Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Mittwoch, 25. Januar 2023
Getrübtes Idyll
Da es keine Pressevorführung in Stuttgart gab, habe ich mal wieder ”gestreamt”

WANN KOMMST DU MEINE WUNDEN KÜSSEN (1:1.85, 5.1)
Verleih: MFA+ FilmDistribution
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Hanna Doose
Darsteller: Bibiana Beglau, Gina Henkel, Katarina Schröter, Alexander Fehling, Godehard Giese
Kinostart: 02.02.2023

Als die in Berlin lebende Maria unverhofft auf dem elterlichen Bauernhof auftaucht, ist es schnell vorbei mit dem Idyll. Der von ihrer Schwester Kathi und der gemeinsamen Freundin Laura nebst deren Lebensgefährten Jan bewirtschaftete Hof liegt mitten im Schwarzwald, abgeschieden von der Zivilisation. Dass Kathi mit Krebs kämpft, die Mutter sich damals das Leben genommen hat und Jan der Ex von Maria ist, macht die Sache nicht leichter. Alte Wunden öffnen sich wieder und bisher Unausgesprochenes bricht sich Bahn... Auch in ihrem neuen Film versteht es Regisseurin Hanna Doose eine Geschichte zu erzählen, die von Anfang an in ihren Bann zieht, da sie extrem authentisch wirkt und sehr viel Identifikationspotenzial bietet. Pulsierende Technoklänge, unheilschwangere Drohnenbilder und eine Top-Besetzung fesseln in diesem Drama von der ersten bis zur letzten Minute. Deutsches Arthouse-Kino at its best.

Montag, 23. Januar 2023
Deutsches Komödien-Doppel
Erst Lustiges für Erwachsene, danach Lustiges für Kinder. Fazit: ein amüsanter Montag.

CAVEMAN (1:2.35, 5.1 + Atmos)
Verleih: Constantin Film Verleih
Land/Jahr: Deutschland 2021
Regie: Laura Lackmann
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Laura Tonke, Wotan Wilke Möhring, Martina Hill
Kinostart: 26.01.2023

Ausgerechnet 15 Minuten bevor Autoverkäufer Bobby Müllers großer Traum wahr wird, als Stand Up Comedian beim Open Mic Abend aufzutreten, trennt sich seine Frau Claudia von ihm. Spontan entschließt sich Bobby sein Comedy-Programm über den Haufen zu werfen und das Publikum mit seinen Beziehungserfahreungen zu unterhalten... Laura Lackmann adaptierte Rob Beckers erfolgreiche Broadwy-Komödie CAVEMAN jetzt für die große Kinoleinwand mit allem was dazugehört: in CinemaScope und Dolby Atmos. Die Tour-de-Force durch sämtliche Klischees einer Mann/Frau-Beziehung bietet sehr viel Identifikationspotenzial und dürfte im gut gefüllten Kinosaal ganz sicher für viele Lacher und so manchen Schmunzler sorgen. Denn wir wir ja wissen basiert jedes Klischee auf einer Wahrheit, auch wenn diese nich so unbequem ist. CAVEMAN empfiehlt sich als amüsante Paar-Therapie.

LUCY IST JETZT GANGSTER (1:2.35, 5.1)
Verleih: Wild Bunch Germany
Land/Jahr: Deutschland 2022
Regie: Till Endemann
Darsteller: Valerie Arnemann, Violetta Arnemann, Brooklyn Liebig, Lisa Marie Trense, Kostja Ullmann, Franziska Wulf, Kailas Mahadevan, Esther Schweins
Kinostart: 02.03.2023
Die kleine Lucy ist ein waschechtes Vorzeigekind: nur Gutes will sie tun, damit die Welt um sie herum auch gut bleibt. Als jedoch die elterliche Eisdiele in finanzielle Nöte gerät und die Bank keinen weiteren Kredit gewähren möchte, beschließt Lucy Gangster zu werden und die Bank zu überfallen... Im wunderschönen Bad Wimpfen gedreht erzählt der Kinderfilm von Freundschaft, Solidarität und davon, Gutes zu tun. Mit einem gut aufgelegten Cast an Kinderdarstellern und den etwas überdreht agierenen Erwachsenen, wendet sich Till Endemanns Komödie insbesondere an die 6 bis 10-jährigen Kids. Die werden ganz sicher ihren Spaß haban zuzuschauen, wie aus Lucy unter Anleitung ihres supercoolen ”Gangster”-Mitschülers Tristan Luzifer wird, die gemeinsam mit Tristan und ihrer besten Freundin Rima einen Bankraub plant. Dass die Hauptrolle der Lucy mit Zwillingsschwestern besetzt wurde, ist ein origineller Kunstgriff der es ermöglicht, dass sich Lucy mit ihrem ”Gangster”-Spiegelbild unterhalten kann.
Sonntag, 22. Januar 2023
Sündenpfuhl Hollywood
Ein Kinoerlebnis der ganz besonderen Art versüßte mir meinen Sonntagabend

BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE (1:2.35 & 1:1.37, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Babylon
Verleih: Paramount Pictures Germany
Land/Jahr: USA 2022
Regie: Damien Chazelle
Darsteller: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Jean Smart, Tobey Maguire
Kinostart: 19.01.2023

Hollywood am Ende der 1920 Jahre. Wilde Partys und exzessiver Drogenkonsum dominieren hier das Leben nach Drehende. Auch Nellie LaRoy möchte dazugehören und tut (fast) alles, um als Schauspielerin Fuß zu fassen. Der Mexikaner Manuel heuert als Hilfskraft an, hat aber ambitionierte Träume. Und der Musiker Sidney Palmer arbeitet sich langsam von ganz unten nach oben. Jack Conrad ist einer, der es bereits geschafft hat:er steht im Zenith seiner Schauspielerkarriere. Vier Menschen, die in unterschiedlichen Konstellationen im Schmelztiegel Hollywoods aufeinandertreffen... Ein wahrhaftig monumentales Werk ist das, was LA LA LAND Regisseur Damien Chazelle hier auf die große Leinwand zaubert. 189 Minuten lang zelebriert er die Stummfilmära Hollywoods und den Übergang zum Tonfilm. Mit atemberaubenden Plansequenzen nimmt er die Zuschauer mit hinein in den Sündenpfuhl Hollywood mit seinen ausgelassenen Partys und erzählt dabei die Geschichte von vier Menschen, die ihren eigenen Traum von Hollywood verfolgen. Das ist manchmal irre komisch, dann aber auch wieder extrem tragisch – ein Wechselbad der Gefühle, eingetaucht in die atemberaubende Musik von Justin Hurwitz, die sich insbesondere in der Dolby Atmos Fassung des Films Bahn bricht. Margot Robbie läuft in der Rolle der Nellie LaRoy einmal mehr zur Hochform auf – zügellos und sehr sexy! Diego Calvas als Manny Torres ist das genaue Gegenteil – zurückhaltend, beobachtend, um dann im richtigen Augenblick die Weichen einer Karriere im ShowBiz zu stellen. Ihn inszeniert Chazelle als wahren Visionär, was sich gegen Ende des Films in einer der schönsten Hommagen an die Traumfabrik zeigt: ein Schnittfeuerwerk durch die Filmgeschichte inklusive THIS IS CINERAMA, 2001 und AVATAR. Wer hierbei keine Gänsehaut bekommt, ist kein richtiger Filmfan! BABYLON erinnert immer wieder an Chazelles LA LA LAND - und das nicht nur musikalisch. Denn auch hier nimmt er sich des Themas Hollywood an, jener Traumfabrik, in der Aufstieg und Fall so dicht beeinander liegen. Am Beispiel von Brad Pitt als alterndem Filmstar Jack Conrad zeigt Chazelle das Schicksal, das so vielen Stars in der Vergangenheit und in der Gegenwart widerfahren ist. Besonders schön ist jejen Szene, in der eine Klatschreporterin dem Altstar erklärt, dass er durch seine Filme ewig leben wird – ein Privileg, das nicht jedem zuteil wird. BABYLON ist sicher kein einfacher Film und schon gar keiner für die breite Masse – aber defintiv einer für Filminteressierte. Trauen Sie sich! Kleines Fun Fact am Rande: der Film wurde in den USA mit einigen 70mm-Kopien zur Aufführung gebracht. Genau das richtige Format für dieses Spektakel und hoffentlich so bald auch in der Schauburg in Karlsruhe zu erleben.
Samstag, 14. Januar 2023
Mörderpuppe und Partylaune
Heute habe ich mir mal ein Dolby Atmos Double Feature gegönnt

M3GAN (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: M3GAN
Verleih: Universal
Land/Jahr: USA 2022
Regie: Gerard Johnstone
Darsteller: Allison Williams, Ronny Chieng, Violet McGraw
Kinostart: 12.01.2023

Eine Robotik-Ingenieurin gibt ihrer Nichte den Prototyp eines neuen Spielzeugs als Spielgefährtin: M3GAN ist ein menschengleicher Roboter neuester Bauart. Dumm nur dass M3GAN ein Eigenleben entwickelt, dessen erstes Opfer der nervende Hund der Nachbarin ist... Robotergirlie M3GAN könnte glatt eine Cousine von Chucky der Mörderpuppe sein. Nicht nur äußerlich, auch auf ihre inneren Werte bezogen. Gerard Johnstone verpasst damit dem ”Chucky”-Genre ein Upgrade – allerdings nur in technischer Hinsicht. Alles andere in dem Film ist nur konventionell und langweilt durch die Vorhersehbarkeit der Handlung. Dazu sind die handelnden Personen nicht richtig ausgereift, so dass das gesamte Filmkonstrukt extrem eindimensional wirkt. Fazit: Zeitverschwendung.

FCK 2020 – ZWEIEINHALB JAHRE MIT SCOOTER (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
Verleih: Wild Bunch Germany
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Cordula Kablitz-Post
Kinostart: 12.01.2023

Vor ein paar Jahen lieferte Regisseurin Cordula Kablitz-Post einen wunderbaren Dokumentarfilm über die ”Toten Hosen” ab. Jetzt legt sie mit FCK 2020 nach. Zweieinhalb Jahre lang begleitete sie die Techno-Band Scooter, in deren Zentrum der charismatische H.P. Baxxter steht. Corona ist das allbeherrschende Thema, denn die Pandemie trifft den Party-Menschen H.P. Baxxter ganz besonders hart. Der outet sich im Film zwar als echte Diva, doch man kann ihm das überhaupt nicht übel nehmen, versteht er es doch auch über sich selbst zu lachen. Ehemalige und aktuelle Bandmitglieder kommen zu Wort, selbst Baxxters Mutter und seine Schwester erzählen gut gelaunt von den Anfängen. Dazu gibt es viele Video-Clips zu sehen, die den Wandel von Scooter und insbesondere Baxxter dokumentieren. Im Zentrum des Films steht freilich die Musik und die bricht sich in ein paar längeren Sequenzen von Gigs der Gruppe in Dolby Atmos Bahn und verwandelt den Kinosaal dadurch in ein Open Air Stadion. Auch wenn man nicht auf Techno-Musik steht und von Scooter noch nie etwas gehört hat, wird man Film und Musik mögen, weil die Menschen, die darin porträtiert werden, alles andere als abgehoben sind und viel Potenzial zum Schmunzeln liefern.
Mittwoch, 11. Januar 2023
Das Wir gewinnt
Mein Doku-Doppel

BIGGER THAN US (1:2.35, 5.1)
OT: Bigger Than Us
Verleih: Plaion Pictures (Studiocanal)
Land/Jahr: Frankreich 2020
Regie: Flore Vasseur
Kinostart: 16.02.2023

In dem von der französischen Schauspielerin Marion Cotillard produzierten Dokumentarfilm werden sechs junge Aktivist*innen porträtiert, die sich in ihren jeweiligen Heimatländern erfolgreich engagieren. Und das in vielerlei Hinsicht. Regisseurin Flore Vasseur zeigt nicht nur junge Menschen, die sich für mehr Klimaschutz einsetzen, sondern schaut über den Tellerrand hinaus. Da ist beispielsweise Mohamad, der als syrischer Flüchtling in den Libanon kam und dort im Alter von 12 Jahren damit begann, eine Schule für Flüchtlingskinder aufzubauen. In Malawi treffen wir die 22 Jahre junge Memory, die sich gegen die institutionalisierte Vergewaltigung junger Mädchen stark macht. In Colorado in den Vereinigten Statten von Amerika rappt Xiuhtezcati Martinez, 19jähriger Sohn amerikanischer Ureinwohner, gegen die Ausbeutung der Erde und insbesondere das Fracking in seiner Heimat. Die 22jährige Mary kümmert sich auf der griechischen Insel Lesbos selbstlos um Flüchtlinge, die über das Meer kommen. In Rio de Janeiro begegnen wir Rene, ein 25jähriger, der in den Favelas lebt und dort mit großem Erfolg eine Zeitung herausbringt. In Uganda wirkt die 25jährige Winnie, indem sie Flüchtlinge Hilfe zur Selbsthilfe und die Grundlagen des Ackerbaus lehrt. Dann ist da schließlich noch die 18jährige Melati aus Indonesien, die nicht nur extrem erfolgreich gegen den Plastikmüll in ihrer Heimat kämpft, sondern gleichzeitig auch das Bindeglied in diesem Film darstellt. Auf ihrer Suche nach gleichgesinnten jungen Menschen besucht Melati die vorgenannten Aktivist*innen. Ihr Plädoyer (und das des Films): nur gemeinsam sind wir stark und nur gemeinsam können wir die anstehenden Probleme, in die sich die Menschheit hineinmanövriert hat, lösen. Vasseurs Film soll jungen Menschen Mut machen, ihre eigene Stimme zu finden, um gemeinsam mit vielen anderen auf der Erde ein Umdenken herbeizuführen. Der Film ist dabei freilich nur ein Tropfen auf dem heissen Stein, doch er geht in die richtige Richtung. Aufwändig fotografiert und mit orchestraler Filmmusik unterlegt hinterlässt er allerdings ein wenig den Eindruck einer Hochglanzhollywoodproduktion. Ob sich nach der Sichtung des Films tatsächlich viele junge Menschen finden, die sich von den Protagonisten anstecken lassen oder ob sie Aktionen lieber anderen überlassen, während sie sich selbst wieder in die Komfortzone zurückziehen, wird sich zeigen müssen.

DAS HAMLET SYNDROM(1:1.85, 5.1)
Verleih: Real Fiction
Land/Jahr: Polen, Deutschland 2022
Regie: Elwira Niewiera, Piotr Rosolowski

Sein oder Nichtsein – Hamlets berühmte Frage bildet den Grundstein in dem preisgekrönten Dokumentarfilm von Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski. Die beiden Filmemacher beobachten die Proben für ein ganz besonderes Theaterexperiment: “Hamlet – Effect” in Kiew der Ukraine. Unter Anleitung einer Regisseurin Dramaturgin soll versucht werden, die Kriegserfahrungen von fünf jungen Frauen und Männern mit jenen von Hamlets Dilemma zu verbinden. Für die Protagonisten geraten die Proben zu einer schwierigen Therapie, das Theater dient als Plattform dafür. Im Einzelnen sind es Slavik, der seine Erlebnisse von Krieg und Gefangenschaft verarbeiten muss; Katya möchte, dass ihre Mutter ihr verzeiht, dass sie in den Krieg gezogen ist; Rodion, ein schwuler Mann, der aus dem Donbass geflohen ist und sich zunehmend mit Homophobie konfrontiert sieht; Roman, der als Sanitäter im Krieg Furchtbares erleben musste und noch immer damit kämpft; und Oxana, eine Schauspielerin, die an künstlerischer Front kämpft. Sie alle sind geprägt von der Maidan Revolution und dem Krieg in der Ukraine seit 2014. Im Dokumentarfilm bleibt die Kamera stets ganz dicht bei den Protagonisten, begleitet sie unkommentiert durch Höhen und Tiefen, die während der Proben freigelegt werden. Die Erzählungen, die sich aus den Frauen und Männern oft nur ganz langsam Bahn brechen, erschüttern zutiefst. Das ist umso prekärer, da das Theaterprojekt ein paar Monate vor der russischen Großinvasion im Jahre 2022 stattfand und die kleinen Therapieerfolge mit Sicherheit wieder ganz schnell über den Haufen werfen dürften. Aus einer Schrifttafel im Abspann des Films erfährt man als Zuschauer das weitere Schicksal der Protagonisten. Ein beklemmender Film über eine junge Generation in der Ukraine, die mehr als nur einmal vor der Frage stehen “Sein oder Nichtsein”.


Donnerstag, 05. Januar 2023
Er kündigt ihm die Freundschaft
Es gibt sie noch, die richtig guten Kinofilme!

THE BANSHEES OF INISHERIN (1:2.35, 5.1)
OT: The Banshees Of Inisherin
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: Irland, Großbritannien, USA 2022
Regie: Martin McDonagh
Darsteller: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Barry Keoghan, Kerry Condon
Kinostart: 05.01.2023

Padraic ist bass erstaunt, als ihm Colm vollkommen unvermittelt seine Freundschaft aufkündigt. Dabei waren die beiden Männer, die auf einer dünn besiedelten Insel vor der Küste Irlands leben, schon immer beste Kumpels. Das will Padraic natürlich nicht einfach so hinnehmen und verlangt eine Erklärung von Colm, mit dem er seit Jahren Tag für Tag seine Pints im örtlichen Pub trinkt. Der aber lehnt ab und eskaliert die Situation mit seiner Ankündigung, dass er sich jedes Mal, wenn ihn Patraic anspricht, mit einer großen Schere einen Finger abschneiden wird. Wie ernst es Colm damit ist, wird schon bald klar... Was für eine gelungene Eröffnung des neuen Kinojahres! Drehbuchautor und Regisseur Martin McDonagh (THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURIE) liefert mit seinem neuen Film einmal mehr großartige, anspruchsvolle Kinounterhaltung. Die von Kameramann Ben Davis mit atemberaubend schönen CinemaScope-Bildern eingefangene Geschichte zweier dickköpfiger Iren auf einer Insel vor dem irischen Festland dürfte an Originalität kaum zu übertreffen sein. Colin Farrell und Brendan Gleeson spielen die beiden Männer, deren Freundschaft von einem der beiden aufgekündigt wird. Und sie tnn dies mit breitestem irischen Dialekt (Tipp: unbedingt im englischen Original und deutschen Untertiteln anhören und anschauen!), der die wunderbaren Dialoge noch wunderbarer macht. Aber auch die Nebenrollen sind absolut perfekt besetzt, allen voran Barry Keoghan als Dorftrottel Dominic, dem man seine geistige Behinderung uneingeschränkt abnimmt. In gewisser Weise werden hier Erinnerungen an John Mills in David Leans RYANS TOCHTER geweckt. Übrigens nicht die einzigen Berührungspunkte mit diesem Film. Zart Besaitete seien gewarnt: es geht ziemlich krass zu in dieser pechrabenschwarzen Dramödie, zu der Carter Burwell einen sehr dezenten, aber wirkungsvollen Score liefert. Während vom Festland immer wieder Explosionen und Gewehrschüsse vom dort tobenden Bürgerkrieg zu hören sind, zerstören hier zwei Dickschädel ihr perfektes Idyll. Das scheint wohl in der Natur des Menschen zu liegen. Also weg von den Bildschirmen zuhause und rein in die Kinos, um dieses grandiose Meisterwerk mit all seinen Facetten zu genießen – vielleicht sogar als Vorbereitung für einen Urlaubstrip auf die gründe Insel.
Mittwoch, 04. Januar 2023
Wo der McGuffin ein Handle ist
Der erste Kinobesuch im neuen Jahr war eine herbe Enttäuschung

OPERATION FORTUNE (1:2.35, 5.1 + 7.1)
OT: Operation Fortune: Ruse De Guerre
Verleih: Leonine
Land/Jahr: USA, China 2022
Regie: Guy Ritchie
Darsteller: Jason Statham, Aubrey Plaza, Cary Elwes, Hugh Grant, Josh Hartnett, Eddie Marsan
Kinostart: 05.01.2023

Was genau gestohlen wurde, weiß niemand. Was der britische Geheimdienst aber weiß: auf dem Schwarzmarkt wird für dieses “Handle” (Hitchcoc hätte es McGuffin genannt) sehr viel Geld geboten. Superspion Orson Fortune soll mit Hilfe seiner coolen Kolleg*innen herausfinden, was es ist und wer es kaufen möchte. Doch Fortune und seine Gruppe sind nicht die Einzigen, die dem Handle auf der Spur sind... Wenn Guy Ritchie wieder einmal einen Großteil seines Stammensembles vor der Kamera vereint, um einen neuen Thriller zu inszenieren, dann schraubt das die Erwartungen recht hoch. Man erinnere sich nur an THE GENTLEMEN, mit dem er 2020 prächtig unterhielt. Doch in seinem neuen Werk scheint die ansonsten gut geölte Ritchie-Maschine großflächig zu versagen. Klar gibt man sich hier total cool und taucht ab in die Welt der schönen Reichen, doch das alles wirkt jetzt extrem inszeniert. Von Lockerheit einfach keine Spur. Jason Statham demonstriert einmal mehr, dass er nur einen einzigen Gesichtsausdruck beherrscht, dafür aber umso kräftiger zuschlagen kann. Immerhin zeigt sich Hugh Grant wieder von seiner richtig komischen Seite und gefällt sich sehr in seiner Rolle als schmieriger und krimineller Superreicher. Alleine er vermag dem Film zu dem ein oder anderen Lacher zu verhelfen. Alles andere ist standardisierte Langeweile. An James Bond reicht das lange nicht heran, auch wenn uns das der unaufhörlich treibende Score von Chris Benstead einzureden versucht. Kameramann Alan Stewart gelingt es kaum, die “fancy Locations” so einzufangen, dass sie auch wirklich als solche empfunden werden. Schwamm drüber. Guy Ritchie kann besser - und wird das hoffentlich bei seinem nächsten Projekt wieder klarstellen.

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