Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Freitag, 23. September 2022
Schöner Schein
Mein “Fridays For Films” Doppelprogramm

DON’T WORRY DARLING (1:2.35, DD 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Don’t Worry Darling
Verleih: Warner
Land/Jahr: USA 2022
Regie: Olivia Wilde
Darsteller: Florence Pugh, Harry Styles, Chris Pine, Olivia Wilde
Kinostart: 22.09.2022

Victory, das ist ein Ort, an dem noch traditionelle Werte gelten. Im Nirgendwo gelegen und von Wüstenlandschaft umringt, haben die allesamt auf Äußerlichkeiten ausgerichteten Frauen nichts anderes zu tun, als Tag für Tag das Haus von oben bis unten grundzureinigen, während ihre Männer einer streng geheimen und immens wichtigen Arbeit nachgehen. Ein perfektes Idyll, in dem jeder Mann und jede Frau glücklich ist. Oder vielleicht doch nicht? Erste Zweifel erwachsen in Alice, als sie sieht, wie sich ihre Freundin Margaret in einer Verzweiflungstat die Kehle aufschlitzt. Doch niemand will ihr glauben. Alice beschließt der Sache auf den Grund zu gehen... Während ich mir heute Olivia Wildes neueste Regiearbeit auf der großen Leinwand anschaute, habe ich mich ernsthaft gefragt, ob man womöglich ab einem bestimmten Alter bereits alle Geschichten kennt, die das Kino zu erzählen hat. Angesichts dieses Crossovers zwischen STEPFORD WIVES und MATRIX bin ich wirklich dazu geneigt, diese Frage mit “Ja” zu beantworten. Löst man sich davon, alles schon einmal irgendwo gesehen zu haben, muss man dem Film eine optisch und akustisch sehr gelungene Umsetzung des Themas zugestehen. Aber leider verwässert die Inszenierung alles wieder: wie Kaugummi zieht sich das Werk in die Länge, dreht sich oft in Endlosschleife. Da würde man der Regisseurin doch mehr Mut zum Kürzen wünschen, denn 30 Minuten weniger hätten dem Timing besser zu Gesicht gestanden.

LIEBE, D-MARK UND TOD – ASK, MARK VE ÖLÜM (1:1.85, 5.1)
Verleih: Rapid Eye Movies (RealFiction)
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Cem Kaya
Kinostart: 29.09.2022

In seinem Dokumentarfilm geht Filmemacher Cem Kaya der Frage nach, wie türkische Musik nach Jahrzehnten in Deutschland schließlich salonfähig wurde. Mit einer unglaublichen Fülle an Archivmaterial verfolgt er ihren Weg von den Anfängen, als erstmals türkische Gastarbeiter als Billiglohnkräfte nach Deutschland geholt wurden und ihre starke Sehnsucht nach dem Heimatland mittels ihrer Musik zu stillen versuchten. Und wie daraus schließlich ein ganzer Industriezweig entstand ohne je mit der deutschen Kultur Berührungspunkte zu haben. Wie schließlich die türkische Musik in Deutschland Protestlieder hervorbrachte ob der meist unmenschlichen Arbeitsbedingungen unter denen die Gastarbeiter zu leiden hatten. “Man bestellte Arbeiter und bekam Menschen” heisst es in einem der Songs, die sich millionenfach verkauften. Kaya holt türkische Musikpersönlichkeiten vor seine Kamera, die aus dieser Zeit des Aufbruchs berichten können. Sein Film macht auch klar, warum die Türken nie in die deutsche Gesellschaft integriert wurden, sondern stattdessen eine Parallelgesellschaft bildeten. Cem Kayas Film ist gleichzeitig Musikdoku und Gesellschaftsporträt, beobachtet über einen Zeitraum von fast 70 Jahren.

Montag, 12. September 2022
Auf der Suche nach der Vergangenheit
Zwei Mal deutsches Kino: etwas für die Kleinen und etwas für die Großen

DIE MUCKLAS UND WIE SIE ZU PETTERSSON UND FINDUS KAMEN (1:1.85, 5.1)
Verleih: Wild Bunch (Central)
Land/Jahr: Spielfilm, Deutschland, Luxemburg 2022
Regie: Ali Samadi Ahadi, Markus Dietrich
Darsteller: Uwe Ochsenknecht, ChrisTine Urspruch, Stefan Kurt, Marianne Sägebrecht, André Jung
Kinostart: 20.10.2022

Als ein ordnungsliebender Kammerjäger die gemütliche Behausung der Mucklas übernimmt, sehen sich die kleinen Zweibeiner dazu gezwungen, eine andere Heimat zu finden. Denn nichts ist für Mucklas unerträglicher als Ordnung. So werden Svunja, Tjorben und Smartö dazu auserwählt, die neue Heimat zu finden. Für die drei Mucklas beginnt damit das Abenteuer ihres Lebens... Die Mucklas, das sind diese kleinen niedlichen Lebewesen, die immer wieder im Haus von Pettersson und Findus herumkrabbeln. Herzallerliebst. Leider ändert sich das mit diesem Film. Denn aus diesen kleinen niedlichen Zweibeinern werden ganz normale beliebige Animationsfiguren, wie man sie aus Dutzenden von Filmen bereits kennt. Da gibt es keine wirklichen Alleinstellungsmerkmale mehr. Das ist in etwa vergleichbar mit dem Schicksal der Minions, die, als man ihnen einen ganz eigenen Film gab, längst nicht mehr das waren, wofür man sie ursprünglich ins Herz geschlossen hatte. Der vom Regieduo Ali Samadi Ahadi und Markus Dietrich inszenierte Film – eine Mischung aus Realszenen und Animationen – bietet dafür rasante Action, eine bombastische Filmmusik und eine vorzügliche 5.1-Tonmischung. Mit knapp 80 Minuten kommt der Film zudem seiner Zielgruppe sehr entgegen. Fun Fact: der von Uwe Ochsenknecht dargestellte Kammerjäger ist eine 1:1 Kopie des von Christopher Walken in MÄUSEJAGD verkörperten Kammerjäger. Wer die Mucklas allerdings so in Erinnerung behalten möchte, wie man sie aus den Pettersson und Findus Filmen kennt, der sollte auf diesen Film verzichten.


MITTAGSSTUNDE (1:2.35, 5.1)
Verleih: Majestic (Paramount)
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Lars Jessen
Darsteller: Charly Hübner, Peter Franke, Hildegard Schmahl
Kinostart: 22.09.2022

Ingwer Feddersen hat schon vor vielen Jahrens seinem Heimatdorf Brinkebüll im nordfriesischen Nirgendwo den Rücken gekehrt, um zu studieren. Jetzt ist er 47 und Dozent an der Uni und hat beschlossen, ein Sabbatical zu nehmen, um sich endlich um seine alten Eltern zu kümmern. Doch seit der großen Flurbereinigung ist seine Heimat längst nicht mehr die, die sie einmal war. Wie auch seine Eltern: die Mutter ist dement, der Vater geht am Rollator. Ingwers Aufenthalt in der alten Kneipe seiner Eltern konfrontiert ihn mit seiner Vergangenheit... Regisseur Lars Jessen erzählt den nach einem Roman von Dörte Hansen inszenierten Film auf mehreren Zeitebenen. Kunstvoll und mit Bedacht fließen die unterschiedlichen Jahrzehnte ineinander, gut abgegrenzt durch eine kluge Farbdramaturgie (Kamera: Kristian Leschner). Erst nach und nach und in entschleunigtem Tempo erfährt man mehr über die Vergangenheit des Protagonisten. Eine Vergangenheit, die er selbst erst entschlüsseln muss. Einiges bleibt im Verborgenen, manches verraten nur die Blicke der ziemlich wortkargen Menschen. Es ist ein wunderbares Ensemble, das Jessen hier vor der Kamera vereint – eine Toppbesetzung bis in die kleinsten Rollen. Und Jessen lässt es sich auch nicht nehmen, seine Figuren Plattdeutsch reden zu lassen (selbstverständlich auf Hochdeutsch untertitelt), wodurch das Drama sehr authentisch wirkt. Genauso wie die depressive Grundstimmung darf natürlich auch eine gute Portion lakonischen Humors nicht fehlen. Hier stimmt die Balance. MITTAGSSTUNDE empfiehlt sich als bestes deutsches Arthouse-Kino für Anspruchsvolle.

Freitag, 02. September 2022
Von Zweien, die Film leben
Heute hat mich mal wieder eine interessante Dokumentation in ihren Bann gezogen

KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA – DIE GREGORS (1:1.78, 5.1)
Verleih: RealFiction
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Alice Agneskirchner
Kinostart: 01.09.2022

In ihrem zweieinhalbstündigen Dokumentarfilm porträtiert Alice Agneskirchner Erika und Ralf Gregor, ein Ehepaar, das quasi deutsche Filmgeschichte geschrieben hat. Ohne ihre treibende Kraft hätte es vermutlich die Sektion “Internationales Forum des jungen Films” bei der Berlinale nie gegeben. Agneskirchner zeigt die Gregors mal im Kino, mal in ihrer Küche, mal in ihrem Arbeitszimmer und vermittelt unmissverständlich, dass die Beiden Film und Kino mit jeder Pore ihrer Körper aufsaugen. Anhand von Archivmaterial und Interviews mit Filmpersönlichkeiten zeichnet sie den Weg der Gregors von Anfang der 1950er Jahre bis in die Gegenwart. Entstanden ist dabei ein spannender Ritt durch die deutsche Film- und Kinogeschichte jenseits des Mainstreams. Die Gregors sind ein Paradebeispiel dafür, dass ein Leben ohne Film zwar möglich, aber vollkommen sinnlos ist. Die Doku empfiehlt sich anspruchsvollen Filmfans.


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