Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Sonntag, 28. Juni 2020
Von Einem, der nur seinen Job machte
Weil sich Warner nach wie vor beharrlich weigert, seine Produkte in ordentlichen Pressevorführungen den Stuttgarter Journalisten zu zeigen, nahm ich heute mal wieder einen “Nachsitztermin” wahr

DER FALL RICHARD JEWELL (1:2.35, DD 5.1 + 7.1)
OT: Richard Jewell
Verleih: Warner
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Kathy Bates
Kinostart: 25.06.2020

Als bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta ein Bombenanschlag verübt wird, gerät der gutmütige und loyale Wachmann Richard Jewell ins Visier der Fahnder. Als eine Sensationsreporterin die bislang streng geheimen Untersuchungen publik macht, gerät der unschuldige Wachmann erst recht in die Mühlen der Ermittlungen... Dass man auch mit 90 Jahren noch verdammt gute Filme machen kann, beweist Clint Eastwood mit seiner jüngsten Regiearbeit: die Lauflänge von 131 Minuten fühlen sich an wie nur 90 Minuten! Anhand der wahren Geschichte des Richard Jewell demonstriert Eastwood, was es bedeutet vollkommen unschuldig in die Fänge des FBI zu geraten und wie eine solche Situation das bisherige Leben nicht nur von Jewell selbst, sondern auch das seiner Mutter auf den Kopf stellt. Mit souveräner Hand und viel Understatement inszeniert der Altmeister diese spannende Geschichte, in dessen Mittelpunkt drei hervorragende Darsteller stehen. Allen voran Paul Walter Hauser, der in seiner Rolle als korpulenter und etwas naiver Gutmensch, der eigentlich nur seinen Job machen will, vollkommen aufgeht. Auch Kathy Bates überzeugt in der Rolle seiner Mutter. Gewohnt “run down” gibt Sam Rockwell den Rechtsanwalt, der Richard mit besten Kräften zur Seite steht. Diese Darsteller-Troika sollte man übrigens unbedingt im amerikanischen Original erleben – es lohnt sich. Wie auch der ganze Film, der nur einen einzigen Wermutstropfen enthält: die Tränen, die die von Olivia Wilde gespielte Journalistin vergießt, als sich Richards Mutter mit einer ergreifenden Rede an die Öffentlichkeit wendet, wirken ziemlich aufgesetzt und passen ganz und gar nicht ins Profil einer skrupellosen Sensationsreporterin.
Mittwoch, 24. Juni 2020
Familie und Loyalität
Licht am Ende eines langen Tunnels: nach mehreren Monaten Stillstand gab es heute mal wieder eine Pressevorführung

SEMPER FI (1:2.35, 5.1)
OT: Semper Fi
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: Großbritannien, USA 2019
Regie: Henry Alex Rubin
Darsteller: Jai Courtney, Nat Wolff, Leighton Meester
Kinostart: 09.07.2020

Polizist Callahan und sein arbeitsloser Halbbruder Oyster verbringen jede freie Minute im Kreise mit ihrer Männerclique. Man geht gemeinsam zum Bowling oder baggert Mädchen in der Bar an. Allesamt sind die jungen Männer Reservisten der Marine und rechnen Tag für Tag damit, zum Krieg in den Irak geschickt zu werden. Dann passiert ein Unglück: nach einer Auseinandersetzung mit Oyster stirbt sein Kontrahent und Oyster wandert in den Knast – für 25 Jahre! Dass ihn ausgerechnet sein Bruder in seiner Funktion als loyaler Polizist in diese Lage gebracht hat, verzeiht ihm Oyster nicht. Kurz darauf wird Callahan in den Irak beordert. Nach seiner Rückkehr erfährt er, dass Oyster im Gefängnis von den Wärtern drangsaliert wird. Callahan fasst einen folgenschweren Entschluss... Ein großes Lob gebührt dem Kinostar-Filmverleih. Nicht des Filmes wegen, sondern weil er mit SEMPER FI die erste Pressevorführung in Stuttgart seit dem Lockdown organisierte und sich damit ganz klar zur Kinoauswertung bekennt (im Gegensatz zu vielen anderen Filmverleihern, die inzwischen leider nur noch Streams zu Rezensionszwecken anbieten). Aber zurück zum Film. Regisseur Henry Alex Rubin lässt sich extrem viel Zeit damit, seine Protagonisten einzuführen und zu zeigen, dass es eine eingeschworene Männer-Clique ist, bei der jeder Einzelne für alle anderen durchs Feuer gehen würde wenn es darauf ankäme. Rubins Schauspielerriege füllt die Rollen der oft ungestümen Jungs zwar gut aus, doch die Charaktere gehen nicht wirklich in die Tiefe. Stattdessen versucht sich der Film an gängigen Klischees. Ein anderes, wenn auch untergeordnetes Problem mit dem Cast: manchmal kann man die einzelnen Figuren einfach nicht unterscheiden! Das ist natürlich nicht sonderlich förderlich wenn man der Handlung folgen möchte. An Fahrt gewinnt der Film erst in der letzten halben Stunde. Die fühlt sich dann allerdings so an, als würde sie gar nicht dazugehören und man in einem ganz anderen Film wäre. Lohnt sich der Gang ins Kino? Eigentlich eher nicht aufgrund seiner zwar handwerklich überzeugenden, aber einfach zu epischen Herangehensweise an sein Thema. “Semper Fi” ist das Motto des United States Marine Corps und steht für Loyalität, welche im Film auch zwischen den Halbbrüdern und auch zwischen den Freunden besteht. Einer für alle, alle für Einen.

Mittwoch, 10. Juni 2020
Kleine Soldaten
Die Wiedereröffnung der Kinos nach der ersten Welle der Corona-Pandemie begann gleich mit einem beeindruckend starken Film

MONOS – ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE (1:2.35, 5.1)
OT: Monos
Verleih: DCM
Land/Jahr: Kolumbien, Argentinien, Niederlande, Deutschland, Schweden, Uruguay, USA, Schweiz 2019
Regie: Alejandro Landes
Darsteller: Sofia Buenaventura, Julián Giraldo, Karen Quintero
Kinostart: 04.06.2020

Irgendwo in einem Niemandsland weit oben in den Bergen müssen acht schwer bewaffnete Kinder nicht nur auf eine wertvolle Milchkuh achten, sondern auch eine ausländische Geisel bewachen. Unter der knallharten Hand eines kleinwüchsigen Befehlshabers wird die Truppe bis zur Erschöpfung gedrillt. Als er die Truppe sich selbst überlässt, beginnt ganz allmählich alles aus dem Ruder zu laufen... Nach einer Abstinenz von fast exakt drei Monaten hat sich für mich das Kino wieder zurückgemeldet – und wie! Alejandro Landes‘ MONOS ist wie ein Paukenschlag! Das Crossover zwischen HERR DER FLIEGEN und APOKALYPSE NOW besitzt enorme Strahlkraft dank der gewaltigen Bilder von Kameramann Jasper Wolf, die von den fulminanten Klangwelten der Komponistin Mica Levi unterstützt werden. Es braucht zwar eine ganze Weile, bis man sich als Zuschauer in Landes‘ Mikrokosmos zurechtfindet, doch wenn es soweit ist, entwickelt der Film eine fast schon verstörerische Sogwirkung, die einen nicht mehr loslässt. Der Regisseur beweist auch ein gutes Händchen für die Besetzung. Seine Kindersoldaten sind beängstigend überzeugend. Der Film ist zwar im Amazonas-Gebiet angesiedelt, doch seine Botschaft ist universell und hallt noch lange nach Ende der Kinovorführung nach. Ein Geheimtipp!

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