Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Mittwoch, 31.01.2024
Spione unter sich
Heute mal wieder eine Stippvisite im regionalen Dolby Cinema

ARGYLLE (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Argylle
Verleih: Universal Pictures International Germany
Land/Jahr: Großbritannien, USA 2024
Regie: Matthew Vaughn
Darsteller: Henry Cavill, Bryce Dallas Howard, Sam Rockwell, Dua Lipa, Bryan Cranston, Catherine O’Hara, John Cena, Samuel L. Jackson, Ariana DeBose, Richard E. Grant, Rob Delaney, Jing Lusi, Sofia Boutella
Kinostart: 01.02.2024

Eine erfolgreiche Autorin von Spionage-Thrillern sieht sich plötzlich mit echten Spionen konfrontiert, weil ihre Bücher offenbar als Blaupause für deren Arbeit dient. Gemeinsam mit ihrer Katze Alfie und einem ihr wohlgesonnen Agenten mit Katzenhaarallergie erlebt sie haarsträubende Abenteuer, bei deenn sie erfährt, dass sie gar nicht die ist für die sie sich hält... Die Idee zu Matthew Vaughns ist alles andere als neu. Denn spätestens seit AUF DER JAGD NACH DEM GRÜNEN DIAMANTEN kennt man die Geschichte einer erfolgreichen Romanautorin, die gezwungen wird, ihr sicheres Zuhause zu verlassen, um an der Seite eines gestandenen Kerls zahllose Abenteuer in exotischer Umgebung zu bestehen. Die letzte Variation zu diesem Thema lieferte THE LOST CITY mit Sandra Bullock. Jetzt istb es Bryce Dallas Howard, die die Unbedarfte und Unerfahrene mimt. Doch der KING’S MEN erfahrene Vaughn wäre nicht er selbst, würde er nicht mit einem netten Storytwist aufwarten. Einer? Von wegen: seine Twists scheinen im Viertelstundentakt zu kommen! Das wird auf die Dauer leider etwas ermüdend und man entwickelt ein sicheres Gespür, welcher Dialog als nächtes fallen wird und welche Wendung als nächte anstehen wird. Mit 139 Minuten ist das actionreiche und schön bebilderte Werk auch noch ein Stück zu lange geraten. Aber keine Sorge: das Sitzenbleiben im Kinosaal wird gegen Ende mit zwei kongenial inszenierten Sequenzen mehr als belohnt: ein schrill buntes Pas de Deux mit heftigem Geballer und lautstarker Musik (Tipp: unbedingt in Dolby Atmos anhören!) sowie eine Kür auf dem Eis, das gar keines ist. Mehr sei hier nicht verraten. Insgesamt ist der Film kein Meisterwerk, versteht sich aber darauf, punktuell zu unterhalten. Und mehr will er auch gar nicht.
Dienstag, 23. Januar 2024
Die neue Frau
Die ”Montessori”-Methode ist heutzutage ein stehender Begriff. Die Frau dahinter kennt man weniger. Ein Biopic will damit aufräumen

MARIA MONTESSORI (1:1.85, 5.1)
OT: La Nouvelle Femme
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Frankreich, Italien 2023
Regie: Léa Todorov
Darsteller: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Raffaele Esposito, Rafaelle Sonneville-Caby
Kinostart: 07.03.2024

Um 1900 herrscht nach wie vor einen patriarchale Gesellschaft in Italien. Damit sie als Frau überhaupt ein Medizinstudium absolvieren unsd als Ärztin arbeiten darf, bleibt Maria Montessori nichts anderes übrig, als ihren unehelichen Sohn, den sie gemeinsam mit ihrem Kollegen hat, zu verleugnen. Um sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren, gibt sie den kleinen Mario in die Obhut einer Amme und sieht ihn nur selten, was sie sehr schmerzt. Die Heiratsanträge ihres Kollegen lehnt sie ab, weil sie weiterhin als Ärztin tätig sein möchte. Sie entwickelt vollkommen neue pädagogische Ansätze, um geistig behinderten Kindern Bildung beibringen zu können... Im Original lautet der Titel von Léa Todorovs Biopic übersetzt ”Die neue Frau” und trifft damit den Kern des Films wesentlich besser als der deutsche Verleihtitel. Denn es ist die Geschichte einer Emanzipation. Maria Montessori legt das enge gesellschaftliche Korsett ab, in das sie sich seit ihrer Geburt zwängen muss. Frauen hatten damals keine Rechte und schon gar kein Geld und waren damit zu Sklavinnen der Männer verdammt. Montessori war eine der ersten Ärztinnen Italiens. Obwohl sie federführend war bei der Entwicklung pädagogischer Methoden, mit denen Lehrer ausgebildet werden, um mit behinderten Kindern umgehen zu können, erhielt sie für ihre Arbeit keine Bezahlung. Stattdessen war sie auf Gedeih und Verderb von der Gunst ihres Kollegen und Liebhabers abhängig. Erst die schicksalhafte Begegnung mit der jungen Französin Lilly d’Alengy brachte den entscheidenden Impuls, um sich aus der Umklammerung der männderdominierten Wissenschaft zu befreien, ein großes Opfer zu bringen und damit eine Frau zu werden, die auf eigenen Beinen steht. Eine neue Frau eben. Mit einfühlsamen Bildern und glänzenden Darstellern lässt Regisseurin Todorov diese Zeit des Aufbruchs Revue passieren. Dass dies alles erst etwas mehr als 100 Jahre her ist, verblüfft. Die Tatsache, dass es nach wie vor noch immer Unterschiede in den Löhnen für Männer und Frauen gibt, verleiht dem Film zusätzlich Aktualität. Es scheint, als ob der Kampf noch nicht vorbei ist.

Montag, 22. Januar 2024
Zu dick aufgetragen
Es ist ehrenhaft junge Zuschauer:innen für Umweltthemen begeistern zu wollen. Manchmal geht das aber schief

ELLA UND DER SCHWARZE JAGUAR (1:2.35, 5.1 + 7.1)
OT: Le Dernier Jaguar
Verleih: Studiocanal
Land/Jahr: Frankreich, Deutschland, Kanada 2023
Regie: Gilles de Maistre
Darsteller: Emily Bett Rickards, Lumi Pollack, Paul Greene, Wayne Baker, Kelly Hope Taylor, Lucrezia Pini
Kinostart: 01.02.2024

Teenagerin Ella verbrachte ihre Kindheit zusammen mit ihren Eltern im Amazonasgebiet. Dort freundete sie sich mit Hope an, einem kleinen schwarzen Jaguar, den sie von klein an aufzog. Als ihre Mutter von Wilderern ermordet wurde, gingen Ella und ihr Vater wieder in ihre Heimat zurück. Als Ella erfährt, dass es skrupellose Wilderer jetzt auf die inzwischen ausgewachsene Hope abgesehen haben, kehrt sie heimlich an den Ort ihrer Kindheit zurück – im Schlepptau ihre an Sozialphobien leidende Biologielehrerin... Es ist ganz sicher nur gut gemeint, was für eine Geschichte Regisseur Gilles de Maistre hier entspinnt. Da geht es in der Meta-Ebene um die Zerstörung des Amazonas-Dschungels und dass ein jeder und eine jede ihren Teil dazu beitragen kann, dies zu ändern. Doch de Maistre macht es sich hier viel zu einfach, wirft Logik und Verstand über Bord und hofft, damit seine junge Zielgruppe zu motivieren, sich für Umweltthemen einzusetzen. Emotional wuchtige Musik (Komponist: Armand Amar) und grüne Landschaften in breitem CinemaScope, ein junges Mädchen, das genau weiß was sie will und alen Widerständen zum Trotz ihr Ding durchzieht – das ist alles etwas zu viel des Guten um auch nur einen Hauch glaubwürdig zu bleiben. Es ist abzusehen, dass dies auch der Zielgruppe nicht verborgen bleibt. Die wird sich ohnehin viel mehr für den schwarzen Jaguar interessieren (”Mami, bekomme ich auch so ein Kätzchen?”).
Sonntag, 21. Januar 2024
Frankensteins Monster entdeckt die Sexualität
Fiction + Doku = Double Feature

POOR THINGS (1:1.66, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Poor Things
Verleih: Walt Disney Studios Motion Pictures GmbH
Land/Jahr: Irland, Großbritannien, USA 2023
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem Dafoe, Ramy Youssef, Jerrod Carmichael, Hanna Schygulla
Kinostart: 18.01.2024

Ein entstellter, durchgeknallter Chirurg verpflanzt das Gehirn eines ungeborenen Kindes in den Kopf dessen junger Mutter, die sich das Leben nahm. Das Kind mit dem Körper einer Frau wächst heran und wird bald zum begehrten Objekt der Männerwelt... Wer sich auf einen Yorgos Lanthimos Film einlässt, darf etwas ganz Besonderes erwarten. So ist es auch mit POOR THINGS, einer Variation des ”Frankenstein”-Stoffes. Sieht man aber genauer hin, entpuppt sich das skurril surreale Dram als eine Emanzipationsgeschichte. Hier ist es Emma Stone in der Rolle der Bella Baxter, die sich ganz allmählich ihrer Macht bewusst wird, mit der sie Männer manipulieren kann. Und das ist köstlich mit anzuschauen! Es dürfte Stones bislang freizügigste Rolle sein, eine Rolle, die ihr wirklich alles abverlangt. Und sie liefert. Wie auch Willem Dafoe als zusammengeflickter Chirurg, der das eigentliche Monster gibt. Lanthimos ließ auf 35mm-Film drehen und sein Kameramann Robbie Ryan nutzt jede Gelegenheit für einen extrem bizarren, von Weitwinkelverzerrungen geprägten Look. Dazu die höchst eigenwillige Musik von Jerskin Fendrix, die Dank Dolby Atmos im Raum zu schweben scheint. ”Gothic” strömt hier aus jeder Pore des Films. Eines Films, der zwar etwas überlang geraten, aber sich ganz sicher ins Gedächtnis eingraben wird.

JOHNNY & ME (1:1.78, 5.1)
Verleih: Real Fiction
Land/Jahr: Deutschland, Schweiz, Österreich 2023
Regie: Katrin Rothe
Kinostart: 25.01.2024

Grafikdesignerin Stefanie steckt in einer Schaffenskrise: ihre guten Ideen werden von den Vorgesetzten abgelehnt. Sie nutzt ihre Krise um sich mit Leben und Werk von John Heartfield auseinanderzusetzen, einem weltberühmten Kollegen, der in den 1930- bis –40-Jahren mit satirischen Fotomontagen Front gegen das Nazi-Regime machte... Katrin Rothes Dokumentarfilm ist höchst ungewöhnlich, vereint er doch Realszenen mit Animationen. Stefanie greift zur Schere und bastelt sich einen kleinen John Heartfield, der sodann zu leben beginnt. Im Dialog mit Ihr lässt Heartfield sein bewegtes Leben Revue passieren. Dabei werden viele seiner in der damaligen Zeit für Furore gesorgten Fotocollagen gezeigt und damit auch ein direkter Bezug zur äußerst brisanten Gegenwart hergestellt. Rothes Film ist ebenso amüsant wie bewegend und vor allem inspirierend. ”Traut Euch!” könnte die Quintessenz ihres sehr kurzweiligen Films lauten.

Donnerstag, 11. Januar 2024
Das Grauen hinter der Mauer
Die diesjährigen Pressevorführungen eröffnete ein höchst ungewöhnlicher Film

THE ZONE OF INTEREST (1:1.78, 5.1)
OT: The Zone Of Interest
Verleih: Leonine Studios
Land/Jahr: USA, Großbritannien, Polen 2023
Regie: Jonathan Glazer
Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Luis Noah Witte, Nele Ahrensmeier, Lilli Falk, Anastazja Drobniak, Cecylia Pêkala, Julia Polaczek, Kalman Wilson, Imogen Kogge, Medusa Knop, Zuzanna Kobiela, Martyna Poznañska, Stephanie Petrowitz, Max Beck, Andrey Isaev
Kinostart: 29.02.2024

Rudolf und Hedwig Höss samt ihrer Kinder haben sich im riesigen Haus mit noch größerem Garten eingerichtet. Papa Höss hat es nicht weit bis zur Arbeit: er ist Kommandant des KZ Auschwitz, das unmittelbar neben seinem Haus steht und nur durch eine hohe Mauer getrennt ist... Noch nie zuvor ist es einem Film gelungen das furchtbare Grauen der KZs derart schockierend zu vermitteln ohne auch nur eine einzige Brutalität zu zeigen. Die wahnsinnige Brutalität gibt es in Jonathan Glazers Film einzig im Sound Design. Ständig gibt es Schüsse und Schreie hinter der Mauer zu hören, die den idyllischen Garten der Familie Höss von den Greueltaten des KZs trennt. Hinter die Mauer blickt die Kamera nie. Überhaupt ähnelt die Kameraarbeit von Lukasz Zal mit ihren oft statischen und aus der Entfernung gezeigten Bilder denen von Überwachungskameras. Großaufnahmen gibt es da nicht. Hin und wieder ertönt eine unheimlich wirkende elektronische Filmmusik (Komponist: Mica Levi), die den Zuschauer verwirrt und ihn mit einem bedrohlichen Gefühl zurücklässt. Es passiert nicht viel in Glazers Film, der am wohligen Familienleben der Höss’ festhält und damit zynischer sein könnte. Ein Film der nachwirkt und sich ins Gedächtnis brennt. Nicht für jedermann geeignet.

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