Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Dienstag, 22. Februar 2022
Bruderkrieg
Heute mal wieder ein Nachholtermin

THE POWER OF THE DOG (1:2.35, 5.1)
OT: The Power Of The Dog
Verleih: Netflix (Filmwelt)
Land/Jahr: Australien, USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien 2021
Regie: Jane Campion
Darsteller: Jesse Plemons, Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Kodi Smit-McPhee
Kinostart: 18.11.2021

Der herrische Phil und sein einfühlsamer Bruder George bewirtschaften gemeinsam eine Farm in Montana. Als George die junge Witwe Rose mit ihrem halbwüchsigen Sohn Peter heiratet, beginnt Phil die beiden Neuzugänge auf Schritt und Tritt zu mobben. Eines Tages jedoch macht er eine Kehrtwende und nimmt den jungen Peter unter seine Fittiche... In grandioser Landschaft mit tollen Bildern (Kamera: Ari Wegner) entfesselt Regisseurin Jane Campion ihr Drama um zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie erzählt von latenter Homosexualität in einer Männerwelt, in der Weichlinge gemobbt werden. Dank großartiger Darsteller, von denen insbesondere Benedict Cumberbatch hervorsticht, gelingt ihr das auf sehr überzeugende Weise. Auch wenn der Film extrem langsam und episch erzählt wird, baut sich ganz allmählich ein Spannungsbogen auf, an dessen Höhepunkt es zu einer überraschenden Wendung kommt. Ein wohltuendes Kontrastprogramm zum VFX-überfrachteten Hollywood-Kino.
Mittwoch, 09. Februar 2022
Ein legendäres Pop Up Konzert
Heute musste es mal wieder die größte IMAX-Leinwand der Welt sein

THE BEATLES: GET BACK – THE ROOFTOP CONCERT (1:1.90, 12-Kanal)
OT: The Beatles: Get back – The Rooftop Concert
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: Großbritannien 1969, USA/Neuseeland 2022
Regie: Peter Jackson
Darsteller: The Beatles
Kinostart: 09.02.2021 (limitiert)

Zugegebenermaßen ist der Filmtitel etwas irreführend. Natürlich gibt es in diesem 65-Minüter das berühmte “Rooftop”-Konzert der Beatles in voller Länge zu sehen und zu hören, aber eben nicht nur das. Peter Jacksons Cut des Konzerts ist eigentlich primär ein atemberaubendes Zeitdokument. Was die Pilzköpfe da im Jahre 1969 gemacht haben, würde man heute vermutlich als “Pop Up”-Konzert bezeichnen: auf dem Dach ihres Hauses in der Londoner Savile Road geben Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr ein kostenloses Konzert. Aufgenommen wird dieses Ereignis unter Führung von Anthony Richmond mit mehreren Kameras, eine davon auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes, eine andere versteckt im Eingangsbereich des Apple Buildings und eine weitere auf der Straße davor, um Zuschauerstimmen einzufangen. Jackson nutzt die Split Screen Technik, um die unterschiedlichen Perspektiven der vielen Kameras gleichzeitig zeigen zu können. Er spielt regelrecht damit, unterteilt die gigantische IMAX-Leinwand auf unterschiedlichste Art und Weise und nutzt natürlich die kraftvolle Tonanlage der IMAX-Kinos, damit die Musik auf richtig rockt. Besonders hübsch ist jener Handlungsstrang, in dem zwei Londoner Polizisten (die “Bobbies”) den Beschwerden von Anwohnern nachgehen müssen, denen das alles zu laut ist. Einfach großartig ihre Hilfslosigkeit zu beobachten! Abgerundet wird Jacksons Kurzfilm mit einem längeren Intro, das Leben und Werk der Beatles von Anbeginn bis hin zu diesem, ihrem letzten öffentlichen Konzert dokumentiert. Der Film ist ein Ereignis, das Beatles-Fans als auch Historiker begeistern dürfte und das nur für ganz kurze Zeit in den IMAX-Kinos gastieren wird.
Dienstag, 08. Februar 2022
Digital Detox
Der heutige Dokumentarfilm sprach mir aus dem Herzen

AN IMPOSSIBLE PROJECT (1:1.85, 5.1)
Verleih: Weltkino
Land/Jahr: Deutschland, Österreich 2020
Regie: Jens Meurer
Kinostart: 20.01.2022

“Digital Detox” ist das Zauberwort von Florian Kaps, den alle nur “Doc” nennen. Und Doc ist ein Träumer. Und er ist ein Visionär. Aber eher umgekehrt. Denn wo alle immer nur digital in die Zukunft denken, besinnt sich der Doc auf alles Analoge. Denn Digitales kann man nicht anfassen, Analoges schon. Und so keimte in ihm vor vielen Jahren die Idee, die Polaroid-Fotografie wieder ins Leben zu rufen. Oder vielmehr sie am Leben zu erhalten. Mit ein paar wenigen Gleichgesinnten gelang es ihm 2008, die letzte noch erhaltene Polaroid-Fabrik in den Niederlanden zu kaufen – für schlappe 180.000 Euro. In seinem Dokumentarfilm lässt Jens Meurer nun diesen analogen Visionär zu Wort kommen und schaut dem Rastlosen bei seinen einzigartigen Projekten über die Schulter. Herausgekommen ist dabei ein Film, der auf seine ganz eigene Art und Weise dem Analogen huldigt. Dazu gehört auch die Tatsache, dass Meurer nicht digital gedreht hat, sondern mit einer Arriflex auf 35mm. Und der Filmemacher ging sogar noch einen Schritt weiter. Denn den fertigen Film gibt es nicht nur digital als DCP, sondern tatsächlich auch als 35mm-Kopie. Eben zum Anfassen. “Je digitaler die Welt, desto analoger die Träume” heisst es in der Werbebotschaft für AN IMPOSSIBLE PROJECT – ein Slogan, der hier wie die Faust aufs Auge passt. Florian “Doc” Kaps’ Begeisterungsfähigkeit dürfte recht schnell auf das Publikum übergreifen. Seinem Charisma kann man sich einfach nicht entziehen. Meurers Film gelingt es auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche analogen Errungenschaften im digitalen Zeitalter bereits verschwunden sind. Vinyl, Selbstgeschriebenes, Handgemachtes. Eigentlich alles Dinge, die für die Ewigkeit gemacht sind – ganz im Gegenteil zum Digitalen, das durch fortschreitende Technik irgendwann nicht mehr zu verwenden sein wird. Der Film zelebriert visuell, akustisch und insbesondere extrem kurzweilig die Welt des Doc und seiner “Artgenossen”, die uns hoffentlich noch lange erhalten bleiben. Mein Tipp: unbedingt im Kino anschauen!

Samstag, 05. Februar 2022
Sei Du selbst!
Meine Stippvisite nach Innsbruck habe ich auch gleich mit einem Nachsitztermin verbunden

WUNDERSCHÖN (1:2.35, 5.1)
Verleih: Warner
Land/Jahr: Deutschland 2020
Regie: Karoline Herfurth
Darsteller: Nora Tschirner, Martina Gedeck, Emilia Schüle, Dilara Aylin Ziem, Karoline Herfurth, Joachim Król, Friedrich Mücke, Maximilian Brückner, Ben Litwinschuh, Melika Foroutan, Luna Arwen Krüger
Kinostart: 03.02.2022

Frauke will kurz vor ihrem 60. Geburtstag noch einmal richtig durchstarten – mit einem Tangokurs. Doch Ehemann Wolfi stellt sich quer. Julie möchte endlich den Durchbruch als Model schaffen und drangsaliert dafür ihren Körper. Sonja will endlich wieder raus aus ihrem Mutter-Alltag. Schülerin Leyla Selbstwertgefühl leider unter ihrer korpulenten Figur. Und Lehrerin Vicky will sich aus alten Rollenmustern befreien – koste es was es wolle... In ihrem neuen Kinofilm nimmt Darstellerin und Regisseurin Karoline Herfurth den allgegenwärtigen Optimierungswahn aufs Korn. Ob es um das von Außen diktierte Aussehen geht oder um die optimale Beziehung – mit Witz und Intelligenz hält sie der Gesellschaft einen Spiegel vor. Einer Gesellschaft, die fremdgesteuert zu sein scheint. Einer Gesellschaft, die genau diktiert, was man gut zu finden hat und was nicht. Herfurths Arsenal an Figuren bietet dabei fast für jede Altersstufe Identifikationspotenzial. Kleinere Abstriche lassen sich verschmerzen (z.B. ist es doch recht verwunderlich, dass sich ein junges Model eine riesige Luxuswohnung leisten kann) und stören den Filmgenuss nicht wesentlich. Mit einer Ausnahme: die Liebesgeschichte zwischen Leyla und Ben ist leider alles andere als überzeugend. Dafür ist aber der Score von Annette Focks wie immer auf den Punkt gebracht und unterstützt insbesondere die emotionale Ebene des Films. Fazit: Herfurths Film ist definitiv besser als es der Trailer suggeriert!
Mittwoch, 02. Februar 2022
Er ist zu gut für diese Welt
Aufwühlendes Kino zum Abschluss der Pressewoche

A HERO – DIE VERLORENE EHRE DES HERRN SOLTANI (1:2.35, 5.1)
OT: Ghahreman
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Iran, Frankreich 2021
Regie: Asghar Farhadi
Darsteller: Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Sarina Farhadi
Kinostart: 31.03.2022

Weil er seine Schulden nicht bezahlen kann, kam Rahim Soltani ins Gefängnis. Da kommt ihm der Fund seiner Freundin gerade recht: eine ganze Handtasche voller Goldmünzen! Bei einem Freigang will er die Münzen in Geld umtauschen, um so seine Schulden begleichen zu können. Doch Zweifel plagen ihn und er entscheidet sich, die rechtmäßige Besitzerin der Tasche zu suchen. Dadurch werden die Medien auf ihn aufmerksam und Soltani wird plötzlich zum Vorbild für viele Menschen. Plötzlich hat er sogar einen Job in Aussicht. Doch die Freude darüber dauert nicht lang... Rahim Soltani ist einfach zu gut für diese Welt. Das ist das Fazit von Asghar Farhadis neuestem Film, der der Frage nachgeht, was Ehre und Anstand sind und ob man sie in unserer von sozialen Netzwerken dominierten Welt überhaupt noch erlangen kann. Herbert Achternbusch hat einmal gesagt “Du hast keine Chance – also nutze sie!”. Das könnte auch auf Herrn Soltani zutreffen, der sich aufgrund einer guten Tat plötzlich kafkaesken Situationen ausgeliefert sieht. Farhadi erzählt seinen Film extrem ruhig, kommt ohne Filmmusik aus und hat ihn mit einer ganzen Riege exzellenter Darsteller besetzt. Wie seine Hauptfigur so zieht Farhadi auch seine Zuschauer ganz allmählich in einen Strudel von bösen Machenschaften hinein, gegen die kein gutes Kraut gewachsen zu sein scheint. Ein aufwühlender Film mit einer klaren Botschaft.

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