Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Donnerstag, 27. Juni 2024
Wie alles begann
Dass nicht jedes Prequel lohnt wurde heute bewiesen

A QUIET PLACE: TAG EINS (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: A Quiet Place: Day One
Verleih: Paramount Pictures Germany
Land/Jahr: USA, Großbritannien 2024
Regie: Michael Sarnoski
Darsteller: Lupita Nyong’o, Joseph Quinn, Alex Wolff, Djimon Hounsou
Kinostart: 27.06.2024

Ein Ausflug nach New York City wird für die Hospiz-Patientin Samira zum Albtraum, als eine extrem aggressive Heerschar von Aliens, die fast nichts sehen, aber umso besser hören können, die Erde angreift. Für Samira beginnt ein Kampf auf Leben und Tod in gleich zweifacher Hinsicht:gegen die Aliens und geen ihren Krebs... Nach den Steilvorlagen A QUIET PLACE (2018) und A QUIET PLACE TEIL 2 (2020) erscheint der dritte Teil über eine Alien-Invasion fast wie eine Episode einer überlangen TV-Serie! Das ist umso erstaunlicher als John Krasinski, der die beiden ersten Teile inszenierte und skriptete, auch jetzt wieder am Drehbuch mitgeschrieben hat. Der neue Film ist ein Prequel zu den anderen Teilen, bietet aber leider wenig Story und noch weniger Spannung und bedient fast ausschließlich Genre-Klischees. Immerhin geht es auf der Tonspur hammerhart zur Sache. Das aber rettet den Film insgesamt leider nicht. Der erste Tag ist ein schlechter Tag.
Donnerstag, 20. Juni 2024
Der alte Seitensprung
Nicht alle französischen Komödien der letzten Jahre sind gut. Die heutige war’s aber.

LIEBESBRIEFE AUS NIZZA (1:2.35, 5.1)
OT: N’Avou Jamais
Verleih: Neue Visionen
Land/Jahr: Frankreich 2024
Regie: Ivan Calbérac
Darsteller: André Dussollier, Sabine Azéma, Thierry Lhermitte
Kinostart: 01.08.2024

Da staunt François nicht schlecht, als er zufällig auf dem Dachboden heisse Liebesbriefe an seine Frau Annie findet. Die sind zwar schon 40 Jahre alt, doch den ranghohen Militär im Ruhestand bringt das zur Weißglut! Er beschließt mit Hilfe seiner alten Kontakte zum Geheimdienst den Rivalen ausfindig zu machen, um ihn zu verprügeln. Schnell ist klar: der Seitensprung befindet sich in Nizza. François macht sich auf den Weg – gegen seinen Willen von seiner Frau begleitet. Am Zielort angekommen kommt alles anders als geplant... Mit LIEBESBRIEFE AUS NIZZA inszeniert Regisseur Ivan Calbérac, der mit dem Film FRÜHSTÜCK BEI MONSIEUR HENRI bekannt wurde, eine amüsante Sommerkomödie, bei der auch die Gefühlsebene nicht zu kurz kommt. Mit seinem in Bestform agierenden Darstellertrio gelingt es ihm, zwischen ”Schenkelklatschern” und Gefühlen perfekt die Waage zu halten. Ganz sicher standen Komödie wie die MONSIEUR CLAUDE Filme hier Pate, doch verleiht Calbérac seinem Film eine ganz eigene Note. Wunderschön fotografiert und mit ansprechender Filmmusik verpackt garantiert der Film 95 unbeschwerte Minuten und liefert gleichzeitig ein paar Denkanstöße fürs Alter.
Mittwoch, 12. Juni 2024
Gefühlschaos
Nachsitztermin im Dolby Cinema

ALLES STEHT KOPF 2 (1:2.35, 3D & 2D, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Inside Out 2
Verleih: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Land/Jahr: USA, Japan 2024
Regie: Kelsey Mann
Kinostart: 12.06.2024

Fast 10 Jahre sind vergangen, seit Pixar ALLES STEHT KOPF in die Kinos brachte und uns damit tiefe Einblicke in unser Innerstes zu gewähren – mit grandiosem Unterhaltungswert. War Protagonistin Riley, um deren Gefühle es ging, seinerzeit noch ein kleines Mädchen, so haben sie die letzten 10 Jahre in die Pubertät geführt – und damit weitere Gefühle in die Kommandozentrale gebracht. So gibt es jetzt neben Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel die Neuzugänge Neid, Zweifel, Ennui und Peinlich. Die neuen vier Emotionen, für die ein Arbeitertrupp in Windeseile eine neue Steuerkonsole in die Kommandozentrale einbaut, übernehmen jetzt das Ruder und verbannen die bisherigen Emotionen ins Nirvana! Und sie sorgen dafür, dass es in Teenager Rileys hübschem Kopf zu einem wahrhaft bombastischen Gefühlschaos kommt, wenn die junge Dame ins Eishockeycamp kommt, um sich dort zu bewähren. Auch wenn der von Kelsey Mann verantwortete zweite Teil von ALLES STEHT KOPF etwas schwächer ausfällt als das Original, so liefert er dennoch prächtige Unterhaltung. Allerdings weniger für die jungen Zuschauenden als vielmehr für Erwachsene. Dass Teil 2 schwächer ausfällt ist freilich dem Umstand geschuldet, dass man die Charaktere bereits kennt und schon weiß, wie diese ticken. Immerhin gelingt es dem computeranimierten Film, uns auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle zu schicken und uns immer wieder mit einem Lachen zu erden. Technisch gibt es am zweiten Teil nichts auszusetzen. Dafunkelt und blitzt mit der ganzen Bandbreite des Farbspektrums, so dass es eine wahe Freude ist hinzuschauen. Wer die Wahl zwischen 2D und 3D hat, sollte sich für die flache Version entscheiden, da die 3D-Fassung keinen Mehrgewinn bietet. Die Tonspur ist sehr aktiv und nutzt die Möglichkeiten die Dolby Atmos bietet. Anders als in Teil 1 liefert dieses Mal Andrea Datzman, die hin und wieder das Originalthema von Michael Giacchino zitiert und damit wohlige Erinnerungen wachruft.
Donnerstag, 06. Juni 2024
Wie die Ossis den Wessis ein Schnippchen schlugen und andere Geschichten
Das heutige Presse-Doppel entließ mich mit gemischten Gefühlen

ZWEI ZU EINS (1:2.35, 5.1)
Verleih: X Verleih AG
Land/Jahr: Deutschland 2024
Regie: Natja Brunckhorst
Darsteller: Sandra Hüller, Max Riemelt, Ronald Zehrfeld, Ursula Werner, Martin Brambach, Kathrin Wehlisch, Peter Kurth
Kinostart: 25.07.2024

Es ist der Sommer des Jahres 1990. Halberstadt in der Noch-DDR. Maren, Robert und Volker, drei Freunde aus Kindheitstagen, entdecken in einem riesigen alten Schacht zufällig das alte DDR-Geld, das dort zum Verrotten eingelagert wurde. Die Drei haben einen Plan: warum nicht einen Sack voll des wertlosen Geldes mitnehmen und schnell noch Waren kaufen, bevor die Ostmark offiziell abgeschafft wird? Mit Hilfe von Freunden und Nachbarn setzen sie ihren Plan in die Realität um... Nach einer wahren Begebenheit inszenierte Natja Brunckhorst ihre top besetzte Dramödie. Leider gelingt es der Inszenierung nicht, die Zuschauenden richtig zu begeistern. Zu verhalten gibt sich das Werk, lässt nur wenig Emotionen zu. Die wenigen Gags, die das Drehbuch bereithält, können das leider nicht wettmachen. Vielleicht passiert das aber auch nur, wenn man den Film mit den Augen eines Wessis betrachtet. Aus dem Blickwinkel eines Ossis könnte das ganz anders aussehen. Was mich technisch an dem Film enttäuscht hat ist seine Tonspur. Die klang so, als hätte man die Mischung fürs Fernsehen gemacht. Weder Dynamik noch Räumlichkeit waren hier vorhanden.

MADAME SIDONIE IN JAPAN (1:1.66, 5.1)
OT: Sidonie Au Japon
Verleih: Majestic
Land/Jahr: Frankreich, Deutschland, Schweiz, Japan 2023
Regie: Élise Girard
Darsteller: Isabelle Huppert, August Diehl, Tsuyoshi Ihara
Kinostart: 11.07.2024

Eine französische Schriftstellerin reist nach Japan, wo ein Verleger ein Buch von ihr neue auflegen möchte. Während ihres Aufenthalts in Japan kommen sich die beiden näher, doch wird die Autorin vom Geist ihres verstorbenen Mannes heimgesucht... Ganz behutsam und in sehr ruhigen Bildern erzählt Élise Girard ihren Film, in dem es um das Loslassen und den Neuanfang geht. Das mag für manchen Zuschauer viel zu langsam sein, doch ist genau dieses Tempo dem Prozess des Loslassens geschuldet. Ebenso ist die neue aufkeimende Liebe keien Hauruckaktion, sondern erfordert viel Zeit. Gegen Ende des Films werden allerdings dann doch ein paar Längen offenbar, die den insgesamt positiven Eindruck etwas zunichte machen. Das aber ist verschmerzbar, wenn man sich auf den Film voll und ganz einlassen kann. Isabelle Huppert agiert in ihrer Zurückhaltung sehr souverän und sie harmoniert sehr shön mit ihrem japanischen Partner. Ein Film, der sich an alle wendet, die selbst schon einmal einen Verlust hinter sich haben. Sie werden sich alle in der Figur der Madame Sidonie wiederfinden.
Mittwoch, 05. Juni 2024
Girls Do It Better
Mit kultverdächtigem Kino bestritt ich meinen heutigen Vormittag

LOVE LIES BLEEDING (1:2.35, 5.1 + 7.1 + Atmos)
OT: Love Lies Bleeding
Verleih: Plaion Pictures
Land/Jahr: USA, Großbritannien 2024
Regie: Rose Glass
Darsteller: Kristen Stewart, Katy O’Brian, Jena Malone, Ed Harris, Anna Baryshnikov, Dave Franco
Kinostart: 18.07.2024

Als die sich auf Durchreise befindende Body-Builderin Jacky in einer Kleinstadt in New Mexiko aufschlägt, macht sie sogleich einen gewaltige Eindruck auf Lou, die für die zuständige Gym im Städtchen zuständig ist. Zwischen den beiden jungen Frauen funkt es gewaltig und sie verlieben sich ineinander. Wenn nur alles so harmonisch ablaufen würde. Denn Lou hat noch ein paar offene Rechnungen. Nicht nur mit ihrem übermächtigen Vater, einem waschechten Gangster. Auch mit ihrem Schwager, der ihre Schwester regelmäßig blutig schlägt... Erinnern Sie sich noch an BOUND, mit dem die Wachowski-Brüder vor fast 30 Jahren ihren cineastischen Einstand gegeben haben? Der Film mit Jennifer Tilly und Gina Gershon avancierte damals innerhalb kürzester Zeit zum Kult-Film. Wie in Rose Glass’ Film stand dort auch ein lesbisches Paar im Mittelpunkt, das sich gegen mafiöse Gangster zur Wehr setzen muss und am Ende schließlich über die Männerwelt dominieren. Jetzt also sind es Kristen Stwart und Katy O’Brian, die hartgesottenen Mannsbildern die Stirn bieten müssen. Dabei geht es nicht nur bei den brutalen Szenen richtig zur Sache, auch die Liebesszenen stehen jenen aus BOUND in nichts nach. Glass inszeniert ihren Frauen-Power-Film mit souveräner Hand, versteht sich auf atmosphärische CinemaScope-Bilder (Kamera: Ben Fordesman) und macht die elektronische Filmmusik von Clint Mansell sehr wirkungsvoll zum Zentrum der Tonspur (die insbesondere in der ”Dolby Atmos”-Fassung ihre volle Wirkung entfalten dürfte). So entsteht perfektes Genre-Kino mit allen dazugehörigen Abgründen. Blutig, schwarzhumorig, sexy. Da lässt sich das seltsame Abgleiten ins Sureale gegen Ende des Films verschmerzen. Und wer den zerfurchten Ed Harris mal als richtig bösen Buben erleben möchte, kommt sowieso an diesem Film nicht vorbei. Meine Empfehlung für eine spannende Entspannung.
Dienstag, 04. Juni 2024
Rentnerliebe und Judokämpferinnen
Beim heutigen Presse-Doppel kam der Iran gar nicht gut weg

EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN (1:1.85, 5.1)
OT: Keyke Mahboobe Man
Verleih: Alamode Film
Land/Jahr: Iran, Frankreich, Schweden, Deutschland 2024
Regie: Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha
Darsteller: Lily Farhadpour, Esmaeel Mehrabi, Mohammad Heidari
Kinostart: 11.07.2024

Die 70jährige Witwe Fahin hat die Schnauze gestrichen voll. Sie möchte sich nicht mehr länger die Krankheitsgeschichten ihrer Freundinnen anhören, sondern sich endlich wieder in ein amouröses Abenteuer stürzen. In einem Rentner-Restaurant wirft sie ein Auge auf den Taxifahrer Faramarz, den sie schließlich zu sich nach Hause einlädt – der Beginn einer unvergesslichen Nacht... Es tut gut im Kino auch mal eine Liebesgeschichte zu sehen, die sich nicht zwischen Teens abspielt, sondern zwischen zwei Menschen im Rentenalter. Ein Film also über den sogenannten zweiten Frühling. Das Pikante dabei: er spielt im Iran. Einem Land also, in dem die Sittenpolizei mit harter Hand für Recht und Ordnung sorgt – streng nach den Vorgaben des Islam. Zweisamkeiten wie die im Film gezeigte ist dort ein ”No Go”. Und trotzdem lassen sich die beiden einsamen Seelen darauf ein, immer darauf achtend, dass die Nachbarn von derlei Treiben nichts mitbekommen. Es ist die schönste Nacht im Leben von Fahin und Faramarz, die sich beide wieder jung fühlen. Doch nach dem Ende der Nacht wird der Schmerz größer denn je sein. Mehr sei nicht verraten.

TATAMI (1:1.37 & 1:1.85, 5.1)
OT: Tatami
Verleih: Wild Bunch Germany
Land/Jahr: Georgien, USA 2023
Regie: Guy Nattiv, Zar Amir
Darsteller: Zar Amir Ebrahimi, Arienne Mandi, Jaime Ray Newman
Kinostart: 01.08.2024

Als eine iranische Judo-Kämpferin bei der Weltmeisterschaft in Georgien Gefahr läuft, im Finale gegen die Favoritin aus Israel und damit einer Staatsfeindin des Iran antreten zu müssen, werden ihre Trainerin und sie selbst im Auftrag der iranischen Staatsführung massiv unter Druck gesetzt, den Kampf abzusagen. Doch die Sportlerin weigert sich... In beengendem 4:3 Bildformat und bedrückendem Schwarzweiß erzählen die Regisseure Guy Nattiv und Zar Amir die Geschichte einer iranischen Weltklassesportlerin, die an der Politik des iranischen Regimes zu zerbrechen droht. Extrem spannend in der Inszenierung und brillant in der Besetzung demonstriert der Film knallhart die Folgen der politischen Einflussnahme eines Staates auf das Sportveranstaltungen. Hier sind die Sportlerinnen nur Schachfiguren, die zu Propagandazwecken benutzt werden. Spielt jemand nicht mit, drohen drastische Konsequenzen. Eine Geschichte wie diese könnte sich tatsächlich ereignet haben oder ereignet sich immer wieder in ähnlicher Form bei internationalen Wettkämpfen. Ein Film der wütend macht und am Ende trotzdem Hoffnung schöpfen lässt.

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