Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Mittwoch, 27. Juli 2022
Singen für die Seele
Heute zur Abwechslung mal wieder eine Doku

UNSERE HERZEN – EIN KLANG (1:2.35, 5.1)
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Torsten Striegnitz, Simone Dobmeier
Kinostart: 22.09.2022

Was bedeutet es in einem Chor zu singen oder einen Chor zu dirigieren? In ihrer Dokumentation gehen Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier genau diesen Fragen nach. Der englische Dirigent Simon Halsey, die deutsche Gesangslehrerin und Chorleiterin Judith Kamphues und die in Deutschland lebende Koreanerin Hyunju Kwon, die Chordirigentin werden möchte, sind die drei Protagonisten im choralen Mikrokosmos. Der Kamera (in CinemaScope!) kommt eine beobachtende Funktion zu, eine Kommentierung aus dem Off gibt es nicht. Zu sehen ist die Arbeit in den Proberäumen. Hier wird nicht nur nach Perfektion gesucht, sondern auch nach einem hohem Wohlfühlfaktor. Denn nur glückliche, entspannte Menschen können richtig (gut) singen! Ob kleines Ensemble oder Riesenchor – alles hat seine Herausforderungen und auch seine wertvollen Glücksmomente, generiert im grandiosen Gemeinschaftserlebnis. Zu hören gibt es viel anspruchsvolle Chormusik, vorgetragen mit viel Herzblut von begeisterten Chören. Wäre die Corona-Pandemie nicht gewesen, wäre es wohl ein ganz anderer Film geworden. Da sie jedoch mitten in die Dreharbeiten platzte, mussten nicht nur die Chormitglieder und Dirigent*innen umdenken, sondern auch die Filmemacher. Statt zu Pausieren bis die Pandemie zu Ende ist, entschloss man sich zu zeigen, was es für die Chöre bedeutet, sich in einem Lockdown zu befinden. Einerseits ist es sehr schade, dass die zweite Hälfte des Films jetzt von Corona dominiert wird. Andererseits jedoch wird gerade durch diese Extremsituation klar, wie wichtig das gemeinsame Singen, das gemeinsame Miteinander für eine funktionierende Gesellschaft ist. Die Doku empfiehlt sich insbesondere für jene Menschen, die selbst gerne singen oder sogar Mitglied in einem Chor sind.

Samstag, 16. Juli 2022
Trauerbewältigung
Ein wichtiges Thema in einem wichtigen Dokumentarfilm

WER WIR GEWESEN SEIN WERDEN (1:1.85, 5.1)
Verleih: Erec Brehmer
Land/Jahr: Deutschland 2021
Regie: Erec Brehmer, Angelina Zeidler
Kinostart: 14.07.2022

Vor ein paar Jahren ereilte den Münchener Filmemacher Erec Brehmer ein harter Schicksalsschlag: bei einem Autounfall stirbt seine Freundin Angelina, er selbst erleidet schwere Verletzungen. Mit seinem Dokumentarfilm WER WIR GEWESEN SEIN WERDEN versucht sich Brehmer jetzt an der Trauerbewältigung. Sein Film gibt tiefe Einblicke, was ein solcher Schicksalsschlag mit einem Menschen macht. Ohne Scheu erzählt Brehmer von seiner Trauer, die ihn über ein Jahr lang begleitete und ihn fast in den Suizid trieb. Sein Film wird zum Sprachrohr derjenigen, die mit einem ähnlichen Schicksal konfrontiert waren oder noch sind. Bebildert ist der in Kapitel unterteilte Film fast ausschließlich mit Filmaufnahmen und Fotografien, die Brehmer in der Zeit vor dem tödlichen Unfall angefertigt hatte. Brehmers Offenheit gegenüber den Zuschauern berührt zutiefst und lässt den Film zu einem emotional ergreifenden Erlebnis werden. Und er macht auch bewusst, dass Trauerbewältigung und der Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen nach wie vor in unserer Gesellschaft, die tagtäglich den Tod verdrängt, tabuisiert werden.

Mittwoch, 06. Juli 2022
Schlachtfeld Frauenfreibad
Zu sommerlichen Temperaturen eine sommerliche Komödie

FREIBAD (1:1.85, 5.1 + Atmos)
Verleih: Constantin
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Doris Dörrie
Darsteller: Andrea Sawatzki, Maria Happel, Nilam Farooq
Kinostart: 01.09.2022

In einem Frauenfreibad prallen Welten aufeinander. Wenn sich die deutschen Besucherinnen untereinander schon nicht sonderlich mögen, was passiert dann wohl erst mit weiblichen Migranten, die das kühle Nass suchen? Aus Sicht der deutschen Frauen beanspruchen Türkinnen hier viel zu viel Platz. Die wiederum können das Gehabe der syrischen Frauen nicht ausstehen. Und gegen die Araberinnen im “Ganzkörperkondom”, die gleich in Heerscharen auftreten, haben alle etwas. Das Freibad wird zum Schlachtfeld... In diesem Freibad lässt es sich keine halbe Stunde aushalten – und schon gar keine 100 Minuten! Zumindest erging es meinen Kollegen und mir so. Doch möglicherweise nehmen Frauen diesen “Frauen”film ganz anders auf. Aus meiner Sicht gab es im gesamten Film keine “normalen” Figuren. So etwas nimmt man bei einer Komödie natürlich immer in Kauf. Denn um richtig lustig zu sein, muss man schon ein wenig von der Norm abweichen, was ja in Ordnung ist. Doch in FREIBAD nimmt das einfach Überhand. Und dreht sich fast alles nur um Vorurteile und Rassismus. Es ist fast so, als gäbe es im deutschen Film kein anderes Thema mehr. Nicht fehlen darf natürlich die Quoten-Trans-Frau – denn man will ja schließlich politisch korrekt sein. Sehr störend: den nach über der Hälfte des Films eingesetzten Bademeister versteht man kaum. Nicht dass der irgendetwas zu sagen hätte. Einziges Lob geht an die Kameraarbeit: endlich mal kein farbentsättigtes Bild, sondern ein quietschbuntes. So wie sich das für ein Freibad gehört.

DEAR MEMORIES – EINE REISE MIT DEM MAGNUM-FOTOGRAFEN THOMAS HOEPKER (1:1.85, 5.1)
Verleih: DCM
Land/Jahr: Deutschland, Schweiz 2022
Regie: Nahuel Lopez
Kinostart: 30.06.2022

Er gilt ls einer der bedeutendsten lebenden Fotografen der Welt: Thomas Hoepker. Der Fotojournalist war der erste deutsche Fotograf, dem eine Mitgliedschaft in der legendären Fotoagentur Magnum Photos zuteil wurde. 2017 dann der Schicksalsschlag: er wurde mit Alzheimer diagnostiziert. Gemeinsam mit seiner Frau Christine macht sich der in den USA lebende Hoepker im Wohnmobil auf, noch einmal seine Wahlheimat zu durchqueren. Regisseur Nahuel Lopez begleitet das Paar auf ihrem Road Trip durch die amerikanische Provinz bis nach San Francisco. Die Reise wird für Hoepker zu einer Art Abschied, seine Erinnerungen schwinden, aber er fotografiert immer weiter. Aus dem Off werden Texte von Hoepker gelesen, die er für Bildbände geschrieben hat, oder auch Fragmente von Interviews, die er gegeben hat. Dadurch erfährt der Zuschauer viel über die Philosophie hinter seinen Bildern und was ein gutes Bild ausmacht. Dazu gibt es viele der ikonischen Fotografien, die Hoepker geschossen hat, zu sehen. Lopez zeigt seinen Protagonisten auch während der Reise immer wieder mit der Kamera bewaffnet auf Motivsuche. Und Hoepker wird immer fündig – trotz seiner Krankheit, die er mit mehr oder weniger Humor zu überspielen versucht. Wenn auch seine eigene Erinnerung nach und nach verblassen wird, so wird die Erinnerung an ihn bleiben – auch dank Lopez filmischen Denkmals an ein Urgestein der journalistischen Fotografie.

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