superheldin. Mit Anleihen aus vielen anderen SciFi- und Fantasyfilmen inszeniert das Regie-Duo Ryan Fleck und Anna Boden einen recht kurzweiligen Blockbuster, der gleichzeitig als Vorbereitung zum nächsten AVENGERS-Film fungiert. Was für DC Entertainment WONDER WOMAN ist, stellt CAPTAIN MARVEL für die Marvel-Studios dar: eine starke Frauenfigur, eine Heldin mit Superkräften, von Brie Larson überzeugend verkörpert. Doch einmal mehr ist es hier Samuel L. Jackson, der dem restlichen Cast eindeutig die Schau stiehlt: sein Humor ist einfach zu köstlich! Wie nicht anders zu erwarten, bewegen sich die visuellen Effekte, die teilweise in Stuttgart entstanden sind, auf höchstem Niveau. Filmmusikalisch hingegen leidet auch dieser Film leider an einem Phänomen, das ich schon seit Jahren feststellen muss: statt auf melodiöse Leitmotive setzt auch Komponistin Pinar Toprak mehr auf Orchesterbombast, der zum Klangteppich verkommt. Die Musik wird dadurch extrem beliebig und austauschbar und verschmilzt nicht mit dem Film. Schade.

SCALA ADIEU – VON WINDELN VERWEHT (1:2.35, 5.1)
Verleih: Filmdisposition Wessel
Land/Jahr: Deutschland 2018
Regie: Douglas Wolfsperger
Kinostart: 21.03.2019

In seinem neuen Dokumentarfilm begleitet Filmemacher Douglas Wolfsperger die Schließung des einzigen Programmkinos in seiner Heimatstadt Konstanz, des Scalas, das in einen dm-Drogeriemarkt umgewandelt werden soll. Wolfsperger holt dazu nicht nur ein paar wenige Menschen vor seine Kamera, für die dieses Kino Dreh- und Angelpunkt ihres kulturellen Lebens ist und war, sondern auch Befürworter der Schließung. Zu Letzteren gehört insbesondere Konstanz‘ Oberbürgermeister, dem es offensichtlich rein um den Profit geht. Mit ironischem Unterton lässt ihn Wolfsperger genüsslich ins eigene Messer laufen. Der Untergang des Scalas (dessen Betreiber für den Film zu keinem Interview bereit war!) steht dabei nur repräsentativ für viele Kinos, die einst kultureller Mittelpunkt in Innenstadtlagen waren und aufgrund profitgieriger Investoren durch Massenkonsumtempel ersetzt werden. “Es geht darum, dass Orte, an denen wir träumen, zu Orten werden, an denen wir kaufen. Dass nur noch zählt, was sich rechnet, und nicht das, was von wert ist”, sinniert der Filmemacher am Ende seines Films aus dem Off. Es ist ein sehr emotionaler, melancholischer und ansprechend fotografierter Film aus der Sicht eines Cineasten.

Freitag, 01. März 2019
Grenzgängerin
Mysteriös Märchenhaftes zum Wochenausklang

BORDER (1:2.35, 5.1)
OT: Gräns
Verleih: Wild Bunch (Central)
Land/Jahr: Schweden, Dänemark 2018
Regie: Ali Abbasi
Darsteller: Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson
Kinostart: 11.04.2019

Tina ist die beste Schnüfflerin, die der schwedische Zoll zu bieten hat – im wahrste Sinn des Wortes. Denn Tina hat eine besondere Gabe: sie riecht menschliche Gefühle wie Angst, Scham oder Wut. Eine Gabe, die ihr bestens dabei hilft, Schmuggler zu enttarnen. Doch als sie den mysteriösen Vore kennenlernt, gerät ihr Weltbild alsbald kräftig ins Wanken und lässt sie ihre eigene Existenz in Frage stellen... Der Titel des Films markiert jenen Ort, an dem Tina ihren Dienst verrichtet, also die schwedische Grenze. Im übertragenen Sinn aber kommt dem Titel noch eine zweite Bedeutung zu: Tina wandelt zwischen zwei Wesen und weiß nicht, wo sie tatsächlich hingehört. Regisseur Ali Abbasi inszeniert Tinas Suche nach sich selbst als düsteren Mystery-Thriller mit einigen ekligen Einlagen. Eva Melander in der Hauptrolle spiegelt in ihrem oft animalisch wirkenden Gesichtsausdruck Tinas Zerrissenheit wunderbar wider. Das Drehbuch stammt von John Ajvide Lindqvist, der bereits mit dem ungewöhnlichen Vampirfilm SO FINSTER DIE NACHT begeisterte. BORDER kommt ohne die sonst übliche Dosis an Gore und Gewalt aus und überzeugt stattdessen durch Atmosphäre.

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