Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Sonntag, 26. Juli 2020
Einer sucht die Glückseligkeit
Zur Abwechslung heute mal wieder Dokumentarisches

WELTREISE MIT BUDDHA – AUF DER SUCHE NACH GLÜCKSELIGKEIT (1:1.78, 5.1)
Verleih: Happy Entertainment (24 Bilder)
Land/Jahr: Deutschland 2019
Regie: Jesco Puluj
Kinostart: 30.07.2020

Der deutsche Filmemacher Jesco Puluj ist begeistert vom stets zufriedenen Gesichtsausdruck aller Buddha-Statuen. Eine Zufriedenheit, die er selbst gerne einmal erfahren würde. So macht sich der junge Mann eines Tages auf die Reise, um auf den Spuren Buddhas Glückseligkeit zu finden. Sein Weg führt ihn von Thailand über China bis hin nach Afrika. Er spricht mit buddhistischen Mönchen und zeigt deren einfaches Leben, ist aber immer unzufrieden mit dem, was er findet. In einem Selbstversuch als buddhistischer Mönch versucht er schließlich, die Glückseligkeit zu entdecken, scheitert jedoch an der erschlagenden Menge von Regeln, die er einhalten soll. Puluj hat seinen Film zwar als Ein-Mann-Filmteam realisiert, versteht es jedoch, die Bilder so zu arrangieren, dass es gar nicht weiter auffällt und man das kleine Budget nicht bemerkt. Doch seine Suche nach Glückseligkeit nimmt man ihm nicht ganz ab. Vielmehr setzt sich der Eindruck durch, dass Puluj diesen Gedanken zum Vorwand nimmt, um die Welt zu bereisen. In dieser Hinsicht zumindest ist sein Film lohnenswert. Schöne Bilder und exotische Locations dominieren die Optik. Puluj konfrontiert den Zuschauer mit allen Ausprägungen des Buddhismus: vom einfachen Mönch bis hin zu einer Buddhismus-Industrie, die mit High-Tech (u.a. wird ein Mönchs-Roboter gezeigt!), wobei letztere Variante mit dem eigentlichen buddhistischen Gedanken nicht mehr viel gemein hat. Phra Julien, jener kanadische Mönch, der in Thailand dem Buddhismus huldigt, bringt dann die Kernaussage dieser Religion auf den Punkt. Und man stellt völlig überrascht fest, dass es eigentlich die Kernaussage jeder Religion ist.

Mittwoch, 22. Juli 2020
Der Geiger, der verschwand
Die letzte Pressevorführung des Monats brachte ein Drama auf die große Leinwand

THE SONG OF NAMES (1:2.35, 5.1)
OT: The Song Of Names
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: Kanada, Ungarn 2019
Regie: François Girard
Darsteller: Tim Roth, Clive Owen, Catherine McCormack
Kinostart: 06.08.2020

35 Jahre sind vergangen, als das jüdische Violin-Wunder Dovidl Rapoport 1951 ein Konzert in London platzen lässt und spurlos verschwindet. Ein Ereignis, das seinen Jugendfreund Martin nie losgelassen hat. Als der eines Tages einen Straßenmusiker sieht, der seinen Geigenstock genauso behandelt wie einst Dovidl, ist er davon überzeugt, dass sein Jugendfreund noch lebt. Und so begibt sich Martin auf die Suche... Gleich vorweg eine kleine Warnung an alle Clive Owen Fans: der Schauspieler taucht erst im letzten Drittel des Films auf. Also durchhalten! Zum Film: einmal mehr zeigt sich die hässliche Fratze des Zweiten Weltkriegs. Zwar indirekt, aber nicht zu übersehen. Regisseur François Girard schildert die Geschichte einer Freundschaft, die durch die Folgen des Kriegs auf eine harte Probe gestellt wird. Sein auf zwei Zeitebenen erzählter Film gibt sich düster und rätselhaft, lässt den Zuschauer etwas zappeln und verblüfft mit einer Erklärung, die man so hätte nicht erwartet und die gleichsam etwas enttäuschend wirkt. Neben den exzellent agierenden Tim Roth und Clive Owen sowie deren jugendliche Ausgaben Gerran Howell und Jonah Hauer-King imponiert vor allem die Filmmusik von Howard Shore, die mit großem Orchester und Choreinsatz dem Violinvirtuosen Leben einhaucht.
Donnerstag, 16. Juli 2020
Eine Mutter vertickt Drogen und ein Psychiater packt aus
Die einzige Doppelpresse im Juli – mit bestem Dank an Neue Visionen, jenem Filmverleih, der nach wie vor den Stuttgarter Filmkritikern die Treue hält

EINE FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN (1:2.35, 5.1)
OT: La Daronne
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Frankreich 2020
Regie: Jean-Paul Salomé
Darsteller: Isabelle Huppert, Hippolyte Girardot, Farida Ouchani
Kinostart: 08.10.2020

Patience, Mutter zweiter erwachsener Töchter und Witwe, arbeitet bei der Polizei als Übersetzerin. Ihre Hauptaufgabe dabei ist das Abhören von Telefonaten auf Arabisch, in denen Drogendeals verhandelt werden. Weil sie Geldsorgen hat und das Pflegeheim für ihre Mutter nicht mehr bezahlen kann, beschließt sie, sich selbst heimlich in einen Drogendeal einzuklinken. Mit ungeahnten Folgen... Den französischen Originaltitel würde man wohl am ehesten noch mit “Die Alte” übersetzen und würde damit den Kern der Geschichte weit mehr treffen als mit dem unsäglichen deutschen Verleihtitel. Jener suggeriert etwas, das der Film nicht bieten kann: schwarzen Humor gepaart mit Tempo. So plätschert Jean-Paul Salomés Film leider ein wenig dahin ohne wirklich witzig zu sein. Auch moralisch gesehen hat der Film ein gewisses Defizit, lässt er doch tatsächlich eine Straftat fast schon in einem heldenhaften Licht erscheinen. Immerhin darf sich Isabelle Huppert im Film so richtig austoben: sie mimt nicht nur die mit Geldnöten konfrontierte Mutter, sondern auch die taffe Geschäftsfrau aus dem Maghreb. Und das macht sie richtig gut. Wer auf Madame Huppert steht, der sollte sich den Film auf jeden Fall anschauen. Für alle anderen gibt es bestimmt bessere Filme.

DIE OBSKUREN GESCHICHTEN EINES ZUGREISENDEN (1:2.35, 5.1)
OT: Ventajas De Viajar En Tren
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Spanien, Frankreich 2019
Regie: Aritz Moreno
Darsteller: Luis Tosar, Pilar Castro, Ernesto Alterio
Kinostart: 20.08.2020

Während einer Zugreise kommt die Verlegerin Helga Pato mit ihrem Gegenüber ins Gespräch, der sich als Psychiater entpuppt und ihr freimütig einige seiner Patientengeschichten erzählt. Diese wird immer bizarrer und perverser... Aritz Morenos Debütfilm kommt einer Reise in die dunkelsten Zonen der menschlichen Psyche gleich. Mit teils irrwitzigen Bildern, bei denen die Kamera gerne auch mal Kopf steht (Kamera: Javi Agirre Erauso), schafft Moreno eine düstere, alptraumhafte Atmosphäre, die durch die Klangwelten Cristobal Tapia de Veers genial komplettiert werden. Die vielschichtig verschlungene Geschichte ähnelt einer Matrjoschka-Figur, deren Innerstes erst nach und nach offenbart wird. Grausam, abartig, beängstigend, surreal, verstörend – Morenos Film wäre beim Fantasy Filmfest richtig aufgehoben – und das nicht nur des Hauptdarstellers Luis Tosar wegen, der dort schon des Öfteren punkten konnte. Die FSK-Freigabe ab 18 Jahren ist bei diesem Film goldrichtig.

Update 10.08.2020: Die FSK hat den Film nun doch schon ab 16 Jahren freigegeben! Sehr bedenklich!

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