Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Dienstag, 25. Oktober 2022
Von Einem, der nicht träumt
Eine Doku zum Frühstück

WERNER HERZOG – RADICAL DREAMER (1:1.85, 5.1)
Verleih: RealFiction
Land/Jahr: Deutschland 2021
Regie: Thomas von Steinaecker
Darsteller: Werner Herzog
Kinostart: 27.10.2022

Gleich zu Beginn des Films gesteht Regie-Ikone Werner Herzog, dass er nie träumen würde. Er habe allerdings so etwas wie einen Ersatz für das Träumen: nämlich immer dann, wenn er mit dem Auto 20 Stunden fährt und sich irgendwann Mücken und Schmetterlinge in seinem Auto um ihn herum scharen würden. Fast pünktlich zu Herzogs 80. Geburtstag widmet Regisseur Thomas von Steinaecker jenem Mann seinen Film, dessen filmische Werke auf der ganzen Welt nachhallen. Ob FITZCARRALDO, AGUIRRE oder NOSFERATU – seine Filme haben sich in das Bewusstsein aller Filmfans eingebrannt. In sehr persönlichen Interviews mit Herzog selbst sowie vielen seiner Weggefährten (darunter namhafte Schauspieler wie Christian Bale, Nicole Kidman oder Robert Pattinson) erfährt man als Zuschauer ziemlich viel über den Menschen Werner Herzog sowie über sein gesamtes filmisches Oeuvre, aus dem jede Menge Ausschnitte zu sehen sind und ihn vor und hinter der Kamera zeigen. Besonders spannend dabei seine Schilderung über die Zusammenarbeit mit Klaus Kinski beim Monumentalprojekt FITZCARRALDO. Was bewegt diesen Regisseur, wohin geht seine Reise, woher kommt er überhaupt? Von Steinaecker nimmt sich viel Zeit für den außergewöhnlichen Filmemacher, der in den USA größeren Ruhm genießt als in seinem Geburtsland Deutschland. Viel Zeit, die nie langweilig wird. Das liegt insbesondere an den Bildern, die Kameramann Henning Brümmer findet. Fast so als gelte es damit Herzog Tribut zu zollen, weil der auch ständig auf der Suche nach Bildern ist, die man im Kino noch nicht gesehen hat. Und ja – Herzog würde sogar einen Flug ins All auf sich nehmen um neue Bilder zu finden. Er meint “Die haben immer nur Techniker ins All geschickt, aber nie einen Poeten!”. Der Dokumentarfilm empfiehlt sich natürlich in erster Linie für Filmfans, doch macht Herzogs charismatisches Wesen und sein ureigener Sprachduktus ihn auch für andere Zuschauer sehr interessant.

Samstag, 22. Oktober 2022
Schrei nach Veränderung
Ein beeindruckender Dokumentarfilm hielt mich am Samstagabend in Atem

RISE UP (1:1.85, 5.1)
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Marco Heinig, Luise Burchard, Steffen Maurer, Luca Vogel
Kinostart: 27.10.2022

Ein ebenso aufrüttelnder wie Mut machender Dokumentarfilm, in dem fünfr politische Aktivist*innen zu Wort kommen: Marlene Sonntag, die seit Jahren die kurdische Frauenbewegung unterstützt; Shahida Issel, die das Apartheidsregime in Südafrika zu Fall brachte; Camila Cáceras, die Generalstreiks in Chile organisierte sowie landesweite Proteste, die zu einer neuen Verfassung führten; Kali Akuno, der in den USA gegen Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit der Afro-Amerikaner kämpft; Judith Braband, die sich für einen besseren Sozialismus einsetzt. Mit einer gelungenen Montage (Luise Burchard, Marco Heinig) stellen die vier Regisseur*innen die Eigenschaften der Protagonisten heraus, die sie in ihrem Kampf gegen Ungerechtigkeiten verbindet. Und sie spüren der Frage nach, wann der Punkt gekommen ist, an dem ganz normale Bürger zu Aktivisten werden. Auch wird klar, dass es einen langen Atem braucht, um von ganz unten her eine tiefgreifende Veränderung herbeizuführen. Doch es gilt sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Mit einer unglaublichen Bilderflut aus Archiven werden die Schilderungen der Aktivist*innen untermauert, immer unterlegt mit einem klugen Kommentar aus dem Off, der die Zuschauer zum Denken anregen dürfte. Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage und der fast nicht mehr abzuwendenden Katastrophen, mit der die Menschheit in den kommenden Jahren konfrontiert werden wird, kommt RISE UP genau zur richtigen Zeit in die Kinos. Zu wünschen ist, dass den Film möglichst viele Menschen sehen werden.

Freitag, 21. Oktober 2022
Rollercoaster Ride
Es gibt sie noch – die richtig guten Horrorfilme!

SMILE – SIEHST DU ES AUCH? (1:1.85, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Smile
Verleih: Paramount
Land/Jahr: USA 2022
Regie: Parker Finn
Darsteller: Sosie Bacon, Jessie T. Usher, Kyle Gallner
Kinostart: 29.09.2022

Als sich im Beisein der Psychologin Rose Cotter eine Patientin mit einem wahnsinnigen Grinsen im Gesicht das Leben nimmt, beginnt für die überarbeitet Ärztin eine Tour-de-Force. Plötzlich wird sie aus heiterem Himmel von vielen anderen Menschen mit demselben Grinsen angeschaut. Rose beginnt an sich selbst zu zweifeln. Doch als sie der Sache auf den Grund geht, muss sie feststellen, dass es bereits eine ganze Serie solcher Suizide gegeben hat... Kleine Achterbahnfahrt gefällig? Dann sei Ihnen Parker Finns Horrorfilm SMILE ans Herz gelegt. Kein anderer Horrorfilm konnte zumindest mich in der letzten Zeit derart überzeugen wie dieses gruselige Grinsen. Mit seinem extrem dynamischen und effektvoll gestalteten Sounddesign schafft es der Film, seine Zuschauer mehr als nur einmal aus dem Kinosessel zu reißen! Bei einem derart guten Timing verzeiht man dem Drehbuch sehr gerne einige seiner weniger plausiblen Konstrukte (wie beispielsweise die ermittelnden Polizisten, die alles andere als ernst zu nehmen sind). Ich hatte das Vergnügen mir den Film in einem großen Londoner Kino anzuschauen - mit entsprechend gut gelauntem Publikum, das immer dann lautstark geschrien hat, wenn wieder etwas vollkommen Unerwartetes auf der Leinwand passierte! Die meist jungen Leute haben tatsächlich Angst gehabt. Besonders nett waren die beiden Girls, die mich nach dem Film angegrinst haben. Das war dann Kino in 4D!

THE LOST KING (1:1.85, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: The Lost King
Verleih: X Verleih
Land/Jahr: Großbritannien 2022
Regie: Stephen Frears
Darsteller: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd
Kinostart: 05.10.2023

Eine Amateur-Historikerin trotzt dem schwerfälligen akademischen Establishment durch ihre Anstrengungen, die Überreste von King Richard III zu finden, die seit mehr als 500 Jahren als verschollen gelten... Stephen Frears hat seinen neuesten Film nach einer wahren Geschichte inszeniert und mit Sally Hawkins seine perfekte Hauptdarstellerin gefunden. Ähnlich wie in ihrer Rolle in WE WANT SEX, in der sie eine einfache Fabrikarbeiterin spielt, die im Ford-Werk in Dagenham zur Streikführerin wird, setzt sie sich auch in Frears Film entgegen aller Unkenrufe für ihre Überzeugung ein. Sie mutiert von der sprichwörtlich grauen Maus zu einer starken Frau, der am Ende großer Respekt gezollt wird. Besonders erwähnenswert ist die Filmmusik von Alexandre Desplat, der sich mit seinem Score in den Fußstapfen eines Bernard Herrmann bewegt, was sich bereits in dem genial gestalteten Titelvorspann mit Reminiszenzen an Alfred Hitchcock herauskristallisiert.
Sonntag, 09. Oktober 2022
Zahnfee und Naturkind
Heute hatte ein Animationsfilm in Stuttgart Premiere

MEINE CHAOSFEE & ICH (1:1.85, 5.1)
Verleih: Telepool (Paramount)
Land/Jahr: Deutschland, Luxemburg, Kanada 2022
Regie: Caroline Origer
Kinostart: 13.10.2022

Die etwas chaotische Zahnfee Violetta verpatzt wieder einmal ihre Prüfung und darf nicht als Zahnfee tätig werden. Doch mit einem kleinen Trick gelingt es ihr in die Menschenwelt zu gelangen, wo sie sich beweisen möchte. Dort trifft sie auf die kleine, naturverbundene Maxie, die gerade erst mit ihrer Mutter zum neuen Vater, einem Umweltaktivistin mit Migrationshintergrund, gezogen ist. Für Maxie und Violetta beginnt eine Zeit voller Abenteuer... In knallbunte Farben kleidet Caroline Origer ihren computeranimierten Film für Kinder. Das ist geradezu eine Wohltat gegenüber den farbentsättigten Dramen, die in Kino und TV fast schon Normalität geworden sind. Ihr ebenso actionreicher wie witziger Film behandelt dazu gleich noch eine ganze Fülle zeitgenössischer Themen wie Patchwork-Familie, Migrationshintergrund und Umweltverschmutzung. Und das alles so verpackt, dass es nicht nur die Erwachsenen, sondern insbesondere auch Kinder verstehen können. Mit knapp 90 Minuten hat der Film dann sogar eine Länge, die auch kleinere Kinder nicht überfordern wird. Besonders gelungen ist die filmmusikalische Untermalung aus den Federn von Martin Lingnau und Ingmar Süberkrüb, die mit großem Orchester eingespielt wurde.

Donnerstag, 06. Oktober 2022
Zwischen zwei Welten
Heute gab es mal wieder etwas auf die Ohren

THE MAGIC FLUTE – DAS VERMÄCHTNIS DER ZAUBERFLÖTE (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
Verleih: Tobis
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Florian Sigl
Darsteller: Jack Wolfe, Iwan Rheon, Asha Banks, Morris Robinson, Niamh McCormack, F. Murray Abraham, Stefan Konarske, Tedros Teclebrhan, Sabine Devieilhe, Rolando Villazón, Amir Wilson, Jeanne Goursaud, Jasmin Shakeri, Larissa Sirah Herden
Kinostart: 17.11.2022

Nach dem Tod seines Vaters beginnt der junge Tim eine Gesangsausbildung auf der legendären Mozart International School. Eines Nachts entdeckt er durch Zufall ein Portal in eine andere Welt. Dort ist er nicht mehr der Neuling, dem man üble Streiche spielt, sondern Prinz Tamino aus Mozarts “Zauberflöte”, der viele Abenteuer und Aufgaben bestehen muss, um Prinzessin Pamina und ihr Land zu retten. In der realen Welt muss er sich nicht nur mit der Ausbildung herumschlagen, sondern verguckt sich auch noch in die hübsche Sophie... Dieser Film gibt tatsächlich ein Rätsel auf: wem soll man ihm empfehlen? Musikliebhabern? Nein, denen dürfte die Neuinterpretation von Mozarts “Zauberflöte” gar nicht gefallen. Kindern? Nein, die werden sich bei den Gesangsnummern langweilen. Fantasyfans? Auch eher nein, denn die Geschichte ist einfach zu abgedroschen. Aber lassen wir diese Betrachtungen einfach mal beiseite und schauen mal, was wir hier eigentlich haben. Der Film spielt auf zwei Ebenen – die “normale” Welt, also das Musik-Internat in Österreich, wo der Protagonist eine Gesangsausbildung erhalten soll, und die Phantasie-Welt, eine Art Oz, in der der Protagonist Teil von Mozarts “Zauberflöte” wird. Letztere Ebene zeichnet sich insbesondere durch recht misslungene visuelle Effekte aus, bietet dafür aber einige Kostproben aus Mozarts “Zauberflöte” in bestem Dolby Atmos Sound. Und die Real-Ebene kommt ziemlich verdruckst daher, traut sie sich einfach nicht, den Zimmergenossen des Protagonisten als schwul zu outen. Überhaupt sind die Dialoge hier auf einem Niveau, das überhaupt nicht zu den Schülern im Internat passt. Summa summarum haben wir es bei THE MAGIC FLUTE um eine Art “Harry Potter” mit Operettenmusik zu tun. Was wieder zur Eingangsfrage führt: wer soll sich das anschauen?
Mittwoch, 05. Oktober 2022
Das Schweigen im Wald
Wenn sich eine deutsche Regisseurin an einem Mystery-Thriller versucht, klingt das recht spannend

SCHWEIGEND STEHT DER WALD (1:2.35, 5.1)
Verleih: Alpenrepublik
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Saralisa Volm
Darsteller: Henriette Confurius, Noah Saavedra, Robert Stadlober, August Zirner
Kinostart: 27.10.2022

Während eines Praktikums geht die Forststudentin Anja Grimm dem rätselhaften Verschwinden ihres Vaters nach, der vor 20 Jahren in genau jenem Waldstück, in dem Anja forscht, zu einer Wanderung aufgebrochen ist. Doch mit ihrer Wissbegier tritt sie nicht nur den Dorfbewohnern auf die Füße, sondern auch der Polizei. Da geschieht ein brutaler Mord. Anja ist entschlossen, das Geheimnis zu lüften... Dass sich Regisseurin Saralisa Volm im Genre des Mystery-Thrillers auskennt, merkt man ihrem Debütfilm auf Schritt und Tritt an. Sie versteht sich bestens darauf, unheimliche Atmosphären aufzubauen. Das gelingt ihr mit oft ungewöhnlichen Scope-Bildern (Kamera: Roland Stuprich) und vor allem mit der Tonebene des Films, zu der auch die düstere Filmmusik von Malakoff Kowalski gehört. Allerdings wird sie damit eingefleischte Genre-Fans nicht sonderlich überzeugen, hat man das so oder ähnlich bereits in Dutzenden von Filmen gesehen. Insofern bedient dieser Film ganz bestimmte Klischees. Immerhin – und das ist alles andere als klischeehaft – liefert Volm ein offenes Ende. Ein Ende, das den Film zumindest ein Stück weit rettet.

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