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Mittwoch, 31. Juli 2019 Tödliche Rituale Immerhin gab es heute mal wieder Horrorkost in der Pressevorführung MIDSOMMAR – DAS BÖSE WIRD ANS LICHT KOMMEN (1:2.00, 5.1) OT: Midsommar Verleih: Weltkino Land/Jahr: USA 2019 Regie: Ari Aster Darsteller: Florence Pugh, Will Poulter, William Jackson Harper Kinostart: 26.09.2019
Nach dem grausamen Tod ihrer Schwester und ihrer Eltern nimmt die junge Dani das Angebot an, gemeinsam mit ihrem
Freund und dessen Kommilitonen für einen Monat nach Schweden zu reisen, um dort in jener Kommune zu leben, aus
der Mitstudent Pelle stammt. Dort angekommen, wird die Gruppe Zeuge seltsamer Rituale, mit der die Mitglieder der
Kommune die Zeit des “Midsommars” feiern, der Sommersonnenwende. Als es dann jedoch zu zwei bizarren
Todesfällen (im wahrsten Sinne des Wortes!) kommt, kippt die anfangs gute Stimmung. Dani und ihre Freunde sehen
sich plötzlich mit blankem Horror konfrontiert. Und an ein Entrinnen ist offenbar gar nicht zu denken... Mit
HEREDITARY – DAS VERMÄCHTNIS hat er im vergangenen Jahr seinen Einstand im Horrorgenre gegeben. Jetzt
legt Ari Aster mit MIDSOMMAR nach. Auch hier beweist er wieder sein unglaubliches Gespür, aus scheinbar
Harmlosem Dämonisches zu inszenieren. Die gut durchdachten Bilder, das Sounddesign, die Filmmusik – alles
Elemente, die Aster gewinnbringend für seine Idee eines Horrorfilms, der die ganze Zeit im Hellen spielt, einzusetzen
versteht. Allerdings braucht es einen wirklich langen Atem, die 147 Minuten Spielzeit komplett durchzustehen, denn
Aster setzt – bewusst oder unbewusst – auch große Längen in seiner Inszenierung. Die seltsamen Rituale innerhalb der
Kommune werden ausführlichst geschildert, ohne dass es hierfür eine Notwendigkeit gibt. Die Handlung ist zudem recht
schnell vorhersehbar, was für den Spannungsaufbau ziemlich kontraproduktiv ist. Vieles in der Geschichte bleibt offen,
was dem Film dann wieder zugute kommt. Und Brutalitäten werden sehr explizit ins Bild gerückt, allerdings in einer Art
und Weise, die einen überzeugten Horrorfan doch das ein oder andere Mal zum Schmunzeln bewegen könnte.
Schockeffekte sucht man in Asters Film vergebens, setzt dieser doch fast ausschließlich auf Atmosphäre. Genau das
beherrscht Aster hervorragend.
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Samstag, 27.. Juli 2019 Das Leben als eine Schatzsuche Weil sich der Filmverleih weigerte, seinen Film der Presse in Stuttgart vorzustellen, entschloss ich mich mal wieder für eine private Weiterbildungsmaßnahme CLEO (1:1.85, 5.1) Verleih: Weltkino Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Erik Schmitt Darsteller: Marleen Lohse, Jeremy Mockridge, Max Mauff Kinostart: 25.07.2019
Ihre Mutter stirbt bei ihrer Geburt, ihr Vater stirbt viele Jahre später, als er mit ihr zusammen Schatzsuche spielt.. Kein
Wunder, dass Cleo fortan ihr Herz verschließt, meint sie doch, dass sie schuld am Tod ihrer Eltern trage. Wenn sie es
könnte, dann würde sie am liebsten die Zeit umkehren. Eine Wunderuhr, die sich im legendären Schatz der berühmtesten
Berliner Diebe, den Sass-Brüdern, befindet, soll dies angeblich ermöglichen. Aber wo befindet sich diese Uhr? Als eines
Tages plötzlich ein junger Mann vor ihr steht, der im Besitz der Schatzkarte der Gebrüder Sass ist, schöpft sie Hoffnung.
Gemeinsam machen sie sich auf die Suche... Auch wenn Jean-Pierre Jeunets DIE FABELHAFTE WELT DER
AMELIE bei Erik Schmitts romantischer Schatzsuche Pate gestanden hat, darf man ihn beglückwünschen. Denn mit
seinem höchst originellen Film liefert Schmitt den Beweis, dass sich deutsches Kino im Aufwind befindet und weitaus
mehr liefern kann als nur TV-Kost. Mit seinen überbordenden optischen Einfällen und einem Füllhorn an Stilmitteln
erzeugt Schmitt eine Dynamik wie selten im deutschen Film. Trauer, Freude, Begeisterung – sein wunderbares
Ensemble lädt zu einer wahren Achterbahn der Gefühle ein. Die Geschichte, die dabei erzählt wird, ist weder plump
noch dumm, sondern psychologisch ausgezeichnet unterfüttert. Komponist Johannes Repka findet dazu die passende
Filmmusik, die die ganze Bandbreite von modern bis sinfonisch abdeckt und damit die emotionale Ebene des Films
verstärkt. Faszinierend verspielt gibt sich Schmitts Schatzsuche im modernen Berlin, ja fast atemlos werden die
bekannten und auch weniger bekannten Locations abgegrast, werden kurze Rückblicke in die Historie der Stadt
eingeschnitten und das Seelenleben der Protagonistin von innen nach außen gekehrt. So geht Kino. Und nur dort sollte
man sich dieses kleine Meisterwerk ansehen – mehrfach.
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Mittwoch, 24. Juli 2019 Superheldin im roten Kapuzenshirt Erst Mittwoch und doch schon die letzte Pressevorführung der Woche INVISIBLE SUE – PLÖZLICH UNSICHTBAR (1:2.35, 5.1) Verleih: farbfilm Land/Jahr: Deutschland, Luxemburg 2018 Regie: Markus Dietrich Darsteller: Ruby M. Lichtenberg, Anna Shirin Habedank, Lui Eckardt Kinostart: 31.10.2019
Susanne, von allen nur Sue genannt, hat keine Freunde in der Schule, weil sie von niemandem wahrgenommen wird. Es
ist als wäre sie unsichtbar. Auch ihre Mutter, eine weltbekannte Wissenschaftlerin, ignoriert sie weitgehend, weil sie
zuviel arbeiten muss. Einzig ihr Papa kümmert sich um Sue. Doch der ist meist auf irgendeiner Tournee. Als Sue eines
Tages in Mamas riesigem Labor mit einem von ihr entwickelten Serum in Kontakt kommt, muss Sue voller
Überraschung feststellen, dass sie sich dadurch unsichtbar machen kann. Als ihre Mutter entführt wird, kommt ihr genau
diese Eigenschaft zugute. Mit der Hilfe von Kaya, genannt App, einer genialen Technikerin, sowie Tobi, einem echten
Fahrradkünstler, macht sie sich auf die Suche nach der Entführten – und muss plötzlich feststellen, dass sie tatsächlich
wahre Freunde hat... Kinderfilme, in denen so richtig die Post abgeht und die auch spannend sind, sind rar gesät in
deutschen Landen. Da freut es einen umso mehr, dass Markus Dietrich mit INVISIBLE SUE einen Schlussstrich zieht
und souverän beweist: “Wir können auch anders!”. Mit einer an gängigen Actionthrillern orientierten Optik, einem
aufwändigen Produktionsdesign und einem von Superhelden inspirierten Drehbuch kommt (Achtung: gleich zu Beginn
eine wunderbare Hommage an das Marvel-Logo!), gibt sich INVISIBLE SUE als eine Art James Bond für Kids, der
auf seine ganze eigene Art und Weise Mobbing, Freundschaft und erste Liebe thematisiert. Besetzungstechnisch
überzeugen vor allem die beiden Mädchen Ruby M. Lichtenberg und Anna Shirin Habedank, die prima Vorbilder
abgeben. Gegen diese Frauen-Power kommen die kleinen und großen Männer nicht an! Der in Deutschland und
Luxemburg entstandene Film überzeugt auch mit seinen visuellen Effekten und ist auch gleich für den internationalen
Markt angelegt (die Endtitel beispielsweise hat man gleich in Englisch gehalten). Und falls der Film erfolgreich ist (was
man ihm gerne wünscht), so wird natürlich auch gleich eine Fortsetzung vorbereitet – eben ganz im Stil der
amerikanischen Blockbuster-Superhelden-Filme. Aber ganz ehrlich: da schaue ich mir doch viel lieber die “Invisible
Sue” in ihrem roten Kapuzenshirt an.
FACE_IT! – DAS GESICHT IM ZEITALTER DES DIGITALISMUS (1:1.78, 5.1) Verleih: missingFilms Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Gerd Conradt Kinostart: 25.07.2019
In seinem Dokumentarfilm spürt Gerd Conradt der Frage nach, inwieweit die moderne Technik das Gesicht durch
entsprechende Codierung sozusagen als moderner Fingerabdruck Zugang zur Persönlichkeit eines Menschen verschafft.
Datenschützer, Künstler, ein Medienrebell, eine Kunsthistorikerin und auch die Staatsministerin für Digitalisierung in
Deutschland holt sich Conradt vor die Kamera, um über FACS (Face Action Coding System) zu diskutieren, also jener
Technologie, die es ermöglichen soll, das Gesicht als Spiegel der Seele digital auszuwerten. Angeregt durch einen
Pilotversuch am Berliner Bahnhof Südkreuz versucht Conradt in seinem Film das Für und Wider der neuen Technik
abzuwägen, teils in Selbstversuchen, teils durch Konfrontation seiner Interviewpartner mit entsprechenden
(künstlerischen) Videos und macht dadurch deutlich, wie schwierig es ist, tatsächlich Rückschlüsse auf das Wesen eines
Menschen nur anhand seines Gesichtsausdrucks zu ziehen. Er zeigt auch die Gefahren auf, die durch eine solche neue
Technik entstehen können. Denn was passiert mit den Daten der Kameras, die überall Menschen aufnehmen. In wessen
Hände gelangen sie? Könnte beispielsweise eine Diktatur diese für ihre Zwecke missbrauchen? Ein interessanter Film
zur andauernden Debatte über die Wahrung der Persönlichkeitsrechte.
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Dienstag, 23. Juli 2019 Cholesterinbomben Hitzerekorde draußen, Klimaanlage drinnen – Kino macht Spaß GELOBT SEI GOTT (1:1.85, 5.1) OT: Grâce A Dieu Verleih: Pandora Land/Jahr: Frankreich 2019 Regie: François Ozon Darsteller: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud Kinostart: 26.09.2019
Als Alexandre, Vater von fünf Kindern und ein gläubiger Mann, erfährt, dass genau jener Priester, von dem er als Kind
missbraucht wurde, immer noch mit Kindern arbeitet, schrillen bei ihm die Alarmglocken. Er beschließt zu handeln. In
Francois und Emmanuel, ebenfalls Missbrauchsopfer, findet er bald Verbündete im Kampf gegen das Schweigen der
Kirche... Den nach wahren Begebenheiten entstandenen Film entspinnt Regisseur François Ozon wie einen
Tatsachenbericht und verzichtet damit weitestgehend auf einen Spannungsbogen. Er lässt Briefe und
E-Mail-Korrespondenz von den Protagonisten aus dem Off verlesen, wechselt oft die auf der Leinwand agierenden
Personen und damit die Erzählperspektive und bringt sich am Ende noch gar um den perfekten Schluss: “Glaubst Du
noch an Gott?” fragt da einer der Söhne eines Missbrauchsopfers seinen Vater. Die Kamera hält auf das Gesicht des
Vaters, der keine Antwort geben kann. Es ist schade, dass genau diese Einstellung nicht die letzte im Film ist. Ozons
Film behandelt zwar ein extrem wichtiges Thema, geht dies aber einfach zu nüchtern an, um als Spielfilm zu
überzeugen.
LEBERKÄSJUNKIE (1:1.85, 5.1) Verleih: Constantin Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Ed Herzog Darsteller: Sebastian Bezzel, Simon Schwarz, Lisa Maria Potthoff Kinostart: 01.08.2019
“Riecht a bisserl nach Schweinebraten, gell?” sagt der zum Tatort gerufene Landarzt angesichts einer vollkommen
verkohlten Leiche. Dem Eberhofer wird dabei schon etwas flau um die Nase, was der Herr Doktor natürlich sofort auf
dessen vollkommen falsche Ernährung schiebt. Denn Leberkäsbrötchen seien halt echte Cholesterinbomben. Das passt
dem Dorfpolizisten freilich ganz und gar nicht, liebt er doch Omas deftiges Essen zu allen Tages- und Nachtzeiten.
Damit ist jetzt aber Schluss. Diät ist angesagt. Das ist natürlich viel schlimmer als jedwede verkohlte Leiche, die da
irgendwo herumliegt. Ganz zu schweigen von der Susi, die jetzt auch noch das gemeinsame Kind beim Papa ablädt...
Bereits zum sechsten Mal bringen Ed Herzog und sein Team einen Eberhofer-Krimi nach Rita Falk auf die Kinoleinwand.
Mit ihrer deftigen Prise schwarzen Humors sowie den skurrilen Figuren genießen die Bayern-Krimis inzwischen
Kultstatus und sorgen für volle Häuser. Wer alle Filme kennt und diese möglichst in chronologischer Reihenfolge
gesehen hat, dem werden sich die vielen Feinheiten auch des neuen Films erst richtig erschließen. Denn der
Mikrokosmos der Dorfgemeinde Niederkaltenhofen mit seinem Dreh- und Angelpunkt Franz Eberhofer ist für eifrige
Kinogänger schon längst zu einer Familie geworden. Man kennt die Eigenheiten der Protagonisten in- und auswändig
und kann gerade deswegen herzhaft darüber lachen. Neueinsteigern werden sich die Feinheiten zwar nicht erschließen,
doch wächst man in diese verschrobene Gemeinde ziemlich schnell hinein. LEBERKÄSJUNKIE zelebriert einmal
mehr bayerische Lebensart auf absolut köstliche Weise: skurril und a bisserl pervers, aber stets mit prickelnden
Gaumenfreuden.
BENJAMIN BLÜMCHEN (1:1.85, 5.1) Verleih: Studiocanal Land/Jahr: Deutschland 2018 Regie: Tim Trachte Darsteller: Manuel Santos Gelke, Heike Makatsch, Friedrich von Thun, Dieter Hallervorden, Uwe Ochsenknecht Kinostart: 01.08.2019
Die Ferien darf der kleine Otto an seinem Lieblingsplatz verbringen, dem städtischen Zoo, wohnt hier doch sein
allerbester Freund, der sprechende Elefant Benjamin Blümchen. Als jedoch Frau Zack auf dem Gelände auftaucht, um
den Zoo angeblich zu sanieren, ist Obacht geboten. Otto spürt sofort, dass diese Dame etwas im Schilde führt.
Gemeinsam mit Benjamin will er der Sache auf den Grund gehen und stürzt sich damit in ein gefährliches Abenteuer...
“Töröööööö!” – endlich kommt Deutschlands beliebtester Elefant auf die große Leinwand. Allerdings eingebettet in
eine vollkommen künstlich wirkende Welt. Die Kombination aus Realfilm und Computeranimation hat hier offenbar
ihre Opfer gefordert, vermutlich weil das Budget nicht mehr zugelassen hat. Wer also mit den Erwartungen großer
Hollywood-Produktionen in diesen Film geht, wird in dieser Hinsicht eine herbe Enttäuschung erleben. Etwas
ausgeglichen wird die upradefähige Optik des Films durch ein gut gelauntes Darstellerensemble, bei dem vor allem
Heike Makatsch als geldgierige Unternehmerin hervorsticht. Kleine Kinder werden ganz bestimmt ihren Spaß damit
haben. Begleitende Erwachsene müssen da einfach durch.
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Montag, 22. Juli 2019 Nichts ist paradiesisch im Paradies Eröffnung der neuen Presse-Woche mit einem Sci-Fi-Thriller PARADISE HILLS (1:2.00, DD 5.1) OT: Paradise Hills Verleih: Kinostar Land/Jahr: Spanien 2019 Regie: Alice Waddington Darsteller: Emma Roberts, Danielle Macdonald, Awkwafina, Milla Jovovich Kinostart: 29.08.2019
Als Uma zu sich kommt, findet sie sich in einem Paradies, das gleichzeitig ein Gefängnis darstellt. Abgeschottet von der
Außenwelt soll in einem dubiosen Etablissement jungen Frauen geholfen werden, ihre “Probleme” zu überwinden. Im
Fall von Uma ist dieses Problem ihre ablehnende Haltung jenem Mann gegenüber, den ihre Eltern als Schwiegersohn in
spe auserkoren haben. Doch die eigenwillige Uma durchschaut das perfide System und setzt sich zur Wehr... Es ist alles
andere als paradiesisch in “Paradise Hills”. Mit Motiven aus Filmen wie INVASION DER KÖRPERFRESSER oder
TV-Serien wie NUMMER 6 erzählt Regisseurin Alice Waddington von einer Einrichtung, in der junge Frauen gemäß
den Wünschen ihrer Eltern (oder anderer nahestehenden Menschen) auf Spur gebracht werden sollen. Emma Roberts
spielt Uma, eine Rebellin, die sich nicht so einfach unterkriegen lassen möchte. Ihre Widersacherin wird von Milla
Jovovich gespielt, die Leiterin des fragwürdigen Internats, die als böse Stiefmutter einem Märchen der Gebrüder Grimm
entsprungen sein könnte. Es geht um die eigene Identität, die nicht den Wünschen Anderer geopfert werden sollte.
Verpackt als klaustrophobisch anmutender Sci-Fi-Thriller vermag die Geschichte nicht über die gesamte Länge des
Films zu tragen, insbesondere deswegen nicht, weil sie nichts Neues darstellt. Ein B-Film für Genre-Fans.
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Dienstag, 16. Juli 2019 Ruhe bitte! In Vorbereitung auf das Indische Filmfestival musste ich leider “streamen” NAMDEV BHAU – IN SEARCH OF SILENCE (1:2.35, DD 5.1) OT: Namdev Bhau Verleih: ohne Land/Jahr: Indien 2018 Regie: Dar Gai Darsteller: Namdev Gurav, Zoya Hussain, Arya Dave Kinostart: ohne
Der Eröffnungsfilm des diesjährigen “Indischen Filmfestivals” in Stuttgart gibt sich als Road Movie der besonderen Art.
In großartigen CinemaScope-Bildern erzählt er die Reise des alten Namdev Bhau, der sich nichts sehnlicher wünscht als
Stille. Nicht nur in seinem Job als Chauffeur in der Großstadt umgibt ihn den ganzen Tag mit Lärm, auch in seinem
Zuhause findet er keine Ruhe. Seine Frau und seine Tochter quasseln den ganzen Tag unentwegt auf ihn ein. Namdev
hat aufgegeben: er spricht kein Wort mehr. Stattdessen packt er schweigend seinen Koffer und macht sich auf den Weg
ins Tal der Stille. Doch der Weg dorthin ist mühsam und beschwerlich und – wieder voller Lärm und Geräusche!
Alsbald bekommt Namdev sogar noch ungefragt Gesellschaft: der kleine Aaliq schließt sich dem mürrischen
Ruhebedürftigen an. Sein Ziel ist die Rote Burg, wo er seine Eltern treffen wird. So marschieren sie wie Opa und Enkel
Seite an Seite einer ungewisse Zukunft entgegen. Für beide Protagonisten wird die endlose Reise neue Erkenntnisse über
das Leben liefern, die sie in ihrer Heimat so nie erfahren hätten. Dar Gais Film ist keiner großer Worte, sondern eher
einer der leisen Töne, der uns bewusst macht, wie sehr wir uns doch durch die sogenannte Zivilisation von uns selbst
entfernt haben. PNAMDEV BHAU gibt sich ebenso poetisch wie komisch und begeistert durch seine grandiosen Bilder
wilder Landschaften.
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Sonntag, 14. Juli 2019 All You Need Is Love Eine Welt ohne die Beatles? Unvorstellbar – außer im Kino! YESTERDAY (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos) OT: Yesterday Verleih: Universal Land/Jahr: Großbritannien 2019 Regie: Danny Boyle Darsteller: Himesh Patel, Lily James, Sophia Di Martino Kinostart: 11.07.2019
Just in dem Augenblick, als es einen weltweiten Stromausfall gibt, wird der erfolglose Songwriter Jack Malik von einem
Bus angefahren und landet bewusstlos im Krankenhaus. Als er wieder erwacht, muss er feststellen, dass offenbar die
Erinnerung an die “Beatles” aus dem kollektiven Bewusststein der gesamten Menschheit gelöscht wurde. Jack packt die
Gelegenheit beim Schopfe und eignet sich alle Songs der Pilzköpfe an und gibt sie als seine eigenen Kreationen aus –
mit phänomenalem Erfolg! Doch je berühmter Jack wird, desto schwieriger wird seine Beziehung zu Ellie, seiner
Managerin, die immer an ihn geglaubt hat und unsterblich in ihn verliebt ist. Werden die beiden Herzen zueinander
finden? - Die Idee zu dieser von Danny Boyle inszenierten Feelgood-Komödie stammt von Richard Curtis, jenem Mann,
dem wir den wunderbaren Weihnachtsfilm TATSÄCHLICH LIEBE zu verdanken haben. Mit dem zu Hochform
auflaufenden Himesh Patel in der Hauptrolle und der bezaubernden Lily James an seiner Seite wird die Geschichte einer
Liebe erzählt, die sehr lange braucht, um endlich in Erfüllung zu gehen. Neben den Hauptdarstellern wartet Boyles Film
auch mit herrlichen Nebenrollen auf. Dazu zählen vor allem Sanjeev Bhaskar und Meera Syal als Jack Maliks Eltern, die
bei jedem ihrer Auftritte für höchstes Amüsement sorgen (und ganz bestimmt Erinnerungen an die eigenen Eltern
wecken!) sowie Kate McKinnon als Debra Hammer, der perfekten Karikatur einer Musikmanagerin. Musikalisch ist die
Komödie mit so ziemlich allen Evergreens der Beatles ausgestattet, die speziell in den tontechnisch fulminanten
Konzertsequenzen ihre volle Wirkung entfalten dürfen. All You Need Is Love – Danny Boyles Film bringt es auf den
Punkt und eignet sich daher ganz besonders als prickelndes Date Movie.
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Dienstag, 09. Juli 2019 Action for Kids and Adults Abwechslungsreiches Filmprogramm am Presse-Dienstag STUBER – 5 STERNE UNDERCOVER (1:2.35, DD 5.1 + Atmos) OT: Stuber Verleih: Fox Land/Jahr: USA 2019 Regie: Michael Dowse Darsteller: Dave Bautista, Kumail Nanjiani, Iko Uwais Kinostart: 22.08.2019
Vic ist knallharter Polizist, der nach dem gewaltsamen Tod seiner Kollegin darauf sinnt, den Täter dingfest zu machen.
Stu ist ein sanftmütiger Uber-Fahrer, der davon träumt, seine eigenes Fitness-Studio zu eröffnen. Gesucht haben sich die
beiden nicht, aber gefunden: weil Vic aufgrund einer Augen-OP kaum noch etwas sehen kann, benötigt er einen Fahrer –
und da kommt Stu gerade recht. Gemeinsam macht sich das ungleiche Duo auf Verbrecherjagd... Das Grundgerüst der
von Michael Dowse inszenierten Action-Komödie ist nicht wirklich neu, erinnert es doch an Filme wie BEVERY
HILLS COP. Es gibt leider nur wenige richtig witzige Sprüche (etwa wenn Dave Bautista angesichts seines extrem
schlechten Sehvermögens zum Fahrer sagt “Das wird schon wieder” und ihm Kumail Nanjiani antwortet “That’s the
Spirit!”, weil er meint, er sei blind) und dafür umso mehr knallharte Brutalitäten. Letztere wirken allesamt ziemlich
aufgesetzt, der Film hätte durchaus ohne die Gewalt auskommen können. Wie sich das ungleiche Duo nach langem Hin
und Her zu einem echt guten Team zusammenrauft, ist leider nur mäßig unterhaltsam. Nach spätestens einer
Dreiviertelstunde hat der Film sein gesamtes Pulver bereits verschossen. Echter Nutznießer dabei ist nur die Firma Uber,
der mit diesem Film eine gigantische Werbeplattform zur Verfügung gestellt wird.
PLAYMOBIL – DER FILM (1:2.35, 5.1) OT: Playmobil: The Movie Verleih: Concorde Land/Jahr: USA 2019 Regie: Lino DiSalvo Kinostart: 29.08.2019
Unter geheimnisvollen Umständen geraten die Geschwister Marla und Charlie als Playmobil-Figuren in ein
Paralleluniversum. Als ihr Bruder verlorengeht, hängt Marla alles daran, ihn wieder zu finden. Gemeinsam mit anderen
Figuren macht sie sich auf die abenteuerliche und gefährliche Suche... Nach bekanntem Muster entwickelt Disneys
Ex-Chefanimator Lino DiSalvo in seinem Regiedebüt die Geschichte um Marla und ihren kleinen Bruder Charlie, die
durch magische Kräfte in das Playmobil-Universum gezogen werden. Mit netten und durchaus witzigen Einfällen
werden die Abenteuer der Geschwister unterhaltsam inszeniert, auch wenn die Tiefe der Charaktere etwas zu wünschen
übrig lässt. Familie ist das große Thema in DiSalvos computeranimertem Abenteuer, das mit einigen Songs aufwartet
und von Realfilmszenen umklammert wird. Family Entertainment für zwischendurch.
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Montag, 08. Juli 2019 Nicht gesellschaftsfähig Ein Knaller zum Wochenauftakt SYSTEMSPRENGER (1:1.85, 5.1) Verleih: Port-au-Prince (24 Bilder) Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Nora Fingscheidt Darsteller: Helena Zengel, Gabriela Maria Schmeide, Albrecht Schuch Kinostart: 19.09.2019
Die neunjährige Benni ist das, was man im Jugendamt als “Systemsprenger” bezeichnet. Denn ganz egal, wo sie
hinkommt – sie fliegt sofort wieder raus. Se es Pflegefamilie, Wohngruppe oder Sonderschule. Benni möchte nur eines:
bei ihrer Mutter sein. Die aber hat inzwischen Angst vor ihrer unberechenbaren Tochter. Als diskutiert wird, Benni in
einer geschlossenen Anstalt unterzubringen, macht Bennis Schulbegleiter Micha, seines Zeichens Anti-Gewalttrainer,
einen Vorschlag: er möchte Benni ein paar Tage unter seine Fittiche nehmen. Das Experiment nimmt seinen Lauf... Mit
einer atemberaubend wilden Hauptdarstellerin und handwerklicher Raffinesse bringt Nora Fingscheidt die Geschichte
der neunjährigen Benni mit solcher Wucht auf die Leinwand, dass einem manchmal fast der Atem stocken bleibt.
Helena Zengel heisst das kleine Naturtalent mit den kurzen blonden Haaren, die bereits in dem 2017 entstandenen Film DIE TOCHTER überzeugte. Sie fügt sich großartig in ihre Rolle, die sie schreien, um sich schlagen, rennen und
prügeln lässt. Das ausgefeilte Sounddesign, zu der auch die Filmmusik von John Gürtler zählt, sorgt dafür, dass sich
diese ungebündelte Energie auf den Zuschauerraum überträgt. Man fühlt mit Benni – die ganze Zeit. Zudem verleihen
Kameraarbeit sowie die handverlesenen Darsteller dem Film eine unglaubliche Authentizität. SYSTEMSPRENGER ist
großes deutsches Kino, das unter die Haut geht. Unbedingt im Kino anschauen!
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Sonntag, 07. Juli 2019 Als wär’s ein Stück Bollywood Deutsches Unterhaltungskino stand am Sonntag auf meiner “To Watch”-Liste TRAUMFABRIK (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos) Verleih: Tobis Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Martin Schreier Darsteller: Dennis Mojen, Emilia Schüle, Heiner Lauterbach Kinostart: 04.07.2019
Frisch zurück vom Militärdienst findet Emil 1961 einen Job als Komparse im DEFA-Studio Babelsberg. Als er dort
Milou kennenlernt, die als Tanzdouble für eine berühmte französische Schauspielerin arbeitet, ist es um ihn geschehen:
es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch gerade als sich die beiden zu einem Rendezvous verabreden, macht ihnen die
Geschichte einen Strich durch die Rechnung: die Grenzen zwischen West und Ost werden geschlossen. Milou bleibt im
Westen, Emil ist im Osten gefangen. Um seine geliebte Milou trotzdem noch einmal wiedersehen zu können, fasst Emil
einen tollkühnen Plan... Als hätte Bollywood Pate gestanden – in seiner dramatischen Liebesgeschichte vor dem
Hintergrund der Teilung Deutschlands zieht Regisseur Martin Schreier sämtliche Register, um große Emotionen zu
schüren. Dass sich das Drehbuch dabei öfters als ziemliche Klamotte gibt, nimmt er gemäß indischen Vorbildern
bewusst in Kauf. Zuschauer, die damit noch nie in Berührung kamen, könnten hier leicht verwirrt sein und sich vielleicht
sogar ein wenig ärgern. Jedermanns Geschmack ist es definitiv nicht. Denn was man bei echtem Bollywood-Kino noch
irgendwie akzeptiert, weil es ja “exotisch” ist, das funktioniert bei einem deutschen Thema eben nur bedingt. Lässt man
ich darauf ein, so erkennt man recht schnell die großen Qualitäten des Films: exzellente Bildkompositionen (Martin
Schlecht) mit teil entfesselter Kamera, raffinierte Szenenübergänge und eine fabelhafte orchestrale Filmmusik (Philipp
Noll). Letztere ist es, die Schreier gekonnt einsetzt, um die großen Emotionen zu schüren. Zudem dürfte Schreier damit
zu einem der ganz wenigen deutschen Filmemachern gehören, die zu Gunsten der Musik auch mal Dialoge und
Geräusche komplett ausblendet und damit in seinem Film einen echten Höhepunkt inszeniert, wenn Emilia Schüle
gemeinsam mit dem Fernsehballett Cleopatras Tempeltanz aufführt. Beeindruckend im Film gibt sich auch die
Tonmischung, die das “Dolby Atmos”-Format bewusst einsetzt, um Realismus zu erzeugen. Besonders schön jener
Moment, wenn das Orchester im Studio die Filmmusik zum Film im Film einspielt, sich die Kamera erhebt, über das
Orchester schwebt, dieses hinter sich lässt und auf die Aufnahmekabine hält, während auf der Tonebene das spielende
Orchester sehr präzise in den hinteren Teil des Kinosaals entschwebt. Was die Besetzung angeht, setzt Schreier hier
weniger auf Charaktere als vielmehr auf Klischees: jung und hübsch das Paar, das sich finden muss, streng und humorlos
die Herren von der Stasi und dem Babelsberg-Management. TRAUMFABRIK – wie der Name schon andeutet – ist
reines Unterhaltungskino, das etwas zu lang geraten ist, einem ganz bestimmten Schema folgt und damit vorhersehbar
ist, aber handwerklich dafür keine Wünsche offen lässt.
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Donnerstag, 04. Juli 2019 Lotta bringt Schwung in die Bude Der heutige Film appellierte erfolgreich an mein Kind im Manne MEIN LOTTA-LEBEN – ALLES BINGO MIT FLAMINGO! (1:2.35, 5.1) Verleih: Wild Bunch (Central) Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Neele Leana Vollmar Darsteller: Meggy Marie Hussong, Yola Streese, Laura Tonke Kinostart: 29.08.2019
Lottas Alltag ist geprägt von ihren herumtobenden Blöd-Brüdern, ihrer kaufsüchtigen Frau Mama und ihrem immer sehr
beschäftigten Herrn Papa. Wie gut, dass sie Cheyenne hat, ihre beste Freundin. Mit ihr zusammen sowie mit dem
nerdigen Mitschüler Paul bilden sie die “Wilden Kaninchen”, eine richtige Bande. In der Schule werden sie ständig von
den Glämmer-Girls gehänselt, einer rein auf Äußerlichkeiten bedachten arroganten Mädelsclique unter Führung von
Mitschülerin Berenike. Als die die ganze Klasse zu einer Party einlädt, bleiben Lotta und Cheyenne außen vor. Sogar
der liebe Paul steht auf der Gästeliste. Weil die beiden Mädchen aber alles andere als auf die Nase gefallen sind,
schmieden sie einen Plan, wie sie doch noch an eine Einladung kommen können. Das aber treibt die besten Freundinnen
plötzlich auseinander. Ob sich der Bruch wider reparieren lässt? - Schon wenn die kleine titelgebende Heldin der
Geschichte (mit Meggy Marie Hussong prima besetzt) gleich zu Anfang in die Kamera spricht und dem Zuschauer eine
Führung durch ihr Zuhause gibt, dürfte der Funke überspringen: hier präsentiert sich als Identifikationsfigur par
excellence! Auch während des Films dreht sie immer wieder ihr Gesicht in Richtung Kamera, um mit dem Publikum zu
kommunizieren und sich auf diese Weise Leidensgenossinnen und –genossen zu beschaffen. Unterstützt wird diese
unkonventionelle Inszenierung durch eine Vielzahl von kleinen Animationen in weißer Farbe, die über die Realbilder
gelegt werden und damit eine Art AR (Augmented Reality) für Kids darstellen. Da fliegen beispielsweise jede Menge
Noten aus Lottas Flöte (die zum willkommenen Running Gag wird!), wenn sie damit musiziert oder es erscheint über
ihrem Kopf eine Regenwolke aus der es tropft, wenn Lotta deprimiert ist. All diese netten Animationen kommentieren
die Bilder, Gerüche und Gefühle in witziger Weise. Basierend auf den Büchern von Alice Pantermüller und den
Illustrationen von Daniela Kohl erzählt MEIN LOTTA-LEBEN von den Problemen und Nöten kleiner
Heranwachsender – von Familienkrisen über Lehrerterror bis hin zu Mobbing, aber vor allem von Freundschaft und was
sie bedeutet. Auch wenn Neele Leana Vollmar mit ihrem Film insbesondere Kinder anspricht, so können hier auch
Erwachsene durchaus etwas mit nach Hause nehmen. Ein Film, den man sich am besten mit seinen Kindern zusammen
anschaut. Es lohnt sich.
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Montag, 01. Juli 2019 Die nicht mehr leben möchte Heute gab es Kino vom anderen Stern. Sozusagen. FRAU STERN (1:1.37, 5.1) Verleih: Neue Visionen Land/Jahr: Deutschland 2019 Regie: Anatol Schuster Darsteller: Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder Kinostart: 29.08.2019
“Ich habe das KZ überlebt, also werde ich auch das Rauchen überleben”, sagt die 90jährige Frau Stern ihrem Arzt, als
der meint, sie solle das Rauchen sein lassen. Umbringen möchte sie sich aber trotzdem. Am liebsten mit einer Waffe.
Doch weder das Mädchen hinter dem Tresen ihrer Stammkneipe noch ihre Enkelin können ihr beim Beschaffen einer
Waffe helfen. So fristet die alte Jüdin ihre Tage in ihrem Berliner Stadtteil, lässt sich zuhause die Haare schneiden und
Zigaretten drehen, sieht fern oder trifft sich mit ihrer Enkelin. Aber Leben möchte sie nicht mehr... Durchaus als Beitrag
zum deutschen “Mumblecore”-Genre könnte man Anatol Schusters Spielfilm bezeichnen, denn viele der Dialoge
könnten in der Tat improvisiert sein. Im klassischen 4x3 Stummfilmformat aufgenommen (das Frau Sterns Welt
entspricht), ist der Film ganz auf seine Hauptdarstellerin zugeschnitten. Für die aus Israel stammende 80jährige Ahuva
Sommerfeld war es ihr Debüt als Schauspielerin. Kurz nach Ende der Dreharbeiten verstarb sie im Alter von 81 Jahren.
Viel von dem, was sie in ihre erste und gleichsam letzte Rolle legte, dürfte autobiographisch angehaucht sein. FRAU
STERN ist anderes Kino, hat mit Kommerz nicht viel zu tun. Lässt man sich auf diese ungewöhnliche Begegnung ein,
wird man mit 79 wertvollen Filmminuten belohnt.
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