Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Donnerstag, 30. September 2021
Debattieren und Welt retten
Heute habe ich mir zwei Filme ausgesucht, die wohl unterschiedlicher nicht sein könnten

CONTRA (1:2.35, DD 5.1 + Atmos)
Verleih: Constantin
Land/Jahr: Deutschland 2020
Regie: Sönke Wortmann
Darsteller: Nilam Farooq, Christoph Maria Herbst, Hassan Akkouch
Kinostart: 28.10.2021

Weil er eine Studentin mit rassistischen Sprüchen im voll besetzten Hörsaal angegangen ist, muss Prof. Dr. Richard Pohl um seine Dozentenstelle an der Uni fürchten. Einziger Ausweg: er soll genau jene Studentin für einen Debattierwettbewerb coachen... Basierend auf dem französischen Film DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEILA aus dem Jahr 2017 erzählt Sönke Wortmann die Geschichte einer nicht alltäglichen Studentin/Professor Beziehung und tritt damit sogleich den Beweis an, dass es wirklich noch gute deutsche Filme gibt. Mit einem einzigartigen Cast, in dem vor allem Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq herausstechen. Herbst ist hier in seinem Element, denn den arroganten Kotzbrocken beherrscht er wie kein Anderer. Nilam Farooq mausert sich während des Films von der verletzlichen Studentin zur souveränen Anwältin – und das überaus überzeugend. Aber auch die Nebenrollen sind handverlesen besetzt, insbesondere die Multi-Kulti Entourage von Naima: Geschliffene Dialoge, berührende Momente und viel Humor machen den Gang ins Kino mehr als lohnenswert.

KEINE ZEIT ZU STERBEN (1:2.35 & 1:1.44, DD 5.1 + 7.1 + Atmos, IMAX 12-Kanal)
OT: No Time To Die
Verleih: Universal
Land/Jahr: Großbritannien, USA 2021
Regie: Cary Fukunaga
Darsteller: Daniel Craig, Ralph Fiennes, Rami Malek
Kinostart: 30.09.2021

Eigentlich hatte er sich zur Ruhe gesetzt, doch seine Vergangenheit holt ihn ein. Böse Buben machen gnadenlos Jagd auf den Ex-Geheimagenten ihrer Majestät. Hinter den Anschlägen steckt kein Geringerer als Bonds Gegenspieler Blofeld, der in einem Hochsicherheitsgefängnis ausharrt. Fast zu spät muss Bond erkennen, dass ein noch viel mächtigerer Bösewicht alle Fäden in der Hand hält und im Geheimen eine genkodierte Biowaffe entwickelt... Jetzt heisst es also Abschied nehmen von Daniel Craig. Zum letzten Mal steht er als Geheimagent 007 vor der Kamera. Und das in einer Art und Weise, wie man es von ihm am allerwenigsten erwartet hätte. Denn noch nie war Bond derart gefühlvoll und verletzlich wie in seinem letzten Abenteuer. Allerdings nimmt man diese Gefühlsduselei einem Kerl wie Craig einfach nicht ab! Aber zum Glück gibt es jede Menge gewohnter Bond-Action, die treue Fans ganz sicher zufriedenstellen wird. Aber hoppla: da geht es ganz schön zur Sache – und das bei einer Freigabe ab 12 Jahren! Da gewinnt man fast den Eindruck, dass FSK 12 jetzt das neue FSK 18 ist. Erinnert man sich daran, dass ein Film mit einer FSK ab 12 auch von Sechsjährigen in Begleitung eines Erziehungsberechtigten angeschaut werden darf, bleibt einem schon mal die Luft weg! Wer die Möglichkeit hat, den Film im echten IMAX-Format 1:1.44 zu sehen, der sollte diese Chance ergreifen. Denn etwa 40 Minuten des Films wurden mit IMAX 15/70 Filmkameras aufgenommen, die dafür sorgen, dass die gesamte IMAX-Bildwand genutzt wird. Leider beschränken sich diese Aufnahmen auf die erste Hälfte des Films – danach sinkt das Bildformat auf 1:2.39 Letterbox. Und das ohne erkennbare Dramaturgie. Erst der End Credits Roller nutzt dann wieder die gesamte Bildwandfläche. Was den Ton angeht, so dürfte die Dolby Atmos Mischung gegenüber IMAX 12-track punkten. Immerhin verzichtet Komponist Hans Zimmer auf die gewohnten brachialen Klänge, sonder verschreibt sich ganz jenem Bond-Feeling, das John Barry zum Markenzeichen der Serie etablierte. Eingefleischte Bond-Fans werden vermutlich ihre Probleme mit dem Film haben, weil der eben so ganz anders ist als erwartet. Mit fast drei Stunden Spielzeit ist er leider auch etwas über sein Ziel hinaus geschossen. Trotzdem bietet er freilich beste Unterhaltung mit vielen Schauwerten.
The Spice of Life
Dienstreise ins IMAX nach Sinsheim – immer wieder gerne

DUNE (1:2.35 & 1:1.44, auch 3D, DD 5.1 + 7.1 + Atmos, IMAX 12-Kanal)
OT: Dune: Part One
Verleih: Warner
Land/Jahr: USA 2021
Regie: Denis Villeneuve
Darsteller: Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac
Kinostart: 16.09.2021

Der junge Paul Atreides, Herrscher-Sohn mit der Gabe in die Zukunft zu sehen, muss auf den gefährlichsten Planeten des Universums reisen, um die Zukunft seiner Familie und seines gesamten Volkes zu retten. Nach Sichtung des Films in der IMAX-Fassung ist eines ganz klar: nur in einem echten IMAX-Kino kann der Film sein riesiges visuelles Potenzial voll entfalten! Denis Villeneuve hat mindestens ebenso viele vollformatige IMAX-Sequenzen in seinen Film integriert wie Christopher Nolan dies in TENET getan hat. Dort wie auch hier stört allerdings das Umschalten der Bildformate ziemlich. Insbesondere auch deshalb, weil es keine dramaturgische Notwendigkeit dafür gibt. Aber was gibt es zum Film selbst zu sagen? Ganz sicher ist Villeneuves DUNE-Fassung besser als jene von David Lynch, die in den 1980er-Jahren in die Kinos kam. Allerdings braucht es einen langen Atem, um das fast dreistündige Spektakel durchzuhalten. Die epische Breite des Werks lässt sich schon daran erahnen, dass Villeneuves Fassung den Untertitel "Part One" trägt – da kommt also noch viel auf uns zu! Es braucht eine ganze Weile, um sich als Zuschauer im DUNE-Universum zurechtzufinden. Hauptaugenmerk liegt hier nicht so sehr auf Action, sondern auf den politischen Konstellationen zwischen den Herrscher-Häusern. Es ist also nicht das gewohnte “Hau drauf!”-SciFi-Kino, sondern tendiert mehr in den Arthouse-Bereich. Was vom Film mehr in Erinnerung bleiben wird als sein Inhalt sind seine gewaltigen, atemberaubenden Bilder, unterlegt mit Hans Zimmers Brachialklängen.
Dienstag, 22. September 2021
Scheinehe
Da es leider keine Pressevorführung gab, habe ich heute mal wieder zum Screener gegriffen

TOUBAB (1:2.35, 5.1)
Verleih: Camino
Land/Jahr: Deutschland 2020
Regie: Florian Dietrich
Darsteller: Farba Dieng, Julius Nitschkoff, Valerie Koch
Kinostart: 23.09.2021

Kaum aus dem Knast entlassen, wird der 25jährige Schwarzafrikaner Babtou wieder straffällig. “Genug!” meint die Ausländerbehörde und bereitet seine Abschiebung in den Senegal vor, einem Land, das er nur aus der Erzählung seines Vaters kennt. Denn Babtou wuchs in Deutschland auf, ist quasi Deutscher. Aber einer ohne Pass. Da hat er die Idee: wenn es ihm gelingt eine Deutsche zu heiraten, kann er bleiben. Das Problem: keine will ihn haben! Jetzt hat Babtou eine noch bessere Idee: könnte er nicht einfach seinen besten Kumpel heiraten? Gedacht – getan. Aber damit beginnen die Probleme erst richtig... Auch wenn der Film in diversen Medien als Komödie eingestuft wird – er ist es nicht. Vielmehr haben wir hier ein handfestes Drama mit politischer Brisanz, das hin und wieder ironische Züge trägt. Beispielsweise in Gestalt des Ermittlungsteams der Ausländerbehörde, das als Reinkarnation der Stasi angesehen werden kann. Oder wenn die ganz und gar “straighten” Babtou und Dennis auf schwul machen müssen. Regisseur und Co-Drehbuchautor Florian Dietrich packt in seinem Langfilmdebüt TOUBAB ein heisses Eisen an: wie kann es sein, dass jemand, der zwar aus dem Senegal stammt, jedoch in Deutschland aufgewachsen ist, in eine vermeintliche Heimat abgeschoben wird, die er noch nie gesehen hat? Farba Dieng spielt den Babtou, der sich in eine homosexuelle Scheinehe mit seinem besten Kumpel stürzt, um nicht abgeschoben zu werden. Und er spielt diese Rolle richtig gut und weckt sogleich Erinnerungen an seinen großen französischen Kollegen Omar Sy. Julius Nitschkoff überzeugt als Babtous Buddy Dennis. Und auch sonst ist das Casting gelungen – alle wirken sehr authentisch. Ob es einfach nur an dem technisch unzulänglichen Screener lag, dass nicht immer alle Dialoge klar zu verstehen waren, oder ob dies einfach so gewollt ist, lässt sich leider nicht sagen. Ob gewollt oder nicht - es hat die Authentizität noch etwas verstärkt. Authentizität wird auch durch die Auswahl der Drehorte erreicht – hier sieht wirklich nichts nach Studio aus, sondern nach sozialem Brennpunkt. TOUBAB bringt dem Publikum ein wichtiges Thema auf unterhaltsame Weise näher.

Dienstag, 21. September 2021
Der Unangepasste
Erste und gleichzeitig letzte Pressevorführung in dieser Woche

LIEBER THOMAS (1:2.35, 5.1)
Verleih: Wild Bunch (Central)
Land/Jahr: Deutschland 2021
Regie: Andreas Kleinert
Darsteller: Albrecht Schuch, Peter Kremer, Jörg Schüttauf, Jella Haase
Kinostart: 11.11.2021

Er ist ein Träumer, ein Besessener, ein Rebell. Thomas, ältester Sprössling der Familie Brasch, möchte eigentlich Schriftsteller werden. Sehr zum Leidwesen seines Vaters, der die noch junge DDR mit aufbauen möchte. Thomas überwirft sich mit ihm, geht seinen eigenen Weg. Als er Flugblätter gegen den Einmarsch der Sowjets in Prag verteilt, wird er vom Vater verraten. Doch selbst das Gefängnis kann ihn nicht davon abhalten, seinen Weg weiter zu gehen... “Der Film LIEBER THOMAS lehnt sich an das Leben von Thomas Brasch an, alle Figuren und privaten Geschehnisse sind jedoch fiktional” klärt sowohl das Presseheft als auch der Abspann zum Film auf. Andreas Kleinerts überlanger und mit (zumindest meist) breiten Schwarzweißbildern ausgestatteter Film möchte sich also Werk und Wirken des Thomas Brasch annähern ohne autobiographisch zu sein. So wechselt der Film unaufhaltsam zwischen Traum und Wirklichkeit und fokusiert sich ganz auf die Person Brasch, einem vollkommen Unangepassten, einem Künstler, der in der DDR nicht bleiben und im Westen nicht sein wollte. Albrecht Schuch schlüpft in die Seele dieses Zerrissenen und trägt damit den ganzen Film. Einmal mehr setzt auch Jella Hasse ihr schauspielerisches Talent ein und legt damit die Chantal aus FACK JU GÖHTE ein für alle Mal ad acta. LIEBER THOMAS ist ein schwieriger Film, der sich wie seine Hauptfigur gegen Konventionen auflehnt.
Donnerstag, 16. September 2021
Jagd auf den Oberklau
Nach langer Abstinenz gab es heute in der Pressevorführung mal wieder Kinderkino

DIE SCHULE DER MAGISCHEN TIERE (1:2.35, 5.1)
Verleih: Leonine
Land/Jahr: Deutschland 2021
Regie: Gregor Schnitzler
Darsteller: Emilia Maier, Leonard Conrads, Loris Sichrovsky, Milan Peschel, Nadja Uhl
Kinostart: 14.10.2021

Kaum sind Ida und ihre Mutter in ihrem neuen Zuhause angekommen, geht auch schon die Schule los – und wartet mit einer Überraschung auf. Die kommt in Gestalt der neuen Klassenlehrerin Miss Cornfield, die gemeinsam mit ihrem verschrobenen Bruder Magie in die Klasse bringt. Denn Ida und ihr Tischnachbar Benni sind die ersten beiden Kinder, die von dem mysteriösen Gespann magische Tiere erhalten: den Fuchs Rabbat und die Schildkröte Henrietta. Und es gibt noch mehr Überraschungen. Denn ein Dieb treibt sein Unwesen in der Schule. Gemeinsam gehen Ida, Benni und die sprechenden Tiere auf die Jagd nach dem Unhold... Gregor Schnitzlers Verfilmung der mehrteiligen Kinderbuchreihe von Margit Auer gibt sich als Deutschlands Antwort auf HARRY POTTER – und scheitert damit grandios. Hier wird nichts erklärt (was hat es mit den sprechenden Tieren auf sich? Wer ist die neue Lehrerin? usw.), sondern nur benutzt. Hauptsache Magie und Zauberei. Denn das funktioniert ja immer. Und wenn dann auch noch nette kleine Kuscheltiere sprechen können, dann muss ja die Kasse so richtig klingeln! Wenn wenigstens die animierten Tiere überzeugen würden. Aber nicht einmal das schafft dieser Film. Die Tiere wirken wie Billigprodukte, bieten keine liebevollen Details, sind mehr ein– als dreidimensional. Wie rettet man nun einen solchen Film? Richtig: mit ein paar Liedern, die das junge Publikum sofort mitsingen kann! Nette Idee, doch geht auch hier die Qualität so richtig baden. Immerhin gibt es zur Untermalung der Filmhandlung Orchestermusik (Dominik Giesriegl). Aber die Orchestrierung kennen wir doch von irgendwo her? Richtig: auch hier lässt HARRY POTTER noch einmal grüßen! Und was die Kinderdarsteller angeht, so mangelt es hier doch an echtem Talent. Schade, denn der deutsche Kinderfilm kann das definitiv besser. Fortsetzung folgt.
Montag, 06. September 2021
Franzosen-Doppel
Die karge Pressewoche war so schnell vorbei wie sie angefangen hatte

PLÖTZLICH AUFS LAND - EINE TIERÄRZTIN IM BURGUND (1:2.35, 5.1)
OT: Les Vétos
Verleih: Happy Entertainment (24 Bilder)
Land/Jahr: Frankreich 2019
Regie: Julie Manoukian
Darsteller: Clovis Cornillac, Noémie Schmidt, Carole Franck
Kinostart: 06.01.2022

Eigentlich hat die junge Alexandra hehre Pläne für ihr weiteres Leben: als Mikrobiologin will sie zukünftig die Welt retten. Doch ihrem Onkel, der als Tierarzt im idyllischen Morvan arbeitet, gelingt es, sie aus Paris in die alte Heimat zurückzuholen, um seine Stelle zu übernehmen. Gemeinsam mit dem Arzt Nico soll sie sich um alle Vierbeiner in der Region kümmern, obgleich sie davon keine Ahnung hat. Nico, so ist sich der Onkel sicher, würde ihr das schon beibringen. Weil Alexandras Auto jetzt auch noch streikt, ist erst einmal nicht daran zu denken wieder nach Paris auszubüxen. Die junge Medizinerin beugt sich ihrem Schicksal – zur Probe erst einmal... Ab und zu braucht es einfach solche Filme, bei denen eigentlich von Anfang an klar ist, wie sich die Geschichte in den nächsten 90 Minuten entwickeln wird. Insbesondere in Corona-Zeiten sind diese gefragter denn je. PLÖTZLICH AUFS LAND ist einer dieser Filme. Dass man es ihm aber nicht übel nimmt, seine Story von Anfang an preiszugeben, liegt zum einen an der guten Besetzung, bei der insbesondere die charmante Noémie Schmidt in der Rolle der Alexandra begeistert, zum anderen an der souveränen Inszenierung von Julie Manoukian. Ihr gelingt es, den Film ohne Langeweile, dafür aber mit dem richtigen Gespür für Timing zu gestalten. Fazit: Top-Unterhaltung in schöner Landschaft.

ONLINE FÜR ANFÄNGER (1:2.35, 5.1)
OT: Effacer L'Historique
Verleih: X Verleih
Land/Jahr: Frankreich, Belgien 2020
Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern
Darsteller: Blanche Gardin, Denis Podalydès, Corinne Masiero
Kinostart: 28.10.20

Drei Nachbarn, drei Probleme: Marie wird mit einem peinliches Sextape von ihr erpresst, das bald online gehen soll. Bertrand hat sich in die Stimme einer Callcenter-Agentin verliebt, der er kein Angebot abschlagen kann. Und Christine wundert sich über schlechte Internet-Bewertungen, die sie trotz aller Anstrengungen als Uber-Fahrerin bekommt. Jetzt haben die drei Nachbarn die Fremdbestimmung durch die Übermacht der sozialen Medien und Techgiganten endgültig satt und sagen Silicon Valley den Kampf an! - Das für ihre skurrilen Filme bekannte Regiegespann Benoît Delépine und Gustave Kervern haben mit ONLINE FÜR ANFÄNGER eine bitterböse, aber sehr treffende Komödie über den Zustand der heutigen Gesellschaft inszeniert, der sie hiermit einen Spiegel vorhalten. Die Abhängigkeit vom Internet, die durch die Einführung von Smartphones exorbitant gestiegen ist, führt das Leben ihrer Protagonisten ad absurdum. Mit herrlichen Einfällen führen sie den Zuschauern die vollkommene Absurdität eines Lebens, in dem es nur auf Likes und dergleichen ankommt, vor Augen. Der unglückliche deutsche Verleihtitel führt dabei etwas in die Irre, würde man doch wieder eine unbeschwerte französische Komödie vermuten. Frei übersetzt würde der Originaltitel des Films “Lösche den Verlauf” lauten, womit das Löschen des Browserverlaufs gemeint ist.
Freitag, 03. September 2021
Die androgyne Killermaschine
Den Wochenabschluss bildete der aktuelle Gewinner der Goldenen Palme von Cannes

TITANE (1:2.35, 5.1)
OT: Titane
Verleih: Koch Films (Central)
Land/Jahr: Frankreich, Belgien 2021
Regie: Julia Ducournau
Darsteller: Agathe Rousselle, Vincent Lindon, Garance Marillier
Kinostart: 07.10.2021

Als Kind verunglückte sie im Auto ihres Vaters und muss seither mit einer Metallplatte im Schädel leben. Als junge Frau arbeitet Alexia in einem Stripclub, wo sie nachts von einem Cadillac vergewaltigt wird und zu einer Serienmöderin mutiert. Um unterzutauchen nimmt sie die Identität eines vor vielen Jahren spurlos verschwundenen Jungen an und sucht dessen Vater, einen Feuerwehrkommandanten, auf. - Metallisch sakrale Klänge auf der Tonspur, eine Titanplatte im Kopf der Protagonistin, eine Haarnadel als Mordinstrument, Motorenöl das aus Brustwarzen spritzt und Bilder von teils hypnotischer Wirkung – das alles gepaart mit viel Ekel und Gewalt. Julia Ducournaus TITANE fordert ihre Zuschauer nicht nur visuell, sondern auch intellektuell. Das zumindest ist mein bescheidenes Resümee des diesjährigen Cannes-Gewinners, der mich ziemlich ratlos aus dem Kinosaal entlassen hat. Aber eigentlich wusste ich ja, auf was ich mich bei dieser Regisseurin einlassen muss, hatte ich ihren Langfilmeinstand RAW damals beim Fantasy Filmfest gesehen. Und das war schon eine höchste ekelhafte Angelegenheit. Filmkunst geht manchmal eben seltsame Wege. Oder anders ausgedrückt: Filmkunst ist das, was wir daraus machen.
Donnerstag, 02. September 2021
Scheinheilig und eiskalt
Hintersinnig und adrenalintreibend – ein Pressedoppel für jeden Geschmack

DER SCHEIN TRÜGT (1:2.35, 5.1)
OT: Nebesa
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Serbien, Deutschland, Nordmazedonien, Montenegro, Slowenien 2020
Regie: Srdjan Dragojevic
Darsteller: Goran Navojec, Bojan Navojec, Ksenija Marinkovic
Kinostart: 16.12.2021

Als der unbescholtene Stojan plötzlich einen Heiligenschein mit sich herumträgt, fängt das Problem an. Das Ding soll möglichst schnell verschwinden, meint seine Frau und fordert ihn auf, möglichst viele Sünden zu begehen. Doch der Heiligenschein will einfach nicht verschwinden. Schließlich findet Stojan Gefallen an der Grausamkeit und entdeckt: je herzloser er seinen Vorteil ausnutzt, desto bereitwilliger wird er von den Nachbarn als moralische Instanz akzeptiert... In drei Kapitel hat Srdjan Dragojevic seine bitterböse, schwarze Satire eingeteilt und präsentiert damit drei tolldreiste Geschichten, die miteinander verwurzelt sind und sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken. Da geht es um Scheinheiligkeit und die Macht von Bildern und wie sich Menschen nur allzu gerne dadurch verführen lassen. Dragojevics Film ist hochgradig originell und fordernd ob seiner Bilderflut. Kino für Feinschmecker.

THE ICE ROAD (1:2.35, 5.1)
OT: The Ice Road
Verleih: Wild Bunch (Central)
Land/Jahr: USA 2021
Regie: Jonathan Hensleigh
Darsteller: Liam Neeson, Laurence Fishburne, Amber Midthunder
Kinostart: 14.10.2021

Um verschüttete Bergleute in einer Miene in Kanada vor dem Tod zu retten, lässt sich ein gestandener Fernfahrer auf eine nervenaufreibende Mission ein: er soll einen Truck mit schwerem Bohrgerät auf dem schnellsten Weg zur Miene transportieren – quer durch die sogenannten “Ice Roads”, also überfrorenen Seen. Ein Himmelfahrtkommando. - Eiskalte Action ist angesagt, wenn Liam Neeson in seinen Truck steigt und über die kanadischen Eiswelten rauscht. Was Jonathan Hensleigh hier inszeniert, sorgt definitiv für ein Allzeithoch beim Adrenalinpegel im Kinosaal! Das perfekt in Szene gesetzte Road Movie übertreibt es allerdings etwas. Etwas? Oh nein – eher maßlos! Als gelte es einen Action-Höhepunkt durch den nächsten noch toppen zu müssen. Dabei büßt der Film leider viel von seiner Glaubwürdigkeit ein. Hinzu kommt Liam Neeson, der oft einfach nur gelangweilt wirkt. Liegt es vielleicht an der deutschen Synchro? Wie auch immer – den fürsorglichen Bruder und stets besonnenen, mit allen Wassern gewaschenen Trucker möchte man ihm nicht so recht abnehmen. So hat die fulminante Action am Ende einen bitteren Nachgeschmack.
Mittwoch, 01. September 2021
Fleischeslust
Ob blutig rot oder sanft orange – für Fleischliebhaber hatte das heutige Pressedoppel viel zu bieten

SAW: SPIRAL (1:2.35, DD 5.1 + Atmos)
OT: Spiral: From The Book Of Saw
Verleih: Studiocanal
Land/Jahr: USA 2021
Regie: Darren Lynn Bousman
Darsteller: Chris Rock, Zoie Palmer, Samuel L. Jackson
Kinostart: 16.09.2021

Als ein korrupter Cop auf bestialische Weise zu Tode kommt, ruft das den streitbaren Detective “Zeke” Banks und seinen neuen Partner William Schenk auf den Plan. Schon bald sind sich die beiden sicher, dass hier wieder ein Jünger des “Jigsaw”-Killers sein Unwesen treibt. Und der hat sich offenbar vorgenommen, die gesamte Polizei von Korruption zu befreien – auf seine ganz eigene, blutige Weise... Eine menschliche Zunge wird herausgerissen, ein Mensch gehäutet und die Finger menschlicher Hände einfach abgerissen. Wer jetzt noch mehr Details benötigt, dem sei der Besuch dieses SAW-Reboots angeraten. Allerdings muss man dafür das Alter von 18 Jahren vollendet haben. Hat man es dann erst einmal in die Vorführung geschafft, wird man vermutlich etwas enttäuscht. Nicht wegen der Besetzung – die ist ziemlich gut geraten. Vielmehr wegen des Drehbuchs, das leider nicht in der Lage ist, richtige Spannung aufzubauen. Was dem allerersten SAW-Film, also dem Original, noch hervorragen gelungen ist, nämlich einen grandiosen Spannungsbogen zu präsentieren, bleibt auch dieser neuen Version genauso verwehrt wie allen anderen Sequels dieser sehr erfolgreichen Splatter-Horror-Thriller. Über die Logik und Logistik hinter den ekelhaften Greueltaten sollte man erst gar nicht nachdenken – das würde nur stören. Wer sich an derlei Foltermethoden erfreuen kann, der darf sich hier womöglich glücklich schätzen (und sollte vielleicht mal einen Psychologen hinzuziehen). Um es mit der zum geflügelten Wort gewordenen Einschätzung der Katholischen Filmkommision auszudrücken: “Wir raten ab”.

AFTER LOVE (1:2.35, 5.1)
OT: After We Fell
Verleih: Constantin
Land/Jahr: USA 2021
Regie: Castille Landon
Darsteller: Josephine Langford, Hero Fiennes Tiffin, Arielle Kebbel
Kinostart: 02.09.2021

Gerade als Tessa nach Seattle umsiedeln will, taucht ihr Vater auf - für Hardin sofort ein rotes Tuch. Aber vielmehr noch hat Hardin mit seiner Eifersucht zu kämpfen, die nicht zulassen kann, dass Tessa wegen ihres Jobs von ihm weggehen möchte... Auch der dritte Teil der Saga um Tessa und Hardin entpuppt sich als verstörend prüdes Werk, dessen erotischer Höhepunkt Tessas Schrei “Fick mich solange, bis Du Deinen Traum vergessen hast!” sein dürfte. Aber bitte immer mit Kondom – auch bei Liebesspielen im Whirlpool! Man kann sich bei derart viel Präservativen im Bild nicht des Gedankens erwehren, dass es sich hier um einen Aufklärungsfilm für Teenager handelt. Leider wirkt alles hier wie eine große Schlaftablette. Und wenn man während des Abspanns feststellen muss, dass sich sämtliche Locations – von den USA bis nach England – samt und sonders in Bulgarien befinden, wird man auch noch der letzten Illusion beraubt und erschrickt fürchterlich, wenn es am Ende heisst “Fortsetzung folgt”.


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