Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Dienstag, 29. August 2023
Man’s Best Friend und Jazz
Erst der Eröffnungsfilm des Fantasy Filmfests und dann eine musikalische Reise

DOGMAN (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Dogman
Verleih: Capelight Pictures
Land/Jahr: Frankreich, USA 2023
Regie: Luc Besson
Darsteller: Caleb Landry Jones, Clemens Schick, Jojo T. Gibbs, Marisa Berenson, James Payton, Christopher Denham
Kinostart: 12.10.2023

Wenn Luc Besson im Regiestuhl sitzt, dann darf man immer etwas Ungewöhnliches erwarten. So auch hier wieder. Mit DOGMAN liefert Besson ein extrem düsteres und gewaltbetontes, aber auch höchst außergewöhnliches Drama im Kleide eines Thrillers. Er erzählt die Geschichte eines - im wahrsten Sinne des Wortes – Underdogs. Vom gewalttätigen Vater in den Käfig zu dessen Kampfhunden gesperrt, vom eigenen Bruder immer wieder denunziert, entwickelt Douglas eine innige Verbindung zu den Hunden. Alleine ihnen verdankt er sein Leben. Als er endlich gerettet wird, kann er nicht mehr gehen und sitzt im Rollstuhl. Doch Douglas ist ein Kämpfer. Als er älter ist, eröffnet er ein Heim für herrenlose Hunde. Doch Douglas entpuppt sich auch als waschechter Freak, der seine Hunde für ganz spezielle Aufgaben trainiert. Ein bisschen was vom ”Joker” hat dieser Douglas schon, der sich im Gespräch mit Psychologin Evelyn von einer sehr charismatischen Seite zeigt. DOGMAN ist ganz gewiss kein Film für Menschen mit Hundephobie. Als Eröffnungsfilm des diesjährigen ”Fantasy Filmfests” dürfte Bessons Film das Zielpublikum erreichen. Ganz nebenbei beweist Besson, dass er mit seinem Film auf der Höhe der Zeit ist: die ermittelnde Psychologin ist eine Farbige, der Inhaftierte ein Transvestit. Schade nur, dass sein Film nicht mehr jenen anarchischen Einschlag hat, mit dem Besson in den 1980er Jahren das Publikum im Sturm eroberte.

JAZZFIEBER – THE STORY OF GERMAN JAZZ (1:1.85, 5.1)
Verleih: Arsenal Filmverleih
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Reinhard Kungel
Kinostart: 07.09.2023

Unterteilt in die einzelnen Kapitel ”Woher kommt der Jazz?”, ”Der Jazz im Dritten Reich”, ”Jazz in der Nachkriegszeit”, ”Was ist Jazz?”, ”Jazz, Tanz und Unterhaltung” und ”Jazz im Wandel der Zeit” untersucht Filmemacher Reinhard Kungel, wie der Jazz seinen Siegeszug in Deutschland begann. Sein Dokumentarfilm ist gleichsam ein Ritt durch die bewegte deutsche Geschichte von den 1930er Jahren bis in die Gegenwart. Als roter Faden dient ihm ein Tourbus mit jungen Jazzmusiker:Innen, die sich auf ihrem Weg zu Proben mit dem Werdegang des Jazz in Deutschland auseinandersetzen. Interviews mit Legenden wie Max Greger, Hugo Strasser, Paul Kuhn, Klaus Doldinger, Peter Baumeister, Peter Thomas und vielen anderen bilden das Kernstück des Films. Unterstützt durch eine hervorragende Montage (Thomas Holzhäuser, Reinhard Kungel) ergibt sich ein faszinierndes Bild des Jazz in Deutschland, natürlich immer wieder unterbrochen durch musikalische Darbietungen, die die Vielfalt dieser Musikrichtung demonstriert. Kungels Film dürfte nicht nur Musikliebhaber ansprechen, sondern auch historisch Interessierte.

Donnerstag, 24. August 2023
Und er läuft und läuft und läuft
Britisches Arthouse-Kino stand heute auf der Tagesordnung

DIE UNWAHRSCHEINLICHE PILGERREISE DES HAROLD FRY (1:1.85, 5.1)
OT: The Unlikely Pilgrimage Of Harold Fry
Verleih: Constantin Film
Land/Jahr: Großbritannien 2023
Regie: Hettie Macdonald
Darsteller: Jim Broadbent, Penelope Wilton, Linda Bassett, Earl Cave, Joseph Mydell
Kinostart: 26.10.2023

Eigentlich möchte der Rentner Harold Fry nur einen Brief in den Postkasten einwerfen. Ein Brif an eine ehemalige Arbeitskollegin, die jetzt in einem weit entfernten Hospiz auf ihren Tod wartet. Doch am Postkasten angekommen zögert er einen Moment – und beschließt, einfach weiterzulaufen. Er will die ganzen 627 Meilen zum Hospiz zu Fuß gehen, um sich dort von der Kollegin persönlich zu verabschieden... In der Rolle des Harold Fry läuft der britische Mime Jim Broadbent wieder einmal zur Hochform auf. Harolds spontane Pilgerreise durch Wnd und Wetter, die auf vollkommenes Unverstädnis beis einer Frau stößt, wird für den ungeübten Wanderer gleichsam eine Auseinandersetzung mit seinem Leben. Er trifft dabei die unterschiedlichsten Menschen, die ihm helfen oder denen er helfen kann und gerät bald sogar zu einem Medienhype. Hier sind gewisse Parallelen zu DER ENGLÄNDER, DER IN DEN BUS STIEG UND BIS ANS ENDE DER WELT FUHR vorhanden. Doch Hettie Macdonalds Film nach dem Buch von Rachel Joyce ist wesentlich tieferschürfend und wartet sogar noch mit einer unerwarteten Wendung auf. Macdonalds Film wartet mit faszinierenden Bildern aus England auf. Wo Harold auf aufkreuzt inspiriert er die Menschen, mit denen er in Kontakt kommt.Das wird in den Bildern besonders schön dargestellt durch ein Leuchten (oder soll man vielleicht sagen: ein göttliches Leuchten?), das er mit diesen Menschen ganz unbewusst teilt. Harold Fry sorgt für einen erfüllenden Kinobesuch.
Freitag, 18. August 2023
Ferien mit Oma
Heute endlich mal wieder ein Kinderfilm

DER SOMMER, ALS ICH FLIEGEN LERNTE (1:1.85, 5.1)
OT: Leto Kada Sam Nauèila Da Letim
Verleih: Der Filmverleih GmbH
Land/Jahr: Serbien, Kroatien, Bulgarien, Slowakei 2022
Regie: Radivoje Andriæ
Darsteller: Klara Hrvanoviæ, Ema Kereta Rogiæ, Luka Bajto, Olga Odanoviæ, Snježana Sinovèiæ, Žarko Lauševiæ
Kinostart: 31.08.2023

Ihre Sommerferien hat sie sich weiß Gott anders vorgestellt. Statt mit ihrer Clique beim Camping abzuhängen, muss die 12jährige Sofia gemeinsam mit ihrer Oma zur Großtante Luce in ein Dorf nach Kroatien reisen! Dass das WLAN dort kaum funktioniert, ist dabei nur einer von vielen Tiefpunkten, mit denen das Mädchen konfrontiert wird. Dann ist auch noch der hünsche Junge, in de sie sich sponatn verguckt hat, in Wahrheit ihr Cousin, von dessen Existenz sie nichts wusste! Es dauert eine ganze Zeit, bis sich Sofia mit den unglücklichen Umständen arrangieren kann. Und bald erlebt sie Abenteuer, deckt eine streng geheime Familiengeschichte auf und wird zum ersten Mal geküsst... Mit Verve inszeniert Regisseur Radivoje Andriæ diesen Kinder- und Jugendfilm über ein schwieriges Alter im Leben eines Mädchens. Mit Klara Hrvanoviæ hat er sodann auch eine unglaublich sympatische Hauptdarstellerin gefunden, die den ganzen Film trägt. Angereichert mit vielen herrlich verrückten Regie-Einfälle versteht es der Film sein Zielpublikum zu begeistern. Wohltuend anders als in amerikanischen Filmen werden hier die Erwachsenen nicht als totale Spinner in Szene gesetzt. Sie sind nur ganz leicht überzeichnet, so dass die Geschichte immer nachvollziehbar bleibt. Wenn Sofia am Ende des Films tatsächlich (zumindest imaginär) zu fliegen lernt, dann ist das eine wirklich gelungene Visualisierung ihrer Gefühlswelt und dürfte von großen wie auch kleinen Zuschauern verstanden werden.

Donnerstag, 17. August 2023
Eine Frau geht ihren Weg
Eine Romanverfilmung stand heute auf der Tagesordnung

DIE MITTAGSFRAU (1:2.35, 5.1)
Verleih: Wild Bunch Germany
Land/Jahr: Deutschland, Schweiz, Luxemburg 2023
Regie: Barbara Albert
Darsteller: Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn, Liliane Amuat, Fabienne Elaine Hollwege, Laura Louisa Garde, Eli Wasserscheid
Kinostart: 28.09.2023


Die junge Helene ist ihrer Zeit weit voraus. Mit ihrer Schwester aufgewachsen in einem einengenden Elternhaus weiß sie ganz genau, dass sie Ärztin werden möchte. Und das in den 1920 Jahren, einer Zeit, in der Frauen gerne an Heim und Herd gesehen werden. Als sie mit ihrer Schwester zusammen das elterliche Haus verlässt und nach Berlin zieht, kommt sie ihrem Ziel ein Stück näher. Während sich ihre Schwester dem Partytreiben und den Drogen der Stadt hingibt, macht Helene ihr Abitur. Mit Karl tritt schließlich die große Liebe in ihr Leben. Der jedoch fällt der politisch unruhigen Zeit zum Opfer. Helene ist wieder alleine, verliert aber ihr Ziel nie aus den Augen. Bis sie Wilhelm trifft, der ihr den Hof macht, sie aber gleichzeitig total einengt... Genauso schleichend wie Helenes Flügel gestutzt werden, als sie eine unheilvolle Beziehung mit Wilhlem eingeht, ändert sich auch das Bildformat - vom ausladenden CinemaScope hin zum extrem beengenden 1:1.85. Damit visualisieren Regisseurin Barbara Albert und ihr Kameramann Filip Zumbrunn den Seelenzustand der Protagonistin. Auch die Filmmusik von Kyan Bayani unterstreicht auf perfekte Weise Helenes Gefühlswelt. Die Darstellerleistung insbesondere von Mala Emde kommt einer Tour-de-Force gleich – eine Rolle, in der sie ihr gesamtes Spektrum an Emotionen ausprobieren darf. In der Rolle des Wilhelm darf auch Max von der Groeben zur Hochform auflaufen: er überzeugt als waschechter Nazi und Patriarch. Der auf mehreren Zeitebenen spielende Film ist zwar harter Tobak, dafür aber auch ein Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung. Eine Selbstbestimmung, die die Protagonistin hart und mit vielen Opfern erkämpfen musste.
Donnerstag, 03. August 2023
Aufsteiger und Aussteiger
Der heutige Film generierte gemischte Gefühle bei mir

DIE EINFACHEN DINGE (1:2.35, 5.1)
OT: Les Choses Simples
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Frankreich 2022
Regie: Éric Besnard
Darsteller: Lambert Wilson, Grégory Gadebois, Marie Gillai
Kinostart: 21.09.2023

Ein erfolgreicher Unternehmer und Hansdampf in allen Gassen bleibt mit seinem Sportcoupé irgendwo in der französischen Bergwelt liegen. Natürlich gibt es auch kein Funknetz. Was tun? Vincent hat Glück: Pierre kommt mit seinem Motorrad zur richtigen Zeit vorbei. Der schweigsame Aussteiger nimmt ihn mit in sein Zuhause – eine Berghütte in grandioser Landschaft und ganz weit weg von allem. Zum ersten Mal findet der unter Panikattacken leidende Vincent zu sich selbst. Fast könnten die beiden Männer Freunde sein. Doch so eine Freundschaft muss sich erst einmal bewähren... Wie schon bei seinem großen Erfolg BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL, so zeichnet sich auch Éric Besnards neuer Film durch faszinierende Landschaftsbilder aus. Vor prächtiger Bergkulisse lässt er seine beiden Protagonisten aufeinanderprallen und nach vielen Umwegen (inklusive einer Liebesgeschichte und der Begegnung mit einem Bären) deren gegenseitige Freundschaft entdecken. Wie es der Titel schon sagt, sind es letztendlich die einfachen Dinge, die das Leben schön machen. Doch leider sabotiert das Drehbuch diese schöne Sichtweise, indem es am Ende die beiden Hauptpersonen doch wieder nach den großen Dingen greifen lässt. Und das ist wirklich sehr, sehr schade.

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