Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Freitag, 22. April 2022
Wenn THE REVENANT auf CONAN trifft
Nachsitztermin im Kino meiner Wahl

THE NORTHMAN (1:2.00, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: The Northman
Verleih: Universal
Land/Jahr: Großbritannien, USA 2022
Regie: Robert Eggers
Darsteller: Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Ralph Ineson, Kate Dickie, Claes Bang, Björk
Kinostart: 21.04.2022

Der kleine Amleth muss hilflos zuschauen, wie sein Vater, der Wikingerkönig Aurvandil, von dessen Bruder samt Gefolgsleuten brutal hingerichtet wird. Amleth schwört Rache für seinen Vater und für seine Mutter, die von seinem Onkel gefangengenommen wird. Jahre später kehrt Amleth als Sklave getarnt zurück und setzt seinen Schwur in die Tat um... Farbentsättigte Bilder, grimmig dreinschauende Männer, mystische Rituale, bombastischer Trommelklang – nein, ein Wohlfühlfilm ist Robert Eggers neuestes Werk keinesfalls. Dafür ein gewaltbetontes, überlanges und damit höchst forderndes Kinoereignis, das man gut finden kann, es aber nicht muss. Letzteres nehme ich für mich in Anspruch. Keine von Eggers Figuren bot mir genügend Identifikationspotenzial, um in diese düstere Geschichte einzutauchen. Distanz war hier angesagt. Immerhin zeigt Eggers mit seiner Geschichte sehr deutlich, dass Gewalt nur Gewalt hervorbringt und Rache oft keine Befriedigung bringt. Eine Aussage, die man durchaus als Kommentar zum aktuellen Weltgeschehen verstehen kann. Wenngleich mich der Film als solcher nicht unbedingt gefesselt hat, so bot er mir zumindest auf der Tonebene ein grandioses Erlebnis. Der Dolby Atmos Mix ist extrem dynamisch und nutzt gekonnt die Möglichkeiten der räumlichen Platzierung von Tönen. Dabei spielt natürlich auch der Score von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough eine große Rolle. Sie erinnerte mich in Teilen an John Coriglianos faszinierende Musik zu Ken Russells ALTERED STATES.
Dienstag, 19. April 2022
Die amerikanische Krimi-Ikone
Der heute Dokumentarfilm konfrontierte mich mit dem sehr intimen Porträt eine großen Schriftstellerin

LOVING HIGHSMITH (1:1.85, 5.1)
Verleih: Salzgeber
Land/Jahr: Schweiz, Deutschland 2021
Regie: Eva Vitija
Kinostart: 07.04.2022

Patricia Highsmith galt als eine der profiliertesten Kriminalautorinnen ihrer Zeit. Fast alle ihre Romane wurden verfilmt. Sogar Regie-Legende Alfred Hitchcock nahm sich eines ihrer Bücher an: STRANGERS ON A TRAIN wurde zum Welterfolg. 2021 wurden die privaten Tagebücher der 1995 im Alter von 74 Jahren verstorbenen Schriftstellerin erstmals veröffentlicht. Diese Tagebücher bildeten die Basis für Eva Vitijas Dokumentarfilm über die Autorin, in de sie sich hauptsächlich mit Highsmiths Homosexualität auseinandersetzt. Aus dem Off erklingen viele der ins Deutsche übersetzten Passagen aus Highsmiths privaten Aufzeichnungen, eingesprochen von Maren Kroymann. Diese offenbaren einen sehr intimen Einblick in das Innenleben der Romanautorin, die ihr Leben lang auf der Suche war – auf der Suche nach der großen Liebe und der Freiheit, diese ausleben zu können. Vitija ist es gelungen, einige der Frauen, mit denen Highsmith im Verborgenen Liebesbeziehungen pflegte, aufzuspüren und vor die Kamera zu holen. Immer wieder kommentiert die Regisseurin mit den passenden Ausschnitten aus Highsmith-Verfilmungen in perfekter Weise das Gesagte. Ergänzt mit historischen Filmaufnahmen, die Highsmith mal ganz privat und auch ganz offiziell in Interviews zeigen, ergibt sich ein sehr detailliertes und facettenreiches Porträt der amerikanischen Krimi-Ikone.

Freitag, 15. April 2022
Installing Friendship
Karfreitag Nachsitztermin im Heimkino

RON LÄUFT SCHIEF (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Ron’s Gone Wrong
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: USA, Großbritannien 2021
Regie: Sarah Smith, Jean-Philippe Vine
Kinostart: 28.10.2021

Alle seine Schulkameraden haben ihn schon: den B-Bot, den letzten Schrei aus der berühmten “Bubble”-Fabrik. Ein Roboter, der darauf programmiert ist, der beste Freund seines Besitzers zu sein. Gerne hätte auch Außenseiter Barney so einen künstlichen Freund, hat er doch im wahren Leben keinen einzigen. Da aber das Geld recht knapp ist in der Familie muss auf den B-Bot verzichtet werden. Da will es der Zufall, dass sein Vater einen recht günstigen B-Bot erstehen kann. Barney ist überglücklich – bis er merkt, dass sein Roboter ein paar Macken hat. Doch genau diese Macken bescheren Barney nicht nur ein tolldreistes Abenteuer, sondern lehren ihn auch eine Lektion über Freundschaft... Es ist kein Zufall, dass die Hauptakteure der “Bubble” ungemein Mark Zuckerberg und Steve Jobs ähneln. Schließlich waren es die beiden, die die Welt per Smartphone und Social Media vernetzt haben. In Sarah Smiths Jean-Philippe Vines computeranimierter Action gehen sie noch ein Stück weiter, indem sie einen Roboter auf den Markt bringen, der zum besten Freund seines Besitzers oder seiner Besitzerin werden soll und damit letztendlich zum Ende allen Menschlichen beiträgt. Es ist eine Welt, in der sich insbesondere Kinder und Teenager nur über “Likes” und virtuelle Freunde definieren. RON LÄUFT SCHIEF trifft hier voll den Zeitgeist und übt unverhohlen bitterböse Gesellschaftskritik. Zumindest für diejenigen Zuschauer, die dafür aufgeschlossen sind. So bietet der Film zwei Ebenen: eine für Kinder, in der es hauptsächlich um die Action geht, und jene für Erwachsene, die die vielen Anspielungen auf unser vernetztes Leben verstehen werden. Dabei ist die Basisstory nichts Neues, geht es einmal mehr um einen Underdog, der seinen Weg in der Welt erst finden muss. RON LÄUFT SCHIEF ist ein Hohelied auf die Freundschaft und alles, was damit verbunden ist. Denn auch Freunden ist es gestattet, sich untereinander zu zanken – um sich anschließend wieder vergeben zu können. “Installing Friendship” ist auf dem Display des B-Bots zu lesen, wenn er sich initialisiert. Genau das sollten wir in unser tägliches Leben einbauen – nicht virtuell, sondern aus Fleisch und Blut.
Sonntag, 10. April 2022
Wenn der Vater mit dem Sohne
Am Sonntagabend habe ich mir mal wieder eine Doku gegönnt

SON OF CORNWALL (1:1.85, 5.1)
Verleih: Der Filmverleih
Land/Jahr: Deutschland 2020
Regie: Lawrence Richards
Kinostart: 13.04.2022

Es war eine Bilderbuchkarriere. Der kleine Johnny Richards wurde in seinem Heimatort Porthleven an der wild-romantischen Küste Cornwalls ganz zufällig entdeckt, als er mitten auf der Straße des Fischerdörfchens lauthals Lieder sang. Ein neuer Stern am Opernhimmel war damit geboren. Als John Treleaven eroberte er im Sturm alle großen Opernhäuser dieser Welt. Jetzt, als sich der Tenor von der Bühne zurückgezogen hat, wird er zum Star des Dokumentarfilms, den sein Sohn Lawrence über ihn macht. Im Dialog mit seinem Vater spürt der Filmemacher der Frage nach, was eine solche Karriere für das Familienleben bedeutet. Und Lawrence weiß wovon er spricht. Denn meist war sein Vater irgendwo in der Welt unterwegs, während er und sein Geschwisterlein bei der Mutter aufwuchsen. Was macht das mit einem Menschen, wenn er vor lauter Karriere keine Zeit mehr für die Familie hat? Eindrucksvoll an der Küste Cornwalls inszeniert, erzählt der Tenor aus seinem Leben und besucht mit seinem Sohn zusammen wichtige Orte seiner Kindheit. Weggefährten des Vaters steuern auch Geschichten bei. Selbst heikle Themen wie die Trinksucht des Sängers werden offen angesprochen. Die Passage, in der Lawrence seine Mutter über die vergangene Zeit befragt, fällt überraschend kurz aus und lässt den Eindruck aufkommen, dass der Film genau hier etwas schöner macht als es war. Wenn Mama erzählt, dass sie gerne auf ihre eigene Karriere verzichtet hat, um so dem Vater den Rücken freizuhalten, mag man ihr das nicht so recht abnehmen. Gestalterisch ist Richards‘ Doku äußerst gelungen. Nett arrangierte Familienfotos, verschiedene Blickwinkel bei den Interviews und faszinierende Drohnenaufnahmen machen seinen Film optisch sehr reizvoll.

Mittwoch, 06. April 2022
Kriegstraumata
Erst Mittwoch, aber schon wieder Presseabschluss. Den bildete eine feine, leise US-Dramödie

DOG – DAS GLÜCK HAT VIER PFOTEN (1:2.35, 5.1)
OT: Dog
Verleih: Leonine
Land/Jahr: USA 2022
Regie: Reid Carolin, Channing Tatum
Darsteller: Channing Tatum, Luke Forbes, Ethan Suplee
Kinostart: 19.05.2022

Er würde alles dafür tun, wieder Dienst im fernen Osten der Welt zu tun. Doch seit seiner Kriegsverletzung will man den ehemaligen Army Ranger Jackson Briggs nicht mehr einsetzen. Stattdessen wird ihm die Aufgabe zuteil, die treue Militär-Hündin Lulu entlang der US Pazifikküste zur Beerdigung ihres Herrchen, einem Kriegsgefährten von Briggs, zu bringen. Die gemeinsame Reise voller merkwürdiger und skurriler Begegnungen gibt Briggs und Lulu genügend Zeit, sich gegenseitig anzunähern... Die Geschichte zweier durch Krieg traumatisierter Lebewesen, die sich gegenseitig Halt geben, kommt im Gewand einer Dramödie, wodurch dem Zuschauer der Zugang erleichtert wird. Komödiantisch ist der Film nur ganz oberflächlich. Beginnt man die Charaktere von Jackson Briggs und Hündin Lulu zu erforschen, merkt man ziemlich schnell, dass beide in ihrem tiefsten Inneren sehr leiden. Der gemeinsame Roadtrip wird sehr behutsam erzählt und verzichtet weitgehend auf derben oder groben Humor. Was den Film leider etwas beliebig macht sind die eingestreuten Country & Western Songs. Hätte man die auch durch Thomas Newmans minimalistischen Score ersetzt, hätte der Film eine weitaus größere emotionale Wirkung erzeugt. “Nicht ich habe Dich geführt, sondern Du mich” schrieb Lulus verstorbener Kriegsheld über die Hündin in sein Tagebuch. Passend dazu erschafft Kameramann Newton Thomas Sigel jenes grandiose CinemaScope-Bild, in dem man links auf dem Boden des Hotelzimmers Briggs schlafen sieht, während Lulu im weichen Bett thront. Das Ende des Films ist zwar schon früh vorhersehbar, macht aber überhaupt nichts, weil damit zum Einen die Erwartungshaltung des Zuschauers befriedigt wird und zum Anderen eine Lanze gegen Krieg gebrochen wird.
Dienstag, 05. April 2022
Von Einer, die auszog, sich zu heilen
Sind alternative Heilmethoden wirkungsvoller als die Schulmedizin? Die heutige Doku versucht sich an einer Antwort

HEIL DICH DOCH SELBST (1:1.78, 5.1)
Verleih: mindjazz
Land/Jahr: Deutschland 2021
Regie: Yasmin C. Rams
Kinostart: 21.04.2022

Die Filmemacherin Yasmin C. Rams leidet seit ihrer Jugend an epileptischen Anfällen. Die Schulmedizin bürdet ihr die Einnahme unzähliger Medikamente auf, die allesamt unschöne Nebenwirkungen haben. Doch gibt es tatsächlich nur die Schulmedizin, die ihr helfen kann, oder gibt es auch alternative Heilmethoden ohne gravierende Nebenwirkungen? In ihrem Dokumentarfilm unterzieht sich die junge Frau einem Selbstversuch: sie setzt die Medikamente ab und probiert Alternativen aus. Dieser von Höhen und Tiefen begleitete Selbstversuch bildet den roten Faden in ihrer visuell überzeugend gestalteten Doku, die der sie einige faszinierende Menschen porträtiert, die ihre Krankheiten nicht medikamentös behandeln, sondern mit interessanten Alternativen wie beispielsweise traditionelle chinesische Medizin oder Hypnose. Die Ergebnisse sind phänomenal und geben Anlass zur Hoffnung. Als Gegenpol zu diesen Protagonisten porträtiert Rams ihren an Parkinson leidenden Vater, der sich alternativen Behandlungsmethoden widersetzt. Ihr Selbstversuch und auch ihr Film fördern eine wichtige Erkenntnis zutage: es genügt nicht nur die Symptome einer Krankheit zu behandeln, auch die Seele muss hier berücksichtigt werden. Das in sich Hineinlauschen scheint extrem wichtig für die Genesung zu sein. Rams Doku ist spannend erzählt und nutzt sehr geschickt Tonebene sowie Filmmusik (Komponist: Patrick Puszko), um die Zuschauer in den Film hineinzuziehen.
Montag, 04. April 2022
Der Bestatter und der Gemüselieferant
Eine Dramödie aus Frankreich stand heute auf dem Programm

GLÜCK AUF EINER SKALA VON 1 BIS 10 (1:2.35, 5.1)
OT: Presque
Verleih: X Verleih (Warner)
Land/Jahr: Frankreich, Schweiz 2021
Regie: Bernard Campan, Alexandre Jollien
Darsteller: Bernard Campan, Alexandre Jollien, Tiphaine Daviot
Kinostart: 02.06.2022

Eigentlich sind Igor und Louis grundverschieden. Der eine ist behindert und fährt Biogemüse mit dem Fahrrad aus, der andere ist erfolgreicher Bestattungsunternehmer. Ein Unfall führt die beiden zusammen: Bestatter Louis fährt den Gemüselieferanten an. Der kontaktarme Igor sieht im Geschäftsmann Louis einen neuen Freund – und tut alles dafür, dass es so bleibt. Unfreiwillig begeben sich die beiden Männer im voll bestückten Leichenwagen auf einen Roadtrip, der am Ende beide Männer in ihren Lebensentwürfen weiter bringen wird... Für diese leise französische Komödie von Bernard Campan und Alexandre Jollien hat der deutsche Filmverleiher einen Titel gewählt, der mit dem Original so gut wie gar nichts zu tun hat. “Presque” übersetzt sich ins Deutsche mit “schon fast” und hat mit Glück oder einer Skala nichts zu tun. Aber egal. Der Film schwimmt im Fahrwasser von ZIEMLICH BESTE FREUNDE oder RAIN MAN, ohne je deren außerordentliche Qualitäten zu erreichen. Nichtsdestotrotz bricht er zum einen eine Lanze für Inklusion, zum anderen bietet er viel Gelegenheit, über das Leben zu reflektieren. Letzteres insbesondere durch die vielen philosophischen Zitate, die Igor wohl dosiert einsetzt. Auch wenn der gut fotografierte Film in seiner Handlung leicht vorhersehbar ist, hat er dennoch Unterhaltungsqualität. Das liegt speziell an den beiden Hauptdarstellern, die sich darauf verstehen, ihre Rollen auszufüllen.

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