Wolfram Hannemann
Filmkritiker / Freelance Journalist / Filmemacher

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Freitag, 30. September 2011
Die feine Gesellschaft und eine Schachfigur
Eine nette kleine Komödie mit Tiefgang und eine Polit-Doku sollten meine Pressewoche heute abrunden.

NUR FÜR PERSONAL (1:1.85, DD 5.1)
OT: Les Femmes Du 6ème Éétage
Verleih: Concorde
Land/Jahr: Frankreich 2011
Regie: Philippe Le Guay
Darsteller: Fabrice Luchini, Sandrine Kiberlain, Natalia Verbeke
Kinostart: 03.11.2011

Man schreibt das Jahr 1962. In den großzügigen , alten Wohnhäusern in Paris hat sich die wohlhabende Gesellschaft eingenistet. Zu ihr gehören natürlich auch Dienstmädchen, die sich vom Frühstück zubereiten bis hin zum bewältigen der Bügelwäsche den ganzen lieben Tag um das Wohlergehen ihrer Herrschaft bemühen. Auch die Jouberts gehören zur Elite und haben seit über 25 Jahren eine französische Haushaltshilfe. Als die jedoch eines Tages die Stelle aufkündigt, bricht das Chaos aus. Eine neues Mädchen muss her. Inzwischen sind es jedoch keine Französinnen mehr, die jene Billiglohnjobs annehmen, sondern Spanierinnen, die dem Bürgerkrieg in der Heimat entflohen sind. Zusammengepfercht wohnen sie unter jämmerlichen Zuständen ganz oben unter dem Dach des Hauses – im sechsten Stock. Die Jouberts entscheiden sich für die junge Maria. Im Laufe der Zeit beginnt sich der Hausherr, ein Börsenmakler, für Maria zu interessieren. Und nicht nur für Maria. Auch die anderen Spanierinnen imponieren ihm durch die vollkommen andere Lebensweise. Bald schon beginnt er, deren Partei zu ergreifen... Mit NUR FÜR PERSONAL (im Original “Die Frauen aus dem sechsten Stock”) liefert Regisseur Philippe Le Guay eine schwungvolle Sommerkomödie, die zum Nachdenken anregt. Es geht darin nicht nur um wahre Liebe, sondern auch um Ausbeutung, gegenseitige Hilfe und das Leben im Allgemeinen. Wenn Jean-Louis Joubert (exzellent und äußerst zurückhaltend gespielt von Fabrice Luchini) immer mehr in die Welt der Armen eintaucht, lernt er erstmals, was richtiges Leben bedeutet. Trotz ihrem erbärmlichen Dasein wissen die Südländerinnen richtig zu feiern und das Leben zu genießen – etwas, was dem gut Betuchten in seiner Wohlstandswelt vollkommen abhanden gekommen zu scheint. Als Zuschauer verliebt man sich mit ihm gemeinsam in Marias (sehr hübsch: Natalia Verbeke) bezauberndes Lächeln. Wer das Kino nach diesem Film ohne ein Lächeln auf dem Gesicht verlässt, hat sich vermutlich schon längst vom Leben verabschiedet.

DER FALL CHODORKOWSKI (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: farbfilm (24 Bilder)
Land/Jahr: Deutschland 2010
Regie: Cyril Tuschi
Darsteller: Mikhail Khodorkovsky, Pavel Khodorkovsky, Marina Khodorkovskaya
Kinostart: 17.11.2011

Neben Putin und Medwedew dürfte er der zur Zeit prominenteste Russe sein: Michail Chodorkowski. Als Chef des russischen Ölkonzerns JUKOS wurde er zum reichsten Mann Russlands. Die Nachricht von seiner Verhaftung durch ein russisches Spezialkommando am 25. Oktober 2003 in Nowosibirsk verbreitete sich wie ein Lauffeuer und ging um die ganze Welt. Ging es hier tatsächlich um Steuerhinterziehung oder hatte die Verhaftung einen rein politischen Hintergrund? In seinem Dokumentarfilm versucht der Berliner Filmemacher Cyril Tuschi die Geschehnisse und deren Hintergründe aufzuarbeiten. Es ist ihm dabei gelungen, einige von Chodorkowskis engsten Mitarbeitern in ihren Exilen in Israel, England oder den USA aufzuspüren und sie vor der Kamera zu Wort kommen zu lassen. Nicht alle sind ihm wohl gesonnen. Einer gar findet es rücksichtslos von ihm, sich wissentlich in Russland verhaften zu lassen, da dadurch auch alle engen Vertrauten mit Konsequenzen rechnen müssen. Auch einige Politiker (darunter Ex-Außenminister Joschka Fischer) sowie Familienmitglieder werden von Tuschi zum Fall Chodorkowski befragt. Die vielen agierenden Personen machen es jedoch mitunter recht schwer, bei der Geschichte nicht den Faden zu verlieren. Erschwerend auch der Aufbau des Films, der immer wieder zwischen Events und Personen hin und her springt und manchmal das große Ganze vermissen lässt. Das ist wohl dem Versuch, die Politdoku als Thriller aufzuziehen, geschuldet. Wo entsprechendes Filmmaterial fehlt, wird dieses durch schwarzweiße Animationssequenzen ersetzt (wie z.B. die Verhaftung von Chodorkowski in seinem Privatjet). Immerhin gelingt es dem Regisseur, Chodorkowski höchstpersönlich hinter dem Glaskasten im Gerichtssaal vor die Kamera und das Mikrofon zu bekommen. Letztendlich erfährt man aber aus dem Film auch nicht mehr als bislang schon aus den Medien bekannt war. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit der Person Chodorkowskis findet nicht statt – Tuschis Film ist eindeutig pro Chodorkowski. Außer Frage steht jedoch, dass der Hauptgrund für seine Verhaftung politisch motiviert war. Hier geht es um den Machtkampf zwischen Putin und dem ehemaligen JUKOS-Chef, der inzwischen auch noch zu einer Schachfigur im Verhältnis zwischen Putin und Medwedew geworden ist.
Donnerstag, 29. September 2011
Zeitreise und Asperger
Dass richtig gute Filme aus Schweden kommen und nicht etwa aus deutschen Landen, stellte das heutige Double Feature unter Beweis.

FENSTER ZUM SOMMER (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Prokino (Fox)
Land/Jahr: Deutschland, Finnland 2011
Regie: Hendrik Handloegten
Darsteller: Nina Hoss, Mark Waschke, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt
Kinostart: 03.11.2011

Juliane ist grenzenlos glücklich. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund August tourt sie durch das sommerlich idyllische Finnland, um ihren Vater zu besuchen. Als sie jedoch eines Morgens aufwacht, liegt sie wieder in ihrem Bett in Berlin. Es ist Winter. Mehr noch: ihr Ex-Freund Philipp ist bei ihr. Ganz allmählich wird Juliane erst klar, was passiert sein muss: sie hat eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit unternommen! Die erste Begegnung mit August ist noch gar nicht passiert – und auch nicht der grauenvolle Unfall ihrer Kollegin Emily, der genau an jenem Tag passieren wird, an dem Juliane ihrer großen Liebe begegnet... Gibt es für das Schicksal immer eine zweite Chance? Oder gar für die Liebe? Diesen Fragen spürt Hendrik Handloegten in seinem Film nach, der eigentlich gut eine Episode der TWILIGHT ZONE hätte sein können. Allerdings ist der Film etwas holprig inszeniert und es mangelt an wirklich überzeugenden Darstellern. Alles wirkt hier irgendwie gekünstelt. Aus der Grundidee hätte man einen richtig spannenden Film machen können, aber vermutlich ist man noch nicht überall in Deutschland bereit für eine Science-Fiction-Geschichte mit Love Story Hintergrund.

IM WELTRAUM GIBT ES KEINE GEFÜHLE (1:1.85, DD 5.1)
OT: I Rymden Finns Inga Känslor
Verleih: Arsenal
Land/Jahr: Schweden 2010
Regie: Andreas Öhman
Darsteller: Bill Skarsgård, Martin Wallström, Cecilia Forss
Kinostart: 24.11.2011

Wenn er etwas hasst, dann sind es Veränderungen. Simons Leben ist fast sekundengenau eingeteilt – Tag für Tag. Denn er leidet am Asperger-Syndrom, einer leichten Variante von Authismus. Weil seine Eltern damit komplett überfordert sind, lebt er bei seinem Bruder Sam und dessen Freundin Frida. Eines Tages jedoch wird es Frida zu anstrengend, mit Simon unter einem Dach zu leben und sie beschließt auszuziehen. Doch damit bricht der exakt geplante Tagesablauf komplett zusammen. Damit alles wieder seinen gewohnten Gang gehen kann, beschließt Simon, seinem Bruder eine neue Freundin zu besorgen – mit mathematisch präzisen Methoden natürlich... Nach anfänglichen Startschwierigkeiten (der Filmverleih meinte, uns den Film bedauerlicherweise von Blu-ray zeigen zu müssen!) entpuppte sich Andreas Öhmans Film als eine fabelhaft skurrile, aber auch gefühlvolle Komödie mit wunderbaren Darstellern. Der Film nimmt dabei die Perspektive des Asperger-geplagten Simon ein und verdeutlicht dessen Denkweise anhand vieler netter Regieeinfälle. So werden immer wieder mathematische Zeichnungen dem Bild überlagert, die zeigen, wie Simon beispielsweise beim Basketballspiel vorgeht. Der Aspergerpatient wächst einem dabei richtig ans Herz. Romantikkomödien mag er nicht, sieht aber sehr gerne Weltraumfilme und kann auf die Sekunde genau die Spielzeit von Kubricks 2001 aufsagen. Spätestens hier dürfte beim filmbegeisterten Zuschauer Freude aufkommen! Der in seiner Machart an den schwedischen Film SMALA SUSIE erinnernde Film wurde von Schweden im vergangenen Jahr für den Auslands-Oscar ins Rennen geschickt. Unbedingt anschauen.
Mittwoch, 28. September 2011
Rocky mit Robotern
Freunde des Boxkampfsportfilms aufgepasst: die neuen “Rocky” bestehen aus Stahl und haben HighTech-Elektronik in ihrem Inneren.

REAL STEEL (1:2.35, DD 5.1 + DD 7.1)
OT: Real Steel
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: USA, Indien 2011
Regie: Shawn Levy
Darsteller: Hugh Jackman, Dakota Goyo, Evangeline Lilly
Kinostart: 03.11.2011

In einer nicht allzu fernen Zukunft gibt es keine Boxkämpfe mehr zwischen richtigem Menschen. Jetzt treten gigantische, von Menschenhand gesteuerte Roboter im Ring gegeneinander an. Charlie Kenton, ehemals selber ein Boxer, hoch verschuldet und abgewrackt, beteiligt sich mit seiner Maschine aus Stahl mehr schlecht als recht an solchen Boxwettbewerben. Weil seine Ex-Frau gestorben ist, muss er sich eines Tages plötzlich seines 11jährigen Sohnes Max annehmen, den er seit dessen Geburt nicht mehr gesehen hat und dessen Tante inzwischen das Sorgerecht hat. Er nimmt Max mit zu den Wettkämpfen. Der Computerspielefreak findet das großartig. Bald schon hat Max seinen eigenen Box-Roboter, Atom. Wider Erwarten erringt der auch noch Siege... Regisseur Shawn Levy gibt gerne zu, dass er begeisterter Fan der ROCKY-Filme ist. Kein Wunder also, wenn man sich bei REAL STEEL ständig an die Stallone-Filme erinnert fühlt. Und das ist keinesfalls negativ gemeint. Ganz im Gegenteil. REAL STEEL liefert genau das, was man erwartet: gute Action, tolle Effekte und Außenseiter, die am Ende einen verdienten Sieg erreichen. In den mit viel Emotionen und Pathos angereicherten Film packt Levy aber auch noch eine berührende Vater-Sohn-Geschichte, die den Zuschauer an die Charaktere bindet und ihn bis zum Schluss mitfiebern lässt: wird Charlie um seinen Sohn genauso kämpfen wie Atom gegen den übermächtigen Zeus? REAL STEEL ist packend inszeniertes Mainstream-Kino, bei dem man gut abschalten kann. Damit das Adrenalin so richtig hochkochen kann, hat Danny Elfman einen pasenden Score dazu geliefert, der mitunter stark an Ennio Morricones Hauptthema aus THE UNTOUCHABLES erinnert. Vermutlich haben die Filmemacher die Rohschnittfassung des Films mit diesem Thema unterlegt.
Dienstag, 27. September 2011
Zwei Rabauken und eine Tochter mit geistig behindertem Vater
Mein heutiges Filmmenü bestand aus der Verfilmung eines altbekannten Jugendromans und einer Dramödie aus Stuttgart.

TOM SAWYER (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Majestic (Fox)
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Hermine Huntgeburth
Darsteller: Louis Hofmann, Leon Seidel, Heike Makatsch
Kinostart: 17.11.2011

Wenn Tom Sawyer nicht gerade seiner Tante Polly helfen muss, streift er mit seinem besten Kumpel Huckleberry Finn durch die Gegend und ist zu jedem Schabernack bereit. Eines Tages aber beobachten die beiden zufällig einen Mord, den der böse Indianer-Joe begeht und einem harmlosen Säufer in die Schuhe schiebt. Zwar hatten die beiden Freunde sich gegenseitig geschworen, niemandem davon zu erzählen, doch Tom möchte den zu unrecht Verdächtigten vor dem Galgen retten und sagt vor Gericht die Wahrheit. Jetzt muss sich Tom nicht nur vor der Rache des Indianer-Joe fürchten, sondern muss auch noch seinen besten Freund wiedergewinnen. Das ist alles schwieriger als gedacht, zumal ihm auch noch die süße Becky nachsteigt... Vermutlich wurde kein Jugendroman so oft verfilmt wie Mark Twains Geschichten über Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Jetzt also versucht sich Hermine Huntgeburth an dem Stoff. Und sie macht ihre Sache ganz gut. Aus Kostengründen wurden die Außenaufnahmen zwar in Rumänien gedreht und nicht an den Originalschauplätzen im Mississippi-Delta, doch das fällt überhaupt nicht ins Gewicht. Für die Besetzung der Kinderrollen hat sie zwei Burschen gefunden, denen Tom und Huck auf den Leib geschrieben sind. Louis Hofmann und Leon Seidel sind mit viel Spaß bei der Sache. Auch einen richtigen Bösewicht mit Zinkennase hat sie gecastet: Benno Fürmann verkörpert den Indianer-Joe perfekt. Eigentlich schon zu perfekt, denn kleine Kinder werden sich vor ihm sicherlich fürchten. Wie auch vor vielen anderen Szenen, die mit der gewünschten Altersfreigabe ab 6 Jahren meiner Meinung nach nicht in Ordnung gehen. So werden beispielsweise Toms Alpträume richtig gruselig visualisiert. Oder die klaustrophobische Stimmung, wenn Tom und Becky verzweifelt nach dem Ausgang aus einer Höhle suchen. Solche Szenen wenden sich an Zuschauer ab 8 Jahren. Die werden dann aber ganz sicher spannende Kinominuten genießen können und sich bereits auf den am Ende des Abspanns beworbenen Fortsetzungsfilm freuen, der 2013 in die Kinos kommen wird.

EINER WIE BRUNO (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: Movienet (24 Bilder)
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Anja Jacobs
Darsteller: Christian Ulmen, Lola Dockhorn, Lucas Reiber
Kinostart: 12.04.2012

Am liebsten möchte die 13jährige Radost ihr Privatleben geheimhalten. Ihre Mutter ist schon vor langer Zeit gestorben. Jetzt lebt sie zusammen mit ihrem Vater in einem riesigen Wohnblock. Doch ihr Vater ist nicht wie andere Väter: Bruno Markowitsch ist geistig behindert. Ständig übt sie mit ihm Dialoge ein, damit das Jugendamt die beiden nicht trennen kann. Doch Radosts beginnende Pubertät wird zu einem Problem. Sie möchte sich nicht ständig um ihren Vater kümmern müssen, sondern ihre eigenen Freiräume haben. Einer der Freiräume ist ihr Mitschüler Benny, dem sie Nachhilfe in Mathe gibt. Der Hobbymusiker hat es ihr angetan. Entgegen allen bisherigen Abmachungen geht sie schließlich mit ihrer Klasse zusammen ins Schullandheim – in der Hoffnung, ihren Vater entsprechend versorgt zu haben. Doch so einfach ist das nicht... Hätte mich das Presseheft nicht eines Besseren belehrt, hätte ich auf einen Debütfilm getippt. Doch Regisseurin Anja Jacobs hat bereits zwei andere Langfilme in ihrem Portfolio. Nichtsdestotrotz stimmt in diesem Film das Timing nicht immer. So gibt es da eine Szene, in der Bruno im Kino sitzt und Filme schaut, während Radost mit Benny zusammen in dessen Garten seinen Vater bei der Gartenarbeit beobachten. Zwischen den beiden Einstellungen wird nicht nur einmal hin- und hergeschnitten, sondern mindestens drei- oder viermal. Die Sequenz wird dadurch viel zu lang. Wiederholungen bedeuten nicht zwangsläufig, dass eine Szene dadurch besser wird. Kurz vor Ende des Films gibt es dann eine Szene, in der Bruno in eine Kneipe geht. Dort findet er seine Arbeitskollegen dumpfbackig und saufend um einen Tisch herum sitzend. Diese Szenerie wirkt extrem surreal – so als wäre sie direkt einem Drehbuch entsprungen. Sie ist viel zu künstlich. Immerhin aber beweist Anja Jacobs in ihrem zwischen Drama und Komödie pendelnden Film, dass sie eine gutes Gespür für Schauspieler hat. So ist speziell Lola Dockhorn als Radost eine Offenbarung. Christian Ulmen als ihr Vater (vom Arbeitskollegen nur “Forrest” genannt in Anspielung auf Tom Hanks) setzt seiner gewohnt witzig-unsicheren Art noch eines drauf und übertreibt fast schon ein bisschen, um den geistig Behinderten zu mimen. Sozusagen etwas “over the top”, was letztendlich aber den Komödiencharakter des sonst ernsten Stoffes ausmacht. Insgesamt hätte der in der Region Stuttgart entstandene Film gerne eine Viertelstunde kürzer sein dürfen.
Montag, 26. September 2011
Rockstar jagt Nazi-Verbrecher
Angesichts des faszinierenden Films der ersten Pressevorführung in dieser Woche kann ich mir nicht vorstellen, dass noch etwas Besseres folgt!

CHEYENNE – THIS MUST BE THE PLACE (1:2.35, DD 5.1)
OT: This Must Be The Place
Verleih: Delphi
Land/Jahr: Italien, Frankreich, Irland 2011
Regie: Paolo Sorrentino
Darsteller: Sean Penn, Frances McDormand, Judd Hirsch, Harry Dean Stanton, David Byrne
Kinostart: 10.11.2011

Er schminkt und kleidet sich nach wie vor so, als wäre er weiterhin der ungekrönte König des Goth-Rocks. Cheyenne ist mittlerweile 50 und hat seine Glanzzeit schon lange hinter sich, nicht aber seinen Ruhm. Der Freitod zweier durch seine Musik dazu inspirierter Teenager hat ihn die Karriere gekostet. Jetzt lebt er zusammen mit seiner Frau in einer Villa in Dublin und pendelt zwischen extremer Langeweile und tiefer Depression. Die Nachricht vom nahenden Tod seines Vaters führt ihn schließlich wieder nach Amerika. Seit 30 Jahren hat er den alten Herrn nicht mehr gesprochen. Doch es ist zu spät. Bei seiner Ankunft ist der Vater bereits tot. Als er von dessen Besessenheit erfährt, sich für die Demütigungen, die ihm im KZ in Auschwitz widerfahren sind, zu rächen, beschließt er die Suche seines Vaters nach dem Nazi-Verbrecher fortzusetzen. Ein bizarrer Road-Trip durch die USA beginnt... Genau zwei Dinge werden sich dem Betrachter weit über das Ende des Films hinaus einprägen. Da wäre zum Einen Sean Penns faszinierendes Spiel, das den Mut zur Langsamkeit neu definiert. Selten hat man eine Filmfigur gesehen, die nicht nur ausgesprochen langsam redet, sondern sich auch entsprechend langsam bewegt. Man hat fast das Gefühl, der Ex-Rocker schwebt durch den Film. Zum Anderen fesselt der Film durch die beeindruckende Kameraarbeit von Luca Bigazzi. Seine CinemaScope-Kamera ist fast ständig in Bewegung. Doch im Gegensatz zu dem Handkameragewackel zeitgenössischer Filme stört die immer währende Bewegung überhaupt nicht, sondern lässt den Eindruck einer sanft schwebenden Kamera entstehen. Auch hält Bigazzi ständig neue, faszinierende Perspektiven bereit und vermeidet dadurch das Aufkommen von Langeweile. Ob man der surreal wirkenden Handlung nun folgen kann oder nicht ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Denn angesichts des brillanten visuellen Konzepts und Penns Zelebrieren der Langsamkeit versinkt man unweigerlich in dem Film, der seine 118 Minuten Spielzeit im Handumdrehen abspult.
Freitag, 23. September 2011
Johnny Go Home
Eigentlich schade, dass die Presse-Woche ausgerechnet mit einem Mega-Langweiler enden musste.

JOHNNY ENGLISH – JETZT ERST RECHT (1:2.35, DD 5.1)
OT: Johnny English Reborn
Verleih: Universal
Land/Jahr: Großbritannien 2011
Regie: Oliver Parker
Darsteller: Rowan Atkinson, Gillian Anderson, Dominic West, Rosamund Pike
Kinostart: 06.10.2011

Nach Jahren der Klausur in einem tibetischen Kloster wird der MI:7 Agent Johnny English wieder für einen neuen Job rekrutiert. Widerwillig eigentlich. Denn der Tolpatsch hatte seinen letzten Auftrag voll in den Sand gesetzt und wurde deshalb in den langen Urlaub geschickt. Nun soll er herausfinden, ob tatsächlich ein Attentat auf den chinesischen Premierminister geplant ist und soll dieses gegebenenfalls verhindern. Zusammen mit einem Jungspund von Agenten führt ihn sein Weg erst einmal nach Hong Kong, wo ein Informant auf ihn wartet. Doch der ist schon bald tot... Viele Jahre nach dem ersten JOHNNY ENGLISH Film versucht sich Rowan Atkinson an einer Neuauflage des Stoffes. Wie schon im ersten Film so werden auch hier wieder die James Bond Filme durch den Kakao gezogen. So hat jetzt auch English wie bereits Filmkollege 007 einen weiblichen Boss (gespielt von Gillian Anderson alias “Scully”), der ihm sagt, wo’s langgeht. Dass das bei English nichts nützt, ist natürlich den Zuschauern hinreichend bekannt. Den Zuschauern ist auch vieles andere längst hinreichend bekannt. Denn beim neuen Film stimmt das Timing der Gags ganz und gar nicht. Das führt dazu, dass der Zuschauer stets weiß, welcher Gag als nächstes abgespult wird. Keine Überraschungsmomente! Der Film entpuppt sich auf diese Art und Weise relativ schnell als eine neue Definition von Langeweile. Nicht einmal das Minenspiel von Rowan Atkinson kann die gähnende Leere füllen. Es gibt nur ein oder zwei Gags, die relativ gut gelungen sind. In einem davon überwältigt Johnny English eine Großmutter in dem Glauben, sie sei eine Profikillerin. Gegen Ende des Films wird dieser Gag dann in einer kleinen Variation nochmals recycelt. Überhaupt gibt es eine ganze Reihe von Passagen, die nur von Wiederholungen leben. Etwas einfallsreicher hätte man sich das Drehbuch schon gewünscht! Die einzige Ebene, auf der der Film funktioniert, ist die Musik. Die parodiert die James-Bond-Scores par excellence. Das hätte man sich vom Rest auch gewünscht. Abschließend noch eine technische Anmerkung: das uns gezeigte deutsch synchronisierte DCP hatte meiner Meinung nach einen Tonfehler. Sehr oft waren die für den Mittenkanal gedachten Dialoge verhallt auch über die Surroundlautsprecher zu hören, wodurch die Sprachverständlichkeit reduziert wurde.
Donnerstag, 22. September 2011
Romanze trifft auf Tanzbein
Zwei amerikanische Vertreter des Mainstream-Kinos wollten mich heute unterhalten. Haben sie es geschafft?

ZWEI AN EINEM TAG (1:2.35, DD 5.1)
OT: One Day
Verleih: Tobis
Land/Jahr: USA 2011
Regie: Lone Scherfig
Darsteller: Anne Hathaway, Jim Sturgess, Patricia Clarkson
Kinostart: 03.11.2011

Seit jener durchzechten Nacht im Anschluss an den Uni-Abschluss 1988, in der Emma und Dexter zwar Sex haben wollten, sich aber dann für das reine Kuscheln entschieden, sind die beiden beste Freunde. Spätestens an ihrem Jahrestag hören die beiden voneinander – Jahr für Jahr. Als Emma klar wird, dass sie sich in Dexter verliebt hat, ist der mittlerweile zu einem wahrhaftigen Kotzbrocken mutiert, der absolut nicht anbrennen lässt. Es wird Jahre dauern, bis die beiden zueinander finden... Regisseurin Lone Scherfig inszenierte die Romantikkomödie nach dem Bestseller von David Nicholls. Jim Sturgess und vor allem Anne Hathaway überzeugen als Paar, das zunächst keines sein möchte, aber sich dennoch immer wieder gegenseitig anzieht. Kameramann Benoit Delhomme liefert herrliche Bilder aus Schottland, England und Frankreich, wo sich die Geschichte zuträgt. Und Rachel Portmans Filmmusik funktioniert einmal mehr als perfektes Bindeglied zwischen Optik und Gefühl. Der sich über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren erstreckende Film zeigt immer wieder den 15. Juli, den Jahrestag von Emma und Dexter. Angezeigt wird dies durch raffiniert in das Bild integrierte, hübsch anzusehende Datumseinblendungen. Bis auf das Ende des Films, das etwas zu lange geraten ist, empfiehlt sich ZWEI AN EINEM TAG als schönes Date-Movie. Aber Vorsicht: die integrierte Tragik könnte ein paar Tränen auf die Wangen zaubern.

FOOTLOOSE (1:2.35, DD 5.1)
OT: Footloose
Verleih: Paramount
Land/Jahr: USA 2011
Regie: Craig Brewer
Darsteller: Dennis Quaid, Kenny Wormald, Julianne Hough, Kim Dickens, Andie MacDowell
Kinostart: 20.10.2011

Nach dem Tod seiner Mutter kommt der junge Ren in ein kleines Provinznest, um bei seinem Onkel zu leben. Dumm nur, dass in der Gemeinde das Tanzen seit dem tragischen Unfalltod einiger Schüler polizeilich verboten ist. Denn Ren kann nicht nur Autos reparieren, sondern ist auch ein hervorragender Tänzer. Kein Wunder, dass Pastorentochter Ariel ein Auge auf den Neuling wirft und ihrem bisherigen Lover den Laufpass gibt. Das ruft nicht nur den Ex auf den Plan, sondern auch den Reverend, der seine Tochter unter schlechten Einfluss geraten sieht... Fast 30 Jahre ist es her, seit Kevin Bacon und Lori Singer unter Regie von Herbert Ross das Tanzbein schwangen und FOOTLOOSE zu einem der erfolgreichsten Musikfilme der Achtziger machten. Jetzt also beschert uns Paramount ein Remake und man fragt sich warum. Denn die Story von der kleinen Gemeinde, in der nicht mehr getanzt werden darf, passt überhaupt nicht mehr in ein Zeitalter, in dem es iPods und Internet gibt. Passender wäre es gewesen, das Remake ebenfalls in den achtziger Jahren anzusiedeln. Dafür spricht auch die Tatsache, dass gleich zwei der Songs aus dem Original auch in der Neuauflage des Films ertönen. Tanztechnisch gibt es im Remake nicht viel zu holen. Zu einfallslos bleibt hier die Inszenierung. Nicht einmal tontechnisch vermag der Film zu überzeugen. Hier wünschte man sich weit mehr Dynamik. Denn wenn die Musik aus den Kinoslautsprechern nicht richtig fetzt, hat ein Musikfilm eigentlich schon verloren.
Mittwoch, 21. September 2011
Welt ohne Sonne
Schon der zweite 3D-Film in dieser Woche. Und einer, den ich schon kannte, aber gerne nochmals geschaut habe.

DIE HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME (1:1.85, 3D, 5.1)
OT: Cave Of Forgotten Dreams
Verleih: Ascot Elite (24 Bilder)
Land/Jahr: USA, Frankreich, Deutschland, Kanada 2010
Regie: Werner Herzog
Darsteller: Werner Herzog, Dominique Baffier, Jean Clottes
Kinostart: 03.11.2011

Mit einer vom französischen Kultusministerium ausgestellten Erlaubnis sowie extrem hohen Auflagen durfte Filmemacher Werner Herzog mit einer kleinen Filmcrew die berühmte Chauvet-Höhle in Frankreich betreten. Berühmtheit erhielt die in den neunziger Jahren entdeckte Höhle durch ihre einzigartigen Höhlenmalereien, die weit über 30.000 Jahre alt sind. In seinem Film dokumentiert Herzog nicht nur die Höhlenbegehung, sondern lässt auch Wissenschaftler zu Wort kommen, die sich der Erforschung dieser Höhle verschrieben haben. Entstanden ist dadurch ein außergewöhnliches Dokument, das an zusätzlichem Reiz durch die verwendete 3D-Technik gewinnt. Da niemand befugt ist, die Höhle zu betreten, erhält man als Zuschauer durch diesen Film sozusagen dreidimensionalen Zutritt zu diesem Naturdenkmal. Gewöhnungsbedürftig sind allerdings Herzogs Kommentare aus dem Off, die manchmal etwas zu entgleiten scheinen und gar zu philosophisch geraten und vom Sprachduktus etwas zu aufgesetzt ehrfurchtsvoll klingen. Wenn er in seinem Postskript darüber grübelt, was wohl Albino-Alligatoren über die Wandmalereien denken werden, wenn sie die Höhle, die nicht unweit von ihrem künstlich subtropischen Revier liegt, in naher Zukunft erreichen werden, wird er vermutlich die Zuschauer zu unfreiwilligen Lachern animieren. Nichtsdestotrotz ist Herzogs Film ein Muss für Höhlenfans.
Dienstag, 20. September 2011
Konzert und Pubertät
Meine Pressewoche eröffnete mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker, um dann mit einem britsichen Spielfilm zu Hochform aufzulaufen.

BERLINER PHILHARMONIKER IN SINGAPUR – A MUSICAL JOURNEY IN 3D (1:1.85, 3D, 5.1)
Verleih: NFP (Warner)
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Michael Beyer
Kinostart: 20.10.2011

Regisseur Michael Beyer dokumentiert in seinem Film ein Konzert der Berliner Philharmoniker, den das weltbekannte Orchester unter Leitung von Sir Simon Rattle während einer Tournee in Singapur vor ausverkauftem Saal gab. Zur Aufführung kommen Mahlers “Sinfonie Nr. 1” sowie Rachmaninovs “Sinfonische Tänze” jeweils in voller Länge. Was für Klassikliebhaber möglicherweise als Pflichtbesuch gilt, dürfte für Normalos schnell zur Ernüchterung führen: der Konzertfilm unterscheidet sich von einer der gängigen Fernsehkonzertausstrahlungen nur darin, dass er in 3D aufgenommen wurde. Nicht etwa, dass diese Bildtechnik irgend jemand brauchen würde, lenkt sie doch einfach zu sehr von der Musik ab. Auch lässt die Bildqualität erheblich zu wünschen übrig. Speziell die während des Rachmaninov-Werkes eingestreuten Bilder aus Singapur sind extrem kontrastarm und ermüden dadurch das Auge sehr schnell. Besser beraten ist der, der jetzt einfach die 3D-Brille abnimmt, die Augen schließt und nur noch der Musik lauscht. Verpassen tut man dabei nichts. Denn die Singapur-Bilder, die die Filmemacher als eine Metapher zu Rachmaninovs Musik liefern, entbehren Originalität und erinnern an die grandiosen Bilder aus KOYAANISQATSI, von dessen Qualität sie allerdings Lichtjahre entfernt sind. Mein Fazit: Fernsehkonzerte gehören ins Fernehen und nicht auf die Kinoleinwand – und schon gar nicht im 16x9-Format!

SUBMARINE (1:1.85, DD 5.1)
OT: Submarine
Verleih: Kool
Land/Jahr: Großbritannien 2010
Regie: Richard Ayoade
Darsteller: Noah Taylor, Paddy Considine, Craig Roberts, Yasmin Paige, Sally Hawkins
Kinostart: 17.11.2011

Oliver Tate ist ein in sich gekehrter Teenager, dem das Leben in der Schule durch die Mitschüler sehr schwer gemacht wird. Er ist schlichtweg das perfekte Mobbing-Opfer. Als er sich heimlich in seine Schulkameradin Jordana verliebt, wächst der aus einem depressiven Elternhaus stammende Sonderling über sich hinaus und hilft seinen Mitschülern beim Mobben einer dicken Klassenkameradin. Jordana imponiert das und bandelt mit Oliver an. Doch einfach ist Olivers erstes Verliebtsein ganz und gar nicht. Schon gar nicht, wenn im selben Moment die Ehe seiner Eltern zu scheitern droht und Jordanas Mutter mit einem Hirntumor ins Krankenhaus muss... SUBMARINE ist eines der witzigsten Regiedebüts der letzten Zeit. Inszeniert wurde es von Richard Ayoade, einem begehrten Stand-Up-Komiker und Musikvideo-Regisseur. Vor grandioser walisischer Kulisse und zu einer nicht näher definierten Zeit (eine VHS-Cassette bringt die achtziger Jahre ins Spiel) feuert Ayoade ein wahres Feuerwerk an Einfällen ab, die so schnell nacheinander präsentiert werden, dass man mit Lachen und Schmunzeln fast gar nicht mehr Schritt halten kann. Wenn Oliver seiner Traumfrau im sterilen Flur der Schule begegnet, zeigt uns der Regisseur, was man mit Filmschnitt machen kann. Es dürfte eine der am besten montierten Sequenzen seit langer Zeit sein! Und dann noch diese wunderbaren Dialoge und Monologe, die er seine Protagonisten rezitieren lässt! Wenn Jordana das Kino bereits während der Endtitel verlässt und sich Oliver darüber empört und meint, dass das unhöflich gegenüber den Filmemachern sei, erwidert sie nur “Das kriegen die doch gar nicht mit”. Oliver allerdings beharrt: “Doch!”. SUBMARINE ist eine einzigartig skurrile Coming-of-Age Geschichte, deren Hauptfiguren hohes Identifikationspotenzial haben und es dadurch dem Zuschauer ermöglichen, in die Haut der einzelnen Personen zu schlüpfen und mit ihnen zu fühlen. Gut besetztes und flott inszeniertes britisches Kino vom Feinsten!
Dienstag, 13. September 2011
Techtelmechtel am Vorabend des Krieges
Die letzte Pressevorführung der Woche konfrontierte uns mit einem ungewöhnlichen Film.

CIRKUS COLUMBIA (1:2.35, DD 5.1)
OT: Cirkus Columbia
Verleih: Movienet (24 Bilder)
Land/Jahr: Bosnien und Herzegowina, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Slowenien, Belgien 2010
Regie: Danis Tanovic
Darsteller: Miki Manojlovic, Boris Ler, Mira Furlan
Kinostart: 20.10.2011

1991: Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs kehren ehemalige Gegner des kommunistischen Regimes wieder in ihr Land zurück. So auch Divko, der nach 20 Jahren in Deutschland wieder in seine Heimat Bosnien-Herzegowina zurückkehrt – in jenes Dorf, in dem er seinerzeit Frau und Sohn sitzen ließ. Den dicken Daimler und die junge, gutaussehende Azra an seiner Seite präsentiert er wie Trophäen und wirft mit Geld nur so um sich. Mit Hilfe loyaler Honoratioren lässt er Frau und Sohn aus seinem ehemaligen Haus ausweisen, um sich dort mit der neuen Geliebten einzurichten. Während der Balkankrieg immer näher zu kommen droht, funkt es zwischen Divkos Sohn Martin und Azra... In seinem Film (der übrigens komplett ohne Filmmusik auskommt) beleuchtet Regisseur Danis Tanovic das schwierige Mit- und Gegeneinander seiner Landsleute am Vorabend des großen Krieges. Der extrem egoistische Divko (hervorragend dargestellt von Miki Manojlovic) sinnt eigentlich nur auf Rache dafür, dass er seine Heimat verlassen musste und hat keinerlei Interesse an der jungen Geliebten oder seinem Sohn. Dafür sorgt er sich umso mehr um seine Katze Bonny, die sich aus dem Staub macht und fortan fast das ganze Dorf beschäftigt. Eine Aussprache zwischen Divko und seiner Ehefrau findet nicht statt, ebenso wenig die Scheidungsvorbereitung, die er seiner neuen Flamme versprochen hat. Martin ist hin- und hergerissen zwischen Vater und Mutter und kann seinen persönlichen Konflikt nur mit dem Techtelmechtel mit Azra lösen. Den von manchem Kritiker als “deftige, schwarze Komödie” beschriebenen Film habe ich persönlich nicht als solche empfunden. CIRKUS COLUMBIA ist letztlich ein deprimierendes Drama, dessen grausames Ende im Film nicht mehr gezeigt wird.
Montag, 12. September 2011
Söldnerkommando und Kinderphantasien
Beim heutigen Presse-Double-Feature prallten wieder einmal Welten aufeinander: ein actionreicher Film mit hohem Body Count wurde von einem Kindergartenfilm abgelöst.

KILLER ELITE (1:2.35, DD 5.1)
OT: Killer Elite
Verleih: Concorde
Land/Jahr: USA, Australien 2011
Regie: Gary McKendry
Darsteller: Jason Statham, Clive Owen, Robert De Niro
Kinostart: 27.10.2011

Eigentlich hat sich der Elite-Söldner Danny schon lange aus dem Geschäft mit dem Töten zurückgezogen, als ihn der Hilferuf seines Freundes und Mentors Hunter erreicht. Der nämlich wird von einem Ölscheich als Geisel gehalten. Um ihn zu befreien, soll Danny im Auftrag des Scheichs jene drei Elitesoldaten töten, die für den Tod seiner Söhne verantwortlich sind. Danny bleibt nicht anders übrig als einzuwilligen. Dumm nur dass die drei Opfer in spe der britischen Eliteeinheit SAS angehören. Kein leichtes Spiel für den hartgesottenen Danny... Der Anfang der achtziger Jahre angesiedelte Film basiert auf dem umstrittenen Tatsachenroman “The Feather Men” von Ranulph Fiennes. Die Guten sind dabei nicht nur gut, sondern auch böse. Insbesondere dann, wenn man einmal der SAS angehörte und auch nach dem offiziellen Austritt weiterhin die Geschicke der Welt lenken möchte. Gary McKendrys Film ist ein maßgeschneidertes Produkt für Action-Star Jason Statham. Hier dominieren waghalsige Stunts und drängen die visuellen Effekte deutlich in den Hintergrund. Aber das ständige in und Her zwischen den europäischen und den arabischen Schauplätzen sowie die Vielzahl an agierenden Elitekämpfern dürfte schnell zur Überforderung des auf Action abonnierten Zuschauers führen. Zudem wirkt die integrierte Love Story zu aufgesetzt, da komplett überflüssig.

LAURAS STERN UND DIE TRAUMMONSTER (1:1.85, 3D, DD 5.1)
Verleih: Warner
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Ute von Münchow-Pohl, Thilo Graf Rothkirch
Kinostart: 13.10.2011

Als ihr kleiner Bruder Tommy seinen Spielzeughund ausgerechnet im dunklen Keller verliert, nervt er Laura so lange, bis sie ihm hilft das Spielzeug wieder zu bekommen. Mit Hilfe von Lauras hell strahlendem Stern driften die beiden im Traum durch Phantasiewelten, bis sie schließlich an einem Ort ankommen, an dem der Spielzeughund von fiesen Monstern gefangen gehalten wird. Der Animationsfilm richtet sich speziell an ganz kleine Kinder, die hier lernen können, dass man im Keller keine Angst haben muss. Die extrem kurze Laufzeit von nur 65 Minuten und die Einfachheit der Bilder sorgen für eine kindgerechte Aufbereitung des Themas. Aufgrund technischer Probleme mit dem DCP wurde uns der Film in der heutigen Pressevorführung nur in einer zweidimensionalen Fassung präsentiert. Der Film wird im Oktober regulär als 3D-Version zu sehen sein.

Nachtrag 21.09.2011: der deutsche Filmverleiher hatte sich dazu entschlossen, die Pressevorführung zu wiederholen – dieses Mal in 3D. Das hat dann auch alles soweit funktioniert. Jedoch war ich sehr enttäuscht. Aufgrund meines Augenfehlers konnte ich gar nichts dreidimensional wahrnehmen. Für mich ein klares Indiz dafür, dass der Film nur mit räumlicher Tiefenwirkung arbeitet und auf plumpe “Alles fliegt dir um die Ohren”-Effekte verzichtet. Die 3D-Präsentation würde ich daher als kindgerecht einstufen. Mein Dankeschön gilt dem Filmverleih für seine Mühe!
Sonntag, 11. September 2011

Es ist vollbracht: knapp und bündig mein persönlicher Rückblick auf das
Fantasy Filmfest #25
Freitag, 09. September 2011
Telefonsex und ein Türkenmädchen
Das letzte Filmdoppel in dieser Woche präsentierte sich als eine rein deutsche Angelegenheit.

EINE GANZ HEISSE NUMMER (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Universum (Walt Disney)
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Markus Goller
Darsteller: Bettina Mittendorfer, Gisela Schneeberger, Rosalie Thomass
Kinostart: 27.10.2011

Die Wirtschaftskrise ist schuld daran, dass der kleine Tante-Emma-Laden von Waltraud, Maria und Lena alles andere als gut läuft. Das gilt eigentlich auch für alles andere in der kleinen Dorfgemeinschaft von Marienzell im Bayerischen Wald, deren größte Einnahmequelle, die Glasmanufaktur, keine Aufträge mehr hat. Jetzt droht auch noch die Bank damit, das kleine Lebensmittelgeschäft zu pfänden. Eine Idee muss her. Und da mit Sex offensichtlich immer großes Geld zu machen ist, hat Waltraud eine Eingebung: sie schlägt Maria und Lena vor, ins Telefonsexgeschäft einzusteigen. Keine leichte Sache in einer Gemeinde, in der die katholische Kirche alles sieht und hört. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten spült das Stöhnen an der Ohrmuschel jede Menge Geld in die klamme Kasse... Nachdem Markus Goller im vergangenen Jahr mit FRIENDSHIP! einen fulminanten Kinostart absolviert hatte, waren die Erwartungen an seinen neuesten Film entsprechend hoch. Und sie wurden herb enttäuscht. Von der faszinierenden Bild- und Tongestaltung seines Debütfilms ist hier gar nichts mehr zu spüren. Einzig das 1:2.35-Bildformat unterscheidet EINE GANZ HEISSE NUMMER von einem konventionellen Dienstagabend-TV-Film. In dem sehr an DIE HERBSTZEITLOSEN erinnernden Film gibt es nur ganz wenige gelungene Gags (z.B. ist der Dorfpfarrer restlos begeistert vom neuen Entwurf der Kreuzigung Christi, der ein Fenster des Regensburger Doms schmücken soll!) und so plätschert der Film auf seichtem Niveau von einer Szene zur nächsten. Einzig die Schauspieler sind gut ausgesucht und sorgen dafür, dass man dann doch bis zum Ende ausharrt. Fazit: gehört nicht ins Kino, sondern ins Fernsehen.

DREIVIERTELMOND (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Majestic (Fox)
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Christian Zübert
Darsteller: Elmar Wepper, Mercan-Fatima Türköglu, Marie Leuenberger
Kinostart: 13.10.2011

Hartmut Mackowiak ist ein grantiger alter Mann. Seit ein paar Wochen lebt seine Frau getrennt von ihm, einzig die gemeinsame Tochter fungiert noch als Bindeglied zwischen den beiden. Seinen Lebensunterhalt bestreitet Hartmut als Taxifahrer in Nürnberg. Da geschieht es, dass er sich plötzlich um das 6-jährige Türkenmädchen Hayat kümmern muss, deren Mutter sich beruflich auf großer Kreuzfahrt befindet und deren Oma im Koma liegt. Hartmut begegnet dem kleinen nicht Deutsch sprechenden Mädchen zunächst mit Vorurteilen und möchte sie eigentlich so schnell wie möglich wieder loswerden. Doch je länger Hayat bei ihm ist (im Taxi oder auch zuhause), desto mehr wächst sie ihm ans Herz – ob er es wahrhaben möchte oder nicht. Der vor der schönen Stadtkulisse Nürnbergs entstandene Film ist ein schönes Beispiel dafür, dass auch ohne großen Aufwand und mit einer ganz simplen Geschichte Emotionen erzeugt werden können. Wenn Mercan-Fatima Türköglu alias Hayat das Herz des Taxifahrers (brillant: Elmar Wepper) für sich gewinnt, dann freut man sich auch als Zuschauer. Und man freut sich nicht nur für das kleine Mädchen, sondern auch für den mürrischen Hartmut, lernt er doch durch Hayat wieder Freude am Leben zu haben. Übrigens ist der Name des Mädchen nicht von ungefähr Hayat. Die Übersetzung ihres Namens ins Deutsche bedeutet “Leben”. DREIVIERTELMOND ist eine schön erzählte, unspektakuläre, dafür aber sehr gefühlvolle Geschichte.
Donnerstag, 08. September 2011
Alte Bekannte
Mein heutiges Fazit? Kein guter Kinotag...

I’M NOT A F**KING PRINCESS (1:2.35, DD 5.1)
OT: My Little Princess
Verleih: X Verleih (Warner)
Land/Jahr: Frankreich 2011
Regie: Eva Ionesco
Darsteller: Isabelle Huppert, Anamaria Vartolomei, Georgetta Leahu
Kinostart: 27.10.2011

Die minderjährige Violette lebt mit ihrer Mutter Hannah und ihrer Urgroßmutter im Paris der siebziger Jahre. Die drei leben am Existenzminimum und wären ohne die Zuwendung eines befreundeten Kunstmalers nicht überlebensfähig. Eines Tages beschließt Hannah als Fotografin ihr Glück zu versuchen. Eher durch Zufall beginnt sie damit, ihre Tochter als Modell einzusetzen. Erste Erfolge ermutigen Hannah einen Schritt weiterzugehen. In pompösen Dekorationen inszeniert sie Violetta in immer gewagteren Posen vor ihrer Linse. Schon bald werden ihre Bilder von der verführerischen Lolita kontrovers diskutiert und führen dazu, dass Violetta in der Schule ausgegrenzt wird. Als Violetta klar wird, dass sie von ihrer Mutter schamlos ausgenutzt wird, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen, beginnt sie vehement gegen die Mutter zu rebellieren... Mit ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm versucht sich Eva Ionesco offensichtlich an einer Traumabewältigung aus ihrer eigenen Kindheit. Denn in den siebziger Jahren wurde sie als kindliches Aktmodell von ihrer Mutter vermarktet und sorgte damit für heftige Kontroversen in der Gesellschaft. Der mit Sicherheit interessante Stoff jedoch schlägt sich in einem Film wieder, der trotz 104 Minuten Laufzeit gefühlte vier Stunden dauert! Szenen werden oftmals nur als Fragmente geliefert und lassen den Zuschauer damit im Regen stehen. Dann gibt es nicht enden wollende Diskussionen zwischen Mutter und Tochter, in denen nur noch geschrien wird. Und als ob es damit noch nicht genug wäre, stellt Frau Ionesco jetzt auch noch eine Fortsetzung in Aussicht!

FRIGHT NIGHT (1:1.85, 3D, DD 5.1)
OT: Fright Night
Verleih: Walt Disney
Land/Jahr: USA 2011
Regie: Craig Gillespie
Darsteller: Anton Yelchin, Colin Farrell, Toni Collette
Kinostart: 06.10.2011

Charley will es eigentlich gar nicht glauben, was ihm sein nerdiger Schulfreund einzureden versucht. Der nämlich behauptet, dass Charleys neuer Nachbar ein Vampir ist, der bereits einige Morde auf seinem Gewissen hat. Als jener Kumpel jedoch plötzlich spurlos verschwindet, kommen ihm Zweifel und er recherchiert selber. Mit tödlichem Erfolg: Nachbar Jerry ist ein leibhaftiger Vampir. Und der hat es nicht nur auf Charley, sondern auch auf dessen Mutter und seine Freundin abgesehen! Da ihm aber niemand glaubt, wendet er sich in seiner Not an Peter Vincent, den Star einer Vampir-Serie im Fernsehen... Der Film von Craig Gillespie reiht sich nahtlos ein in die große Serie “Remakes, die die Welt nicht braucht”. Denn bei seinem Film handelt es sich um das Remake von Tom Hollands Kultkomödie DIE RABENSCHWARZE NACHT aus dem Jahre 1985. Handelte es sich bei der noch um eine schwarze Horrorkomödie, so gibt es im Remake leider nichts mehr zu lachen. Die Figur des Peter Vincent, die den Originalfilm trägt, wurde in der Neuauflage durch einen etwas durchgeknallten, Alkohol konsumierenden Jungspund ersetzt – eine flachere, unwitzigere Charakterisierung hätte man sich nicht erträumen können. So schleppt sich das Werk ohne einen Funken Witz (und auch ohne jede Form von Spannung) durch seine 107 Minuten Spielzeit und trägt nur dazu bei, sich noch einmal mit dem Original ins Heimkino zu verziehen!
Mittwoch, 07. September 2011
Eine Filmikone und Skurriles
Bevor das Fantasy Filmfest für mich heute mit drei weiteren Filmen zu Ende geht, durfte ich noch zwei Pressevorführungen beiwohnen.

CHARLOTTE RAMPLING: THE LOOK (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: Piffl
Land/Jahr: Deutschland 2011
Regie: Angelina Maccarone
Darsteller: Charlotte Rampling
Kinostart: 20.10.2011

Sie gehört ohne Zweifel zu den ganz großen Filmschauspielerinnen unserer Zeit: Charlotte Rampling. Die Filmemacherin Angelina Maccarone präsentiert in ihrem Dokumentarfilm jedoch weniger den Filmstar, sondern vielmehr die faszinierende Frau, sie sich dahinter verbirgt. In neun Kapiteln (Exponiertsein, Dämonen, Berufung, Tod, Schönheit, Alter, Tabu, Begehren und Liebe) erzählt die Filmikone – teilweise im Gespräch mit guten Freunden – ihre Gedanken zu den jeweiligen Themenbereichen. Ergänzt werden die Statements der Rampling durch ein paar wenige Filmausschnitte, die ihre gesamte Filmkarriere abdecken. Der Film bleibt dabei stets unkommentiert, so dass der Zuschauer die Monologe und Dialoge unvoreingenommen selbst verarbeiten kann. Für Fans der großen Schauspielerin ist der Film selbstverständlich Pflicht.

THE FUTURE (1:1.85, DD 5.1)
Verleih: Alamode (Filmagentinnen)
Land/Jahr: Deutschland, USA 2010
Regie: Miranda July
Darsteller: Miranda July, Hamish Linklater, David Warshofsky
Kinostart: 27.10.2011

Sophie und Jason sind schon lange ein Paar. Um ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben, haben sie sich zu einem Entschluss durchgerungen: sie wollen eine Katze adoptieren. In genau 30 Tagen können sie Paw-Paw aus dem Tierheim abholen. Da realisieren sie plötzlich, dass dies vermutlich die letzten 30 Tage sein werden, die sie sorgenfrei genießen können. Also schmeissen beide ihren Job hin. Jason geht fortan als Hausierer Klinken putzen, während Sophie eine Tanz-Performance für YouTube aufzeichnen will... Immer wieder dürfen wir im Verlaufe des Films die beiden kleinen Pfoten von Paw-Paw sehen. Dazu ertönt Paw-Paws Stimme (gesprochen von Hauptdarstellerin und Regiesseurin Miranda July) und philosophiert darüber, wie es ist, ständig nur draußen zu sein oder dass das Warten eine vollkommen neue Erfahrung ist. Das aber ist nicht das einzige skurrile Moment in diesem Film. Alleine schon die Protagonisten wirken so, als stammten sie von einem fremden Planeten. Nun habe ich wahrhaftig nichts gegen skurrile Typen oder skurrile Situationen. Doch in THE FUTURE ist einfach zuviel davon enthalten. Man hat auch den Eindruck, dass der Film sich irgendwann einfach nicht mehr von der Stelle bewegt und in sich selbst verharrt. Spätestens dann beginnt er zu langweilen. Herrliche kleine Sequenzen wie jene, in der Sophie die Wohnung vom Internet trennt (nach Jasons Protest meint sie lapidar, dass man jene Dinge, die man nur aus dem Internet weiß, dann eben nicht mehr weiß), sind viel zu selten. THE FUTURE wird es schwer haben, sich dem Publikum zu erschließen.
Dienstag, 06. September 2011
Verwundete Seelen
Zum Beginn der Pressewoche gab es einmal mehr bestes britisches Kino der leisen Töne.

TYRANNOSAUR (1:2.35, DD 5.1)
OT: Tyrannosaur
Verleih: 24 Bilder
Land/Jahr: Großbritannien 2011
Regie: Paddy Considine
Darsteller: Peter Mullan, Eddie Marsan, Olivia Colman
Kinostart: 13.10.2011

Mit Joseph geht allzu gerne das Temperament durch. Der Mitfünfziger gefällt sich darin, sich mit jedem anzulegen – am liebsten im Pub. Doch sein Temperament schlägt meist in Jähzorn um. Das bekommt auch sein treuer Hund zu spüren, den er in einem Anfall zu Tode prügelt. Als er nach einem erneuten Wutausbruch nicht mehr weiter weiß, flüchtet er sich in das Ladengeschäft von Hannah. Die ist das genaue Gegenteil von ihm und begegnet ihm vorbehaltlos mit Liebe und Warmherzigkeit. Zwischen den Ungleichen entsteht ganz allmählich eine freundschaftliche Verbindung, die den harten Panzer Josephs nach und nach verschwinden lässt. Was Joseph noch nicht weiß: Hannah leidet unter ihrem gewalttätigen Ehemann... Paddy Considines Film entpuppt sich schon nach kurzer Zeit als extrem authentisches Sozialdrama. Die sehr feine und nuancierte Charakterzeichnung der Protagonisten und das stimmige Ambiente, in dem die Geschichte spielt, lassen den Film lebendig werden. Alles wird hier nachvollziehbar gemacht. Die Kamera von Erik Alexander Wilson liefert keine farbenfrohe Bilder, sondern begnügt sich mit tristen, kalten Bildern, schafft dadurch die Grundstimmung des Films und lässt Einsamkeit spürbar werden. Mit Peter Mullan als Joseph und Olivia Colman als Hannah hat Regisseur Paddy Considine einen Glücksgriff getan. In ihren Gesichtern lässt sich ihr jeweiliger Gefühlszustand ablesen wie die Zeiger einer Uhr. TYRANNOSAUR ist bestes Brit-Kino mit Tiefgang.
Freitag, 02. September 2011
Authentisch
Spannend erzähltes Franzosen-Kino sieht man immer wieder gerne.

POLIEZEI (1:1.85, DD 5.1)
OT: Polisse
Verleih: Wild Bunch
Land/Jahr: Frankreich 2011
Regie: Maïwenn
Darsteller: Karin Viard, Joey Starr, Marina Foïs
Kinostart: 27.10.2011

Basierend auf realen Fällen schildert Regisseurin Maïwenn in fast dokumentarischem Stil den harten Alltag der Pariser Jugendschutzpolizei. Kindesmissbrauch und Jugendkriminalität stehen auf der Tagesordnung der aus Männern und Frauen bestehenden Spezialabteilung. Der sensible Inhalt ihrer Arbeit einerseits und der ermüdende Kampf gegen interne Bürokratie andererseits lässt hier oftmals die Emotionen schnell hochkochen. Extrem präzise und schonungslos offen gestaltet sich der Einblick in die schwierige Arbeit des Teams, das zum Ausgleich nach getaner Arbeit in Kneipen oder Discos abhängt. Auch das Privatleben einiger der Protagonisten wird gezeigt und schnell wird klar, dass die Polizistinnen und Polizisten nicht nur im Beruf mit Problemen konfrontiert werden. Ein ausgezeichnetes Ensemble von Schauspielern lässt schnell vergessen, dass es sich um Schauspieler handelt und lässt den Film dadurch sehr authentisch wirken, was durch den extrem geringen Einsatz von Filmmusik noch zusätzlich erhöht wird. POLIEZEI (die kindliche Schreibweise von “Polizei”) ist ein sehr intensives Kinoerlebnis.
Donnerstag, 01. September 2011
Reise in die Vergangenheit und Vorbereitung auf den Tod
Mein heutiger Filmmarathon (2 Pressevorführungen und 5 Filme auf dem Fantasy Filmfest!) begann mit zwei sehr unterschiedlichen Geschichten.

WINTERTOCHTER (1:2.35, DD 5.1)
Verleih: Zorro
Land/Jahr: Deutschland, Polen 2010
Regie: Johannes Schmid
Darsteller: Nina Monka, Ursula Werner, Merab Ninidze
Kinostart: 20.10.2011

Ausgerechnet an Heiligabend muss die 12jährige Kattaka erfahren, dass ihr vermeintlicher Vater gar nicht ihr leiblicher Vater ist. Sie ist das Ergebnis einer Liebschaft ihrer Mutter mit einem Russen. Und der meldet sich vollkommen überraschend telefonisch aus Stettin, wo er als Seemann mit einem Containerschiff vor Anker liegt. Gegen den anfänglichen Widerstand ihrer Eltern beschließt Kattaka ihren tatsächlichen Vater aufzusuchen. Ihre 75jährige Nachbarin Lene bietet ihr an, sie mit dem Auto in das nicht allzu weit entfernte Stettin zu fahren. Unterwegs merken die beiden, dass sie noch einen blinden Passagier mit an Bord haben: Kattakas kleinen Freund Knäcke. Im Verlaufe des Roadtrips des Trios wird Kattaka klar, dass es auch für Lene eine Reise in die eigene Vergangenheit ist... Triste, farblose Bilder bestimmen den Look von Johannes Schmids neuem Film, der 2007 mit BLÖDE MÜTZE einen beeindruckenden Jugendfilm ablieferte. Von der Freundschaft zwischen den Generationen und der Suche nach den eigenen Wurzeln erzählt der Regisseur mit einem gut besetzten Ensemble. Nachwuchstalent Nina Monka spielt die Rolle der Kattaka, für die am Weihnachtsabend ihre bisherige Welt zusammenbricht, sehr überzeugend. Ursula Werner (sehr beeindruckend in Andreas Dresens WOLKE 9) gibt eine fabelhafte Lene mit unbewältigter Vergangenheit und der kleine Leon Seidel als stets gut aufgelegter Knäcke sorgt für eine gut dosierte Portion Spaß. Wenn auch das Ende des Films ziemlich dick aufgetragen wirkt, so stellt WINTERTOCHTER einen insgesamt sehenswerten Film dar.

KEIN MITTEL GEGEN LIEBE (1:2.35, DD 5.1)
OT: A Little Bit Of Heaven
Verleih: Senator
Land/Jahr: USA 2011
Regie: Nicole Kassell
Darsteller: Kate Hudson, Gael García Bernal, Lucy Punch, Kathy Bates
Kinostart: 06.10.2011

Marley ist alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Sie genießt ihr Leben in vollen Zügen. Mit Freunden abhängen im angesagten Club gehört ebenso dazu wie der Sex mit ihrem Lover. Doch für eine echte Liebesbeziehung ist sie noch nicht bereit. Ausgerechnet beim Arztbesuch tritt vollkommen unerwartet ein neuer Mann in ihr Leben: der junge Dr. Goldstein. Und der hat auch gleich eine schlechte Nachricht für die lebenslustige Marley – Darmkrebs. In einer Vision trifft Marley ihren Schöpfer – in Gestalt von Whoopi Goldberg. Die eröffnet ihr, dass sie drei Wünsche frei hat. Als wenig später zwei der Wünsche erfüllt werden, wird ihr klar, dass sie nicht nur geträumt hatte. Doch was ist mit Wunsch Nummer Drei, den sie bisher noch nicht formuliert hatte? Während sie sich auf ihren Tod vorbereitet und mit Dr. Goldstein eine Liebesaffäre beginnt, nimmt ihr letzter Wunsch nach und nach Gestalt an.... Welch ein Zufall, dass es gerade erst gestern Andreas Dresens Krebsfilm HALT AUF FREIER STRECKE zu sehen gab. Denn so wird einem krass vor Augen geführt, wie verlogen doch Nicole Kassells Dramödie im Grunde genommen ist. Frei nach dem Motto “Ist das Sterben nicht schön!” wird der langsame Tod der Marley als etwas romantisch-kitschiges dargestellt. Wo Dresen vollkommen ohne Filmmusik auskommt, darf in Kassells Film der Score dem geneigten Zuschauer die Tränen aus den Augen locken, weil ihre Darsteller dazu nicht in der Lage sind. KEIN MITTEL GEGEN LIEBE ist quasi “The American Way of Dying” – hier wird mit viel Stil gestorben. Kassells Film ist leider soweit weg von der Realität entfernt wie es ein Film nur sein kann. Bei den Darstellern überzeugt bestenfalls noch Kathy Bates als Marleys Mutter. Die Chemie zwischen Kate Hudson als Marley und Gael García Bernal als Dr. Goldstein ist nicht vorhanden und macht damit Marleys große Liebe alles andere als nachvollziehbar. Auf diesen Kinobesuch darf man getrost verzichten.

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