Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Bollywood and Beyond Filmfestival #5 (16.-20.07.2008, Stuttgart)


Wenn nicht nur der lange rote Teppich vor den Stuttgarter Metropolkinos ausgerollt wird, sondern auch noch die fast lebensgroße Elefantenattrappe Stellung bezieht, dann stehen alle Signale deutlich auf “Bollywood”. Bereits im fünften Jahr präsentierte sich das größte indische Filmfestival in der westlichen Hemisphäre vom 16. bis 20. Juli 2008. Fünf Tage lang also sollte mich nun wieder “Bollywood and Beyond”, wie das Festival offiziell tituliert ist, in seinen Bann ziehen. Angesichts der vielen dunkelhäutigen Schönheiten, die auf dem roten Teppich in herrlich bunten Saris gekleidet flanierten, war das wahrhaftig kein Problem! Der Eröffnungsabend, der eigentlich schon am späten Nachmittag begonnen hatte, ist traditionell fast schon der festliche Höhepunkt des Festivals, das in den vergangenen Jahren immer wieder erfolgreich die Besucherzahlen steigern konnte. Darf man den Aussagen der Veranstalter Glauben schenken, so war allein in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 30% zu verbuchen. Dem großen Andrang nach zu urteilen, muss das einfach stimmen.

Der Eröffnungsfilm war restlos ausverkauft, ja sogar um 60 Plätze überbucht. Den Veranstaltern bereitete das aber keine größeren Probleme, denn man hatte mit Notsitzen bereits vorgesorgt. Stehen musste während des Film niemand. Bevor man sich jedoch in den Kinosaal begab, durfte man sich im Foyer des Kinos mit Sekt, Orangensaft oder sogar einem kräftigen Schluck Whiskey versorgen, während draußen auf dem roten Teppich die Stuttgarter Politprominenz das Festival feierlich eröffnete. Dafür sorgte auch ein indischer Chor, der auf den Stufen zum Eingang Stellung bezog und die Besucher musikalisch einstimmte. Den Höhepunkt der Eröffnungsfeier stellte das Hissen der indischen Flagge dar, die bis zum Ende des Festivals die Außenfront der Festivalkinos zieren sollte. Etwas verwundert war ich aber schon. Denn trotz der präsenten Politprominenz und des riesigen Andrangs vor dem Kino war es offensichtlich nicht gelungen, die Straße direkt vor dem Kino für einige Zeit zu sperren. Und so wurden die Reden der Promis und auch der Gesang des Chores von den vorbeifahrenden Autos recht unsanft gestört. Zuweilen entstand auch ein richtiges Verkehrschaos. Hier wäre es sicherlich wünschenswert, dass das eventuell beim nächsten Festival berücksichtigt wird. Doch weder das Verkehrschaos noch der plötzlich einsetzende Regen konnten mir oder auch den anderen Gästen die Festivallaune trüben.

Und so ging’s dann mit großen Erwartungen in den Kinosaal. Aus vergangenen Jahren wusste ich: jetzt kommt nicht gleich der Film, sondern jetzt wird erst noch geredet. Die üblichen Verdächtigen kamen jetzt einer nach dem anderen auf die Bühne, um ihre vorbereiteten Eröffnungsreden zu schwingen. Neu war jedoch, dass man sich erstmals eine Moderatorin geholt hatte, die dafür sorgte, dass der Ablauf des Abends in geregelten Bahnen verlief. TV-Moderatorin Nadine Krüger, im schwarzen Abendkleid und mit langer blonder Mähne, wurde diese Aufgabe zuteil. Gekonnt moderierte sie den Abend in Deutsch und Englisch, jedoch hatte ich hier und da dann doch das Gefühl, eine Moderatorin auf Privatsenderniveau vor mir zu haben. Speziell dann, wenn der auf der Bühne vorgetragene Small-Talk etwas schlüpfrig und dadurch sehr peinlich wurde. Da wird sicherlich in den kommenden Jahren noch weiter daran gefeilt werden. Gut ist, dass in diesem Jahr ein Anfang gemacht wurde und die in den vergangen Jahren absolvierte Eröffnungsshow mitunter recht improvisiert wirkte. Nachdem dann alle Redner – angefangen von Festivaldirektor Oliver Mahn über Stuttgarts OB Schuster bis hin zur indischen Botschafterin in Stuttgart – gesagt hatten, was zu sagen war, wurde es spannend. Denn jetzt wurden der Regisseur, der Produzent und einer der Darsteller des Eröffnungsfilms auf die Bühne gebeten, um ihren Film vorzustellen. Regisseur Umesh Kulkarni versprach uns einen lustigen Film, bei dem wir auch gerne lachen dürfen und entschuldigte sich sogleich für die etwas schlechte 35mm-Filmkopie. Denn die war schon über viele Festivals gereist und wies schon etliche Gebrauchsspuren auf.

Dann endlich hieß es “Vorhang auf!" und der Film begann. VALU – THE WILD BULL (1:2.35, DD 5.1 EX) erzählt die Geschichte eines Beamten, der in ein kleines Dorf abkommandiert wird, um dort einen wilden Bullen, der den Einwohnern das Leben schwer macht, einzufangen. Mit von der Partie ist sein Bruder, der darüber einen Dokumentarfilm drehen möchte. Doch das erweist sich als echter Knackpunkt. Denn fortan möchte jeder der Dorfbewohner vor der Kamera stehen und Filmstar werden... Alles in allem ist der Film mit seinen 123 Minuten Spiellänge etwas zu lang geraten. Auch erschloss sich den meisten Besuchern (mich eingeschlossen) der “Indian Sense of Humour" nicht wirklich. Aber das liegt wohl zum großen Teil an der Tatsache, dass wir die Sprache nicht verstehen. In einem Interview, das ich am Folgetag mit Regisseur Umesh Kulkarni führen durfte, erzählte er mir, dass sehr viel Humor in der Sprache versteckt ist. VALU ist der erste Film, der auf Marathi gedreht wurde. Selbst die englischen Untertitel, die die Festivalkopie hatte, konnten dem witzigen Charakter der Dialoge nicht gerecht werden. VALU war ein Riesenerfolg im Marathi-sprechenden Teil Indiens. Dort, so verriet mir der 1976 geborene Umesh, lief sein Film mit 25 Kopien wochenlang vor ausverkauften Kinos. Viele Zuschauer sahen sich den Film gleich mehrfach an. Nicht schlecht für einen Debütfilm! Denn vor VALU hatte Umesh ausschließlich Dokumentarfilme gemacht. Und schon die wurden international mit Preisen bedacht. Ob ich denn seinen Film für zu lange empfand, wollte er von mir wissen. “Ehrliche Antwort?" fragte ich. “Ja, bitte!" Ich sagte ihm, dass ich den Film für etwas zu lange empfand. “Ja, das hat man mir jetzt schon des Öfteren gesagt", war sein ehrlicher Kommentar. Bestimmt wird’s beim nächsten Filmprojekt besser! Das fast einstündige Gespräch war hochinteressant und ich habe viele Dinge erfahren, die mich erstaunten. So beispielsweise die Tatsache, dass Umesh von Tom Tykwers LOLA RENNT große Stücke hält! Ich hoffe, dass ich das vollständige Interview in einem späteren Newsletter präsentieren kann. Doch das Transkribieren ist eine echte Fleißaufgabe...

Zum Abschluss des Eröffnungsabends wurden alle geladenen Gäste ins benachbarte Filmhaus eingeladen, wo uns ein leckeres indisches Buffet erwartete.

Eigentlich hatte ich mir für Tag 2 des Festivals gleich drei Filme vorgemerkt, die ich sehen wollte. Doch die Gelegenheit, Umesh Kulkarni interviewen zu können, hatte für mich dann doch Priorität. Und der verspätete sich zum Interviewtermin so erheblich, dass ich die ersten beiden Filme nicht wahrnehmen konnte. Umesh und seine Kollegen steckten im Stau fest. Wie jedes Jahr organisierten die Veranstalter für die Filmschaffenden aus Indien eine sogenannte Location Tour, auf der den Teilnehmern örtliche Sehenswürdigkeiten gezeigt wurden, die sich als Aufnahmeort für neue Filmprojekte eignen könnten. So blieb es für mich an diesem Donnerstag bei nur einem einzigen Filmbesuch. Doch der dauerte dafür fast vier Stunden. JODHAA AKBAR (1:2.35, DD 5.1 EX) unter Regie von Ashutosh Gowariker war ein farbenprächtiges Historienspektakel. Eine meiner Lieblingsschauspielerinnen des Bollywood-Kinos war in der Titelrolle zu sehen: Aishwarya Rai (dieses Mal unter ihrem neuen Namen Aishwarya Rai Bachchan – die Schönheit hatte im vergangen Jahr ihren Kollegen Abhishek Bachchan geehelicht). Die großen Schlachtengemälde, riesige Paläste, Festmahle und perfekt choreographierte Tänze waren ein echtes Fest für die Augen. Wie alle indischen Blockbuster war auch JODHAA AKBAR mit einer Pause ausgestattet. Die aber wurde von den Veranstaltern leider komplett ignoriert und die 213 Minuten (reduziert auf 204 Minuten wegen der Vorführgeschwindigkeit von 25 Bildern/Sekunde) wurden am Stück durchgespielt. Mir persönlich gefiel der zweite Teil des Films besser als der längere erste Teil. Teil 2 hatte mehr Drive und zog den Zuschauer dadurch mehr in das Geschehen hinein.

Es war Freitag geworden und trotz dem ich bereits zwei Pressevorführungen am Vormittag bzw. über Mittag besucht hatte, konnte ich es kaum abwarten, wieder Bollywood-Atmosphäre zu schnuppern. Ich hatte mir zwei Filme vorgenommen. Im Vorfeld wurde bereits bekannt, dass der ursprünglich für den Abend vorgesehene Film TAARE ZAMEEN PAR (Regiedebüt des indischen Superstars Aamir Khan) nicht für das Festival freigegeben wurde und kurzerhand durch die anspruchsvolle Komödie HUM TUM ersetzt wurde. Für mich war das kein Beinbruch, denn Letzteren kannte ich auch noch nicht.

Doch zunächst zum ersten Film an diesem Freitag Nachmittag: LOINS OF PUNJAB PRESENTS (1:1.85, DD 5.1). In ihm erzählt Regisseur und Darsteller Manish Acharya die Geschichte eines indischen Gesangswettbewerbs in New Jersey, der von der Firma “Loins of Punjab" veranstaltet wird. Das bunt zusammengewürfelte Häufchen von Nachwuchstalenten buhlt nach allen Regeln der Kunst um den ersten Preis. Und so mancher Teilnehmer und Teilnehmerin greift dabei tief in die Trickkiste – mit unangenehmen Nebenwirkungen. Eine herrliche Komödie! Ich habe mich dabei köstlich amüsiert. Tolle Schauspieler, klasse Musik und ein intelligentes Drehbuch bringen hier die Schwächen der Menschen beim Kampf um den Sieg perfekt auf den Punkt. Regisseur Manish Acharya, der persönlich anwesend war, hatte den kräftigen Publikumsapplaus verdient. Manish stand nach dem Film seinem Publikum Rede und Antwort. Meine Frage, ob wir denn hier nun den “Director’s Cut" gesehen hätten, wurde mit einem “Ja" beantwortet. LOINS OF PUNJAB PRESENTS startet im Herbst in amerikanischen Kinos und wird zu einem späteren Zeitpunkt natürlich auch auf DVD erhältlich sein.

Komödiantisch ging es dann am Abend weiter. Denn jetzt stand Indiens Antwort auf HARRY UND SALLY auf dem Programm: HUM TUM (1:2.35, DD 5.1), den Regisseur Kulan Kohli im Jahre 2004 inszenierte und damit einen Riesenhit in seinem Heimatland landete. Vor dem Film richtete der Regisseur, der eigens aus Indien angereist war, das Wort an das Publikum und sagte, dass HUM TUM weniger mit HARRY UND SALLY zu tun hätte als vielmehr mit Woody Allens DER STADTNEUROTIKER! Kohli bekannte sich als großer Fan jenes berühmten amerikanischen Independent-Regisseurs. Jetzt war ich natürlich schon sehr gespannt auf das Interview, das mir Kulan Kohli am Samstagnachmittag geben würde. HUM TUM war bestes “Upper Class" Bollywood-Kino und bot mir ein Wiedersehen mit meiner absoluten Lieblings-Bollyqueen: Rani Mukherjee! Die verblüffende Ähnlichkeit der Story mit HARRY UND SALLY war unübersehbar. Aber sie war perfekt umgesetzt und hatte alle Ingredienzien, die man sich von zweieinhalbstündigem Bollywood-Entertainment wünscht: Liebe, Herz, Schmerz, Gesang und Tanz. Und das Publikum war an diesem Abend in bester Laune und begleitete die fetzigen Songs mit rhythmischem Klatschen. Ein Erlebnis, das es im Heimkino zuhause einfach nicht gibt. Nach dem Film stellte sich Kunal Kohli den Fragen des Publikums und musste sich gegen übereifrige weibliche Fans wehren, die ihn unbedingt auf der anschließenden Bollywood-Party als Tanzpartner gewinnen wollten!

Mein Samstagsprogramm begann bereits um 12 Uhr mit einer Vorführung von Navdeep Sings MONORAMA – SIX FEET UNDER (1:2.35, DD 5.1 EX), einem Thriller. Irgendwie kam mir das alles ziemlich vertraut vor und ich mutmaßte bereits, dass es sich hier um eine indische Version von CHINATOWN handelt. Und kaum hatte ich diesen Gedanken gefasst, da war im Film ein Fernsehgerät zu sehen, in dem genau dieser Hollywood-Film lief! Also alles kein Zufall – sondern mehr oder weniger eine Hommage auf einen amerikanischen Filmklassiker. Ich musste zugegebenermaßen in dieser Vorstellung gegen eine unbändige Müdigkeit ankämpfen. Das lag allerdings nicht an dem sehr gut gemachten und spannenden Film, sondern mehr an meinem Alter! Denn mit über 50 sollte man sich doch des Öfteren einen kleinen Mittagsschlaf gönnen... Nun ja, macht aber nichts.

Immerhin war ich so jetzt ausgeruht für das Interview, zu dem ich mich mit Kunal Kohli verabredet hatte. Der kam – wie könnte es auch anders sein – mit einer Stunde Verspätung zum Termin. Wieder hatte die Location Tour meinen persönlichen Terminplan durcheinandergebracht. Aber um einen Mann wie Kohli zu treffen, ist man gerne zu ein paar Zugeständnissen bereit. Der Mann mit einem Selbstbewusstsein, das für zwei reichen würde, gilt als ein echter Shooting Star unter den indischen Filmregisseuren. Mit seinen Filmen HUM TUM und FANAA landete er in Indien Riesenerfolge. Und seinen neuesten und vierten Film, THODA PYAAR THODA MAGIC würden wir am Abend noch zu Gesicht bekommen. Wie schon Umesh Kulkarni, so war auch Kunla Kohli ein sehr interessanter Gesprächspartner. Von beiden war zu erfahren, dass es mit Blick auf die indische Filmzensur einen Hoffnungsschimmer gibt. Offensichtlich wird die restriktive Haltung dieser Institution allmählich aufgebrochen. In nicht allzu ferner Zukunft dürfen dann wohl auch in indischen Filmen Küsse gezeigt werden – derzeit noch ein absolutes Tabuthema. Abgesehen von dieser Art der Zensur lässt sich Kunal stets vertraglich zusichern, dass er das letzte Wort über den “Final Cut" seiner Filme hat. Wie er auch sonst alles in seinen Filmen selbst bestimmt. Seien es die Darsteller, sein Kameramann, seine Crew oder die zu verwendenden Songs. Hier lässt sich Kunal von keinem anderen etwas vorschreiben. Sogar die englischen Untertitel seiner Filme schreibt er selbst. Kunal verwendet sehr gerne Storyboards (ganz im Gegensatz zu Umesh Kulkarni), um seine Filme zu inszenieren. Auch die Tanzeinlagen werden von ihm selbst unter Mithilfe eines Choreographen entwickelt. Ein echter Allrounder, der nichts dem Zufall überlässt. Ich fragte ihn nach den Pausen in indischen Filmen und erhielt die Antwort, dass diese bereits bei Entstehung des Drehbuchs berücksichtigt werden. Meist werden diese so in die Dramaturgie des Filme eingeflochten, dass der erste Teil des Films mit einem sogenannten “Cliffhanger" endet, also einem spannenden Höhepunkt. Von seinen vier Spielfilmen ist Rani Mukherjee in gleich dreien in der weibliche Hauptrolle zu sehen. Hier war ich natürlich ganz besonders daran interessiert zu erfahren, wie es denn ist, mit dieser Schönheit zu arbeiten. Kunal filmt sehr gerne mit ihr und die beiden haben ein gutes Verhältnis. Ob sie sich denn wie eine Diva am Set aufführen würde? “Nein – und wenn, dann sage ich einfach, dass sie damit aufhören soll, was sie dann auch machen wird!" kam prompt die Antwort zurück. Kunal bezeichnet sich selbst als totalen Filmfan und es vergeht kaum ein Abend, an dem er sich vor dem Schlafengehen noch mindestens einen Film anschaut. Und selbstverständlich nicht nur Bollywood. Vielmehr liebt er das internationale Kino und ist dort auch bestens bewandert. Etwa eine Stunde dauerte das Interview, das es auch noch zu transkribieren gilt. So wenig Zeit, soviel Interviews...

Im Anschluss an das Gespräch gönnte ich mir zur Abwechslung einen Dokumentarfilmblock. Denn auch diese Art des Filmemachens ist seit jeher fester Bestandteil von “Bollywood and Beyond". Gezeigt wurden zwei Filme im Betacam-SP-Videoformat. ONE SHOW LESS erzählt in knapp 20 Minuten von einem kleinen Dorfkino irgendwo in Indien, das um sein Überleben gegen die übermächtige Multiplex-Konkurrenz kämpft. Also auch dort dasselbe Problem wie hierzulande. Der im Anschluss gezeigte Film LAYA PROJECT bot faszinierende Musik, vorgetragen zum Gedenken an die Opfer der großen Tsunami-Katastrophe. Der Produzent des Films war persönlich anwesend und hätte mit Sicherheit viele Audio-CDs mit der Musik aus seinem Film verkaufen können, hätte er welche dabei gehabt.

Inzwischen war es Abend geworden und im Foyer knallten wieder einmal die Sektkorken. Kunal Kohli wurde zur Deutschlandpremiere seines neuesten Films auf dem roten Teppich empfangen. Angeregt durch meine vielen Eindrücke der vergangenen Tage fand sich jetzt sogar meine Frau Beate zur Filmvorführung ein, um sich von Bollywood verzaubern zu lassen. Immerhin stand mit THODA PYAAR THODA MAGIC (1:2.35, DD 5.1) eine indische Version von MARY POPPINS auf dem Programm. Da konnte eigentlich gar nichts mehr schief gehen. Der mit tollen visuellen Effekte fast schon überbordende Familienfilm soll das Kind in uns allen ansprechen, das wir hoffentlich alle noch berwahrt haben. So Kunal bei seiner Anspreche vor dem Film. Auch wollte er die schöne Tradition von Filmen wie THE SOUND OF MUSIC (eines meiner persönlichen Lieblingsmusicals!) fortsetzen bzw. erneuern. Nach den überschwenglichen Reaktionen der Zuschauer scheint ihm das auch perfekt geglückt zu sein. Wieder wurden die mitreißenden Songs vom Publikum beklatscht. Vollkommen perplex saß ich im Saal, als jetzt erstmals bei einem Bollywood-Film die vorgesehene Pause eingehalten wurde! Hatte etwa meine Frage nach der Pause beim Gespräch mit Kunal dies bewirkt? Wie auch immer – ich fand es toll! Und einmal mehr durfte ich beim Anblick meiner Rani Muhkerjee in der Rolle der von Gott gesandten Nanny dahin schmelzen.... Und wer genau hinsah, der konnte kurz vor dem Ende des Films noch das Filmplakat von HARRY UND SALLY (WHEN HARRY MET SALLY) entdecken. Ein schöner Insider-Gag. Nach Ende des Films, der vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert wurde, stellte sich Kunal noch einmal den Fragen des Publikums. Und er genoss es sichtlich!

Viel Zeit zum Schlafen fand ich in der Nacht zum Sonntag nicht, denn mein erster Film stand bereits um 10 Uhr auf meinem Zeitplan. VIA DARJEELING (1:2.35, DD 5.1) von Armindan Nandy erwies sich als subtiler und spannend erzählter Thriller, der durchaus seinen Platz im “Fantasy Filmfest" haben könnte. Da treffen sich ein paar Menschen des Abends, um sich Geschichten zu erzählen. Dabei wird immer dieselbe Geschichte genommen und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Wahrheit und Fiktion verschwimmen unmerklich. Die Qualität der 35mm-Kopie hat mich begeistert. Kino vom Feinsten!

Doch nichts konnte mich auf das vorbereiten, was es im Anschluss zu sehen gab: Shimit Amins CHAK DE! INDIA (1:2.35, D 5.1) mit Sha Rhuk Khan als in Ungnade gefallener Trainer der indischen, weiblichen Hockeymannschaft. Was für ein Film! Selten habe ich es erlebt, dass ein Kinopublikum bei einem Film derart mitfiebert wie bei diesem exzellenten Sportfilm! Gesangs- und Tanzeinlagen gibt es in diesem Werk nicht, wohl aber klasse Musik. Da sprang der Funke auf das Publikum über und es herrschte teilweise Stadionatmosphäre im Kino – und das meine ich im durchaus positiven Sinn. Einmal mehr wurde allen Anwesenden klar, dass ein solches Kinoerlebnis selbst im besten Heimkino nicht reproduziert werden kann. CHAK DE! INDIA habe ich als meinen persönlichen Lieblingsfilm bei diesem Festival auserkoren. Und ich durfte erneut staunen: auch hier wurde die vorgesehene Pause eingehalten! Toll!

Als vorletztes Filmereignis beim Festival gönnte ich mir indisches Arthouse-Kino. ORE KADAL – THE SEA WITHIN von Shyamaprasad war zeitgenössisches Drama ganz im Stil von italienischem Neo-Realismus a la Roberto Rossellini. Hier suchte man vergebens nach Song-and-Dance Einlagen, denn es ging um existenzielle Fragen. Kein einfacher Film und schon gar nicht nach CHAK DE! INDIA.

Danach war eine längere Pause angesagt, die ich mit dem Einwerfen von Nahrung verbrachte. Sodann ging es zur Preisverleihung, die von einer fetzigen Tänzerinnengruppe aus Frankfurt in bester Bollywood-Manier umrahmt wurde. Die mit Geld dotierten Preise für den besten Kurzfilm, den besten Dokumentarfilm und den besten Spielfilm wurden überreicht. Letzterer ging an Richie Mehtas AMAL, den ich leider nicht gesehen hatte, von dem ich aber viel Gutes zu hören bekam. Die Preisträger wurden von einer Fachjury bestimmt. Im Gegensatz dazu wurde auch noch ein Publikumspreis vergeben. Denn nach jeder besuchten Vorstellung hatte man die Möglichkeit, mittels Stimmzettel dem eben gesehenen Film eine Note von 1 (sehr gut) bis 4 (nicht so gut) zu erteilen. Mittels dieser Stimmzettel sollte dann der Publikumssieger ermittelt werden. Eine schöne Sache, bei der es allerdings einen kleinen Haken gab. Denn nicht bei jedem Film waren entsprechende Stimmzettel vorhanden! Die Rede von Manipulation machte die Runde. Ob es nur ein Missgeschick seitens der Veranstalter war oder ob hier bewusst manipuliert wurde, sei einmal dahingestellt. ORE KADAL wurde nach Ende des Festivals offiziell als Publikumssieger gekürt – und das bei mäßig besuchtem Film.

Nach Ende der Preisverleihung wurde dann noch der Abschlussfilm präsentiert: SHOOT ON SIGHT (1:1.85, DD 5.1). Regisseur Jag Mundhra (zusammen mit seinem Produzenten persönlich anwesend) inszenierte einen über weite Strecken spannend erzählten Politthriller, der in London spielt und Bezug nimmt auf die Erschießung eines zu unrecht als Terrorist verdächtigten Moslems. Naseeruddin Shah spielt den ermittelnden Scotland Yard Mann – und er macht seine Sache sehr gut. Leider zeigte das Drehbuch ein paar Schwächen, indem es manchmal zu sehr in Hollywood-Manier abrutscht, um seinen Suspense zu bekommen. Alles in allem aber ein sehenswerter Film.

Auch wenn (wie jedes Jahr) organisatorisch nicht alles perfekt ablief, so war ich persönlich mit dem Endergebnis mehr als zufrieden. Der Festivalbesuch hat großen Spaß gemacht und ich freue mich jetzt schon wieder auf “Bollywood and Beyond" 2009.

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