Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Donnerstag, 28. September 2023
Eine Sauna mitten im Wald
Wenn Sie schon immer wissen wollten, was in einer Rauchsauna passiert, dann ist das Ihr Film

SMOKE SAUNA SISTERHOOD (1:1.85, 5.1)
OT: Smoke Sauna Sisterhood
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Estland, Frankreich, Island 2023
Regie: Anna Hints
Kinostart: 23.11.2023

Sie wurden von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt: die Rauchsaunen. Regisseurin Anna Hints nimmt die Zuschauer mit in eine dieser Saunen, die irgendwo in Estland mitten im Wald steht. Ein Holzhaus, in das Frauen ein kehren und in dem sie sich bei wohliger Wärme und viel Wasser ihre tiefsten Geheimnisse anvertrauen. Es ist ein ritueller Prozess, bei dem Körper, Geist und vor allem Seele reingewaschen werden. Die Kamera ist hier stiller Beobachter und fängt intimste Momente dieses gemeinschaftlichen Zuammenseins ein. Die Frauen erzählen sich gegen seitig ihre Schicksale. Da geht es um sexuelle Gewalt, dem Anderssein, dem Umgang mit den Eltern, um Geburten, um Abtreibungen, um Fehlgeburten und um die Suche nach dem idealen Partner. Die Sauna wird zum geschützten Raum, in dem sich die Frauen alles gegenseitig anvertrauen können, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Es ist eine verschworene Gemeinschaft die genau weiß: was in der Sauna passiert, bleibt in der Sauna. Mit Bildern, die Gemälden gleichkommen, atmosphärischer Musik und einem plastisch-plätzschernden Sounddesign zieht Hints ihre Zuschauer in diese geheimnisvolle Welt und lässt sie hautnah teilhaben an deren Ritualen. Ein faszinierender Dokumentarfilm der leisen Töne.
Dienstag, 26. September 2023
Unter Mordanklage und Inside Hamacher Forst
Ein spannendes Thriller-Drama und ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm schlugen mich heue in ihren Bann

ANATOMIE EINES FALLS (1:1.85, 5.1)
OT: Anatomie D’Une Chute
Verleih: Plaion Pictures
Land/Jahr: Frankreich 2023
Regie: Justine Triet
Darsteller: Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner, Antoine Reinartz, Samuel Theis, Jehnny Beth
Kinostart: 02.11.2023

Als ihr Ehemann vor dem Chalet tot im Schnee liegend gefunden wird, wird seine deutschstämmige Ehefrau, eine erfolgreiche Schriftstellerin, mit einer Mordanklage konfrontiert. Die Indizien belasten sie schwer. Die vielen Monate der Ungewissheit machen auch vor dem gemeinsamen elfjährigen Sohn, seit einem Unfall erblindet, keinen Halt und gerät zur Belastungsprobe für alle Beteiligten... Hat sie ihren Mann umgebracht oder hat sie es nicht? Diese Frage quält das Publikum über die 2 ½ stündige Spielzeit von Justine Triets Thriller-Drama. Und das ist nicht negativ gemeint. Denn dank wunderbarerer Leistungen der gesamten Besetzung (hier insbesondere von Sandra Hüller) bleibt man die ganze Zeit am Ball, will unbedingt wissen, ob die Gattin und Mutter schuldig ist oder nicht. Das ist derart spannend inszeniert, dass es keiner suggestiven Filmmusik bedarf. Damit fühlt sich die Fiktion sehr authentisch an, was die Spannung erhöht. Gleichzeitig gibt der Film detaiilierte Einblicke in das französische Geschworenengericht. Spannend bleibt auch die Frage, ob die Zweisprachigkeit des Originals (Triet hat ihren Film in Englisch und Französisch inszeniert) in der deutschen Fassung erhalten bleibt.

VERGISS MEYN NICHT (1:1.78, 5.1)
Verleih: W-Film
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff
Kinostart: 21.09.2023

Wie weit kann und darf Aktivismus gehen? Angesichts von Klimaklebern eine hoch aktuelle Frage, die sich die Filmemacher*innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff in ihrem eindringlichen Dokumentarfilm stellen. Alle drei waren mit Steffen Meyn befreundet, einem Filmstudenten, der sich 2017 mit einer 360-Grad-Kamera aufmachte, um über die Besetzung des Hambacher Forsts einen Dokumentarfilm zu machen. Am siebten Tag der Räumung des Forsts durch die Polizei stürzte Steffen zu Tode. Sein fünfter Todestag fällt fast genau mit dem Start von Fragales, Kuhlendahls und Mühlhoffs Dokumentarfilm zusammen. Basisbildmaterial sind dabei die 360-Grad-Aufnahmen, die Steffen Meyn während seiner Arbeit im Hamnacher Forst gedreht hat. Auch wenn die Optik aufgrund der Reduzierung auf eine einzige Ebene etwas gewöhnungsbedürftig ist, so dokumentieren die Aufnahmen in exzellenter Weise die Vorkommnisse im Wald. In seinen Kommentaren wird dabei auch deutlich, dass Meyn der ganzen Sache nicht unkritisch gegenüberstand. Aktuelle Interviews mit einigen der damals beteiligten Aktivist*innen beleuchten dabei verschiedene Aspekte. Da geht es um Protestbewegung, Polizeigewalt, aber auch darum, warum Menschen ihr Leben für politische Zwecke gefährden. In einer der Interview-Sequenzen wird einer der überlebenden Aktivistinnen gefragt, ob es sich gelohnt habe, sich für diese Sache einzusetzen. Sie hadert mit der Antwort und meint schließlich, dass man diese Frage eigentlich jenen stellen müsste, die ihr Leben dafür gelassen haben.

Donnerstag, 14. September 2023
Gernstl – Making of und Reloaded
Presseabschluss heute mit einem TV-Ableger

GERNSTLS REISEN – AUF DER SUCHE NACH IRGENDWAS (1:1.78, 5.1)
Verleih: Alpenrepublik
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Franz X. Gernstl, Jonas Gernstl
Darsteller: Franz X. Gernstl, HP Fischer, Stefan Ravasz
Kinostart: 05.10.2023

Seit nunmehr 40 Jahren versorgt das Dreigestirn bestehend aus Regisseur Franz X. Gernstl, Kameramann HP Fischer und Tonmann Stefan Ravasz im Auftrag des Bayerischen Fernsehens selbiges mit ungewöhnlichen Reisereportagen. Im Mittelpunkt dieser Reportagen stehen Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen. Menschen, die sich trotz oft widriger Umstände ein würdevolles Leben eingerichtet haben. Jetzt lassen sich die Filmleute einmal selbst in die Karten schauen, erzählen von den Anfängen und rekapitulieren besonders interessante Begegungen, die 25 oder gar 30 Jahre zurückliegen und machen sich auf, die ein oder andere dieser Begegnungen nochmals aufzufrischen und zu schauen, was aus diesen Menschen inzwischen geworden ist. Mit vielen weisen Sprüchen und einem ganzen Füllhorn an Lebensweisheiten – mal aus dem Off, mal direkt vor der Kamera – wird Bilanz gezogen. Da wird dann auch die Frage aufgeworfen, nachwas die Drei eigentlich gesucht haben. Eine Frage, die natürlich niemand beantworten kann. Der Film vermittelt dem geneigten Zuschauer auf jeden Fall ein paar Denkanstöße. Was macht das Leben aus? Braucht man Reichtum überhaupt? Ist eine Beziehung wichtig? Gernstls Film dürfte in erster Linie für Kenner seiner TV-Serie von Interesse sein, doch auch Unbedarfte werden am Ende der 92 Minuten die ein oder andere wertvolle Erkenntnis mit nach Hause nehmen.
Donnerstag, 07. September 2023
Er checkt’s mal wieder!
Und noch ein Film für ein junges Publikum

CHECKER TOBI UND DIE REISE ZU DEN FLIEGENDEN FLÜSSEN (1:2.35, 5.1)
Verleih: MFA+ FilmDistribution
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Johannes Honsell
Darsteller: Tobias Krell, Marina M. Blanke
Kinostart: 05.10.2023

Als ihm der Paketbote ein mysteriöses Paket zustellt, beginnt für Checker Tobi ein neues, großes Abenteuer. Denn um die Holzkiste, die sich im Paket befindet, zu öffnen, bedarf es eines Schlüssels. Und den glaubt Tobi bei seiner Jugendfreundin Marina zu wissen. Aber die beiden haben sich seit 20 Jahren aus den Augen verloren. So setzt Tobi alle Hebel in Bewegung, um Marina zu finden. Seine Recherchen führen ich nach Vietnam. Aber das ist erst der Anfang einer gigantischen Schnitzeljagd... Checker Tobi ist zurück im Kino! Nach seinem ersten Ausflug auf die große Leinwand im Jahre 2019 widmet sich KIKA-Star Tobias Krell einem neuen großen Abenteuer, das ihn einmal mehr um die halbe Welt reisen lässt. War es im ersten Film noch ziemlich offensichtlich, dass der Checker alles andere als gut für die Ökobilanz ist, wird das im neuen Film weitestgehend kaschiert. So sieht man ihn auf dem Segelboot reisen oder auch im Zug, einmal sogar mit dem Auto in der mongolischen Steppe. Doch wie er nach Vietnam oder auch Brasilien kommt, wird weder gezeigt noch erwähnt. Denn damit könnte er als Umweltsünder entlarvt werden, was die Aussage des Films sabotieren würde. Alles in allem ist die von Johannes Honsell inszenierte Doku-Fiction aber recht spannend in Szene gesetzt, so dass sie ihr Zielpublikum ganze 90 Minuten bei Laune halten dürfte. Gleichzeitig erfährt man etwas über fremde Länder und Kulturen und beginnt zu verstehen, wie das Weltklima durch Abrodungen im Amazonas-Regenwald negativ beeinflusst wird.
Mittwoch, 06. September 2023
Kästner 2.0
Einmal mehr wurde ein berühmtes Kinderbuch neu verfilmt

DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER (1:2.35, 5.1)
Verleih: Leonine Studios
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Carolina Hellsgård
Darsteller: Tom Schilling, Trystan Pütter, Hannah Herzsprung, Jördis Triebel, Leni Deschner, Lovena Börschmann Ziegler, Morten Völlger, Wanja Valentin Kube, Franka Roche, Holly Schiek, Aaron Sansi, Leander Schumann
Kinostart: 12.10.2023

Mit der Hoffnung auf ein Stipendium kommt die13jährige Martina auf das Johann-Sigismund-Gymnasium in Südtirol. Kaum angekommen muss sie feststellen, ass es dort zwei verfeindete Lager gibt: die Stadtkinder im Internat und die Externen aus dem ländlichen Ort. Die taffe Jo, der gutmütige Matze und der kleine Uli weihen Martina in die geltenden Regeln ein. Internatsleiter Bökh setzt auf Verständnis, Direktorin Kreuzkamm auf Strenge. Und plötzlich ist Martina mittendrin in den Auseinandersetzungen der beiden Lager... Genau 20 Jahre ist es her, seit die letzte Verfilmung nach Erich Kästners Klassiker in die Kinos kam. Seither hat sich viel verändert. Zumindest gesellschaftspolitisch. Und so muss man sich nicht wundern, dass sich die von Caroline Hellsgård inszenierte Neuverfilmung an einer politisch korrekten Version versucht. Waren es bisher ausschließlich Jungs, die im Internat lebten, so dominieren jetzt die Mädchen. Und nicht nur das: eines der Mädchen hat dunkle Hautfarbe aufgrund ihrer Herkunft. Und bei den ”Externen” gibt es sogar einen farbigen Jungen. Was auch neu ist: endlich darf sich das fliegende Klassenzimmer in CinemaScope austoben (Kamera: Moritz Anton). Ein wesentliches Element der Neuverfilmung ist die sinfonische Filmmusik von Freya Arde, die dem Film großes Abenteuer einhaucht. Was den Cast angeht, so spielen hier die Kinder die Erwachsenen glatt an die Wand. Aber genau so muss das in einem für Kinder gemachten Film auch sein. Die können sich mit den Figuren auf der Leinwand sofort identifizieren. An der Aussage des Films hat sich nichts geändert. Nach wie vor geht es um Freundschaft, Solidarität und auch um das Vergeben. Das wird alles so aufbereitet, dass es auch die jungen Zuschauenden problemlos verstehen können.
Dienstag, 05. September 2023
Der Künstler und sein Werk
Wim Wenders hat mal wieder in 3D abgeliefert

ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT (1:1.33, 3D, 5.1 + 7.1)
Verleih: DCM Film Distribution GmbH
Land/Jahr: Deutschland 2023
Regie: Wim Wenders
Kinostart: 12.10.2023

Anselm Kiefer zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern. Mit seibem Film versucht Wim Wenders das Wesen dieses Ausnahmekünstlers und seiner Arbeiten in Bildern einzufangen. Wer sich noch nie mit Kiefer auseinandergesetzt hat, dürfte es allerdings extrem schwer haben mit diesem Film warm zu werden. So erging es zumindest mir. Die 93 Minuten fühlten sich wie 2 ½ Stunden an. Daran hat auch das eingesetzte 3D-System nichts geändert, da ich aufgrund eines Sehfehlers die Räumlichkeit nicht wahrnehmen kann. Hier muss ich miczh auf das Urteil meiner Kollegen verlassen, die von der Dreidimensionalität sehr angetan waren. ANSELM ist kein Dokumentarfilm im üblichen Sinn. Es gibt zwar vereinzelt historische Aufnahmen aus der Anfangszeit des Künstlers, der viel Gegenwind aus der Bevölkerung erfahren musste, doch eine biographische Abhandlung gibt es nicht. Dafür lässt Wenders Kiefer in unterschiedlichen Lebensabschnitten von Schauspielern darstellen und inszeniert Szenen mit diesen, die Momentaufnahmen seines Wirkens repräsentieren. Unterlegt werden die Bilder durch orchestrale Musik (Komponist: Leonard Küßner) unterlegt oder auch durch mehrsprachiges Flüstern. Das wirkt dann alles sehr künstlich, so dass ich mich dem Film nicht nähern konnte. Aber wie eingangs schon erwähnt: was Kiefer angeht bin ich nicht der richtige Ansprechpartner und möchte mir daher keine abschließende Kritik am Film erlauben.
Montag, 04. September 2023
In einem anderen Leben
Gerade noch bei den Filmfestspielen in Venedig aufgeführt, heute schon bei uns in der Pressevorführung

DIE THEORIE VON ALLEM (1:2.66 & 1:1.37, 5.1)
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Deutschland, Österreich, Schweiz 2023
Regie: Timm Kröger
Darsteller: Jan Bülow, Olivia Ross, Hanns Zischler, Gottfried Breitfuß
Kinostart: 26.10.2023

1962 begleitet Johannes Leinert senen Doktorvater zu einem physikalischen Kongress in die Schweizer Alpen. Dort verliebt sich der angehende Doktor in die Pianistin Karin, die Dinge von ihm weiß, die er noch nie jemanen erzählt hat. Als plötzlich einer der Physiker aus monströse Weise ums Leben kommt, treten zwei Ermittler auf de Plan, die einen Mord vermuten. Gleichzeitig verschwindet die geheimnisvolle Pianistin auf merkwürdige Weise. Am Himmel erscheinen ungewöhnliche Wolkenformationen. Vorboten einer Katastrophe? - Großorchestrale Musik mit Anklängen an Wagners ”Liebestod”. Das hatten wir doch schon einmal in der Filmgeschichte. Richtig: Alfred Hitchcock zelebrierte das in seinem Technicolor Film Noir VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN. Fühlt sich das alles bei Hitchcock noch irgendwie richtig und damit stimmig an, wirkt bei Timm Krögers Film leider extrem aufgesetzt. Wer mich kennt, der weiß, dass ich orchestrale Filmmusik sehr schätze. Die Musik in Krögers Film jedoch (komponiert von Diego Ramos Rodriguez) gibt sich derart übertrieben, dass man sie als ziemlich störend empfindet. Mit der Holzhammermethode versucht sie den Zuschauern klar zu machen, wann etwas spannend und wichtig sein soll, wodurch sie den Zuschauern selbst gar keine Wahl oder gar eine eigene Meinung zugesteht. Es ist so, als hätte sich Filmmusik seit den 1930er und 40er Jahren nicht mehr weiterentwickelt. Soweit zu Musik, die – zugegebermaßen – für eine deutschen Film höchst ungewöhnlich ist. Und die Story? Die Mischung aus Thriller, Liebesgeschichte und SciFi ist recht konfus und man ist ständig bemüht, das große Ganze dahinter zu entdecken. Daran ändert sich dann auch leider bis zum Schluss nichts. Immerhin liefert Kameramann Roland Stuprich sehr atmosphärische Schwarzweißbilder im Ultra Panavision Format. ”Style over Substance” heisst hier die Devise. Was vielleicht am ehesten noch eingefleischten Filmfans gefallen könnte, wird sich vermutlich einem breiteren Publikum nicht erschließen.


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