Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Montag, 28. Juni 2021
Als VHS noch König war
Heute entführte mich ein Horror-Thriller in jene Zeit, in der Schmuddelware in jeder Videothek zu finden war

CENSOR (1:2.35 + 1:1.85 + 1:1.37, 5.1)
OT: Censor
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: Großbritannien 2021
Regie: Prano Bailey-Bond
Darsteller: Niamh Algar, Michael Smiley, Nicholas Burns
Kinostart: 29.07.2021

Als Filmzensorin bei der britischen Zensurbehörde ist der jungen und attraktiven Enid nichts unbekannt. Den ganzen Tag über muss sie Gewalt- und Horrorfilme anschauen und entscheiden, was das britische Volk sehen darf und wo geschnitten werden muss. Eines Tages entdeckt sie einen Horrorfilm, der sie auf die Fährte ihrer verschollenen jüngeren Schwester bringt. Sie beginnt damit, das Rätsel um deren Verschwinden aufzuklären. Die Spur führt zu einem höchst rätselhaften Regisseur... Prano Bailey-Bonds düstere Geschichte entführt den Zuschauer in die gute alte Zeit der “Video Nasties”, die in den 1980er Jahren in der Schmuddelecke der Videotheken zu finden waren. Also jene Art von Filmen, die geradezu nach Zensur schrien, strotzten sie nur so vor Gewalt- und Ekelszenen. Nahtlos fügt sich das Bild der Regisseurin von den Büros des britischen Zensurbehörde in die Ästhetik dieser Filme, die vornehmlich unter dem Ladentisch gehandelt wurden – uncut versteht sich: lichtschwach, farblos und depressiv. Kamerafrau Annika Summerson versteht sich hervorragend darauf, diese 1980er Jahre Ästhetik zu reproduzieren. Und das nicht nur hinsichtlich Ausleuchtung und Farbe, sondern auch in Bezug auf Cadrage. Sie schafft damit atmosphärische, oft schon surreale Bilder, aus denen der Film seine Spannung schöpft. Dass sich der Film mit seinen gerade einmal 84 Minuten Spielzeit dann gegen Ende doch noch hinzieht, enttäuscht etwas, obgleich mal genau dieses auch als Stilmittel interpretieren könnte – als eine Hommage an die “Video Nasties”, die sich auch fast immer hinzogen. Ein Film also, der sich an ein ganz spezifisches Publikum richtet. Das könnte seinen Spaß daran haben, viele andere aber nicht.
Sonntag, 27. Juni 2021
Klaustrophobischer Schrecken
Kaum zu glauben – mein erster ganz regulärer Kinobesuch seit fast einem Jahr!

A QUIET PLACE 2 (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: A Quiet Place Part II
Verleih: Paramount
Land/Jahr: USA 2020
Regie: John Krasinski
Darsteller: Emily Blunt, Millicent Simmonds, Noah Jupe
Kinostart: 24.06.2021

Nachdem ihr Mann den außerirdischen Jägern zum Opfer gefallen ist und ihre Farm zerstört wurde, versucht sich Evelyn mit ihren drei Kindern zu einem vermeintlich sicheren Ort durchzuschlagen. Wieder gilt es möglichst keine Geräusche zu erzeugen, um die Aliens nicht auf ihre Fährte zu locken. Doch sind es nicht nur die Aliens, die der kleinen Familie das Überleben schwer machen: durch den über ein Jahr anhaltenden Ausnahmezustand hat sich die Psyche mancher Menschen sehr zu ihrem Nachteil verändert... Wie schon im ersten Teil seiner düsteren Dystopie setzt Regisseur John Krasinski auch jetzt wieder auf eine starke Tonspur. Seine Tonkünstler und er wissen um die extrem präzise Wirkung einer Dolby Atmos Tonmischung, die das Grauen von der Leinwand akustisch in den Kinosaal überführt. Ist das nur ein Zuschauer hinter mir, der da mit Papier raschelt oder schleicht sich hier ein Alien an? Die suggestive Tonspur macht den Kinogang hier zum Horror-Trip. Polly Morgans Kameraführung in ausladendem CinemaScope lässt keine Wünsche offen. Sie weiß um effektvolle Kadrierungen und spannende Kamerafahrten. Auch Marco Beltramis Score mit seinen einprägsamen Dissonanzen trägt einen großen Teil zum Gelingen dieses Sequels bei. Im Film besonders beeindruckend ist die Parallelmontage gleich dreier Handlungsstränge, die unweigerlich auf ihre jeweiligen Höhepunkte zusteuern. Mag sein, dass sich der Film hier und da ein wenig in die Länge zieht, doch wird dies durch den Rest der Inszenierung mehr als aufgewogen. So bangt man mit dem Cast in jeder Minute und hofft darauf, dass dies alles ein gutes Ende nehmen wird. Wird es das tatsächlich? Die Antwort erhält man beim Kauf einer Kinokarte!
Dienstag, 08. Juni 2021
Mein Mann, das unbekannte Wesen
Ist schon wieder Wochenende? Was Pressevorführungen angeht kann das nur bejaht werden – denn das feine Arthouse-Drama, das uns heute kredenzt wurde, war gleichzeitig die letzte PV für diese Woche

DIE WELT WIRD EINE ANDERE SEIN (1:2.35, 5.1)
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Deutschland, Frankreich 2020
Regie: Anne Zohra Berrached
Darsteller: Canan Kir, Roger Azar, Özay Fecht
Kinostart: 12.08.2021

Hamburg Mitte der 1990er Jahre. Während ihre Medizinstudiums lernt die Deutsch-Türkin Asli den charismatischen Saeed aus dem Libanon kennen – und lieben. Ohne es ihrer Mutter anzuvertrauen heiratet sie ihn heimlich. Als Saeed jedoch in offenbar geheimer Mission spurlos verschwindet, bricht ihre bis dahin fast heile Welt zusammen... Eine große Liebe wird auf eine harte Probe gestellt: kennt Asli ihren Mann tatsächlich? Oder wird er ihr stets ein Fremder bleiben? Mit Canan Kir in der Rolle der Asli hat das intensive Filmdrama die perfekte Besetzung gefunden. Hervorragend versteht sie sich darauf, deren inneren Konflikt nach außen zu transportieren. Und weil das Drehbuch auch den Zuschauer bewusst im Dunkeln lässt, überträgt sich Aslis Ungewissheit ganz allmählich von der Leinwand in den Kinosaal. Auch ihr männlicher Partner Roger Azar spielt sehr überzeugend. In seiner Figur vermischt sich seine große Liebe zu Asli mit Zwielichtigem. Inszenatorisch besonders beeindruckend ist die allerletzte Szene des Films, in der die innere Zerrissenheit der Protagonistin im wahrsten Sinne des Wortes widergespiegelt wird. Ich persönlich fand es sehr schade, dass ich eigentlich von Anfang an wusste, um was es geht. Dadurch hatte der Film leider kein Überraschungsmoment für mich. Das jedoch wird wohl nur eingefleischten Filmkritikern passieren. Mit ihrem neuen Film beweist Regisseurin Anne Zohra Berrached, dass 24 WOCHEN keine Eintagsfliege war und man sich auf weitere anspruchsvolle Filme freuen darf.
Montag, 07. Juni 2021
Es geht weiter!
Nach gefühlten fünf Jahren im Lockdown gab es heute in Stuttgart endlich wieder einmal Pressevorführungen. Großer Dank gebührt einmal mehr dem Kinostar-Filmverleih, der uns tapfere Journalisten gleich mit einem Double Feature bedachte

POSSESSOR (1:1.78, 5.1)
OT: Possessor
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: Großbritannien, Kanada 2020
Regie: Brandon Cronenberg
Darsteller: Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Jennifer Jason Leigh
Kinostart: 01.07.2021

Eine Firmenagentin dringt mithilfe von Hirnimplantaten in die Körper anderer Menschen ein, damit diese Morde zum Wohle der Firma begehen. Als bei einem Routineauftrag etwas schief läuft, findet sie sich im Körper eines Mannes gefangen, dessen Identität ihre eigene auszulöschen droht. Cronenberg? Der Name ist Programm! Zwar ist es nicht David, dafür aber sein Sprössling Brandon. Und dennoch ist die Handschrift unverkennbar. Hier paart sich Abartiges mit Ultrabrutalem und wird mit Sexeinlagen gewürzt. “It runs in the Family” würden es die Briten vermutlich ganz lakonisch kommentieren. Ganz nach dem Vorbild des berühmten Vaters weiß auch der Sohnemann mit Bildern in seinen Bann zu ziehen. Alleine schon die pervers schöne Ausstattung des Films sowie seine “fancy” Locations belohnen den Gang ins Kino. Wenn gleich zu Beginn des Films Ekliges die Leinwand füllt, so legt Cronenberg hier gleich die Marschrichtung fest. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Was im Übrigen auch für die Gewaltausbrüche im Film gilt, die dafür sorgten, dass dem Film das Gütesiegel “Frei ab 18 Jahren” beschert wurde. Die Geschichte selbst mutet an wie eine Mischung aus EXISTENZ (man erinnere sich an die Bio-Ports) und INCEPTION (ja, es gibt hier sogar ein Pendant zum ewigen Kreisel!), bei der man schon gut aufpassen muss, um sie zu verstehen – sofern das überhaupt möglich ist. POSSESSOR ist lohnende Unterhaltung für Genre-Fans mit faszinierenden Bildern und einem exzellenten Sounddesign.

INFIDEL (1:2.35, 5.1)
Verleih: Kinostar
Land/Jahr: USA 2019
Regie: Cyrus Nowrasteh
Darsteller: Jim Caviezel, Claudia Karvan, Hal Ozsan
Kinostart: 22.07.2021

Als der amerikanische Blogger Doug während eines Interviews in Kairo, das in der gesamten muslimischen Welt ausgestrahlt wird, unverblümt das Christentum predigt, wollen sich wütende Radikale rächen und nehmen ihn als Geisel. Während die amerikanische Regierung tatenlos zusieht, begibt sich Dougs Frau auf eine unüberlegte, gefährliche Mission, um die Freiheit ihres Mannes zu sichern... “Based on true events” heisst es zwar zu Beginn des Films, doch wird man den Eindruck einfach nicht los, dass dies nur als Vorwand genommen wird, um gegen Länder wie den Iran Stimmung zu machen. Die Inszenierung wirkt oft holprig und unausgegoren, auch wenn mit nicht unerheblichem Aufwand produziert wurde. Ausgespielte Gewaltszenen schreien förmlich nach einer Freigabe nicht unter 18 Jahren, aber das sahen die Zuständigen wohl etwas differenzierter und bescheinigten dem Werk die Freigabe ab 16. Leider unterstreicht die Widmung am Ende des Films dessen propagandistische Wirkung.


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